OGH 9Os134/85

OGH9Os134/854.9.1985

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.September 1985 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Lachner, Dr. Felzmann und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gitschthaler als Schriftführer in der Strafsache gegen Gerhard A und einen anderen wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 25.April 1985, AZ 31 Bl 34/85, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Gerhard A zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 25. April 1985, AZ 31 Bl 34/85, verletzt insoweit, als der Angeklagte Gerhard A in Stattgebung seiner Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 24.Oktober 1984, GZ 18 U 766/84-6, von der Anklage, er habe am 18.März 1984 in Linz den Christian B durch Versetzen mehrerer Faustschläge und Fußtritte in das Gesicht, welche Hautabschürfungen des Genannten im Gesicht zur Folge hatten, vorsätzlich am Körper verletzt und hiedurch das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 4 StPO freigesprochen wurde, das Gesetz in der Bestimmung des § 42 Abs. 1 StGB.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 24.Oktober 1984, GZ 18 U 766/84-6, wurden der am 14.September 1964 geborene Gerhard A sowie sein Zwillingsbruder Mario A des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu Geldstrafen verurteilt.

In Stattgebung der von beiden Angeklagten ergriffenen Berufungen hob das Landesgericht Linz als Berufungsgericht mit Urteil vom 25. April 1985, AZ 31 Bl 34/85, das Urteil des Bezirksgerichtes Linz auf und sprach beide Angeklagten gemäß § 259 Z 4 StPO frei. Beiden Urteilen liegt folgender wesentlicher Sachverhalt zugrunde:

Am 18.März 1984 gingen Christian B, Oliver C und

drei weitere Bekannte, darunter zwei Mädchen, in einer Reihe nebeneinander auf dem Gehsteig der Landstraße in Linz in Richtung Taubenmarkt. Bei Begegnung mit dieser Gruppe ging Mario A außen an ihr vorbei, wogegen Gerhard A seine Gehrichtung beibehielt und sich in bewußt provokanter Weise zwischen den beiden äußerst links gehenden Personen durchzwängte, wobei er Christian B anrempelte. Als dieser ihn deshalb zur Rede stellte, griff der Angeklagte Gerhard A Christian B grundlos an, erfaßte ihn an der Kleidung, suchte ihn zu Boden zu reißen und schlug ihn mehrmals mit den Fäusten in das Gesicht. Noch als Christian B, der bei diesen Tätlichkeiten seine Brille verloren hatte, bereits am Boden lag, versetzte ihm der Angeklagte Gerhard A weitere Schläge sowie Tritte. B erlitt durch die Tätlichkeiten Hauptabschürfungen im Gesicht. Als ihm sein Begleiter C zu Hilfe eilen wollte, ergriff diesen der Mitangeklagte Mario A, versetzte ihm einen Fußtritt auf den Oberschenkel und schlug mit den Fäusten auf ihn ein. Oliver C erlitt hiedurch eine Prellung im Gesicht und eine Prellung der linken Hand sowie des fünften rechten Fingers. In der Folge begab sich Mario A zu den auf dem Boden liegend in einem Handgemenge befindlichen Gerhard A und Christian B, forderte sie auf, mit der Rauferei aufzuhören, und konnte schließlich die beiden trennen. Gerhard A und Mario A, welche jeweils wegen eines

geringfügigen Vermögensdeliktes vorverurteilt sind (§ 13 JGG), waren bei dem Vorfall leicht alkoholisiert; sie handelten mit dem Vorsatz, ihre Gegner am Körper zu verletzen.

