Spruch:
In der Strafvollzugssache AZ 10 Ns 91/74 des Kreisgerichts Steyr betreffend den Verurteilten Johann A ist 1. durch den Beschluß des Kreisgerichts Steyr als Vollzugsgerichts vom 24. Oktober 1974, GZ 10 Ns 91/74-3, mit dem festgestellt wurde, daß bei dem am 12. Mai 1927 geborenen Johann A, dessen Unterbringung in einem Arbeitshaus gemäß § 1 Abs 2 ArbHG mit dem Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengerichts vom 18. Juli 1973, GZ 20 Vr 734/73-19, angeordnet worden war, zugleich mit den Voraussetzungen nach dem § 1 Abs 2 ArbHG auch die Voraussetzungen nach dem § 23 StGB vorgelegen sind sowie 2. durch den Beschluß des Oberlandesgerichts Linz vom 20. November 1974, AZ 7 Bs 491/74, mit welchem der von Johann A gegen den erstbezeichneten Beschluß erhobenen Beschwerde nicht Folge gegeben wurde, das Gesetz in der Bestimmung des Artikels V Ziffer 1 des Strafvollzugsanpassungsgesetzes, BGBl Nr 424/1974, sowie des § 23 StGB verletzt.
Diese Beschlüsse und die darauf beruhenden Verfügungen werden
aufgehoben und es wird gemäß den §§ 292, 288
Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Der Antrag der Staatsanwaltschaft Steyr vom 12. September 1974, 1 Nst 18/74 (= 10 Ns 91/74-1 des Kreisgerichtes Steyr), durch Beschluß festzustellen, daß bei Johann A zugleich mit den Voraussetzungen nach dem § 1 Abs 2 ArbHG 1951 auch die Voraussetzungen nach dem § 23 StGB vorgelegen sind, wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Der am 12. Mai 1927 geborene beschäftigungslose Johann A wurde mit dem Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengerichts vom 18. Juli 1973, GZ 20 Vr 734/73-19, der Verbrechen des Diebstahls nach den §§ 171, 173, 174 I lit d und II lit c, 176 I lit b, 179 StG (8 Fakten - Tatzeiten: 17. November 1972 bis 1. April 1973), der öffentlichen Gewalttätigkeit durch boshafte Beschädigung fremden Eigentums nach dem § 85 lit a StG (3 Fälle - Tatzeit: 14. März 1973) und der boshaften Beschädigung des Staatstelegraphen nach dem § 89 StG (3 Fälle - Tatzeiten: 14. März bis 30. März 1973), sowie der Übertretung nach dem § 1 LandstreicherG schuldig erkannt und nach dem § 179 StG unter Bedachtnahme auf die §§ 34 und 35 StG sowie unter Anwendung des § 265 a StPO - unter Anrechnung der Vorhaft seit 22. April 1973 - zur Strafe des schweren Kerkers in der Dauer von zwei Jahren, verschärft durch einen Fasttag vierteljährlich, verurteilt. Nach dem § 1 Abs 2 ArbHG 1951 wurde die Unterbringung des Angeklagten in einem Arbeitshaus angeordnet.
Der (nur) gegen die Anordnung der Unterbringung in einem Arbeitshaus gerichteten Berufung des Angeklagten wurde mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 6. September 1973, AZ 8 Bs 211/73, nicht Folge gegeben (ON 23 des Akts 20 Vr 734/73 des Landesgerichts Linz). Die (restliche) Freiheitsstrafe wurde sodann ab 20. November 1973 in der Strafvollzugsanstalt Garsten vollzogen (vgl S 225/227 des Akts 20 Vr 734/73 des Landesgerichts Linz).
Mit dem Beschluß des Kreisgerichts Steyr als Vollzugsgerichts vom 24. Oktober 1974, GZ 10 Ns 91/74-3, wurde im Sinne des Art V StVAnpG festgestellt, daß bei dem Strafgefangenen Johann A zugleich mit den Voraussetzungen nach dem § 1 Abs 2 ArbHG auch jene nach dem § 23 StGB vorgelegen sind.
Der gegen diese Entscheidung von Johann A erhobenen Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht Linz mit Beschluß vom 20. November 1974, AZ 7 Bs 491/74 (ON 6 der oa Akten des Kreisgerichts Steyr), nicht Folge gegeben;
auch nach Ansicht des Beschwerdegerichts liegen bezüglich des Verurteilten neben den Voraussetzungen des § 1 Abs 2 ArbHG die Einweisungsvoraussetzungen nach dem § 23 StGB vor. Mit Rücksicht auf das auf den 22. April 1975 fallende Strafende faßte das Kreisgericht Steyr als Vollzugsgericht am 3. Jänner 1975, GZ 10 Ns 142/74-9, gemäß dem § 24 Abs 2
StGB den Beschluß, daß die Unterbringung des Strafgefangenen Johann A nach Strafverbüßung in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter noch notwendig sei.
Der gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde des Johann A gab das Oberlandesgericht Linz mit Beschluß vom 29. Jänner 1975, AZ 7 Bs 30/75, nicht Folge (ON 12 der Akten 10 Ns 142/74 des Kreisgerichts Steyr).
Rechtliche Beurteilung
Die Beschlüsse des Kreisgerichts Steyr vom 24. Oktober 1974, 10 Ns 91/74-3, und des Oberlandesgerichts Linz vom 20. November 1974, 7 Bs 491/74 (-6), stehen aus folgenden Gründen mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Nach Art V Z 1 und 2 StVAnpG ist die Unterbringung eines Rechtsbrechers in einem Arbeitshaus nach dem 31. Dezember 1974 als Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter (§ 23 StGB) für die Hächstdauer von fünf Jahren zu vollziehen, wenn die Unterbringung (seinerzeit) nach dem § 1 Abs 2 ArbHG 1951 angeordnet worden ist und wenn (nunmehr) festgestellt wird, daß zugleich mit den Voraussetzungen nach dieser Gesetzesstelle auch die Voraussetzungen nach dem § 23 StGB vorgelegen sind. Die Unterbringung eines Rechtsbrechers in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter ist nach dem § 23
StGB ua nur zulässig, wenn er - kumulativ - 1. nach Vollendung des 24. Lebensjahrs wegen (einer oder mehrerer) vorsätzlicher strafbarer Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit, gegen fremdes Vermögen, gegen die Sittlichkeit, nach § 6 Abs 1 SuchtgiftG oder wegen (einer oder mehrerer) vorsätzlicher gemeingefährlicher strafbarer Handlungen zu einer mindestens zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt wird (Abs 1 Z 1), er außerdem 2. bereits vor Begehung dieser Anlaßtat(en) zweimal (ausschließlich oder überwiegend) wegen derartiger Delikte zu Freiheitsstrafen in der Dauer von jeweils mehr als sechs Monaten verurteilt worden ist und deshalb nach Vollendung seines 18. Lebensjahrs und vor der Anlaßtat mindestens 18 Monate in Strafhaft zugebracht hat (Z 2) und wenn schließlich 3.
zu befürchten ist, daß er wegen seines Hanges zu strafbaren Handlungen der in Z 1 des § 23 Abs 1 StGB genannten Art oder weil er seinen Lebensunterhalt überwiegend durch solche strafbare Handlungen zu gewinnen pflegt, sonst weiterhin solche strafbare Handlungen mit schweren Folgen begehen werde (Z 3). Gemäß dem vierten Absatz des § 23
StGB bleibt hiebei eine frühere Strafe außer Betracht, wenn seit ihrer Verbüßung bis zur folgenden Tat mehr als fünf Jahre vergangen sind, wobei in diese Frist Zeiten, in denen der Verurteilte auf behördliche Anordnung angehalten worden ist, nicht eingerechnet werden.
Die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anstaltsunterbringung nach dem § 23 StGB - bezogen auf den Zeitpunkt der Anlaßverurteilung (Akten 20 Vr 734/ 73 des Landesgerichts Linz) - ergibt vorliegend jedoch, daß bei
Johann A den Erfordernissen der Z 2
des § 23 Abs 1 StGB nicht entsprochen ist.
