OGH 9ObA96/87

OGH9ObA96/8730.9.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Oder und Mag. Wilhelm Patzold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Zita K***, Angestellte, Graz, Fischeraustraße 55, vertreten durch Dr. Stephan Moser, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei G*** A*** Gesellschaft für Wohnungsbau

und Siedlungswesen mit beschränkter Haftung, Graz, Steyrergasse 5, vertreten durch Dr. Guido Held, Rechtsanwalt in Graz, wegen 50.021,14 S brutto samt Anhang, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Mai 1987, GZ 8 Ra 2/87-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Graz vom 7. Juli 1986, GZ 2 Cr 48/86-4, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 11.227,10 S bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 5.000 S Barauslagen und 566,10 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin vereinbarte mit dem Geschäftsführer der Beklagten am 12. Dezember 1985, daß sie mit 1. Februar 1986 als Chefsekretärin bei der Beklagten beginnen werde. Zum Dienstantritt der Klägerin kam es nicht, weil die Beklagte am 28. Jänner 1986 vom Vertrag zurücktrat.

Die Klägerin begehrt Kündigungsentschädigung für die Zeit vom 1. Februar bis 31. März 1986 sowie eine Urlaubsabfindung für acht Wochen (insgesamt 52.561,57 S brutto). Sie brachte vor, daß sie bei der Beklagten lediglich angefragt habe, ob ein Dienstantritt erst ab 1. März 1986 möglich sei; wenn ihr Ansinnen Schwierigkeiten bereiten sollte, sei sie selbstverständlich bereit, ihren Dienst bereits am 1. Februar 1986 anzutreten. Daraufhin sei die Beklagte vom Vertrag zurückgetreten.

Die Beklagte wandte ein, daß lediglich Vertragsverhandlungen geführt worden seien. Diese seien gescheitert, weil die Klägerin überraschend erklärt habe, nicht zu dem ursprünglich in Aussicht genommenen Termin 1. Februar 1986 ihren Dienst anzutreten; sie werde von ihrem ehemaligen Arbeitgeber noch gebraucht und könne deshalb erst am 1. März 1986 ihren Dienst antreten. Daraufhin sei von seiten der Beklagten erklärt worden, daß die Klägerin nicht mehr benötigt werde.

Das Erstgericht wies die Klage ab; es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Die Beklagte suchte ab Juni 1985 über das Büro N*** eine qualifizierte Kraft, weil die Chefsekretärin der Beklagten nach ihrem Karenzurlaub 1985 aus dem Dienstverhältnis ausscheiden wollte. Im Verlauf der Einstellungsgespräche mit dem Geschäftsführer der Beklagten stellte sich heraus, daß die Klägerin beim Ausfüllen des Fragebogens im Büro N*** ihre betriebsrätliche Tätigkeit bei der Firma O*** verschwiegen hatte. Am 12. Dezember 1985 einigte sich die Klägerin mit dem Geschäftsführer der Beklagten auf einen Dienstantritt als Chefsekretärin am 1. Februar 1986 mit einem Bruttogehalt von 19.690 S monatlich. Hiebei bemerkte der Geschäftsführer der Beklagten, daß ihm ein früherer Dienstantritt lieber wäre. Noch am 12. Dezember 1985 teilte die Klägerin dem Geschäftsführer der Beklagten mit, daß sie ihr Gehalt durchgerechnet habe und sich eine finanzielle Schlechterstellung von etwa 1.000 S gegenüber der Firma O*** ergebe. Der Geschäftsführer der Beklagten versicherte der Klägerin daraufhin, daß sie bei einer Gehaltserhöhung nach der Einarbeitungszeit mindestens mit diesem Betrag rechnen könne. Am 13. Dezember 1985 kündigte die Klägerin ihr Dienstverhältnis mit der Firma O*** zum 31. Jänner 1986 auf. Am 17. Dezember 1985 erhielt die Klägerin von der Firma O*** das Schreiben Beilage B, in dem unter anderem ausgeführt wurde:

"Unsere am 13. Dezember 1985 mündlich getroffene Vereinbarung halte ich wie folgt fest. Ihr Dienstverhältnis wird unter folgenden Bedingungen einvernehmlich beendet:

