OGH 9ObA98/02f

OGH9ObA98/02f4.9.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Helmut Szongott und Univ. Doz. Mag. Dr. Michaela Windischgrätz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Wolfgang K*****, Elektriker, *****, vertreten durch Paischer & Schertler, Rechtsanwälte in Braunau am Inn, gegen die beklagte Partei Elektro B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Breitwieser, Rechtsanwalt-Kommanditpartnerschaft in Bad Schallerbach, wegen EUR 5.140,07 sA, über die "Revision" (richtig: den Rekurs) der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Jänner 2002, GZ 11 Ra 351/01v-14, womit über Berufung der klagenden Partei das Teilurteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. Juni 2001, GZ 16 Cga 59/01d-8 (in der berichtigten Form ON 13), aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Teilurteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Kosten des Berufungs- und Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war von Oktober 1996 bis 11. 9. 2000 bei der beklagten Partei als Elektriker beschäftigt; das Arbeitsverhältnis endete durch Entlassung.

Auf das vorliegende Arbeitsverhältnis ist der Kollektivvertrag für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe anzuwenden. Mit der Begründung, unberechtigt entlassen worden zu sein, begehrt der Kläger den Zuspruch von S 44.625,60 an Abfertigung sowie S 25.745,53 an Kündigungsentschädigung. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete hinsichtlich der Kündigungsentschädigung Verfristung gemäß § 1162d ABGB ein. Dem hielt der Kläger entgegen, dass nach Art XX des Kollektivvertrages alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bei sonstigem Verfall innerhalb von vier Monaten nach Fälligkeit bzw Bekanntwerden schriftlich geltend zu machen seien und dass bei rechtzeitiger Geltendmachung die gesetzliche dreijährige Verjährungsfrist gewahrt bleibe. Der Kläger habe seine Ansprüche mit Schreiben vom 20. 11. 2000 fristwahrend für die dreijährige Verjährungszeit geltend gemacht.

Das Erstgericht wies mit Teilurteil den aus dem Titel der Kündigungsentschädigung geltend gemachten Klagebetrag ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die genannte Kollektivvertragsbestimmung nicht dahin auszulegen sei, dass die Kollektivvertragsparteien einem Arbeitnehmer neben der sechsmonatigen Präklusivfrist des § 1162d ABGB überdies noch die dreijährige Verjährungsfrist für den Fall einräumen wollten, dass eine Geltendmachung innerhalb von vier Monaten erfolgt sei. Dies könne nur für andere, vom § 1162d ABGB nicht umfasste Ansprüche gelten.

Das Berufungsgericht hob das Teilurteil auf und sprach aus, dass die "Revision" (richtig: der Rekurs) gemäß § 46 Abs 1 ASGG zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass in der genannten Kollektivvertragsbestimmung eine zulässige Besserstellung des Arbeitnehmers enthalten sei, zumal durch die schriftliche Geltendmachung binnen vier Monaten an die Stelle der sechsmonatigen gesetzlichen Präklusivfrist nunmehr die Verjährungsfrist von drei Jahren trete. Somit könne dem Klagebegehren auch hinsichtlich der Kündigungsentschädigung eine Verfristung nicht entgegengehalten werden.

Die "Revision" sei zulässig, weil zum Verhältnis des Punktes XX des Kollektivvertrages für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe zur relativ zwingenden Bestimmung des § 1162d ABGB eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der als "Revision" bezeichnete Rekurs der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die klagende Partei beantragte, der "Revision" (gemeint: dem Rekurs) nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Artikel XX des Kollektivvertrages für das eisen- und metallverarbeitende Gewerbe lautet:

"1. Alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen bei sonstigem Verfall innerhalb von vier Monaten nach Fälligkeit bzw Bekanntwerden - wenn sie nicht anerkannt werden - schriftlich geltend gemacht werden.

