OGH 9Os11/86

OGH9Os11/8612.2.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.Februar 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hausmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Walter M*** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 13. November 1985, GZ 22 Vr 2874/84-54a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1.) Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen wegen der Vergehen der Untreue nach § 153 StGB und nach § 114 ASVG (Punkte 3 und 4 des Urteilssatzes) sowie im Strafausspruch aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung zurückverwiesen.

  1. 2.) Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
  2. 3.) Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die zu Punkt 1 getroffene Entscheidung verwiesen.

    4.) Gemäß § 390 a StPO fallen ihm auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 3.Februar 1925 geborene Dentist Walter M*** (zu 1) des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1, erster Fall, StGB und des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB, (zu 2) des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB, (zu 3) des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs. 1 und 2, erster Fall, StGB und (zu 4) des Vergehens nach § 114 Abs. 1 ASVG schuldig erkannt.

Darnach hat er (1.) zwischen 14. und 18.August 1984 in Jesolo unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber der seiner Aufsicht unterstehenden, am 8.Mai 1971 geborenen und sohin unmündigen Silvia (richtig: Sylvia; vgl. S 58) M*** (richtig: M***) diese zur Unzucht mißbraucht, indem er sie mehrfach am Geschlechtsteil betastete, an ihrem Geschlechtsteil leckte, sie aufforderte, bei ihm einen Mundverkehr durchzuführen, ihr pornographische Darstellungen zeigte und diese kommentierte sowie einen Vibrator in ihren After einführte;

2.) zwischen 14. und 18.August 1984 in Jesolo Sylvia M*** durch die Äußerung, wenn sie etwas zu Hause erzähle, dann würde die Mutter ihre Stellung verlieren, mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz ihrer Mutter gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;

3.) zwischen 22.Mai und 7.Oktober 1981 in Jesolo und Cavallino durch die Begebung ungedeckter Schecks an nichtkontoführende Kreditinstitute über jeweils maximal 2.500 S unter Vorweisung der Scheckkarte, die ihm durch Rechtsgeschäfte eingeräumte Befugnis über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich mißbraucht und dadurch der Österreichischen Postsparkasse einen unerhobenen, jedoch 5.000 S übersteigenden Schaden zugefügt;

4.) im Dezember 1983 und zwischen Februar 1984 und Juni 1984 in Tarrenz als Dienstgeber Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung im Gesamtbetrage von 20.505,09 S einbehalten und der Tiroler Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte als dem berechtigten Sozialversicherungsträger vorenthalten.

Rechtliche Beurteilung

Sämtliche Schuldsprüche werden vom Angeklagten aus den Z 3, 5 und 10 des § 281 Abs. 1 StPO mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft. Soweit sich das Rechtsmittel gegen die Verurteilungen wegen des Verbrechens nach § 207 Abs. 1 StGB und des Vergehens nach § 212 Abs. 1 StGB richtet, ist es teils offenbar unbegründet, teils nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt.

Worin der Nichtigkeitsgrund nach der Z 3 des § 281 Abs. 1 StPO gelegen sein soll, ist der Beschwerde nicht zu entnehmen; deren Inhalt deutet vielmehr darauf hin, daß insoweit ein Vergreifen in der Bezeichnung stattgefunden hat und der Angeklagte die Z 4 der genannten Gesetzesstelle im Auge hatte, wenn er moniert, das Schöffengericht hätte ein medizinisches und psychiatrisches Gutachten zur Überprüfung der Aussage der Zeugin Sylvia M*** einholen, einen Wohnwagennachbarn namens R*** ausforschen und vernehmen sowie überprüfen müssen, welche Sichtverhältnisse für einen außerhalb des Wohnwagens stehenden Beobachter in dessen Inneres gegeben waren.

Bei all dem übersieht der Beschwerdeführer aber, daß die unvollständige Ausschöpfung möglicher Beweisquellen - die niemals einen Begründungsmangel darstellt (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO 2 Nr. 82 ff) - unter dem Titel der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO nur dann releviert werden kann, wenn in der Hauptverhandlung ein entsprechender Antrag gestellt wurde (vgl. Mayerhofer-Rieder aaO Nr. 83), was aber vorliegend unterblieb.