Sie sind damit einverstanden, nach Möglichkeit Ihre Nachfolgerin kurz einzuweisen und deshalb bis mindestens 31. Jänner 1986 bzw. spätestens 28. Februar 1986 bei uns tätig zu bleiben. Für dieses Entgegenkommen zahlen wir Ihnen eine freiwillige Abfertigung..... Ihr letzter Arbeitstag liegt im Februar 1986 und richtet sich danach, ob wir eine Nachfolgerin finden, die entweder per 1. Februar 1986 oder erst im Lauf des Februar beginnen kann, der 28. Februar 1986 ist in jedem Fall Ihr letzter Arbeitstag. Die Abgeltung Ihres Urlaubsanspruches wird wie folgt geregelt: Falls Ihre Nachfolgerin vor dem 28. Februar 1986 die Arbeit aufnehmen kann, konsumieren Sie ab Beginn der Arbeitsaufnahme bis zum 28. Februar 1986 Urlaub, der nicht konsumierbare Rest wird Ihnen ausbezahlt...."

Die Klägerin sandte am 10. Jänner 1986 eine von ihr unterfertigte Kopie dieses Schreibens an die Firma O*** zurück, ohne sich vorher mit dem Geschäftsführer der Beklagten in Verbindung zu setzen.

Am 28. Jänner 1986 sprach die Klägerin beim Geschäftsführer der Beklagten vor, um ihm zu erklären, daß sie ihren Dienst erst ab 1. März 1986 (nach den Feststellungen des Berufungsgerichts: nicht am 1. Februar 1986) antreten könne, weil ihre Nachfolge bei der Firma O*** noch nicht geregelt sei und sie deshalb noch nicht ausscheiden könne. Als der Geschäftsführer der Beklagten auf die Kündigung des Dienstverhältnisses der Klägerin zum 31. Jänner 1986 hinwies, legte ihm die Klägerin das Schreiben vom 17. Dezember 1985 Beilage B vor, und erklärte, daß sie es unterfertigt an die Firma O*** zurückgesandt habe. Daraufhin teilte der Geschäftsführer der Beklagten der Klägerin mit, daß er von ihrer Einstellung Abstand nehme. Die Klägerin meinte sodann, daß doch noch eine Möglichkeit für einen Dienstantritt am 1. Februar 1986 bestünde, wenn sie mit der Firma O*** rede. Der Geschäftsführer der Beklagten blieb aber bei seiner Ablehnung. Am 31. Jänner 1986 teilte der Rechtsanwalt Dr. Christian M*** dem Geschäftsführer der Beklagten mit, daß die Klägerin ihren Dienst am 1. Februar 1986 antreten könne. Der Geschäftsführer der Beklagten blieb jedoch bei seiner Weigerung, die Klägerin anzustellen.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Rücktritt der Beklagten vom Dienstvertrag berechtigt gewesen sei, weil die Klägerin den ausdrücklich vereinbarten Dienstbeginn und damit eine wesentliche Vertragsbestimmung nicht habe einhalten wollen. Im Berufungsverfahren brachte die Beklagte ergänzend vor, daß die Klägerin bei der Beklagten eine besondere Vertrauensstellung (Zutritt zu vertraulichen Akten, Finanzangelegenheiten; größere Zahl unterstellter Mitarbeiter) gehabt hätte; da die Klägerin die Beklagte bezüglich ihrer Vereinbarung mit dem bisherigen Dienstgeber falsch informiert habe, sei es der Beklagten nicht zumutbar gewesen, die Klägerin in diese Stellung aufzunehmen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge, bestätigte das Ersturteil bezüglich der Abweisung von 2.540,43 S brutto sA und änderte es bezüglich des weiteren Begehrens von 50.021,14 S brutto sA im Sinne des Klagebegehrens ab. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und stellte ergänzend fest:

Die Klägerin teilte dem Geschäftsführer der Beklagten am 28. Jänner 1986 vor der Vorlage des Schreibens Beilage B mit, daß ihr von der Firma O*** zugesichert worden sei, daß ihre Nachfolgerin bereits am 1. Februar 1986 den Dienst antreten werde. Dies sei aber nicht der Fall, sodaß die Klägerin nicht ausscheiden könne. Die Nachfolgerin der Klägerin bei der Firma O*** war seit 7. Jänner 1986 bekannt. Sie trat ihren Dienst am 1. März 1986 an; die Klägerin schied mit Ende Februar 1986 aus. Die Einschulung der Nachfolgerin wurde von der Klägerin schließlich nicht verlangt, obwohl diese dazu bereit gewesen wäre. Die zugesicherte Abfertigung wurde der Klägerin dennoch ausgezahlt.

