European Case Law Identifier: ECLI:AT:OLG0459:2025:0120RS00016.25X.0226.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 28. Juni 2024 lehnte die Beklagte unter Zugrundelegung eines Pflegebedarfs von 50 Stunden monatlich die Gewährung von Pflegegeld an den Kläger ab.
Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrte der Kläger die Gewährung von Pflegegeld der Stufe 1 ab 1. Juli 2024 und machte geltend, insbesondere aufgrund seiner massiven Bewegungseinschränkungen an den Armen sowie nach einer Knieoperation einen Pflegebedarf von mehr als 65 Stunden monatlich zu haben.
Die Beklagte beantragte eine Klagsabweisung und wandte ein, die ärztliche Begutachtung habe keinen ausreichenden Pflegebedarf ergeben.
Das Erstgericht gelangte zu einem Pflegebedarf von 60 Stunden monatlich und wies daher das Klagebegehren ab.
Im Berufungsverfahren ist ein Pflegebedarf von 50 Stunden nicht mehr strittig, nämlich 10 Stunden für die Teilhilfe beim An- und Ausziehen der Oberbekleidung, 10 Stunden Unterstützung bei der sonstigen Körperreinigung (Duschen, Haarewaschen, Maniküre und Pediküre) und je 10 Stunden an Fixwert für die Herbeischaffung der Nahrungsmittel und Medikamente, der Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände sowie der Reinigung der Leib- und Bettwäsche. Strittig ist das Ausmaß der Unterstützung beim Kochen.
Das Erstgericht traf zur Teilhilfe beim Kochen folgende (hinsichtlich des tatsächlichen Zeitaufwands dislozierte) Sachverhaltsfeststellungen:
Der 75-jährige Kläger lebt mit seiner Ehefrau in einem Zweifamilienhaus und bewohnt dabei das Obergeschoss. Die Gattin des Klägers übernimmt seine Betreuung und Pflege. Die Küche ist mit einem E-Herd ausgestattet. Für die Zubereitung von Mahlzeiten kann der Kläger einen Speiseplan erstellen und auch die nötigen Vorbereitungsarbeiten zum Kochen vornehmen. Ein mundgerechtes Zubereiten der Speisen ist ihm aufgrund seiner feinmotorischen Fähigkeiten möglich. Bei der Zubereitung von Hauptspeise, Zuspeise und Salat benötigt der Kläger Unterstützung, da er nicht länger stehen kann. Beim Hervorholen von Pfannen/Kochtöpfen aus einem Schrank und dem Bereitstellen von Kochutensilien/Lebensmitteln aus Oberbauschränken ist ebenfalls eine Hilfeleistung erforderlich. Auch beim Verräumen von im Geschirrspüler befindlichem unhandlichem Geschirr benötigt der Kläger Hilfe. Sämtliche anderen Verrichtungen des Kochvorganges wie das Kochen/Würzen/Braten von zB Fleisch samt Abwarten der Garzeit, das Einräumen des Geschirrspülers sowie das Reinigen des Herds und der Anrichte kann der Kläger selbständig vornehmen. Die Hilfeleistung ist nicht über den gesamten Kochvorgang verteilt, sondern zeitlich in einem Block durchführbar, sodass die permanente Anwesenheit einer Pflegeperson nicht erforderlich ist. Dafür erscheint ein Zeitaufwand von 20 Minuten pro Tag angemessen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die rechtzeitige, unbeantwortet gebliebene Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung in eine Klagsstattgabe. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu erledigende Berufung ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1 Der Kläger ist mit einer Teilhilfe von 10 Stunden für die Zubereitung der Mahlzeiten nicht einverstanden. Auf Basis der getroffenen Feststellungen, wonach er Unterstützung bei der Zubereitung von Hauptspeise, Zuspeise und Salat benötige sowie beim Hervorheben der Pfannen und Töpfe, beim Bereitstellen der Kochutensilien und Lebensmittel sowie beim Verräumen von Geschirr, wären die vollen 30 Stunden anzusetzen gewesen. Die aufgezählten Bereiche, in denen der Kläger Hilfe benötige, stellten den Großteil des täglich vorgesehenen Mindestwerts von einer Stunde dar. Dass der Kläger wesentliche Teile wie das Kochen, Würzen und Braten von beispielsweise Fleisch selbständig könne, stehe im Widerspruch zu der Feststellung, bei der Zubereitung der Mahlzeiten Hilfe zu benötigen. Wenn laut Rechtsprechung nur die Vorbereitungsarbeiten und das Abwarten der Garzeit im Sitzen erfolgen könnten, widerspreche dem die Feststellung, dass die Hilfeleistung in einem Block ohne permanente Anwesenheit einer Pflegeperson möglich sei. Unter Zugrundelegung der vollen 30 Stunden an Hilfe bei der Nahrungszubereitung ergebe sich ein Pflegebedarf von 80 Stunden und daher stehe dem Kläger Pflegegeld der Stufe1 zu.
