OGH 9ObS46/87

OGH9ObS46/8727.1.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Müller und Dr. Gerhard Dengscherz als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Barbara L***, Pensionistin, Mitterberghütten, Kleinhubweg 4, vertreten durch Dr. Alexander Diemand, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei A***

U*** (Landesstelle Salzburg), Wien 12.,

Adalbert Stifter-Straße 65, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Oktober 1987, GZ 12 Rs 1132/87-42, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 10. August 1987, GZ 37 Cgs 76/87-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 11. Dezember 1962 wurde die der Klägerin als Entschädigung für ihre Berufskrankheit (Lungentuberkulose) zunächst gewährte Dauerrente von 70 v.H. der Vollrente ab 1. Februar 1963 auf eine Teilrente von 45 v.H. herabgesetzt. Maßgeblich für die Herabsetzung auf 45 v.H. war der von Dr. Herbert P*** erstellte Befund vom 24. Oktober 1962. In der Diagnose stellte Dr. P*** inaktive fibröse Veränderungen in beiden Lungen mit Pleuraspitzenkappe beiderseits, rechts nach Pneumolyse und links nach Pneumothorax fest. Es fanden sich damals bei der Klägerin keine sicheren Anzeichen einer aktiven Lungentuberkulose mehr. Die bei einer früheren Untersuchung festgestellte Pleuraspitzenschwiele zeigte sich bei der Untersuchung vom 24. Oktober 1962 weiter wesentlich aufgehellt. Auch die früher durch eine beiderseitige Kollapsbehandlung aufgetretene Rechtsherzbelastung war nicht mehr feststellbar.

Nunmehr besteht bei der Klägerin aus lungenärztlicher Sicht eine defekt geheilte fibrozirrothische Oberlappentuberkulose beiderseits mit rechtsseitiger Pleurakuppenschwiele und beiderseitigen pleurobasalen Schwielen, rechts nach extrapleuralem Pneumothorax, beiderseits nach intrapleuralem Doppelpneu und daraus resultierend eine mäßiggradige restriktive Ventilationsstörung und secundäres Emphysem ohne obstruktive Komponente. Die durch diese Beschwerden bewirkte Minderung der Erwerbsfähigkeit, bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, beträgt 45 v.H. Ein Cor pulmonale liegt nicht vor. Es bestehen keine von der Lungentuberkulose ausgelösten Herzbeschwerden. Im Bereich der linken Glutäalgegend besteht eine etwa pflaumengroße Verkalkung im Bereich der Gesäßmuskulatur, wodurch geringfügige Beschwerden ausgelöst werden können. Diese Verkalkung wurde im Befund Dris. P*** noch nicht festgestellt. Sie ist die Folge einer jahrelangen Behandlung der Lungentuberkulose. Für sich allein gesehen beträgt die durch die beschriebene Verkalkung bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit 5 v.H. Das Erstgericht wies das auf Erhöhung der bisher gewährten Dauerrente auf nunmehr 60 v.H. der Vollrente gerichtete Begehren der Klägerin ab; eine wesentliche Verschlimmerung der Berufskrankheit sei nicht eingetreten.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Zur Neufeststellung der Versehrtenrente bedürfe es einer Änderung im unfallbedingten Zustand des Versehrten, wobei Ausgangspunkt für die Prüfung, ob eine solche Änderung eingetreten sei, der Zustand, bzw. das sich aus diesem ergebende Maß der Minderung der Erwerbsfähigkeit sei, das dem letzten Rentenbescheid zugrunde gelegen sei. Eine durch den Vergleich der beiden Zustände sich ergebende Änderung sei erst dann wesentlich, wenn sich der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mehr als 5 von 100 ändere. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

An die Klägerin wurde bisher unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 45 von 100 eine Rentenleistung erbracht. Seit dem Zeitpunkt der Gewährung dieser Leistung hat sich der Zustand der Klägerin leicht verschlechtert; die Verkalkung im Bereich der Gesäßmuskulatur bedingt für sich allein eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 5 von 100. Eine Feststellung über die auch unter Einbeziehung dieser Veränderung nunmehr insgesamt bestehende Minderung der Erwerbsfähigkeit fehlt. Aber selbst wenn sich das Gesamtmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit aus einer vollen Summierung der pulmologisch und chirurgisch erhobenen Ergebnisse ergäbe, wären die Voraussetzungen für die neue Feststellung der Rente nicht erfüllt. Auch in diesem Fall betrüge die Veränderung absolut bloß 5 von 100.

