Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Text
Begründung
Das Erstgericht bewilligte mit Beschluss vom 11. Mai 2011 ***** der Antragstellerin die Verfahrenshilfe, gewährte die Begünstigungen nach § 63 Abs 1 Z 1, 2 und 4 ZPO im vollen Umfang sowie die Beigebung eines Rechtsanwalts (Z 3). Es bestimmte, dass die Beigebung des Rechtsanwalts für die Einbringung einer Klage gegen G*****-R*****-S***** Rechtsanwalts KG, 1040 Wien, über EUR 11.011,32 (Schadenersatz wegen schlechter Vertretung in einem Verfahren ***** des Bezirksgerichts Ebreichsdorf) und das weitere Verfahren (einschließlich eines nach Abschluss des Rechtsstreits eingeleiteten Vollstreckungsverfahrens) gelte. Der Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien bestellte mit Bescheid vom 20. Mai 2011 Rechtsanwalt Dr. T***** P***** zum Verfahrenshelfer.
Als der Verfahrenshelfer außergerichtlich Schadenersatzansprüche gegen die G*****-R*****-S***** Rechtsanwälte KG erhob, wurde die damalige einstweilige Sachwalterin der Antragstellerin, Rechtsanwältin Mag. H***** G*****‑F*****, über deren Antrag mit Beschluss vom 19. Jänner 2012 des Bezirksgerichts Ebreichsdorf enthoben (9 P *****; *****). An ihrer Stelle wurde Rechtsanwältin Mag. S***** P***** und in der Folge, wegen deren Übersiedlung, schließlich Rechtsanwalt Mag. Gerhard Angeler mit Beschluss vom 4. September 2013 zum Verfahrens- und einstweiligen Sachwalter der Antragstellerin zur Vertretung vor Gerichten bestellt (10 P***** des Bezirksgerichts Baden).
Der Verfahrenshelfer beantragte mit Schriftsatz vom 7. März 2013 *****, die der Antragstellerin bewilligte Verfahrenshilfe für erloschen zu erklären, in eventu ihr die Verfahrenshilfe zu entziehen. Er habe Rechtsanwältin Mag. G*****-F***** außergerichtlich aufgefordert, die Kosten aller drei Instanzen des Ehescheidungsprozesses (***** des Bezirksgerichts Ebreichsdorf), zu deren Ersatz die Antragstellerin verpflichtet worden sei, zu ersetzen. Erwartungsgemäß habe dies Rechtsanwältin Mag. G*****‑F***** abgelehnt. Die Einbringung einer Schadenersatzklage gegen Mag. G*****-F***** erscheine aussichtslos. Überdies sei mittlerweile Rechtsanwältin Mag. S***** P***** zur einstweiligen Sachwalterin für die Vertretung vor Gerichten bestellt worden. Die Voraussetzungen für die Verfahrenshilfe seien nicht mehr gegeben.
Die seinerzeitige einstweilige Sachwalterin Mag. S***** P***** äußerte sich *****, dass sie die Auffassung des Verfahrenshelfers über die Erfolgsaussichten teile und den Anträgen des Verfahrenshelfers nicht dezidiert entgegen stehe.
Mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2013 ***** ersuchte der Verfahrenshelfer neuerlich, über den Antrag auf Erlöschen bzw Entzug der Verfahrenshilfe zu entscheiden.
Dieser Antrag wurde dem nunmehrigen einstweiligen Sachwalter zur Äußerung zugestellt, der um Fristverlängerung bis zum 18. Dezember 2013 ersuchte.
Ohne über die beantragte Fristverlängerung zu entscheiden, erklärte das Erstgericht mit dem angefochtenen Beschluss die bewilligte Verfahrenshilfe im Umfang der Beigebung eines Rechtsanwalts (§ 64 Abs 1 Z 3 ZPO) für erloschen. Für die Antragstellerin sei ein Rechtsanwalt zum einstweiligen Sachwalter zur Vertretung vor Gericht bestellt worden, weshalb die Antragstellerin ausreichend vertreten sei.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Rekurs der Antragstellerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben.
Der Verfahrenshelfer beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs, der inhaltlich als Abänderungsantrag zu qualifieren ist, umfasst auch einen Aufhebungsantrag, welcher berechtigt ist.
1. Aus dem elektronischen Verfahrensregister ergibt sich, dass das damalige Bezirksgericht Ebreichsdorf mit Beschluss vom 16. November 2011 (9 P 10/11x-33) Rechtsanwältin Mag. H***** G*****-F***** zur Verfahrenssachwalterin und zur einstweiligen Sachwalterin für die Vertretung vor Gerichten bestellte.
Damit ergeben sich Zweifel an der Prozessfähigkeit der Antragstellerin bei Stellung des Verfahrenshilfeantrags, welcher am 22. April 2011 beim Erstgericht eingebracht worden war.
Allerdings kann von einer konkludenten Genehmigung des Verfahrenshilfeantrags ausgegangen werden, weil der einstweilige Sachwalter Rekurs gegen den angefochtenen Beschluss erhob, womit ein teilweises Erlöschen der Verfahrenshilfe ausgesprochen wurde.
2. Die Rekurswerberin bringt vor, es bestehe kein Grund für den Entzug der Verfahrenshilfe. Ein Sachwalter habe gegenüber der betroffenen Person neben der Entschädigung auch einen Anspruch auf Ersatz der Kosten anwaltlicher Tätigkeit. Reiche hierfür das Vermögen der Betroffenen nicht aus, müsse Verfahrenshilfe beantragt werden. Andernfalls müsste ein Rechtsanwalt (gemeint als Sachwalter) gänzlich unentgeltlich arbeiten. Nicht einmal die im Rahmen der Verfahrenshilfe vom Bund gezahlten Beträge zur Pensionsvorsorge der Rechtsanwälte würden geleistet werden.
3. Gemäß § 68 Abs 1 ZPO hat das Prozessgericht erster Instanz von Amts wegen oder auf Antrag - auch des bestellten Rechtsanwalts - die Verfahrenshilfe so weit zur Gänze oder zum Teil für erloschen zu erklären, als Änderungen in den Vermögensverhältnissen der Partei dies erfordern, oder die weitere Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Nach Abs 2 dieser Bestimmung ist die Verfahrenshilfe von Amts wegen oder auf Antrag so weit zur Gänze oder zum Teil zu entziehen, als sich herausstellt, dass die seinerzeit angenommenen Voraussetzungen nicht gegeben waren.
4. Im Rekursverfahren ist unstrittig, dass die Antragstellerin nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen einen Rechtsstreit nicht ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts führen könnte.
Nach ihrem Vermögensbekenntnis ***** bezieht sie überhaupt kein Einkommen; das Geld für die Lebenshaltungskosten leihe sie sich aus.
5. Zu prüfen ist, ob die Beigebung eines Rechtsanwalts (weiterhin) erforderlich ist, wenn für die die Verfahrenshilfe beantragende Person ein (einstweiliger) Sachwalter bestellt wurde.
5.1. § 64 Abs 1 Z 3 ZPO gewährt die Begünstigung der vorläufig unentgeltlichen Beigebung eines Rechtsanwalts, „sofern die Vertretung durch einen Rechtsanwalt gesetzlich geboten ist oder es nach Lage des Falls erforderlich erscheint“.
Danach ist – wenn die sonstigen Voraussetzungen für die Verfahrenshilfe vorliegen – ein Rechtsanwalt schon dann beizugeben, wenn absolute Anwaltspflicht für die beabsichtigte Verfahrensführung besteht (Bydlinski in Fasching/Konecny, ZPO² § 64 Rz 15).
Auf Grund des Streitwerts der beabsichtigten Schadenersatzklage von EUR 11.011,32 bestand/besteht für dieses Verfahren absolute Anwaltspflicht (§ 27 Abs 1 ZPO) und zwar unabhängig davon, ob für die Rechtssache der Gerichtshof oder – nach der zwischenzeitigen Wertgrenzen-Novelle – das Bezirksgericht zuständig ist. Nach § 27 Abs 1 ZPO besteht absolute Anwaltspflicht für Rechtssachen auch vor Bezirksgerichten, deren Streitwert an Geld oder Geldeswert EUR 5.000,-- übersteigt.
