OGH 9Os81/85 (9Os82/85)

OGH9Os81/85 (9Os82/85)19.3.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.März 1986 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Enzenhofer als Schriftführer in der Strafsache gegen Christoph K*** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Jugendschöffengericht vom 30.Mai 1984, GZ 4 a Vr 1052/83-26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung wird verweigert.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 30.Mai 1984 wurde Christoph K*** der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte fristgerecht Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet. Nach Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Wahlverteidiger des Angeklagten (am 25.September 1984) führte dieser die angemeldeten Rechtsmittel jedoch verspätet aus. Da der Angeklagte bei der Anmeldung seiner Rechtsmittel weder einen der im § 281 Abs. 1 Z 1 bis 11 StPO angegebenen Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet noch auch erklärt hat, durch welche Punkte des Straferkenntnisses er sich beschwert findet, wurden die Rechtsmittel mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 4. Dezember 1984, GZ 9 Os 171/84-6, gemäß §§ 285 d Abs. 1 Z 1, 285 a Z 2 StPO bzw. gemäß §§ 294 Abs. 4, 296 Abs. 2 StPO zurückgewiesen. In seinem hierauf (rechtzeitig gestellten) Antrag auf Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel bringt der Angeklagte vor, sein Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Stefan B*** habe per

1. Mai 1984 seine Kanzlei von 1010 Wien, Riemergasse 14, nach 1010 Wien Graben 27-28, verlegt. Die Urteilsausfertigung sei an die frühere Kanzleianschrift seines Verteidigers zugestellt und dort von einer Kanzleiangestellten des Rechtsanwaltes Dr. S*** namens Patricia DE V*** übernommen worden. Patricia DE V*** habe Dr. B*** hievon telefonisch verständigt, worauf

Dr. B*** in seine frühere Kanzlei gefahren sei und dort das Poststück in Empfang genommen habe. Da er dabei festgestellt habe, daß auf dem Kuvert weder der Poststempel noch das Datum der Übernahme (durch Patricia DE V***) zu ersehen war, habe er DE V*** gefragt, wann sie das Poststück übernommen habe. DE V*** habe ihm hierauf erklärt, daß dies am 26.September 1984 der Fall gewesen sei, worauf er dieses Datum auf dem Kuvert notiert und auf Grund dieser Information den 10.Oktober 1984 als Ende der Frist zur Rechtsmittelausführung eingetragen habe. Er habe keinen Anlaß gehabt, an der Richtigkeit der Mitteilung der Patricia DE V*** (über den Tag der Übernahme der Postsendung) zu zweifeln. Daß der ihm als äußerst tüchtig und zuverlässig bekannten Patricia DE V*** ein Irrtum über den Tag der Zustellung des Poststücks unterlaufen ist, könne weder dem Angeklagten noch ihm als Verschulden angelastet werden und stelle daher ein unabwendbares Ereignis im Sinn des § 364 StPO dar, wozu komme, daß die Postsendung an Patricia DE V*** gar nicht zugestellt werden hätte dürfen.

Aus der dem Wiedereinsetzungsantrag angeschlossenen "Erklärung an Eidesstatt" der Patricia DE V*** (vom 12.März 1985) geht hervor, daß Rechtsanwalt Dr. B*** bei seinem Auszug aus der Kanzlei Riemergasse 14 mit seinem bisherigen Kanzleikollegen Rechtsanwalt Dr. S*** vereinbart hat, daß die weiterhin unter dieser Anschrift einlangende, für Dr. B*** bestimmte Post entweder in weniger dringenden Fällen ihm an seine neue Anschrift nachgeschickt wird oder, sofern es sich um dringende Post handelt, von Dr. B*** nach telefonischer Verständigung an seiner bisherigen Anschrift abgeholt werden wird. Nach Zustellung des in Rede stehenden Urteils habe Patricia DE V*** ihn hievon telefonisch in Kenntnis gesetzt, und als Dr. B*** die Sendung in der Folge abgeholt habe, habe er sie gefragt, an welchem Tag sie diese Sendung entgegengenommen habe; sie habe ihm hierauf nach Nachsicht in ihrem Tischkalender jenes Datum genannt, das Dr. B*** auf dem Kuvert notierte. Welches Datum dies gewesen sei, könne sie nicht mehr sagen, weil der alte Tischkalender inzwischen weggeworfen worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Dem Begehren um Wiedereinsetzung kann bei der gegebenen Sachlage kein Erfolg beschieden sein.

