OGH 9Os124/86

OGH9Os124/8624.9.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.September 1986 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Reisenleitner, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Weitzenböck als Schriftführer in der Strafsache gegen Elfriede G*** wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11.März 1986, GZ 6 a E Vr 2261/86-5, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalanwaltes Dr. Hauptmann als Vertreter des Generalprokurators, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. März 1986, GZ 6 a E Vr 2261/86-5, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 42 Abs. 1 StGB.

Dieses Urteil, sowie alle darauf beruhenden Beschlüsse und Verfügungen werden aufgehoben, und es wird gemäß §§ 288 Abs. 2 Z 3, 292 StPO in der Sache selbst erkannt:

Elfriede G*** wird von der Anklage, sie habe am 29. September 1985 in Wien in Gesellschaft der abgesondert verfolgten Waltraud D*** als Beteiligte (§ 12 StGB) versucht, fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 S nicht übersteigenden Wert, nämlich insgesamt 15 Mauerziegel, dem Inhaber eines Baues in Wien 22., Obdachgasse 24, mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und hiedurch das Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 4 StPO freigesprochen.

Text

Gründe:

Aufgrund einer Anzeige des Bezirkspolizeikommissariats Donaustadt erhob die Staatsanwaltschaft Wien am 30.Jänner 1986 Anklage (Strafantrag) gegen die am 14.November 1932 geborene Hausfrau Elfriede G*** und die am 6.November 1946 geborene Rentnerin Waltraud D*** wegen Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB. Die beiden Angeklagten waren am 29.September 1985 vom Streifendienst der Polizei dabei betreten worden, als sie versuchten, insgesamt 15 Mauerziegel im Wert von 45 S, welche sie unmittelbar vorher von der Baustelle in Wien 22., Obdachgasse 24, gestohlen hatten, in einer Schachtel und in einer Einkaufstasche abzutransportieren. Diese Mauerziegel benötigte Elfriede G***, die über keine ausreichenden Geldmittel zur Anschaffung des notwendigen Baumaterials verfügte, nach ihren Angaben dazu, um einem behördlichen Auftrag zur Herstellung eines teilweise eingestürzten Kamins ihres Hauses nachkommen zu können. Mit dem Urteil (des Einzelrichters) des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11.März 1986, GZ 6 a E Vr 2261/86-5, wurde Elfriede G*** wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB zu einer gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Wochen verurteilt. Zufolge Rechtsmittelverzichts der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wurde das Protokoll über die Hauptverhandlung und die Ausfertigung des Urteils durch einen Vermerk gemäß § 458 Abs. 2 (iVm § 488 Z 7) StPO ersetzt.

Das Verfahren gegen die zur Hauptverhandlung nicht erschienene Waltraud D*** wurde gemäß § 57 StPO ausgeschieden. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10.April 1986, GZ 6 a E Vr 2261/86-10, wurde Waltraud D*** sodann gleichfalls (vom selben Einzelrichter) des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB schuldig erkannt und zu einer gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt. Aus Anlaß der von der Angeklagten D*** dagegen erhobenen vollen Berufung hob jedoch das Oberlandesgericht Wien mit Entscheidung vom 22.Juli 1986, AZ 23 Bs 232/86, das angefochtene Urteil gemäß §§ 477 Abs. 1, 489 Abs. 1 StPO auf und sprach Waltraud D*** von der Anklage gemäß § 259 Z 4 StPO frei.

Rechtliche Beurteilung

Das Elfriede G*** betreffende Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11.März 1986 steht mit dem Gesetz nicht im Einklang, weil auch dieser Angeklagten der Strafausschließungsgrund des § 42 Abs. 1 StGB zustatten kommt.

Nach dieser Bestimmung ist eine von Amts wegen zu verfolgende Tat, die nur mit Geldstrafe, mit nicht mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe oder mit einer solchen Freiheitsstrafe und Geldstrafe bedroht ist, nicht strafbar, wenn

1./ die Schuld des Täters gering ist,

2./ die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen

hat, und überdies

3./ eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Täter von strafbaren Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

Der unter die Strafdrohung des § 127 Abs. 2 StGB

(: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr) fallende Angriff der Angeklagten Elfriede G*** gegen fremdes Vermögen ist beim Versuch geblieben und hätte auch bei tatplangemäßer Ausführung angesichts der Geringwertigkeit des Diebsguts (45 S) nur unbedeutende Folgen (im Sinne einer sozialen Störung) nach sich gezogen. Es ist aber auch von einer geringen Schuld der Elfriede G*** auszugehen, weil ihr Verhalten im konkreten Fall im Hinblick auf das Tatmotiv (Erfüllung eines behördlichen Auftrags zur Behebung von Bauschäden) und ihre prekäre (wenn auch nicht als "Not" im Sinne des § 141 StGB zu qualifizierende) finanzielle Situation hinter dem in der anzuwendenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt. Daran ändert auch nichts, daß Elfriede G*** als Initiatorin der Tat anzusehen ist und sie sich - im Unterschied zu Waltraud D***, deren Tatbeteiligung bloß eine Hilfeleistung für ihre langjährige Wohnungsgeberin zum Ziel hätte - den Vorteil aus dem Diebstahl zuwenden wollte. Bei fallbezogener Betrachtung ist ihre Schuld sowohl absolut, als auch im Vergleich zu sonst üblichen Diebstählen auf Baustellen als geringfügig zu veranschlagen. Erwägungen der Spezialprävention stehen im Hinblick darauf, daß Elfriede G*** nur eine nicht ins Gewicht fallende, schon über vier Jahre zurückliegende Vorstrafe wegen § 88 Abs. 1 StGB aufweist und sich daher auf einen ordentlichen Lebenswandel berufen kann, der Anwendung des § 42 StGB nicht entgegen. Nach Lage des Falles ist eine Bestrafung auch nicht geboten, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken; denn es kann nicht angenommen werden, daß die Sanktionslosigkeit der in Rede stehenden Einzeltat in der Öffentlichkeit bekannt werden und sich nachteilig auf die Rechtstreue potentieller Baustellendiebe auswirken wird; durch das Unterbleiben einer Bestrafung werden daher auch Belange der Generalprävention nicht beeinträchtigt (vgl. auch 9 Os 129, 130/85).

In Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher spruchgemäß zu erkennen.

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