Die Strafregisterauskunft des Johann A weist neben der Anlaßverurteilung, mit der die Unterbringung in einem Arbeitshaus angeordnet wurde, noch 16 weitere Verurteilungen auf, von denen acht wegen Delikten der im § 23 Abs 1 Z 1 StGB genannten Art zu jeweils sechs Monate übersteigenden Freiheitsstrafen mit Strafverbüßung nach dem vollendeten 18. Lebensjahr ergingen (vgl ON 2 in 10 Ns 91/74 des Kreisgerichts Steyr). Hievon haben jedoch fünf an sich rückfallbegründende Vorstrafen aus den Jahren 1948 bis 1959 (vgl die Punkte 3 und 5 bis 8 der Strafregisterauskunft) gemäß dem § 23 Abs 4 StGB außer Betracht zu bleiben; denn die letzte dieser Strafen, nämlich die mit Urteil des Landesgerichts Linz vom 22. Mai 1959, 6 E Vr 542/59-11, wegen §§ 171, 173, 176 I lit b und 8; 152 StG über Johann A verhängte schwere verschärfte Kerkerstrafe in der Dauer von einem Jahr wurde am 13. Mai 1960 verbüßt (vgl S 51 dieses Akts), - und er in der Folge am 10. März 1961 auch aus dem Arbeitshaus (endgültig) entlassen - während die nächstfolgende rückfallbegründende Tat am 31. August 1969 begangen wurde (vgl ON 14 des Akts 23 E Vr 2226/69 des Landesgerichts Linz). Unter Abrechnung der Zeiten, in denen der Verurteilte auf behördliche Anordnung angehalten worden ist (das sind vorliegend die Zeit vom 13. Mai 1960 bis 10. März 1961, in der der Verurteilte im Arbeitshaus angehalten wurde /vgl Akt 6 Vr 2123/49 des Landesgerichts Linz/ sowie die Strafhaftzeiten für die Verurteilungen laut den Punkten 9 bis 13 der Strafregisterauskunft in der Gesamtdauer von elf Monaten und acht Tagen) sind zwischen den genannten Zeitpunkten daher mehr als fünf Jahre verstrichen, sodaß bezüglich dieser Verurteilungen 'Rückfallsverjährung' im Sinne des § 23 Abs 4 StGB eingetreten ist. Als rückfallsbegründend im Sinne der Z 2 des § 23 Abs 1 StGB kommen demnach nur in Betracht:
1. das Urteil des Landesgerichts Linz vom 10. Dezember 1969, 23 E Vr 2226/69-14; sieben Monate schwerer verschärfter Kerker wegen Verbrechens des Diebstahls nach den §§ 171, 174 I lit d, 176 I lit b StG (unter Anrechnung der Vorhaft vom 4. November bis 10. Dezember 1969);
Strafhaft: 10. Dezember 1969 bis 3. Juni 1970;
2. das Urteil des Landesgerichts Linz vom 13. Jänner 1971, 23 E Vr 2703/70-6; sieben Monate schwerer verschärfter Kerker wegen Verbrechens des Diebstahls nach den §§ 171, 176 I lit b StG (unter Anrechnung der Vorhaft vom 22. Dezember 1970 bis 13. Jänner 1971);
Strafhaft:
13. Jänner 1971 bis 21. Juli 1971;
3. das Urteil des Landesgerichts Linz vom 2. Februar 1972, 23 E Vr 2/72-16; acht Monate schwerer verschärfter Kerker wegen Verbrechens des teils vollbrachten, teils versuchten Diebstahls nach den §§ 171, 173, 174 I lit d, 176 I lit b und 8
StG und wegen Übertretung des Betrugs nach § 461/197, 201 lit d StG (unter Anrechnung der Vorhaft vom 12. Jänner bis 2. Februar 1972); Strafhaft: 2. Februar 1972 bis 12. September 1972.