Die weiteren Ausführungen in der Mängelrüge (Z 5) stehen teilweise mit der Aktenlage nicht im Einklang, teils bekämpfen sie in unzulässiger Weise die tatrichterliche Beweiswürdigung. Unter die erste Rubrik fällt die Behauptung, die Feststellungen des Erstgerichtes, der Angeklagte habe das Mädchen an Brust und Geschlechtsteil abgetastet, einen Finger in die Scheide des Mädchens eingeführt und Sylvia M*** aufgefordert, an ihm einen Mundverkehr durchzuführen, sei unvollständig und durch keinerlei Zeugenaussagen gedeckt. Übergeht die Beschwerde dabei doch die Bekundungen des genannten Mädchens vor der Gendarmerie (S 15) und vor dem Untersuchungsrichter (vgl. S 57, 58), in denen die fraglichen Konstatierungen volle Deckung finden. Ob es im Zuge des Mundverkehrs beim Angeklagten zum Samenerguß kam - wie das Erstgericht annahm - oder ob dies unterblieb, kann als rechtlich irrelevant auf sich beruhen, wurde aber im übrigen von Sylvia M*** vor dem Untersuchungsrichter (S 58) nicht ausgeschlossen. Nicht aktengetreu ist auch die Behauptung, der Zeuge Werner K*** habe den Sachverhalt, betreffend die Verständigung des Wohnwagennachbarn R***, vor der Kriminalpolizei in Erding anders geschildert als vor Gericht. Denn auch schon vor der Polizei wies K*** ausdrücklich darauf hin - und das wird in der Beschwerde übergangen - er habe das Eintreffen des (bereits verständigten) R*** nicht mehr abwarten können und mit der Faust mehrmals fest auf das Fenster des Wohnwagens geschlagen, um zu verhindern, daß nicht mehr passiere (vgl. S 185). R*** habe demnach von der Handlung des Angeklagten "nichts mehr mitbekommen" (S 187).

Die gesamten weiteren Ausführungen in der umfangreichen Mängelrüge bestehen durchwegs in dem Versuch, die Beweiskraft der Zeugen Renate K***, Werner K*** und Sylvia M***

in Zweifel zu setzen und muß demnach darauf nicht weiter eingegangen werden. Es genügt vielmehr zusammenfassend zu sagen, daß formale Widersprüche zwischen den Angaben der Eheleute K*** zum Teil nicht einmal behauptet werden, zum Teil - wo dies der Fall ist - die evidente und damit keiner Erörterung bedürftige Tatsache neglegiert wird, daß diese beiden Personen ihre Wahrnehmungen nicht vom selben Beobachtungspunkt her anstellten und damit - was die Beschwerde selbst einräumt (S 199) - unterschiedliche Sichtmöglichkeiten auf den Angeklagten und das Mädchen hatten, was natürlich - weil die Zeugen, wie sie angaben (S 171, 185, 262, 273) überdies nur zeitweilig gemeinsam am Tatort waren und auch da während einzelner Phasen des Tatgeschehens jeweils nur eine Person beobachten konnten - verschiedene Wahrnehmungsergebnisse zur Folge haben mußte. In seiner den Tatbestand nach § 212 Abs. 1 StGB betreffenden Rechtsrüge (Z 9 lit. a), in der er sich nachzuweisen bemüht, daß er "nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens" (S 204) ein Autoritätsverhältnis gar nicht ausnützen konnte, weil ihm ein solches nicht zustand, läßt der Beschwerdeführer in prozeßordnungswidriger Weise außer Betracht, daß ihm demgegenüber das im Tatzeitpunkt 13-jährige Mädchen nach den für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichtes von dessen Mutter zur Aufsicht anvertraut worden war und faktisch auch seiner Aufsicht unterstand (vgl. S 193 a verso und 197 a verso), wobei in diesem Zusammenhang völlig belanglos ist, daß die Mutter des Mädchens im Geschäft der Gattin des Angeklagten stundenweise beschäftigt war. Im übrigen wird in der Beschwerde in keiner Weise substantiiert, weshalb der Angeklagte vermeint, daß bei dem gegebenen Sachverhalt Sylvia M*** nicht seiner Aufsichtspflicht unterstellt war bzw. warum sein Verhalten keine Ausnützung seines Autoritätsverhältnisses gegenüber dem Kind darstellte. Nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt ist endlich auch die Rechtsrüge mit der lapidar aufgestellten Behauptung, der Angeklagte habe keinerlei Handlungen gesetzt, die geeignet gewesen wäre, das Mädchen in Furcht und Angst zu versetzen. Wird dabei doch auf die entsprechenden tatrichterlichen Konstatierungen - wonach der Angeklagte dem Mädchen den (von ihm zu bewerkstelligenden) Verlust der Existenzgrundlage der für die Bedrohte sorgenden Mutter in Aussicht stellte (vgl. S 195 a verso, zweiter Absatz) - überhaupt nicht eingegangen und damit von vornherein eine sachbezogene Erörterung der Rüge unmöglich gemacht.