2.1 § 1 Abs 4 EinstV normiert für die Zubereitung von Mahlzeiten einen Mindestwert von 1 Stunde pro Tag.
Bei erheblicher Unterschreitung des betreffenden Werts kommt die Anerkennung des pauschalierten Mindestbedarfs nicht in Betracht, sondern ist der tatsächliche Aufwand zu berücksichtigen. Dies ist dann der Fall, wenn die einzelnen Verrichtungen lediglich einen Aufwand verursachen, der deutlich unter der Hälfte des normierten Mindestwerts liegt (RIS-Justiz RS0109875).
Ist aus diesen Erwägungen für Betreuungsverrichtungen der tatsächliche Aufwand zu berücksichtigen, sind zum zeitlich erforderlichen Ausmaß in einem Urteil ausdrücklich Feststellungen zu treffen, um auf deren Basis die Rechtsfrage eines relevanten Über- bzw Unterschreitens eines Mindestwerts beurteilen zu können (Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld5 Rz 5.83). Basis für diese Feststellungen ist ein Sachverständigengutachten mit einer Begründung für allfällige Abweichungen von den in der Einstufungsverordnung festgelegten Richt- und Mindestwerten (Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld5 Rz 8.134).
2.2 Der Mindestwert von 1 Stunde umfasst die Zubereitung aller üblichen Mahlzeiten pro Tag (Frühstück, Mittag- und Abendessen sowie Jause), insbesondere die tägliche Zubereitung einer warmen Mahlzeit bestehend aus Fleisch, Zuspeise und Salat, sowie das mundgerechte Zubereiten der Speisen und das Reinigen des Geschirrs (Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld5 Rz 5.174 ff).
Es ist einem Rentner oder Pensionisten nicht zumutbar, sich ausschließlich von aufgewärmten Speisen zu ernähren, wenngleich bei Prüfung des für die Speisezubereitung notwendigen Aufwands das handelsübliche Angebot an Tiefkühlkost und Fertiggerichten zu berücksichtigen ist, wobei immer auf den Einzelfall abzustellen und zu beurteilen ist, ob die Speisen, die ein Pensionist selbst zubereiten kann, für seine Versorgung als ausreichend angesehen werden können (RIS-Justiz RS0058288).
2.3 Dass jemand bei der Zubereitung der Mahlzeiten fallweise sitzen muss, macht ihm diese Verrichtung nicht im Sinne des § 3 Abs 1 EinstV unzumutbar. Zumindest Vorbereitungsarbeiten und das Abwarten der Garzeit können in einer sitzenden Körperhaltung erfolgen. Beim Zubereiten einer warmen Mahlzeit ist ein ununterbrochenes Stehen schon deshalb nicht erforderlich, weil diese Tätigkeit nur aus einer Summe von Einzelhandlungen besteht, die sowohl im Sitzen als auch abwechselnd im kurzfristigen Stehen erledigt werden können. Der Betreuungsbedarf von 1 Stunde ist auf einen Tag bezogenund erfordert nicht, dass dieser Aufwand jeweils in einem Zuge und durchgehend verrichtet werden kann. Vielmehr ist eine zeitliche Aufteilungzwischen Vorbereitungsarbeiten, eigentlichem Kochvorgang und Nacharbeiten (Abwaschen) zumutbar. Ein geeigneter Küchenhocker, der das Arbeiten im Sitzen ermöglicht, ist als einfaches und zumutbares Hilfsmittel anzusehen (Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld5 Rz 5.180 mwN; RIS-Justiz RS0107433, zuletzt 10 ObS 104/19w).
