Spruch:
Die Strafverfügung des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 21. August 1986, GZ 6 U 724/86-3, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 11 und 36 Abs. 1 JGG.
Diese Strafverfügung wird aufgehoben und es wird dem Bezirksgericht St. Pölten die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens gegen den Beschuldigten Karl Walter W*** aufgetragen.
Text
Gründe:
Der Gendarmerieposten Atzenbrugg erstattete am 29.Mai 1986 beim Bezirksgericht Tulln Anzeige gegen den am 9.Juni 1968 geborenen Karl Walter W*** wegen Verdachts des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung, begangen am 6.April 1986 auf der Bundesstraße 1 als Lenker eines Personenkraftwagens durch Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit und Abkommen von der Fahrbahn, wobei Karl A*** leicht verletzt wurde. Diese Anzeige langte am 3.Juni 1986 beim Bezirksgericht Tulln ein, das das Verfahren - bei dem es sich im Hinblick auf die Zeit des Einlangens der Anzeige bei Gericht (3.Juni 1986) und das Alter des Beschuldigten um eine Jugendstrafsache (§ 1 Z 4 JGG) handelt - am 13.Juni 1986 gemäß § 33 JGG an das für den Wohnsitz des Jugendlichen zuständige Bezirksgericht St. Pölten abtrat (S 50).
Der Bezirksanwalt beim Bezirksgericht St. Pölten beantragte hierauf am 15.August 1986 die Bestrafung des Karl (Walter) W*** wegen § 88 Abs. 1 und Abs. 3 StGB (letzteres im Hinblick darauf, daß die beim Beschuldigten vorgenommene Blutalkoholuntersuchung einen Wert von 1,5 Promille ergeben hatte). Das Bezirksgericht St. Pölten erließ hierauf - ohne den Sachverhalt in Richtung der für die Annahme der Qualifikation des § 88 Abs. 3 (§ 81 Z 2) StGB vorausgesetzten Vorhersehbarkeit einer gefährlichen Tätigkeit zur Zeit des Versetzens in den Minderrausch näher zu prüfen, wiewohl dies nach Lage des Falles (vgl. S 29 bis 31) geboten gewesen wäre - am 21.August 1986 zu 6 U 724/86-3 eine Strafverfügung gegen Karl (Walter) W***, mit welcher es den Genannten des Vergehens nach § 88 Abs. 1 und Abs. 3 (§ 81 Z 2) StGB schuldig erkannte und ihn nach § 88 Abs. 3 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen (a 20 S; im Nichteinbringungsfall 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verurteilte (S 51). Eine Bedachtnahme auf § 11 JGG erfolgte bei der Strafzumessung nicht. Die Strafverfügung erwuchs zufolge Einspruchsverzichts seitens des Bezirksanwaltes und Verstreichens der Einspruchsfrist seitens des Beschuldigten, dem die Strafverfügung am 24.September 1986 zugestellt worden war, in Rechtskraft.
Rechtliche Beurteilung
Die bezeichnete Strafverfügung steht, wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, schon deshalb mit dem Gesetz nicht im Einklang, weil gemäß § 36 Abs. 1 JGG (unter anderem) die §§ 460 bis 462 StPO (über das Mandatsverfahren) in Jugendstrafsachen - und um eine solche handelt es sich vorliegend - nicht anzuwenden sind, die Erlassung einer Strafverfügung mithin unzulässig war. Die unterlaufene Gesetzesverletzung wirkte sich wegen des Unterbleibens der Anwendung mehrerer besonderer Verfahrensbestimmungen des siebenten Hauptstücks des Jugendgerichtsgesetzes zum Nachteil des jugendlichen Beschuldigten aus. Dazu kommt, daß das Gesetz (überdies) auch - und dies gleichfalls zum Nachteil des Beschuldigten - in der Bestimmung des § 11 JGG verletzt wurde, da das Gericht bei der Strafzumessung diese Vorschrift nicht angewendet hat; daß die verhängte Strafe auch bei Anwendung des § 11 JGG hätte ausgesprochen werden können, vermag an der Nichtigkeit des Strafausspruches (Z 11 des § 281 Abs. 1 StPO) nichts zu ändern (EvBl. 1977/63 uam).
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher spruchgemäß zu entscheiden.
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