VfGH B1144/91

VfGHB1144/9113.10.1992

Verletzung im Gleichheitsrecht und im Eigentumsrecht durch Vorschreibung einer Gebühr nach dem GebührenG 1957 für eine Bürgschaftserklärung; Entstehen der Gebührenschuld nicht bereits durch bloße Aushändigung der Bürgschaftserklärung an den Gläubiger

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art5
GebührenG 1957 §15 Abs1
GebührenG 1957 §16 Abs1 Z2 lita
GebührenG 1957 §28 Abs1 Z2
GebührenG 1957 §33 TP7
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art5
GebührenG 1957 §15 Abs1
GebührenG 1957 §16 Abs1 Z2 lita
GebührenG 1957 §28 Abs1 Z2
GebührenG 1957 §33 TP7

 

Spruch:

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihres Vertreters die mit 15.000 S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Für "ein am 11.3.1985 gestelltes, vierfach ausgefertigtes Bürgschaftsanbot" schrieb das Finanzamt der beschwerdeführenden Gesellschaft nach §33 TP7 Abs1 Z1 und §25 Abs1

Gebührengesetz (GebG) eine Rechtsgebühr in der Höhe von 17,812.500 S samt Erhöhung von 3,562.500 S vor. Die Finanzlandesdirektion setzte die Gebühr auf 3,562.500 S und die Erhöhung auf 1,068.750 S herab, gab der Berufung im übrigen aber nicht Folge. Zwar habe nicht das Bürgschaftsanbot, sondern die (nicht in Gleichschriften vorliegende) "Bürgschaftserklärung" vom 11. März 1985 die Gebührenpflicht ausgelöst. Bei einem einseitig verbindlichen Rechtsgeschäft entstehe die Gebührenschuld aber gemäß §16 Abs1 GebG, falls die Urkunde nur von dem unterzeichnet wird, der sich verbindet, im Zeitpunkt der Aushändigung (übersendung) der Urkunde an den Berechtigten oder dessen Vertreter. In Rechtsprechung und Schrifttum bestehe Einhelligkeit darüber, daß die Entgegennahme der nur vom Bürgen unterfertigten Urkunde (Bürgschaftserklärung) durch den Berechtigten (Gläubiger) als stillschweigende Annahme der Verpflichtungserklärung des Bürgen anzusehen ist (Hinweis auf VwGH Zl. 1436/63 vom 29.6.1964 = VwSlg. 3110 (F), Warnung-Dorazil, Die Stempel- und Rechtsgebühren3 221 und Gschnitzer in Klang, ABGB 2 IV/1 78). Der Einwand, die Vereinbarung müsse zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger schriftlich zustandekommen, sei nicht stichhältig, weil sich das Schriftlichkeitsgebot nur auf die Verpflichtungserklärung des Bürgen beziehe.

Die dagegen erhobene Beschwerde rügt die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und Gleichheit vor dem Gesetz. Die Bürgschaft sei ein Vertrag, der erst durch Annahme zustandekomme. Andernfalls könnte unter anderem dem Gläubiger (gebührenpflichtig) ein unerwünschter Bürge aufgedrängt werden. Eine Annahme sei aber nicht erfolgt.

Auf die Gegenschrift der Behörde hat die beschwerdeführende Gesellschaft erwidert, worauf die Behörde ihren Standpunkt in einer weiteren Äußerung bekräftigte.

II. Die Beschwerde ist begründet.

1. Nach §33 TP7 sind "Bürgschaftserklärungen" mit 1 v.H. des Wertes der verbürgten Verbindlichkeit gebührenpflichtig. Gemäß §15 Abs1 GebG sind Rechtsgeschäfte dann gebührenpflichtig, wenn über sie eine Urkunde errichtet wird, es sei denn, daß in diesem Bundesgesetz etwas Abweichendes bestimmt ist. Für Bürgschaftserklärungen ist nicht Abweichendes bestimmt.

Die Bürgschaft ist ein für den Bürgen einseitig verbindliches Rechtsgeschäft. Gebührenschuldner ist daher nach §28 Abs1 Z2 GebG derjenige, in dessen Interesse die Urkunde ausgestellt ist, das ist der Gläubiger.

