OGH Okt1/93

OGHOkt1/9329.3.1993

Das Kartellobergericht beim Obersten Gerichtshof hat durch seinen Vorsitzenden Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser sowie durch seine weiteren Mitglieder KommRäte Dr.Bauer, Dr.Smolka, Dkfm.Dr.Grünwald, Dr.Lettner, Dr.Reissig und Mag.Dr.Slezak in den verbundenen Rechtssachen der Antragstellerin S*****, vertreten durch Dr.Ernst Rohrauer und Dr.Josef Hofer, Rechtsanwälte in Wels, wider die Antragsgegnerinnen 1. A*****, vertreten durch Dr.Herwig Liebscher, Rechtsanwalt in Salzburg, 2. B*****, 3. F*****, 4. H*****, und 5. K*****, alle vertreten durch Dr.Viktor A.Straberger, Rechtsanwalt in Wels, wegen Anordnung der Lieferpflicht nach § 4 NVG und Erlassung einer vorläufigen Anordnung gemäß § 7 Abs.4 NVG infolge Rekurses der Antragstellerin gegen den Beschluß des Kartellgerichts beim Oberlandesgericht Wien vom 3.November 1989, GZ NaV 4-8/89-9, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Antragstellerin begehrte den Ausspruch, die Antragsgegner seien verpflichtet, Kaufverträge über die Lieferung von Ski mit ihr abzuschließen und sie unbeschadet des Umstandes, daß sie mit diesen keine "Vertriebsbindungsvereinbarung" getroffen habe, in gleicher Weise wie andere Besteller zu beliefern; insbesondere hätten die Antragsgegner die im einzelnen genau bezeichneten Skimodelle - zum Teil mit Bindung und Stöcken - um gleichfalls genau angeführte Preise zu liefern; unter diesen Preisen seien die Verkaufspreise der Antragsgegner zu verstehen, die den Einkaufspreisen der Antragstellerin jeweils ohne Versicherung und Umsatzsteuer entsprächen. Die Antragsgegner seien ferner verpflichtet, ihr in gleicher Weise wie vergleichbaren österreichischen Sportartikel-Einzelhändlern weitere Ski zu verkaufen und zu liefern. Mit diesem Begehren verband sie den Antrag, die begehrte Verkaufs- und Lieferverpflichtung als vorläufige Anordnung zu verfügen. Sie führte aus, sie führe ihr Verkaufsgeschäft in dem 10 km von der deutschen Grenze entfernten Wintersportort E*****, der vorwiegend von deutschen Urlaubsgästen besucht werde. Bei unterschiedlichem Preisniveau deckten sich die Gäste ebenso wie die Einheimischen im nahen Garmisch-Partenkirchen mit Sportgeräten ein. Sportgeschäfte in Wintersportorten seien nur lebensfähig, wenn sie alle in Österreich eingeführten Markenartikel anbieten könnten; die Ski seien dabei die Leitprodukte. Die Antragsgegner seien die fünf führenden Skierzeuger Österreichs, die 84 % und im Bereich der Modelle zu höheren Preisen ("T*****") sogar knapp 90 % des österreichischen Skimarktes, aber auch einen Großteil des Weltmarktes mit ihren Produkten versorgten. Ohne Markenartikel der Antragsgegner wären Sportartikelgeschäfte gerade in Wintersportorten nicht konkurrenzfähig. Die Antragsgegner seien im Herbst 1988 miteinander ein Anfang 1989 ins Kartellregister eingetragenes Skikartell unter der Bezeichnung "T*****-Förderungs-Vereinbarung" eingegangen. Danach würden in Österreich Sportartikel-Einzelhändler nur mehr dann beliefert, wenn sie mit den Antragsgegnern eine von diesen vorformulierte "Vertriebsbindungsvereinbarung" abschlössen. Mit diesen müßten sich die Händler zur Einhaltung der vom Kartell vorgesehenen Preisbindung und ferner auch dazu verpflichten, Lieferungen an nicht vertriebsgebundene Händler zu unterlassen. Die Preisbindung gelte zwar nur für die besseren Qualitäten ("T*****"), doch werde der Händler von der Belieferung aller Modelle ausgeschlossen, finde er sich zur Vertriebsbindung nicht bzw nicht mehr bereit. Die Kartellpreise lägen jedoch bis zu 30 % über dem Preisniveau im süddeutschen Raum. Die Antragstellerin habe den Ausländern deshalb günstigere Preise eingeräumt, um konkurrenzfähig zu bleiben. Sie sei jedoch von einem Verein mittels Unterlassungsklage gezwungen worden, davon wieder Abstand zu nehmen. Sie sei deshalb genötigt gewesen, die Vertriebsbindungsverträge zu kündigen, doch hätten die Antragsgegner daraufhin deren Belieferung eingestellt. Da die Antragstellerin, werde sie von den Antragsgegnern nicht beliefert, nicht bloß in ihrer Wettbewerbsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt, sondern aus dem Wettbewerb zur Gänze ausgeschaltet werde, habe sie gemäß § 4 NVG gegen die Antragsgegner Anspruch auf Belieferung mit Ski. Die Antragsgegner beherrschten den österreichischen Skimarkt in einem solchen Ausmaß, daß der Einzelhändler ihre Erzeugnisse in seinem Sortiment schon deshalb führen müsse, weil er sonst im Wettbewerb so stünde, wie wenn er den Sportartikel Ski überhaupt nicht anböte. Die Antragstellerin könne aber dem Kartell der Antragsgegner nicht beitreten, weil sie dann infolge der Preisbindung aus den schon erwähnten Gründen vom Wettbewerb ausgeschlossen wäre. Der Sicherungsantrag sei berechtigt, weil die Antragstellerin bei Nichtbelieferung in ihrer wirtschaftlichen Existenz unmittelbar bedroht sei.