Durch Art. III Z 4 SozRÄG 1988 (44. ASVG-Novelle), BGBl. 609/1987, das mangels einer Sonderregelung für diese Bestimmung gemäß Art. 10 Abs 1 am 1. Jänner 1988 in Kraft getreten ist, ist der hier maßgeblichen Norm des § 183 Abs 1 ASVG ein weiterer Satz angefügt worden. Demzufolge gilt als wesentlich eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens 10 von 100 geändert wird, wenn ferner durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt (§§ 203, 210 Abs 1) oder die Schwerversehrtheit entsteht oder wegfällt (§ 205 Abs 4). In den Gesetzesmaterialien wird dazu ausgeführt, daß sich zu dem Begriff "wesentliche Änderung" eine einheitliche Judikatur entwickelt habe, die den Begriff der Wesentlichkeit genau definiere und für jene Grenzfälle, die an "Schwellwerten liegen", im Sinn der sozialen Rechtsanwendung Klarstellung bringe. Sie solle nunmehr im Gesetzeswortlaut (§ 183 Abs 1 ASVG) Niederschlag finden (324 BlgNR 17.GP, 36). Da im vorliegenden Fall nur eine Verschlechterung von 5 % (in bezug auf die Vollrente) eingetreten ist, muß die Frage, ob das Gesetz in der neuen Fassung bei der Entscheidung über die Revision bereits Berücksichtigung zu finden hat, geprüft werden.

Judikatur und Lehre vertreten weitgehend übereinstimmend die Auffassung, daß mangels gegenteiliger Anordnungen des Gesetzgebers die Entscheidung nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz zu ergehen habe (Holzhammer, Österreichisches Zivilprozeßrecht, Erkenntnisverfahren 175). Auf Rechtsänderungen nach diesem Zeitpunkt ist grundsätzlich nicht Bedacht zu nehmen (JBl 1975, 485 u.a.; nunmehr auch Fasching Zivilprozeßrecht Rz 1456). Ausnahmen erachtete der Oberste Gerichtshof dort für gerechtfertigt, wo auf rückwirkend angeordnetes zwingendes Recht - wie zB die rückwirkende Außerkraftsetzung typisch nationalsozialistischer Vorschriften (Ehrenzweig2 I/1, 88; vgl. auch Wolff in Klang2 I/1 74 f) - Bedacht zu nehmen ist (JBl 1947, 243) oder wenn - wie bei Unterhaltsansprüchen - auch über solche Ansprüche für die Zukunft und damit für die Zeit nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes abzusprechen ist (EvBl 1977/67 mwH). Abweichendes gilt allerdings auch für Fälle, in denen durch das Gesetz keine neue Rechtslage geschaffen wurde, sondern bloß eine Auslegung einer bereits zuvor bestandenen Norm durch den Gesetzgeber erfolgt. Die Vorschrift des § 8 ABGB regelt die authentische Interpretation. Darnach steht nur dem Gesetzgeber die Macht zu, ein Gesetz auf allgemein verbindliche Art zu klären; eine solche Erklärung muß auf alle noch zu entscheidenden Rechtsfälle angewendet werden, sofern der Gesetzgeber nicht hinzufügt, daß seine Erklärung bei Entscheidung solcher Rechtsfälle, welche die vor der Erklärung unternommenen Handlungen und angesprochenen Rechte zum Gegenstand haben, nicht bezogen werden soll. Diese Vorschrift hat deshalb eine über den Bereich des Privatrechts hinausreichende Bedeutung, weil sie eine Festlegung der Bedeutung einer authentischen Interpretation enthält, so daß anzunehmen ist, daß jede authentische Interpretation des Gesetzesgebers - sofern nicht Besonderes verfügt wurde - in diesem Sinn zu verstehen ist (Robert Walter ÖJZ 1966, 6). Von einer authentischen Interpretation spricht man sohin, wenn das zur Aufstellung oder Änderung der Grundnorm berechtigte Organ bestimmt, in welchem Sinn sie zu verstehen sei. Dies bedeutet die Anordnung einer Rückwirkung (Bydlinski in Rummel ABGB Rz 1 zu § 8; Koziol-Welser8 I 20; Walter Mayer Grundriß des österreichischen Verfassungsrechtes4, 40; Walter Österreichisches Bundesverfassungsrecht 82 f; GesRZ 1985, 38).

Für den vorliegenden Fall weisen sowohl der Wortlaut des Art. III Z 4 SozRÄG 1988, BGBl. 609/87, wie auch die Gesetzesmaterialien deutlich darauf hin, daß der Gesetzgeber mit dieser Bestimmung nicht neues Recht schuf, sondern eine authentische Interpretation des bisher im Gesetz nicht näher definierten Begriffes der wesentlichen Änderung nach den Grundsätzen der in den Gesetzesmaterialien erwähnten Judikatur vornahm. Diese authentische Interpretation ist zufolge der Bestimmung des § 8 ABGB auch auf die in der Rechtsmittelinstanz anhängigen Fälle anzuwenden (3 Ob 346/56). Auf dieser Grundlage ist aber die Verschlimmerung der Unfallsfolgen des Klägers keine wesentliche Änderung im Sinn des § 183 Abs 1 ASVG nF, so daß die Voraussetzungen für eine Neufeststellung der Rente nicht erfüllt sind.

Eine Kostenentscheidung entfiel, da Kosten nicht verzeichnet wurden.

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