Im Gegensatz zum Erstgericht sah das Berufungsgericht bei beiden Angeklagten die Voraussetzungen mangelnder Strafwürdigkeit (§ 42 StGB) als gegeben an, weil jeweils nur geringfügige Verletzungsfolgen eingetreten seien, die ungeachtet einer 'der Art nach recht brutalen' Vorgangsweise beider Angeklagten gegen eine allzu große Intensität ihrer Tätlichkeiten sprächen, und weil nicht auszuschließen sei, daß die Gehweise der Fußgängergruppe von den Angeklagten als provozierend empfunden wurde, aus welchen Umständen in ihrer Gesamtheit sich letztlich ein doch nur geringes Verschulden der beiden Angeklagten ergäbe. Nach den weiteren Rechtsausführungen des Berufungsgerichtes war die Bestrafung weder geboten, um die beiden Angeklagten, deren nicht einschlägige Straftaten relativ lange zurückliegen, von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, noch aus Erwägungen der Generalprävention erforderlich, zumal der Vorfall einerseits kaum nennenswerte Publizität erlangt haben dürfte, andererseits aber die Polizei ohnehin eingeschritten sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Freispruch des Angeklagten Gerhard A durch das Berufungsgericht steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß § 42 Abs. 1 StGB ist eine von Amts wegen zu verfolgende, nur mit Geldstrafe, mit nicht mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe oder mit einer solchen Freiheitsstrafe und Geldstrafe bedrohte Tat dann nicht strafbar, wenn die Schuld des Täters gering ist (Z 1), die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat (Z 2) und überdies eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Täter von strafbaren Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (Z 3). Nur wenn alle angeführten Voraussetzungen vorliegen, mangelt es an der Strafwürdigkeit der Tat; fehlt auch nur eine von ihnen, ist die Tat strafbar (Leukauf-Steininger, Kommentar 2 , § 42 RN 20). Die in Z 1 postulierte Geringfügigkeit der Schuld muß absolut, aber auch im Vergleich zu typischen Fällen des Delikts, gegeben sein (D 1971, 140). Geringe Schuld verlangt somit ein erhebliches Zurückbleiben des tatbildmäßigen Verhaltens des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt (ÖJZ-LSK 1976/379). Im Wesen des § 42 StGB liegt es sohin, daß dessen Anwendbarkeit auf sowohl in Ansehung des Schuldgehaltes als auch hinsichtlich der Sozialschädlichkeit und des Störwertes für die Umwelt deutlich unter der Norm liegende Fälle beschränkt bleibt (ÖJZ-LSK 1976/346; vgl auch ÖJZ-LSK 1984/5).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes liegen die Voraussetzungen für die Annahme einer bloß geringen Schuld des Angeklagten Gerhard A nicht vor. Dieser Angeklagte hat - im Gegensatz zu seinem Bruder Mario A - die Konfrontation provoziert und mit den Tätlichkeiten begonnen, in deren Verlauf er noch weitere Schläge und Fußtritte gegen seinen bereits auf dem Boden liegenden Gegner geführt hat, wobei er von einer Fortsetzung der Tätlichkeiten erst durch seinen Bruder Mario abgehalten wurde. Angesichts dieser Mehrzahl der die Schuld des Angeklagten Gerhard A beschwerenden Tatumstände fällt die Eignung des Verhaltens der Fußgängergruppe, entgegenkommende Passanten durch Inanspruchnahme eines erheblichen Teiles der Gehsteigbreite zu irritieren, nicht sonderlich ins Gewicht. Ebensowenig Bedeutung ist - den Ausführungen des Berufungsgerichtes zuwider - dem Umstand beizumessen, daß die 'Intensität des Vorgehens doch nicht allzu groß gewesen sein kann', weil nur relativ geringe Verletzungen zu beklagen waren, zeugen doch Fußtritte gegen das Opfer im Hinblick auf die damit in der Regel verbundene größere Gefahr (§ 32 Abs. 3 StGB) für dessen körperliche Integrität bereits an sich - wie das Berufungsgericht selbst einräumt - von einer erheblichen Brutalität des Täters, die seine Schuld ungeachtet des Eintritts (zufällig bloß) unbedeutender Folgen schon deshalb nicht mehr als gering erscheinen läßt. Das Tatverhalten des Angeklagten Gerhard A fällt sohin keineswegs aus dem Rahmen des in der Strafdrohung des § 83 StGB typisierten Schuldgehaltes und war daher als solches strafwürdig. Der auf § 259 Z 4 StPO gegründete Freispruch des Genannten durch das Landesgericht Linz als Berufungsgericht verletzt demnach das Gesetz in der Bestimmung des § 42 Abs. 1 StGB. In Stattgebung der deshalb von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher spruchgemäß zu erkennen, wobei sich die Entscheidung auf die Feststellung der - zum Vorteil des Angeklagten

unterlaufenen - Gesetzesverletzung zu beschränken hatte.

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