Die Antragsgegner bestritten die Antragslegitimation der Antragstellerin unter Verweisung auf § 7 Abs.2 NVG; zur Entkräftung des Antragsvorbringens beriefen sie sich auf ihre kartellvertraglichen Verpflichtungen.

Das Erstgericht verband die zunächst in Ansehung der einzelnen Antragsgegner getrennt geführten Rechtssachen zu gemeinsamer Entscheidung und wies sowohl die Sicherungs- wie auch die Anträge in der Hauptsache zurück. Zur Antragstellung nach den §§ 1 bis 4 NVG seien nur die im § 7 Abs.2 NVG genannten Amtsparteien berufen; lediglich den Antrag auf Widerruf seiner Lieferpflicht könne gemäß § 4 Abs.5 NVG auch der Belangte stellen. Daß dennoch auch der nichtbelieferte Letztverkäufer zur Antragstellung legitimiert sei, könne dem Wortlaut des Gesetzes nicht entnommen werden. Da das Gesetz eine differenzierte und eingehende Regelung getroffen habe, bleibe es dem Gericht verwehrt, den Betroffenen im Wege der Analogie ein im Gesetz nicht vorgesehenes Antragsrecht zu gewähren. Für die vergleichbaren Fälle der §§ 35 und 36 KartG 1988 habe § 37 dieses Gesetzes eine mit § 7 Abs.2 NVG übereinstimmende Regelung getroffen; die im Ministerialentwurf ursprünglich vorgesehene Antragslegitimation des betroffenen Unternehmers sei infolge Widerstands der Sozialpartner nicht beibehalten worden. Der Betroffene sei somit auf den Versuch beschränkt, eine der Amtsparteien für sein Anliegen zu gewinnen.