Unabdingbare Voraussetzung für die Erteilung der Wiedereinsetzung ist (unter anderem), daß der Wiedereinsetzungswerber nachzuweisen vermag, daß es ihm durch unabwendbare Umstände ohne sein oder seines Vertreters Verschulden unmöglich gemacht wurde, die Frist einzuhalten (§ 364 Abs. 1 Z 1 StPO). Zwar kann dem Angeklagten selbst ein Verschulden an der Fristversäumung nicht angelastet werden; die unterlaufene Fristversäumung beruhte aber auf einem Verschulden seines Vertreters, das der Angeklagte gegen sich gelten lassen muß:

Was zunächst die Zustellung der Urteilsausfertigung anlangt, so erfolgte diese an die dem Gericht bekannte Kanzleianschrift des Verteidigers Dr. B***. Daß die für den Genannten

bestimmten Postsendungen auch nach seinem Auszug aus der Kanzlei in der Riemergasse 14 weiterhin an die bisherige Kanzleianschrift gelangen sollten, entsprach durchaus den Intentionen Dris. B***, weil er weder das Gericht noch die Post von der Änderung der Kanzleianschrift in Kenntnis setzte, sodaß jedenfalls die bisherige Kanzleianschrift auch weiterhin als Abgabestelle (im Sinn des § 13 ZustellG) galt, an welche die für Dr. B*** bestimmten Postsendungen gemäß § 13 Abs. 4 ZustellG zugestellt werden konnten, wofür letztlich auch seine von Patricia DE V*** bekundete Vereinbarung mit Rechtsanwalt Dr. S*** spricht. Dr. B*** hat auch nicht dargetan, daß er etwa bei der Post verlangt hatte, daß an der bisherigen Kanzleianschrift an bestimmte Angestellte nicht oder nur an bestimmte Angestellte zugestellt werden darf (§ 13 Abs. 4 erster Satz aE ZustellG) und solcherart Patricia DE V*** von der Empfangnahme der Postsendung ausgeschlossen gewesen wäre. Abgesehen von all dem wurde die Annahme der gegenständlichen Postsendung an der bisherigen Kanzleianschrift Dris. B*** nicht

verweigert, die Sendung vielmehr tatsächlich entgegengenommen, sodaß deren Zustellung jedenfalls gemäß § 13 Abs. 5 ZustellG rechtswirksam erfolgte. Angesichts der im vorliegenden Fall gegebenen, vom Regelfall abweichenden Sachlage wäre es nun aber Aufgabe des Rechtsanwaltes Dr. B*** gewesen, durch entsprechende organisatorische Maßnahmen von vornherein sicherzustellen, daß die Zustellung von für ihn bestimmter Postsendungen an seine bisherige Kanzleianschrift, durch welche der Lauf von Rechtsmittelfristen in Gang gesetzt wird, im Hinblick auf die schwerwiegenden Folgen einer Fristversäumung (vgl. hiezu auch Mayerhofer-Rieder StPO 2 ENr. 37 zu § 364) in einer jeden Zweifel über den Tag der Zustellung ausschließenden, für Dr. B*** auch jederzeit effektiv kontrollierbaren Weise festgehalten wird, um Unklarheiten oder Mißverständnisse und damit eine Versäumung der Rechtsmittelfrist hintanzuhalten. Die vorliegend von Rechtsanwalt Dr. B*** gewählte, im Wiedereinsetzungsantrag und in der beigeschlossenen Erklärung beschriebene Vorgangsweise bot unter den gegebenen Umständen, die ein erhöhtes Maß an Umsicht und Sorgfalt von dem Genannten erfordert hätten, keine Sicherheit dafür, daß der Tag der Zustellung von RSa-Sendungen an ihn verläßlich festgehalten wird, wodurch es geschehen konnte, daß die Rechtsmittelausführung verspätet erfolgte. So gesehen beruhte aber die unterlaufene Fristversäumung (schon) auf einem Mangel entsprechender organisatorischer Maßnahmen Dris. B***, der ihm jedenfalls als ein (Mit-)Verschulden an der Fristversäumung anzulasten ist (vgl. auch 9 Os 175/84). Hat aber der Vertreter des Angeklagten zur Fristversäumung selbst schuldhaft beigetragen, dann fehlt es an einer essentiellen Voraussetzung für die Erteilung der Wiedereinsetzung, sodaß - übereinstimmend mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - spruchgemäß erkannt werden mußte.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte