Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu Punkt I/1 des Urteilssatzes (Unzucht mit Unmündigen) und zu Punkt I/2 des Urteilssatzes (Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses), sowie demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruches über die Anrechnung der Vorhaft) aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der 30-jährige Franz A des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB. (Punkt I/1 des Urteilssatzes), des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB. (Punkt I/2 des Urteilssatzes) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (Punkt II/ des Urteilssatzes) schuldig erkannt. Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 17.Mai 1979 in Brunn am Gebirge vorsätzlich 1. eine unmündige Person, nämlich die am 17. August 1974 geborene Michaela B, die Tochter seiner Lebensgefährtin Margareta C, auf andere Weise als durch Beischlaf dadurch zur Unzucht mißbraucht, daß er mit seinen Händen mit ihrem Geschlechtsteil spielte;
2. durch die zu Punkt 1. bezeichnete Tat unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber der seiner Aufsicht unterstehenden unmündigen Michaela B diese zur Unzucht mißbraucht;
3. Margareta C durch Faustschläge am Körper verletzt, wodurch die Genannte einen Bluterguß im Bereich der rechten Jochbeinregion und eine handflächengroße Rötung und Schwellung an der Innenseite des rechten Oberschenkels erlitt.
In Ansehung des Schuldspruchs zu Punkt I/1 und zu Punkt I/2 des Urteilssatzes gründete das Schöffengericht seine Feststellungen insbesondere auf die Aussagen der Zeugen Obermedizinalrat Dr. Herbert D und Margareta C (S. 106, 108 d.A.), wodurch es die insoweit leugnende Verantwortung des Angeklagten, der die inkriminierte Tathandlung in Abrede stellte und sich nur zu Punkt II/ des Urteilssatzes schuldig bekannte, als widerlegt ansah (S. 108 d. A.).
Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs. 1 Z. 4 und 10 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, mit welcher er sich der Sache nach nur gegen den Schuldspruch wegen Unzucht mit Unmündigen (Punkt I/1 des Urteilssatzes) und wegen Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses (Punkt I/2 des Urteilssatzes) wendet.
Rechtliche Beurteilung
In Ausführung der Verfahrensrüge macht der Beschwerdeführer geltend, daß er durch die Abweisung mehrerer von ihm in der Hauptverhandlung (S. 95 d.A.) gestellter Beweisanträge, und zwar a) des Antrages auf Beiziehung eines gerichtsmedizinischen Sachverständigen zum Beweis dafür, daß zwischen der festgestellten Rötung der Schamlippen des (zur Unzucht mißbrauchten) Mädchens und der dem Angeklagten angelasteten Tat kein Zusammenhang bestehe, weil diese Rötung durch den scharfen Urin des Kindes bzw. durch eine Entzündung, allenfalls auch durch die Untersuchung des Kindes seitens der Mutter nach deren Heimkehr hervorgerufen worden sei und überdies eine unnatürliche Rötung nicht längere Zeit, vorliegend bis zur Untersuchung durch den Gemeindearzt, anhalten könne, b) des Antrages auf Vernehmung der minderjährigen Michaela B zum Beweis dafür, daß die Verantwortung des Angeklagten richtig sei, und c) des Antrages auf Vernehmung der Zeugen Heinrich E und Prof. Karl F ebenfalls zum Beweis der Richtigkeit der Verantwortung des Angeklagten, in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt worden sei.
Das Erstgericht hat diese Beweisanträge mit der Begründung abgewiesen (S. 97 d.A.), daß a) die Ladung eines gerichtsmedizinischen Sachverständigen entbehrlich sei, weil der Zeuge Dr. D nach seiner Aussage ausreichende Erfahrung im Rahmen der Mutter-Kind-Beratung sammeln konnte und daher als sachverständiger Zeuge anzusehen ist, und weil er weiters auf Grund des unmittelbaren Eindrucks 'sein Gutachten erstattet hat', während der gerichtsmedizinische Sachverständige auf den Akteninhalt angewiesen wäre, b) die Vernehmung der minderjährigen Michaela B aus kinderpsychologischen Gründen abzulehnen sei, weil eine neuerliche Vernehmung einen weiteren Schock für das Kind bedeuten müßte und eine zwischenweilige Beeinflussung durch die Mutter nicht ausgeschlossen werden könne, sodaß es zu einer durch den Zweck des Verfahrens nicht zu rechtfertigenden Schädigung des Kindes kommen könnte, und c) die Vernehmung der Zeugen E und Prof. F entbehrlich sei, weil beide nicht Tatzeugen waren und zur Tat selbst aus eigener Wahrnehmung nichts aussagen können.
In den Urteilsgründen wird hiezu ergänzend ausgeführt, daß die begehrten Beweisaufnahmen an den vom Schöffengericht getroffenen Feststellungen nichts ändern könnten (S. 108/109 d.A.). Entgegen der Auffassung des Erstgerichtes war demgegenüber jedenfalls die Abweisung des Antrages auf Beiziehung eines gerichtsmedizinischen Sachverständigen (zu dem angegebenen Beweisthema) und des Antrages auf Vernehmung der minderjährigen Michaela B als Zeugin (über den Tathergang) geeignet, Verteidigungsrechte des Angeklagten zu beeinträchtigen, weshalb insoweit der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund gegeben ist. Wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, ist die minderjährige Michaela B - als das Opfer der inkriminierten Tathandlung - im gegebenen Fall die einzige Zeugin, die aus unmittelbarer eigener Wahrnehmung über das Tatgeschehen berichten könnte. Diese Zeugin wurde jedoch weder im Vorverfahren noch in der Hauptverhandlung gehört.
Daß es sich bei Michaela B um ein 5-jähriges Kind handelt, stand ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht generell entgegen, denn auch ein solches Kind kann befähigt sein, über Geschehnisse, wie sie vorliegend inkriminiert sind, Angaben zu machen, wobei es sodann Sache des erkennenden Gerichtes ist, sich - auf Grund des von dem Kind gewonnenen persönlichen Eindrucks, gegebenenfalls unter Beiziehung eines jugendpsychologischen Sachverständigen - ein Bild von der Aussagefähigkeit und Aussageehrlichkeit dieses Kindes zu machen. Sicherlich kann die Vernehmung eines Kindes, das Opfer eines Sexualangriffes geworden ist, unter Umständen mit psychischen Nachteilen für das Kind verbunden sein; das berechtigt jedoch das erkennende Gericht nicht, von vornherein auf die Befragung dieses Kindes, das - wie vorliegend - zur inkriminierten Tat noch nie amtlich befragt worden ist, sondern nur seiner Mutter gegenüber Angaben gemacht hat, zu verzichten. Die möglichen Nachteile können durch die Art der Vernehmung, insbesondere, wie gesagt, durch die Beiziehung eines jugendpsychologischen Sachverständigen, weitgehend gemildert werden. Ebensowenig geht es an, von vornherein eine zwischenzeitige Beeinflussung des Kindes (durch die Mutter) als möglich anzunehmen und deshalb auf die Vernehmung zu verzichten, weil dadurch vorgreifend - und daher unzulässig - über den Wert des betreffenden Beweismittels abgesprochen wird.
Durch das Unterbleiben der - vom Angeklagten in der Hauptverhandlung formgerecht beantragten - Vernehmung der Zeugin Michaela B wurden somit nach Lage des Falles Verteidigungsrechte beeinträchtigt, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde insoweit berechtigt ist. Aber auch die Abweisung des Antrages auf Beiziehung eines gerichtsmedizinischen Sachverständigen zu dem im Beweisantrag angeführten Beweisthema war im vorliegenden Fall geeignet, Verteidigungsrechte des Angeklagten zu beeinträchtigen. Der Zeuge Dr. D, auf dessen Bekundungen sich das Schöffengericht stützt, hat zwar Angaben über die Entstehung der von ihm an Michaela B festgestellten Rötung der Schamplippen gemacht. Dr. D wurde im vorliegenden Verfahren aber nicht als Sachverständiger, sondern als Zeuge vernommen. Als solcher hatte er grundsätzlich nur über seine Wahrnehmungen zu berichten.
Seinen aus den getroffenen Wahrnehmungen zufolge seiner Fachkenntnis gezogenen Schlüssen kommt somit nicht das Gewicht eines Sachverständigengutachtens zu, wie dies das Erstgericht vermeint, indem es ausdrücklich von einem 'Gutachten' spricht. Da es sich bei der vorliegend zu beurteilenden Frage über die Entstehung der Rötung der Schamlippen um eine solche handelt, zu deren Beantwortung entsprechende Fachkenntisse erforderlich sind, worauf der Beschwerdeführer im Ergebnis zutreffend hinweist, wobei nicht von vornherein gesagt werden kann, daß ein praktischer Arzt - wie Dr. D (s. S. 17 d.A.) - über diese Fachkenntnisse verfügt, mag er auch in der Mutter-Kind-Beratung tätig gewesen sein, wäre das Erstgericht verhalten gewesen, zur Hintanhaltung einer Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten des Angeklagten dem Antrag auf Beiziehung eines gerichtsmedizinischen Sachverständigen zu entsprechen. Auch die Abweisung dieses Beweisantrages begründet somit vorliegend Nichtigkeit im Sinne der Z. 4 des § 281 Abs. 1 StPO.
Es war demnach, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen zur Z. 4 des § 281 Abs. 1 StPO. sowie zur Z. 10
der angeführten Gesetzesstelle - in welchem Zusammenhang der Beschwerdeführer nur der Vollständigkeit halber auf ÖJZ-LSK. 1976/350 zu verweisen ist - einzugehen war, der zum Vorteil des Angeklagten ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285 e StPO. sofort Folge zu geben und spruchgemäß zu erkennen, wobei der Angeklagte mit seiner Berufung auf die getroffene Entscheidung zu verweisen war.
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