3.1 Insoweit daher der Kläger meint, nur Vorbereitungsarbeiten und das Abwarten der Garzeit seien im Sitzen möglich, zitiert er die oberstgerichtliche Rechtsprechung unvollständig.
Auch stellt es keinen Widerspruch dar, einerseits Unterstützung bei der Zubereitung einer warmen Mahlzeit zu benötigen, aber andererseits das Würzen, Kochen und Braten selbst vornehmen zu können. Die Zubereitung von Mahlzeiten beschränkt sich nicht auf den eigentlichen Kochvorgang, sondern man braucht dazu Töpfe, Geschirr und Lebensmittel und die Kochutensilien müssen danach wieder verräumt werden. Genau dazu ist teilweise Unterstützung erforderlich, aber eben nicht im vollen zeitlichen Ausmaß von 1 Stunde täglich.
Warum diese Hilfestellung nicht geblockt erfolgen können soll, ist nicht erkennbar. Sobald man entschieden hat, welche Speise zubereitet werden soll, lässt sich auch abschätzen, welches Kochgeschirr und welche Lebensmittel man benötigt. Deren Bereitstellung bzw das Verräumen danach kann blockweise erfolgen, sodass nicht permanent eine Pflegeperson anwesend sein muss.
Dass der Kläger für die ihm ohne Hilfe möglichen Verrichtungen lange genug stehen kann, ergibt sich aus dem allgemeinmedizinischen Gutachten, das die Basis für den festgestellten Sachverhalt bildet. Abgesehen davon gibt es keine Anhaltspunkte, dass es dem Kläger nicht möglich wäre, einen Küchenhocker zu verwenden.
3.2 Zum tatsächlichen Zeitausmaß der erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen findet sich disloziert in der rechtlichen Beurteilung die Feststellung von 20 Minuten pro Tag und demnach von 10 Stunden monatlich.
Der Zeitbedarf basiert auf dem unbedenklichen Sachverständigengutachten (ON 4 S 10), wobei diese Feststellung – würde man die vom Erstgericht zugrunde gelegten Minuten nicht als solche interpretieren – als Ergebnis einer mittelbaren Beweisaufnahme auch jederzeit ohne Berufungsverhandlung im Berufungsverfahren nachgetragen werden könnte (vgl OGH 10 ObS 55/19i, 1 Ob 59/22s).
4 Ausgehend vom tatsächlichen Zeitaufwand von 10 Stunden für die Hilfestellung bei der Zubereitung von Mahlzeiten ergibt sich zusammen mit den im Berufungsverfahren nicht mehr relevierten 50 Stunden insgesamt ein Pflegebedarf von 60 Stunden. Damit sind die Voraussetzungen für ein Pflegegeld der Stufe 1 nicht erfüllt und das Erstgericht hat zu Recht das Klagebegehren abgewiesen.
5 Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Ein Kostenersatz nach Billigkeit erfordert sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens als auch berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Weder wird zu diesen Kriterien ein Vorbringen erstattet noch ergeben sich Anhaltspunkte aus dem Akt.
6 Die ordentliche Revision ist nicht zuzulassen, da keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zur Lösung anstehen. Die Frage, ob Pflegebedarf in einem Pflegegeld rechtfertigenden Ausmaß gegeben ist, ist eine im Einzelfall zu lösende nicht revisible Tatfrage.
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