2. Als Fälligkeitstag gilt der Auszahlungstag für jene Lohnperiode, in welcher der Anspruch entstanden ist.

3. Bei rechtzeitiger Geltendmachung bleibt die gesetzliche dreijährige Verjährungsfrist gewahrt ..."

Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 18. 1. 1996, GZ 8 ObA 279/95 = RdW 1997, 33, entschieden hat, ist Z 1 der genannten Kollektivvertragsbestimmung so auszulegen, dass davon alle jene Ansprüche erfasst sind, deren Rechtsgrund unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis abzuleiten ist und die spätestens im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits bestanden haben. Die Grenze der Anwendbarkeit liege aber in der relativ zwingenden (§ 1164 Abs 1 ABGB) Bestimmung des § 1162d ABGB, deren für die Geltendmachung von Kündigungsentschädigung normierte Sechsmonatsfrist nicht zum Nachteil des Dienstnehmers verkürzt werden dürfe (SZ 44/151; DRdA 1989, 196).

Nach Auffassung des Berufungsgerichtes komme hier das im Arbeitsrecht geltende Günstigkeitsprinzip zur Geltung, weil der Arbeitnehmer zwar einerseits binnen vier Monaten seine Ansprüche (auf Kündigungsentschädigung) schriftlich geltend machen müsse, dafür aber in den Genuss der dreijährigen Verjährungsfrist komme. Dieser Ansicht kann nicht beigepflichtet werden. Eine solche Günstigkeitsbetrachtung setzt nämlich voraus, dass eine günstigere Regelung überhaupt aus dem Text der genannten Bestimmung abzuleiten ist. Die normativen Bestimmungen eines Kollektivvertrages sind grundsätzlich nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Grundsätzen (§ 6 f ABGB) zu interpretieren. Auch hier gilt, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann, nicht aber, was der Normgeber wirklich gewollt oder unverbindlich geäußert hat. Darüber hinaus darf den Kollektivvertragsparteien unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen wollten (RIS-Justiz RS0008828).

Unter diesen Prämissen kann zunächst ausgeschlossen werden, dass die Kollektivvertragsparteien eine parallele Regelung derart treffen wollten, dass grundsätzlich die Präklusivfrist des § 1162b ABGB Geltung hat, daneben aber - für den Fall der schriftlichen Geltendmachung binnen vier Monaten - auch die Möglichkeit bestehen sollte, derartige Ansprüche binnen drei Jahren zu verlangen. Schon aus dem Wortlaut der Z 3 "... bleibt die gesetzliche dreijährige Verjährungsfrist gewahrt ..." muss für den normunterworfenen Leser ein anderer Eindruck entstehen: Z 1 verkürzt die sonst dreijährige (kurze) Verjährungsfrist - soweit rechtlich zulässig - derart, dass an die Stelle dieser Verjährungsfrist eine viermonatige Präklusivfrist tritt, um dem Arbeitgeber rasch darüber Klarheit zu verschaffen, welche Ansprüche noch erhoben werden. Wenn daher innerhalb der viermonatigen Präklusivfrist eine formgerechte Geltendmachung folgt, soll damit wieder die ursprüngliche dreijährige gesetzliche Verjährungsfrist Geltung haben. Bei der Frist des § 1162d ABGB handelt es sich hingegen nach einhelliger Judikatur um eine Präklusiv- und keine Verjährungsfrist. Durch Geltendmachung der davon umfassten Ansprüche binnen vier Monaten würde daher keine Frist "gewahrt", sondern an die Stelle einer kürzeren Präklusivfrist neu eine längere Verjährungsfrist treten. Eine solche Absicht kann aber den Kollektivvertragsparteien nicht unterstellt werden. Damit haben die zu 9 ObA 308/98d (= DRdA 2000, 55 [Holzner] = Arb 11.846 ua) dargelegten Erwägungen auch hier Geltung.

Es war daher in Abänderung des Aufhebungsbeschlusses das Teilurteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 2 ZPO.

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