OGH 9ObA76/14p

OGH9ObA76/14p25.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Harald Kohlruss in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** K*****, vertreten durch Mayrhofer, Plankel & Ganahl, Rechtsanwälte in Dornbirn, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Kraft & Winternitz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 8.284,32 EUR sA (Revisionsinteresse: 4.142,16 EUR sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. April 2014, GZ 10 Ra 117/13v‑31, mit der der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 7. August 2013, GZ 40 Cga 24/11h‑26, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:009OBA00076.14P.0925.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 652,32 EUR (darin 108,72 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.128,98 EUR (darin 681 EUR Barauslagen, 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war von 20. 4. 2001 bis 31. 3. 2009 bei der Beklagten auf Basis eines Agentenvertrags tätig. Im streitgegenständlichen Jahr 2008 war er von 1. 1. bis 30. 6. 2008 Teamleiter und wechselte zum 1. 7. 2008 auf eigenen Wunsch in die Funktion eines Wirtschaftsberaters. Nach der mit ihm vereinbarten Vergütungsordnung gebührt jenen Agenten, die zum letzten Tag eines Produktions-(= Kalender-)Jahres die Karrierestufe Wirtschaftsberater, Teamleiter oder Teammanager erreicht haben und zum 31. August des Folgejahres in einem aufrechten ungekündigten Vertragsverhältnis zur Beklagten stehen, eine jährliche Mandanten-Bonifikation. Für die Mandanten-Bonifikation 2008 wurde ergänzend geregelt: „Nur für Wirtschaftsberater gilt zusätzlich, dass sie, um die Mandanten-Bonifikation zu 100 % zu erhalten, bis zum letzten Tag des laufenden Ranglistenjahres eine Produktion von mindestens 3.000 EH laut Jahresrangliste erzielt haben müssen. Wirtschaftsberater erhalten bei Erreichen von über 2.000 EH, aber unter 3.000 EH laut Jahresrangliste 50 % der Mandanten-Bonifikation.“

Der Kläger produzierte im Jahr 2008 1.105 Einheiten, davon 213,25 Einheiten als Wirtschaftsberater. Die Beklagte zahlte ihm keine Mandanten-Bonifikation für das Jahr 2008 aus. Zwischen den Parteien ist strittig, wie sich der Funktionswechsel des Klägers zur Jahresmitte 2008 auf seinen Anspruch auf eine Mandanten-Bonifikation auswirkt.

Der Kläger begehrte zuletzt von der Beklagten die Zahlung von 8.432,32 EUR samt 9,62 % Zinsen pa seit 1. 9. 2009 für das Jahr 2008. Die Regelung in den Details zur Mandanten-Bonifikation, wonach Wirtschaftsberater bis zum letzten Tag des Produktionsjahres einen gewissen Mindest‑Entry-Level erreichen müssten, sei ebenso wie das Abstellen auf den letzten Tag des Produktionsjahres gröblich benachteiligend. Der Kläger sei bis 30. 6. 2008 als Teamleiter, für die kein Mindest‑Entry‑Level gelte, tätig gewesen. Deshalb stehe ihm die Mandanten-Bonifikation in der halben Höhe zu.

Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Die Regelung sei nicht sittenwidrig, der Kläger habe im relevanten Zeitraum jedoch nicht die erforderlichen 3.000 bzw 2.000, sondern nur 1.105 Einheiten erreicht. Die Stichtagsregelung sei hier nicht relevant. Auch Die Höhe des Zinsenbegehrens werde bestritten, weil die von der Beklagten vertretene Rechtsansicht des Nichtvorliegens eines Arbeits- oder Angestelltenverhältnisses des Klägers vertretbar iSd § 49a ASGG sei. Dem Kläger stünden allenfalls 4 % Zinsen gemäß § 1000 Abs 1 ABGB zu.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 4.142,16 EUR samt 8,38 % Zinsen pa von 1. 9. 2009 bis 30. 6. 2013 und 7,88 % pa ab 1. 7. 2013 statt und wies das Mehrbegehren von weiteren 4.142,16 EUR sA ab. Eine Vertragsklausel, die zu Lasten des wirtschaftlich Abhängigen den Verlust von bereits erworbenen Entgeltansprüchen bedinge, wenn er das Vertragsverhältnis kündige, sei sittenwidrig. Die Mandanten-Bonifikation stehe auch bei unterjähriger Beendigung für den Zeitraum bis zur Beendigung des Vertragsverhältnisses (aliquot) zu. Der Kläger habe daher Anspruch auf jenen Teil der Mandanten-Bonifikation für das Jahr 2008, der dem Zeitraum seiner Tätigkeit als Teamleiter entspreche. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Kläger aufgrund seines Wechsels zum Wirtschaftsberater nicht schlechter gestellt sein könne, als wenn er nach dem ersten Halbjahr seine Tätigkeit bei der Beklagten überhaupt beendet hätte. Ihm stehe danach die aliquotierte, dh halbe Mandanten‑Bonifikation zu. Der Zinsenzuspruch beruhe auf § 1333 Abs 2 ABGB.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte die Entscheidung in eine Klagsabweisung ab. Der Kläger sei über eigenen Wunsch vom Teamleiter zum Wirtschaftsberater geworden, sodass sich sein Anspruch nur nach den für Wirtschaftsberater gültigen Regeln richte. Da er jedoch nicht die dafür nötigen Einheiten erreicht habe, habe er keinen Anspruch auf Auszahlung einer Mandanten-Bonifikation. Die Revision sei zulässig, weil die Beurteilung eines aliquoten Anspruchs auf Mandanten-Bonifikation bei Beendigung des Vertragsverhältnisses während des betreffenden Produktionsjahres (Kalenderjahres) bzw bei einem unterjährigen Wechsel vom Teamleiter zum Wirtschaftsberater in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehe und dazu bei verschiedenen Senaten des Berufungsgerichts unterschiedliche Rechtsansichten bestünden.

In seiner dagegen erhobenen Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils dahin, dass das Ersturteil wiederhergestellt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurück-, in eventu abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1. Auch wenn man annimmt, dass für die Mandanten-Bonifikation als „anderes“ Entgelt die teilweise zwingenden Regelungen für Provisionen (vgl insbes § 9 Abs 2 und 3 HVertrG iVm § 27 HVertrG) nicht anwendbar sind, zeigen sie doch, dass der Gesetzgeber grundsätzlich davon ausgeht, dass die Vergütung (§ 8 HVertrG ‑ Provisionen und sonstige Entgelte) des Handelsvertreters in einem Zusammenhang mit dem dem Unternehmer zugekommenen Vorteil aus der Tätigkeit des Handelsvertreters steht. Es soll grundsätzlich dessen „verdienstliche“ Tätigkeit nach deren Erbringung vergütet werden (9 ObA 107/10s).

2. Die Möglichkeit einer Aliquotierung der Bonifikation ergibt sich aus der Entscheidung 8 ObA 19/11v, in der im Rahmen einer Stufenklage das Rechnungslegungsbegehren einer Wirtschaftsberaterin bezüglich ihrer Wirtschaftsberater-Bonifikation für den Zeitraum 1. 1. 2007 bis 17. 10. 2007 (= Tag der sofortigen Auflösung des Vertragsverhältnisses durch die Klägerin) zu beurteilen war. Die Rechtssache wurde zur Erörterung der Vertragsgrundlage und der konkreten Abrechnungsmodalitäten an das Erstgericht zurückverwiesen. Der Anspruch scheiterte aber nicht daran, dass das Vertragsverhältnis von der Klägerin in jenem Jahr beendet worden war, für das sie die (aliquote) Bonifikation begehrte.

Dass es sich in jenem Fall um eine Wirtschaftsberater-Bonifikation und im vorliegenden Fall um eine Mandanten-Bonifikation handelt, schadet nicht, weil beide Bonusleistungen von der Zahl der produzierten Einheiten abhängen. Ein von der Leistung eines Agenten unabhängiger Treuebonus wird mit der Mandanten-Bonifikation hingegen nicht gewährt (9 ObA 31/11s).