Nach dem Gesagten war mithin in Ansehung der Schuldspruchsfakten 1 und 2 die Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung teils als offenbar unbegründet nach § 285 d Abs. 1 Z 2 StPO, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt nach der Z 1 dieser Gesetzesstelle in Verbindung mit § 285 a Z 2 StPO sofort zurückzuweisen.

Hingegen kann der Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie sich gegen die Schuldsprüche wegen des Vergehens der Untreue und des Vergehens nach § 114 Abs. 1 ASVG (Punkte 3 und 4 des Urteilssatzes) wendet, im Ergebnis Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Ausgehend nämlich davon, daß der Tatbestand nach § 153 Abs. 1 StGB bezüglich des Befugnismißbrauches Wissentlichkeit (§ 5 Abs. 3 StGB) und in Ansehung der Vermögensschädigung (bedingten) Vorsatz erfordert und auch das Vergehen nach § 114 ASVG Handeln mit dolus (eventualis) sowohl für das Einbehalten als auch hinsichtlich des Vorenthaltens verlangt, erweist sich das Urteil mit Bezug auf die innere Tatseite der beiden fraglichen Delikte als mit eklatanten Feststellungsmängeln behaftet. Wird doch zum Vergehen der Untreue insoweit - von der (unzureichenden; vgl. Mayerhofer/Rieder, StPO 2 § 270 Nr. 94 a) Wiedergabe der verba legalia im Urteilsspruch abgesehen - lediglich konstatiert, der Angeklagte habe ungeachtet einer ihm bekannten Kontosperre und des Umstandes, daß er keine Eingänge auf sein Konto zu erwarten hatte, (in welchem Kontext übrigens unerwähnt blieb, daß laut Gesamtkontoauszug im Tatzeitraum 17.000 S auf dem Konto gutgebucht wurden; vgl. S 113/115) eine Reihe von Schecks ausgestellt und unter Verwendung der Scheckkarte eingelöst, wodurch der Postsparkasse ein 5.000 S übersteigender Schaden zugefügt wurde (S 195 a verso), wogegen sich beim Delikt nach dem ASVG das Urteil gar mit der allein sein außeres Verhalten beschreibenden Annahme begnügt, der Angeklagte habe in fraglichem Zeitraum die einbehaltenen Dienstnehmeranteile nicht abliefern können, sondern zur Bezahlung von Schulden verwendet (vgl. abermals S 195 a verso).

Da die aufgezeigten Mängel vom Obersten Gerichtshof nicht saniert werden können, die Durchführung einer neuen Hauptverhandlung mithin unumgänglich ist, waren diese beiden Schuldsprüche bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung zu kassieren (§ 285 e StPO), ohne daß es erforderlich gewesen wäre, auf das diesbezügliche weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Beseitigung des Strafausspruches zu verweisen.

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