Abgesehen von dem hier nicht in Betracht kommenden Fall einer Bürgschaft, die zwischen Schuldner und Bürgen zugunsten des Gläubigers als Drittem vereinbart wird, stellt die Bürgschaft einen Vertrag zwischen Bürgen und Gläubiger dar (§1346 Abs1 ABGB). Zwar nennt §33 TP7 GebG "Bürgschaftserklärungen" als gebührenpflichtige Rechtsgeschäfte, doch kann darunter schon deshalb nicht die bloße Erklärung des Bürgen ohne Annahme durch den Gläubiger verstanden werden, weil dann der Gläubiger ohne sein Zutun für Akte eines Dritten gebührenpflichtig würde, wofür es keinen vernünftigen Grund gibt. Literatur und Rechtsprechung stimmen auch überein, daß die Verwendung des Wortes "Bürgschaftserklärungen" nur aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes erklärlich, der Sache nach aber der Bürgschaftsvertrag

gemeint ist (VwGH vom 16. Mai 1960, Zl. 6622/59 = ÖStZB 1960, 103,

vom 29. Juni 1964, Zl. 1435/63 = VwSlg. 3110(F)/164 und vom 17. Februar 1966, Zl. 987/65 = ÖStZB 1966, 116; Arnold, Rechtsgebühren 244, Gaier, Kommentar zum Gebührengesetz 248, Frotz-Hügl-Popp, Kommentar zu §33 TP7 S. 2-4; aM ohne Begründung Warnung-Dorazil, Die Stempel- und Rechtsgebühren 221). Auch die belangte Behörde geht letztlich davon aus, daß das gebührenpflichtige Rechtsgeschäft ein Vertrag ist, wenn sie in der Entgegennahme der Verpflichtungserklärung des Bürgen die (stillschweigende) Annahme sieht.

2. Sie zieht daraus aber nicht die erforderlichen Konsequenzen. Die Gebührenpflicht des Rechtsgeschäftes entsteht mit Errichtung der Urkunde. Die Urkunde muß das zustandegekommene Rechtsgeschäft beurkunden. Die beurkundete einseitige Erklärung des Bürgen ist daher für sich allein keine Beurkundung des Rechtsgeschäftes. Die These der Behörde, die Aushändigung (Übersendung) einer vom Bürgen unterzeichneten Urkunde stelle bereits die Beurkundung des Bürgschaftsvertrages dar, ist offenkundig verfehlt. Auf §16 Abs1 Z2 lita GebG kann sie nicht gestützt werden, weil es dort nur um den Zeitpunkt der Entstehung der Gebührenschuld, nicht hingegen um die Frage geht, ob überhaupt eine Gebührenschuld besteht. In dem von der Behörde auch in der Gegenschrift übergangenen Erkenntnis vom 17. Februar 1966, Zl. 987/65, führt der Verwaltungsgerichtshof zu dieser Frage aus,

"... daß die belangte Behörde die Vorschreibung von Gebühren nach §33 TP7 GebG nur dann hätte bestätigen dürfen, wenn erwiesen wäre, daß den strittigen Bürgschaftserklärungen der Abschluß entsprechender Bürgschaftsverträge vorausgegangen ist. Denn das Vorliegen von rechtserzeugenden Urkunden behauptet die belangte Behörde selbst nicht. Solche können für den Beschwerdefall auch nicht angenommen werden, weil die strittigen Vordrucke (sie beziehen sich, soweit dies für den Streitfall von wesentlicher Bedeutung ist, auf Bürgschaften, also auf Verträge) nicht von beiden Vertragsteilen, sondern jeweils nur vom Bürgen unterfertigt wurden. Die Beschwerdeführerin weist denn auch darauf hin, daß in ihrem Falle weder rechtserzeugende noch auch rechtsbezeugende Urkunden vorliegen und daß in dem Zeitpunkt, in dem ihr die einzelnen 'Bürgschaftserklärungen' übergeben worden waren, Bürgschaftsverträge zwischen ihr und den bürgenden Dritten, von deren Vorhandensein sie im übrigen erst durch die einzelnen 'Bürgschaftserklärungen' Kenntnis erlangt habe, noch nicht abgeschlossen gewesen seien. Die belangte Behörde hat im Berufungsverfahren nicht näher geprüft, ob die Angaben der Beschwerdeführerin zutreffen. Sie hat Feststellungen darüber vor allem deswegen unterlassen, weil sie von der Rechtsauffassung ausgegangen ist, daß in jenen Fällen, in denen nur ein Vertragsteil rechtsgeschäftliche Verpflichtungen übernimmt, die Unterzeichnung einer Urkunde durch diesen Vertragsteil allein schon die Gebührenpflicht in dem Zeitpunkt auslöst, in dem die Urkunde dem anderen Vertragsteil übermittelt wird, wenn dieser andere Vertragsteil in der Folge die Erklärung, sei es auch nur stillschweigend, annimmt. Die Rechtsmeinung der belangten Behörde, daß die Gebührenschuld in einem solchen Falle schon mit der Übersendung einer Urkunde an den anderen Vertragsteil entstehe, ohne daß es bereits zu einem Vertragabschlusse gekommen sein muß, ist aber als rechtsirrig abzulehnen. Das hat der Verwaltungsgerichtshof, soweit im Einzelfalle Verträge, also zweiseitige Rechtsgeschäfte in Frage kommen, übrigens schon in seinem Erkenntnisse vom 29. Juni 1964, Zl. 1435/63, ausgesprochen, auf das sich die belangte Behörde demnach zu Unrecht berufen hat. ...

... Soweit sich die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auf die Rechtsvorschrift des §16 GebG beruft (es kommt offenbar nur §16 Abs1 Z2 lita GebG in Frage), muß ihr entgegnet werden, daß sich diese Vorschrift nach dem System des Gebührengesetzes 1957 nur auf rechtsbezeugende Urkunden beziehen kann, also auf Urkunden, mit denen ein bereits abgeschlossenes Rechtsgeschäft eine Beurkundung erfahren soll. Falls bei einem Vertrage die Unterschriften auf einer rechtserzeugenden Urkunde nicht gleichzeitig von den Parteien geleistet werden, dann setzt die Gebührenpflicht erst mit der Unterschriftsleistung des letzten Vertragspartners ein."

Dieses Erkenntnis ist zwar zur Rechtslage vor der Gebührengesetznovelle 1976 ergangen, die den Kreis der gebührenpflichtigen Rechtsgeschäfte durch Einbeziehung aller nicht bloß mündlicher Annahmeformen wesentlich erweitert hat (zur Verfassungswidrigkeit dieses Teiles des §15 Abs2 GebG nunmehr G10/92 vom heutigen Tag), entspricht aber im wiedergegebenen Teil nach wie vor der Rechtslage.

Auf die bürgerlich-rechtliche Literatur beruft sich die Behörde zu Unrecht. Wohl kann eine Bürgschaftserklärung stillschweigend angenommen werden und in der Entgegennahme der Bürgschaftserklärung eine stillschweigende Annahme liegen. Die einschlägige Äußerung Gschnitzers (der allerdings nicht von Bürgschaften, sondern nur allgemein von Rechtsgeschäften spricht, über die von einem Teil einseitig eine Urkunde errichtet wurde) stellt demgemäß auf die Annahme unter Anwesenden unter Umständen ab, unter denen der andere Teil auf ein Einverständnis schließen kann ("annimmt, zwar ohne sie mitzufertigen, aber auch ohne erst zu betonen, daß er sie noch prüfen und sich noch dazu äußern wolle"), was im Einzelfall zu prüfen ist und auf die bloße Übersendung einer Bürgschaftserklärung nicht übertragen werden kann (wie auch die von Gschnitzer für seine Ansicht genannte, einen notariellen Schuldschein betreffende Entscheidung des OGH vom 17. Oktober 1876, GlU 6262, "aus dem Besitze dieser Urkunde und deren Producierung in dem Executionsgesuche" auf die Zustimmung des Gläubigers schloß). Es kann also keineswegs allgemein und von vornherein gesagt werden, daß die schlichte Aushändigung (Übersendung) einer Bürgschaftserklärung deren Annahme bedeute. Im vorliegenden Fall spricht gegen diese Deutung vollends der Umstand, daß weder das Bürgschaftsanbot noch die Bürgschaftserklärung an der für die Annahmeerklärung (zum 11. März 1985) frei gelassenen Stelle von der beschwerdeführenden Gesellschaft unterfertigt ist. Die beschwerdeführende Gesellschaft hat in der Berufung schon Gründe vorgetragen, die an einer schlüssigen Annahme des Anbotes zweifeln lassen. Die Behörde argumentiert denn auch gar nicht mit den Umständen des vorliegenden Falles - weshalb sie sich auch nicht näher mit der Frage auseinandersetzt, worin die Beurkundung des Vertrages im Sinne des §15 GebG liegt -, sondern verwendet die These von der Annahme durch Aushändigung (Übersendung) dergestalt, daß sie den Besitz der vom Bürgen unterfertigten (gemäß §1356 Abs2 ABGB notwendig schriftlichen) Erklärung für die Gebührenpflicht genügen läßt.

Damit unterstellt sie aber dem Gesetz fälschlich einen Inhalt, der es, hätte es ihn, verfassungswidrig erscheinen ließe. Denn eine solche Vorschrift liefe erst recht wieder darauf hinaus, daß der Empfänger einer Bürgschaftserklärung allein durch deren Empfangnahme und ohne eigenes Zutun zum Gebührenschuldner würde. Daß eine solche Regelung grob unsachlich und durch nichts zu rechtfertigen wäre, bedarf keiner weiteren Begründung.

Der angefochtene Bescheid verletzt die beschwerdeführende Gesellschaft daher in ihren Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums.

Unter diesen Umständen erübrigt es sich darauf einzugehen, inwieweit der vorliegende Fall auch einem Anlaßfall des Gesetzesprüfungsverfahrens G10/92 gleichzuhalten ist.

Der Bescheid ist jedenfalls aufzuheben. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag sind 2.500 S an Umsatzsteuer enthalten.

Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Verfassungsgerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen.

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