Schon wegen der absoluten Anwaltspflicht für die beabsichtigte Schadenersatzklage war die Beigebung des Rechtsanwalts zu bewilligen.
5.2. Abgesehen davon wird die Beigebung eines Rechtsanwalts nicht entbehrlich, wenn für die Verfahrenshilfe begehrende Partei ein Rechtsanwalt zum einstweiligen Sachwalter für die Vertretung vor Gericht bestellt wird.
Das Oberlandesgericht Wien entschied zu 16 R 148/02f (= WR 932), dass die Sachwalterbestellung die Verfahrenshilfe nicht beeinflusse, weil dem als Sachwalter bestellten Rechtsanwalt ein Anspruch auf Entlohnung seiner Rechtsanwaltstätigkeit nach RATG zukomme, mit der die betroffene Person trotz ihrer „Bedürftigkeit“ zu belasten wäre (JBl 2002, 311).
Mittlerweile wurde der Entlohnungsanspruch gesetzlich geregelt. Nach § 276 ABGB idF BGBl I 2006/92 hat der Sachwalter abgesehen von einem Anspruch auf Entschädigung auch einen Anspruch auf angemessenes Entgelt, wenn er für Angelegenheiten, deren Besorgung sonst einem Dritten entgeltlich übertragen werden müsste, seine besonderen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten einsetzt. Allerdings besteht kein Anspruch für Kosten rechtsfreundlicher Vertretung, soweit beim Pflegebefohlenen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe gegeben sind.
Die Materialien zu dieser mit BGBl I 2006/92 eingeführten Gesetzesbestimmung halten ausdrücklich fest: „In jenen Verfahren, in denen beim Betroffenen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe gegeben sind, kann ungeachtet des Umstandes, dass ein Rechtsanwalt als Sachwalter (Kurator) bestellt ist, Verfahrenshilfe bewilligt werden und der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer den Sachwalter (Kurator) als Verfahrenshelfer bestellen. So kann dem Sachwalter (Kurator) seine Tätigkeit für den Pflegebefohlenen im Rahmen der Pauschalvergütung angerechnet werden.“ (ErlRV 1420 BlG 22.GP 15).
Da der Gesetzgeber selbst eine Verbindung zwischen der Entgeltregelung des § 276 Abs 2 ABGB und der Verfahrenshilfe herstellt, ist der in den Materialien niedergelegte Wille auch bei der Auslegung des § 64 Abs 1 Z 3 ZPO zu berücksichtigen. Danach hindert die Bestellung eines (einstweiligen) Sachwalters nicht die Beigebung eines Rechtsanwalts.
Davon unabhängig ist die Möglichkeit einer Umbestellung des Verfahrenshelfers durch den Ausschuss der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu beurteilen.
6. Ausgehend von der vom Rekursgericht nicht geteilten Rechtsansicht hat das Erstgericht nicht über den Antrag auf Erlöschen sowie Entzug der Verfahrenshilfe wegen der Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Prozessführung entschieden.
Der Verfahrenshelfer legte bereits mit seinem Antrag ON 9 sein Schreiben vom 27. Juni 2011 an die Antragstellerin vor, worin er im Detail erläuterte, dass er die Prozesschancen als eher gering einschätze.
Allenfalls wird der Antrag auf Erlöschen bzw Entzug der Verfahrenshilfe daraufhin zu prüfen sei, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung als mutwillig einzuschätzen ist. Dazu wird auf § 63 Abs 1 letzte Satz ZPO verwiesen, wonach eine Rechtsverfolgung dann als mutwillig anzusehen ist, wenn eine nicht die Verfahrenshilfe beanspruchende Partei bei verständiger Würdigung aller Umstände des Falles von der Führung des Verfahrens absehen oder nur einen Teil des Anspruchs geltend machen würde.
7. In Stattgebung des Rekurses wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.
Damit erübrigt es sich, auf die Rüge einzugehen, dass das Erstgericht den angefochtenen Beschluss ohne Entscheidung über den Fristerstreckungsantrag zur Äußerung der Antragstellerin fasste.
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