3. Anders als in der Entscheidung 9 ObA 107/10s war der vorliegende Agentenvertrag im gesamten Produktionsjahr 2008 aufrecht und wurde nicht unterjährig aufgelöst. Zur Jahreshälfte 2008 erfolgte jedoch ein Funktionswechsel des Klägers, mit dem sich auch die Voraussetzungen für die Mandanten-Bonifikation änderten. Dass der Kläger in der zweiten Jahreshälfte 2008 keinen Anspruch als Wirtschaftsberater erworben hat, ist unstrittig. Der Kläger hat die Abweisung von weiteren 4.142,16 EUR sA auch nicht weiter bekämpft.

Das Berufungsgericht kam zum Ergebnis, dass es für den Anspruch des Klägers auf eine Mandanten-Bonifikation alleine auf die Funktion des Klägers als Wirtschaftsberater zum 31. 12. 2008 anzukommen habe, in der er nicht die nötigen Einheiten erreicht habe. Diese Voraussetzung lässt sich jedoch aus der Vereinbarung nicht ableiten:

Gemäß Punkt 1.2. der Details zur Mandanten-Bonifikationsberechnung gebührt die Mandanten-Bonifikation jenen Agenten, die zum letzten Tag eines Produktionsjahres die Karrierestufe Wirtschaftsberater, Teamleiter oder Teammanager erreicht haben. Das trifft auf den Kläger für das Jahr 2008 zu (die Unwirksamkeit der weiteren Voraussetzung eines aufrechten ungekündigten Vertragsverhältnis zum 31. 12. des Folgejahres stellt die Beklagte zurecht nicht in Frage). Lediglich der Anspruch von Wirtschaftsberatern hängt zusätzlich davon ab, dass sie auch die erforderlichen Mindesteinheiten erzielt haben. Aus der entsprechenden Vertragsklausel geht jedoch nicht hervor, dass ein Agent jene Funktion, in der er bereits einen Bonifikationsanspruch erwirtschaftet hat, auch noch am letzten Tag des Produktionsjahres innehaben müsste, widrigenfalls er einen bereits erworbenen Anspruch wieder verlieren würde. Dem widerspräche auch das oben dargelegte Prinzip, dass eine verdienstliche Tätigkeit grundsätzlich zu vergüten ist. Indirekt geht auch die Beklagte selbst davon aus, wenn sie gar nicht weiter in Zweifel zieht, dass der Bonifikationsanspruch auf Basis der im gesamten Jahr 2008 erzielten 1.105 Einheiten ‑ und nicht bloß auf Basis der in der zweiten Jahreshälfte erzielten 213,25 Einheiten ‑ zu berechnen ist.

4. Nichts anderes ergibt sich, wenn man bedenkt, dass der Kläger den bis 30. 6. 2008 erworbenen Anspruch auf Mandanten-Bonifikation auch dann beibehalten hätte, wenn er seine Funktion nicht gewechselt, in der zweiten Jahreshälfte 2008 aber keine Einheiten mehr erwirtschaftet hätte oder wenn er noch in der Funktion des Teamleiters gekündigt hätte. Vielmehr hat das Erstgericht richtig gefolgert, dass der Kläger im Fall einer „Herabstufung“ nicht schlechter gestellt werden könne als wenn er nicht mehr für die Beklagte tätig gewesen wäre. Das Ergebnis, dass der in der ersten Jahreshälfte 2008 vom Kläger erwirtschaftete Anspruch auf eine Mandanten-Bonifikation wieder wegfiele, hat danach weder eine vertragliche noch eine sonstige sachliche Grundlage.

5. Umstände, aus denen die Beklagte auf einen Verzicht des Klägers auf den einmal verdienten Anspruch schließen hätte dürfen, liegen nicht vor.

6. Auf die für die Höhe der Verzugszinsen maßgebliche Frage der Unternehmereigenschaft des Klägers kommt die Beklagte im Revisionsverfahren nicht mehr zurück. Sie wurde vom Erstgericht auch zutreffend beantwortet, sodass darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO; s auch 9 ObA 49/09k).

7. Zusammenfassend erweist sich die Revision des Klägers als berechtigt, sodass ihr Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen ist.

Die Kostenentscheidung bezüglich der Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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