Diesen Beschluß bekämpfte die Antragstellerin mit Rekurs, mit dem sie gegen die Auffassung des Erstgerichts vorerst ins Treffen führte, § 7 Abs.2 NVG schließe bei richtiger Auslegung ein Antragsrecht des betroffenen Unternehmers gar nicht aus: Gewähre § 4 NVG dem in seiner Existenz bedrohten Unternehmer einen privatrechtlichen Lieferanspruch, so gebiete seine Teleologie auch die Anerkennung der Antragsberechtigung des Betroffenen. Sollte aber eine solche Auslegung des Gesetzes nicht möglich sein, müßte § 7 Abs.2 NVG an Art.6 MRK gemessen und danach als verfassungswidrig angesehen werden.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Mit Beschluß vom 17.12.1990 stellte das Kartellobergericht beim Verfassungsgerichtshof den Antrag, § 7 Abs.2 NVG als verfassungswidrig aufzuheben. Mit Beschluß vom 23.6.1992 leitete der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 93 Abs.1 dritter Satz KartG 1988 ein; mit Beschluß vom 15.10.1992 hob dieser Gerichtshof die genannte kartellgesetzliche Bestimmung als verfassungswidrig auf und sprach aus, daß die Aufhebung mit Ablauf des 30.9.1993 in Kraft trete.

Mit Beschluß vom 4.12.1992 wies der Verfassungsgerichtshof den Antrag des Kartellobergerichts, § 7 Abs.2 NVG als verfassungswidrig aufzuheben, zurück und führte zur Begründung im wesentlichen aus, seine Entscheidung wirke gemäß Art.140 Abs.7 B-VG auf den Rechtsfall zurück, der für das Kartellobergericht Anlaß zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof und für diesen Anlaß zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens gegeben habe. Für diese Rechtssache sei somit die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden. Das bedeute, daß das Kartellobergericht im Anlaßfall als kollegiale Verwaltungsbehörde mit richterlichem Einschlag im Sinne des Art.133 Z.4 B-VG zu beurteilen sei; eine solche Behörde sei von der Antragstellung im Sinne des Art.140 Abs.1 B-VG ausgeschlossen, weshalb der Antrag des Kartellobergerichts zurückzuweisen sei.

Das Kartellobergericht hat demnach der Prüfung der Antragsberechtigung des Antragstellers die (verfahrensrechtliche) Vorschrift des § 7 Abs.2 NVG zugrundezulegen.

Soweit nun die Antragstellerin im Rekurs - als Ergebnis der von ihr gewünschten Auslegung - das von ihr in Anspruch genommene Antragsrecht aus der demgemäß maßgeblichen Rechtslage ableiten will, sind ihre Ausführungen - wie das Kartellobergericht schon in seinem Beschluß vom 17.12.1990 darlegte - nicht berechtigt:

Gemäß § 7 Abs.2 NVG sind zum Antrag nach den §§ 1 bis 4 dieses Gesetzes die Finanzprokuratur, die Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, der Österreichische Arbeiterkammertag und die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs berechtigt; sie haben im Verfahren, auch wenn sie nicht Antragsteller sind, Parteistellung. Die Berechtigung zum Antrag auf Widerruf einer Lieferpflicht nach § 4 Abs.5 erster Satz NVG genießt auch der Belangte. Der Wortlaut des § 7 Abs.2 NVG läßt keinen Zweifel offen, daß nur die dort genannten "Amtsparteien" (vgl. hiezu auch § 44 KartG 1988) zum Antrag berechtigt sein sollen. Hätte der Gesetzgeber daneben die im Verfahren außer Streitsachen (§ 7 Abs.1 NVG) sonst maßgebliche, aus § 9 Abs.1 AußStrG erschließbare Antragslegitimation aller in ihrer Rechtssphäre betroffenen Personen unberührt lassen wollen, hätte er dies durch Einfügung des Wortes "auch" oder auf ähnliche Weise zum Ausdruck bringen müssen. Er hat aber im Gegenteil dem Belangten - als Ausnahme - das Recht zum Antrag auf Widerruf der Lieferpflicht eingeräumt, was wohl dann nicht erforderlich gewesen wäre, wenn der Betroffene von der Antragstellung ohnehin nicht ausgeschlossen sein sollte.

