VfGH B11/81

VfGHB11/8113.10.1982

Arbeitsverfassungsgesetz; Zustimmung zu einer Kündigung gemäß §121 Z1; kein Entzug des gesetzlichen Richters; auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes

Normen

ArbVG §62
ArbVG §120 Abs3
ArbVG §121 Z1
ArbVG §62
ArbVG §120 Abs3
ArbVG §121 Z1

 

Spruch:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Die Beschwerdeführerin war im Webereibetrieb des beteiligten J. R. mehrere Jahre als Textilarbeiterin beschäftigt und zuletzt Mitglied des in diesem Betrieb bestehenden Arbeiter-Betriebsrates. Am 19. November 1980 stellte J. R. an das Einigungsamt Linz den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung der Beschwerdeführerin, da sein Betrieb mit 31. Dezember 1980 dauernd eingestellt werde. Mit Bescheid des Einigungsamtes Linz vom 26. November 1980 wurde der beabsichtigten Kündigung der Beschwerdeführerin gemäß §121 Z1 Arbeitsverfassungsgesetz, BGBl. 22/1974 (künftig: ArbVG) die Zustimmung erteilt.

2.1. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

2.2. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift nicht erstattet, jedoch beantragt, ihr den Ersatz des Vorlageaufwandes im Betrage von S 120,- zu ersetzen. Der beteiligte J. R. hat eine Äußerung abgegeben, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt.

3. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

3.1. Gegen die Entscheidung der Einigungsämter ist eine Berufung nicht zulässig (§152 Abs2 ArbVG). Die Entscheidung eines Einigungsamtes ist endgültig, womit die Erschöpfung des Instanzenzuges gegeben ist.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

3.2.1. Die Beschwerdeführerin behauptet durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein. Nach dem Wortlaut des §121 Z1 ArbVG könne das Einigungsamt der Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes zustimmen, wenn der Betriebsinhaber im Falle einer dauernden Einstellung oder Einschränkung des Betriebes oder der Stillegung einzelner Betriebsabteilungen den Nachweis erbringe, daß er das betroffene Betriebsratsmitglied trotz dessen Verlangens an einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens ohne erheblichen Schaden nicht weiterbeschäftigen könne. An Stelle des Begriffes "dauernde Einstellung" sei aber der Begriff "vorübergehende Einstellung" des Betriebes zu verwenden, da gemäß §62 Z1 ArbVG mit der dauernden Einstellung des Betriebes nicht nur das Betriebsratsmandat, sondern auch der Sonderkündigungs- und Entlassungsschutz nach den §§120 ff. ArbVG ende, sodaß eine Ausnahme vom Kündigungsverbot nach letztzitierter Bestimmung durch eine Zustimmung des Einigungsamtes gar nicht mehr möglich sei. Die Verwendung des Begriffes "dauernde Einstellung" in §121 Z1 ArbVG könne nur als ein Formulierungsversehen gewertet werden, an dessen Stelle, wie nach der Regelung des §18 Abs2 lita Betriebsrätegesetz - BRG idF BGBl. 319/1971, der Begriff "vorübergehende Einstellung" des Betriebes zu verwenden sei. Die belangte Behörde sei demnach zu einer Sachentscheidung im Beschwerdefall nicht zuständig gewesen, sie hätte den Antrag vielmehr zurückzuweisen gehabt. Da sie dennoch in der Sache selbst entschieden habe, sei die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid im geltend gemachten Grundrecht verletzt worden.

3.2.2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (vgl. zB. VfSlg. 8828/1980).

Die Beschwerde wäre berechtigt, wenn die belangte Behörde zu der von ihr gefällten Sachentscheidung nicht berechtigt war.

Zu beachten ist, daß eine allgemeine Zuständigkeit der Einigungsämter für die Entscheidung aller strittigen Fragen des Betriebsverfassungsrechtes vom Gesetz nirgends anerkannt ist und daher nicht besteht (zu der in diesem Punkt vergleichbaren Rechtslage nach dem BRG vgl. VfSlg. 2737/1954, 3443/1958). Gemäß §121 Z1 ArbVG darf das Einigungsamt einer Kündigung unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des §120 nur zustimmen, wenn der Betriebsinhaber im Falle einer dauernden Einstellung oder Einschränkung des Betriebes oder der Stillegung einzelner Betriebsabteilungen den Nachweis erbringt, daß er das betroffene Betriebsratsmitglied trotz dessen Verlangens an einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens ohne erheblichen Schaden nicht weiterbeschäftigen kann. Nach §120 leg. cit. darf ein Mitglied eines Betriebsrates bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit nur nach vorheriger Zustimmung des Einigungsamtes gekündigt oder entlassen werden. Der sich aus §§120 ff. ergebende Schutz endet drei Monate nach Erlöschen der Mitgliedschaft zum Betriebsrat, im Falle der dauernden Einstellung des Betriebes jedoch mit Ablauf der Tätigkeitsdauer des Betriebsrates (§120 Abs3 ArbVG). Gemäß §62 ArbVG endet die Tätigkeitsdauer des Betriebsrates, wenn der Betrieb dauernd eingestellt wird.

Die Beschwerdeführerin vermeint, aus diesen Bestimmungen ergebe sich, daß der in §121 Z1 verwendete Begriff "dauernde Einstellung" iS einer vorübergehenden Betriebsunterbrechung zu verstehen sei, da es andernfalls zu einer Antinomie zwischen §120 Abs3, der das Erlöschen des Sonderschutzes im Falle einer dauernden Einstellung des Betriebes festlegt, und §121 Z1 ArbVG, der die Zustimmungsvoraussetzung für eine Kündigung (auch) im Falle einer dauernden Einstellung des Betriebes zum Ausdruck bringt und damit den Sonderschutz zur Voraussetzung hat, kommen müßte. Die Beschwerdeführerin verkennt mit diesen Ausführungen jedoch die jeweiligen inhaltlichen Voraussetzungen der gesetzlichen Regelungen. Wohl wird sowohl in §120 Abs3, als auch in §121 Z1 ArbVG regelungsmäßig an den Begriff "dauernde Einstellung eines Betriebes" angeknüpft, jedoch in einer dem jeweiligen Ziel der Regelung entsprechenden Bedeutung. Unter "Einstellung des Betriebes" ist, wie sich aus dem Sprachgebrauch bereits ergibt, nämlich sowohl die einen mehr oder weniger langen Zeitraum umfassende Liquidation als auch der als Ergebnis der Liquidation erzielte Status, also der Wegfall des Betriebes zu verstehen. In letzterem Sinne wird der Begriff "dauernde Einstellung des Betriebes" in §120 Abs3 ArbVG verwendet, der demnach sachverhaltsmäßig den Wegfall eines Betriebes zur Voraussetzung des Erlöschens des Kündigungs- und Entlassungssonderschutzes - als hieran anknüpfende Rechtsfolge - macht. Demgegenüber wird in §121 Z1 ArbVG unter dem Begriff "dauernde Einstellung des Betriebes" die Liquidation, dh. also die Phase des Abbaues der Beschäftigten und der Betriebsmittel mit dem Ziele einer endgültigen Auflösung des Betriebes verstanden. In dieser Phase eines Betriebsgeschehens ist der Kündigungs- und Entlassungssonderschutz nach dem Vorhergesagten nicht weggefallen, sodaß für den Kündigungs- und Entlassungssonderschutz gemäß §121 Z1 ArbVG ein Anwendungsbereich besteht.

Hieraus erweist sich, daß der §121 Z1 ArbVG den Begriff "dauernde Einstellung des Betriebes" nicht (nur) iS einer vorübergehenden Betriebsunterbrechung verwendet, was im Beschwerdefall, dem sachverhaltsmäßig die Kündigung eines Dienstnehmers während der laufenden Liquidation eines Betriebes zugrunde liegt, bedeutet, daß die belangte Behörde, da die Tätigkeitsdauer des Betriebsrates gemäß §62 ArbVG noch nicht erloschen war, die Zuständigkeit zur Fällung einer Sachentscheidung gemäß §121 Z1 ArbVG zu Recht in Anspruch genommen hat.

Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter hat somit nicht stattgefunden.

3.3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die Beschwerdeführerin in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in ihren Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

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