Der Klägerin wäre bei der Beklagten das Sekretariat unterstellt gewesen, ebenso der Telefonverkehr, der Postein- und -ausgang sowie die Leitung für den Wohnungsverkauf; überdies hätte sie Zugang zu vertraulichen Akten und zur Hauptkassa gehabt. Insgesamt wären der Klägerin acht Mitarbeiter unterstellt gewesen.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, daß dem Geschäftsführer der Beklagten nach Einsicht in das Schreiben Beilage B klar sein habe müssen, daß die Klägerin nicht absolut an die Firma O*** gebunden gewesen sei. Der Rücktritt sei daher nicht berechtigt gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben. Die Revision ist berechtigt.

Zu Recht wendet sich die Revisionswerberin gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, mit der Unterfertigung des Schreibens Beilage B habe sich die Klägerin gegenüber ihrem bisherigen Arbeitgeber nicht gebunden. Berücksichtigt man den gesamten Inhalt des Schreibens, ist der Ausdruck "nach Möglichkeit" nicht dahin auszulegen, daß es vom Belieben der Klägerin abhängen sollte, diese Einschulung vorzunehmen oder nicht, sondern davon, ob die Nachfolgerin bis zu dem in Aussicht genommenen letzten Arbeitstag am 28. Februar 1986 zur Einschulung verfügbar sein werde. Ebenso wurde auch das Ende der tatsächlichen Arbeitstätigkeit nicht vom Willen der Klägerin sondern davon abhängig gemacht, wann die Nachfolgerin innerhalb des Zeitraumes vom 31. Jänner 1986 bis 28. Februar 1986 die Arbeit aufnehmen werde. Zieht man noch in Betracht, daß im Schreiben auf eine mündlich getroffene Vereinbarung Bezug genommen wurde und vor allem die Klägerin dem Geschäftsführer der Beklagten gegenüber erklärte, sie könne nicht wie vereinbart am 1. Februar 1986 den Dienst antreten, dann mußte der Geschäftsführer jedenfalls von einer Bindung der Klägerin an die mit dem bisherigen Arbeitgeber getroffene Vereinbarung und damit einer ernstlichen Weigerung ausgehen, den abgeschlossenen Arbeitsvertrag zuzuhalten. Gemäß § 30 Abs. 2 AngG kann der Arbeitgeber vor Antritt des Dienstes vom Vertrag zurücktreten, wenn der Angestellte, ohne durch ein unabwendbares Hindernis gehindert zu sein, den Dienst an dem vereinbarten Tage nicht antritt. Hiebei ist der Arbeitgeber bei ernstlicher Erfüllungsverweigerung durch den Arbeitnehmer nicht gehalten, zuzuwarten, ob der Arbeitnehmer sich nicht doch noch zur Zuhaltung des Vertrages entschließt und zum vereinbarten Termin mit der Arbeit beginnt; dem Arbeitgeber muß vielmehr eine sofortige Disposition zugebilligt werden (vgl. Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 14 zu § 918). Mit der nach der Rücktrittserklärung abgegebenen Erklärung, es bestünde eine Möglichkeit, am 1. Februar 1986 ihren Dienst anzutreten, wenn sie mit der Firma O*** rede, hat die Klägerin ihre Erfüllungsverweigerung nicht widerrufen; die erst am 31. Jänner 1986 erklärte Bereitschaft, den Dienst am 1. Februar 1986 anzutreten, erfolgte nicht schon unmittelbar nach Zugang der Rücktrittserklärung der Beklagten und ist damit nicht mehr beachtlich (siehe Reischauer aaO).

Ob die Klägerin durch ihre Vorgangsweise auch den Entlassungstatbestand der Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 AngG erfüllt hat, der den Arbeitgeber gemäß § 30 Abs. 2 letzter Satz AngG gleichfalls zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt, muß daher nicht mehr geprüft werden.

Der Revision war Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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