Aber auch die Entstehungsgeschichte des § 7 Abs.2 NVG läßt keinen Zweifel aufkommen, daß die Betroffenen von der Antragstellung ausgeschlossen bleiben sollten. Die Materialien zum Stammgesetz (565 BlgNR 14.GP), das ebenso wie die beiden Novellen (BGBl. 1980/121 und 1988/424) auf Initiativanträgen beruht, beschränken sich zur Erläuterung der §§ 6 und 7 NVG auf den Hinweis, angesichts des materiellen Zusammenhangs mit Normen des Kartellgesetzes sei es dem Ausschuß zweckmäßig erschienen, auch Verfahrensbestimmungen des Kartellgesetzes unter Anpassung an die spezifischen Erfordernisse des vorliegenden Gesetzesentwurfs zu übernehmen. Im Kartellgesetz ist aber die Antragstellung, wie das Erstgericht zutreffend hervorhob, in vergleichbaren Fällen (Mißbrauchsaufsicht - § 35, Verbot von Vergeltungsmaßnahmen - § 36) gleichfalls auf die Amtsparteien und bestimmte Vereinigungen (§ 37 iVm § 44 KartG 1988) beschränkt (vgl. auch § 25 Z 3, § 27 Z 2, § 33 Z 2, §§ 37, 57, 58 und 66 KartG 1988); die einzige Ausnahme - die Antragsberechtigung des Betroffenen im Verfahren über Vertragshilfe gegen Sperren gemäß § 30 KartG 1988 - ist ähnlich wie die Antragstellung des Belangten zum Widerruf der Lieferpflicht nach § 4 Abs.5 NVG ausdrücklich statuiert. War im Ministerialentwurf eines neuen Kartellgesetzes ursprünglich auch die Antragslegitimation des betroffenen Unternehmers vorgesehen, so scheiterte deren Gesetzwerdung am Widerstand der Sozialpartner (Gugerbauer, Das Kartellgesetz, § 37 Rz 2). Deutlicher noch brachte der Nationalrat seine Haltung zur Antragsberechtigung des betroffenen Unternehmers zum Ausdruck: Er lehnte einen Abänderungsantrag der Abgeordneten Eigruber und Haigermoser auf Verankerung des Antragsrechts der "Mitbewerber" im § 7 Abs.2 NVG ab (17.GP, 69. Sitzung, 8047 ff).

Mit Rücksicht auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut auch im Zusammenhang mit der abweichenden Regelung für den Widerruf der Lieferfrist und die aus den Materialien ebenso deutlich erkennbare Absicht des Gesetzgebers, die Antragslegitimation auf bestimmte Amtsparteien zu beschränken, und mangels eines vom Wortlaut abweichenden Zweckes der Regelung oder gar einer Rechtslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes (Bydlinski, Methodenlehre, 472 ff; Larenz, Methodenlehre, 354 ff) verbietet sich die von der Antragstellerin gewünschte Auslegung des § 7 Abs.2 NVG. Auch der Oberste Gerichtshof vertritt in Übereinstimmung mit der Lehre (vgl. etwa Schuhmacher in ÖJZ 1978, 317, und Farnleitner-Straberger, NVG, 96) die Auffassung, der Gesetzgeber habe die Durchsetzung von Verstößen gegen das NVG "in die Hände weniger antragsberechtigter Institutionen und Verbände gelegt" (Entscheidung vom 26.9.1989, 4 Ob 94/89 - familia = JBl. 1990, 187 = ÖBl 1989, 167).

Da es dem Kartellobergericht verwehrt wurde, die Konventions- und damit die Verfassungsmäßigkeit des § 7 Abs.2 NVG überprüfen zu lassen, muß der Antragstellerin das Antragsrecht versagt bleiben.

Das Kartellgericht hat - da § 7 Abs.2 NVG als verfahrensrechliche Norm konzipiert ist - den Antrag daher zu Recht zurückgewiesen.

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