Demnach wurde Johann A zwar dreimal wegen strafbarer Handlungen der in der Z 1 des § 23 Abs 1 StGB bezeichneten Art zu Freiheitsstrafen in der Dauer von jeweils mehr als sechs Monaten verurteilt, wobei die Gesamtdauer der Strafhaft aus allen drei rückfallbegründenden Verurteilungen mehr als achtzehn Monate beträgt. Den Voraussetzungen der Z 2 des § 23 Abs 1 StGB wird aber nur dann entsprochen, wenn der Rechtsbrecher bereits zwei im Sinne der Z 1 einschlägige Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von jeweils mehr als sechs Monaten erlitten und deswegen, das heißt wegen dieser zwei Verurteilungen mindestens 18 Monate in Strafhaft zugebracht hat. Der Wortlaut des Gesetzes stellt demnach ausdrücklich auf (bereits) zwei Verurteilungen, nicht aber etwa auf die Gesamtzahl der rückfallbegründenden Verurteilungen ab (in welchem Fall der Gesetzestext abstellen müßte auf 'mindestens' zwei), sodaß nicht die Strafhaftzeiten aus sämtlichen, sondern die aus jeweils zwei in Betracht kommenden Verurteilungen 18 Monate übersteigen müssen (vgl Leukauf-Steininger, S 195). Auf den vorliegenden Fall angewendet, folgt daraus, daß die Summe der Strafhaftzeiten aus jeweils zwei der (drei) rückfallbegründenden Verurteilungen des Johann A die Dauer von achtzehn Monaten nicht übersteigt und sohin die Veraussetzungen des § 23 Abs 1 Z 2
StGB bei ihm nicht vorliegen.
Zu einer solchen Auslegung zwingt im übrigen schon die Erwägung, daß der Gesetzgeber die vorbeugende Maßnahme des § 23 StGB wegen der Tragweite und Schwere ihres Eingriffs in das Rechtsgut der persönlichen Freiheit an zahlreiche strenge, vom Gesetz genau umschriebene Voraussetzungen geknüpft und als Maßnahme gegen Hangund Berufsverbrecher von besonderer Gefährlichkeit vorgesehen hat. Dem entspricht es aber, daß nicht nur der Rechtsbrecher nach seiner Persönlichkeit und der darauf gegründeten Verhaltsprognose strafbare Handlungen mit schweren Folgen befürchten lassen muß (siehe § 23 Abs 1 Z 3 StGB), sondern daß auch die von ihm bereits begangenen strafbaren Handlungen sich einzeln als entsprechend schwere Verletzungen der Rechtsordnung darstellen müssen, was schließlich sowohl in der Dauer der ausgesprochenen Strafen als auch in der Dauer der bereits erlittenen Strafhaft aus jeweils zwei Verurteilungen einen adäquaten Ausdruck finden muß. So gesehen muß also gesagt werden, daß § 23 StGB rechtspolitisch nur in schwersten Fällen, also bei der sogenannten überschweren Kriminalität eingreifen soll; dieser Erkenntnis liefe es zuwider, wollte man die umschriebenen Voraussetzungen - 18 Monate Strafhaft - auch durch die Summierung mehrerer Strafen für erfüllt ansehen, die, einzeln gesehen, dem Bereich der Umwandelbarkeit nach § 37 StGB nahe kämen.
Es widersprechen daher sowohl der (Feststellungs-)Beschluß des Kreisgerichts Steyr als Vollzugsgerichts vom 24. Oktober 1974, GZ 10 Ns 91/74-3, mit dem das Vorliegen der Einweisungsvoraussetzungen nach dem § 23 Abs 1 Z 1 bis 3 StGB bejaht wurde, als auch der diese Entscheidung bestätigende Beschluß des Oberlandesgerichts Linz vom 20. November 1974, AZ 7 Bs 491/74, als Beschwerdegerichts dem Gesetz und zwar zum Nachteil des Verurteilten.
In Stattgebung der gemäß dem § 33 Abs 2 StPO erhobenen Beschwerde war sonach gemäß dem § 292 StPO wie eingangs zu erkennen.
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