OGH 9ObA64/21h

OGH9ObA64/21h28.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei T* P*, vertreten durch Mag. Simone Hiebler, Dr. Gerd Grebenjak ua, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei S* GmbH, *, vertreten durch Dr. Verena Lanz, Rechtsanwältin in Graz, wegen 729,76 EUR brutto sA (Revisionsinteresse: 245,61 EUR brutto sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. März 2021, GZ 7 Ra 73/20i‑14, mit dem den Berufungen der Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. September 2020, GZ 25 Cga 58/20s‑8, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133116

 

Spruch:

 

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin war bei der Beklagten vom 2. 5. 2012 bis 7. 2. 2020 beschäftigt. Soweit revisionsgegenständlich, steht fest, dass sie vom 9. 10. 2017 bis 19. 11. 2019 ihre Arbeitszeit im Rahmen einer Bildungsteilzeit auf 20 Stunden reduzierte. Im Juni 2017 erhielt die Klägerin den Urlaubszuschuss noch auf Basis ihrer Vollbeschäftigung in vollem Umfang ausbezahlt. Aufgrund der Bildungsteilzeit wurde der Urlaubszuschuss von der Beklagten aliquot in Höhe des „Überbezugs“ von 245,61 EUR brutto rückverrechnet.

[2] Die Klägerin begehrt von der Beklagten diesen Betrag an restlichem Urlaubszuschuss für das Jahr 2017 unter Berufung auf § 26 Abs 3 des Kollektivvertrags der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ‑KV), wonach sich die Sonderzahlungen nach dem Durchschnittsentgelt der letzten drei Monate vor dem Fälligkeitstermin berechneten. Die Beklagte vertrete die unrichtige Ansicht, dass im Jahr 2017 gemäß § 11a Abs 4 AVRAG eine Durchschnittsbetrachtung anzustellen gewesen wäre. Nach § 16 AVRAG sei die ihr günstigere kollektivvertragliche Regelung zu beachten. Die Rückverrechnung des Urlaubszuschusses sei unzulässig.

[3] Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung.

[4] Das Erstgericht wies das diesbezügliche Klagebegehren im Hinblick auf § 11a Abs 4 AVRAG ab.

[5] Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. Zusammengefasst ging es davon aus, dass § 26 SWÖ‑KV für den Fall der Reduktion des Beschäftigungsausmaßes aufgrund der Inanspruchnahme einer Bildungsteilzeit während des Jahres keine bestimmte, für die Klägerin günstigere Regelung vorsehe, die Beklagte daher zur Aliquotierung der Sonderzahlungen im Jahr 2017 berechtigt gewesen sei. Die Revision sei zur Auslegung des SWÖ‑KV zulässig.

[6] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin diesbezüglich die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgabe.

[7] Die Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

[9] 1.1. Für bestimmte, typische Fälle des Wechsels des Beschäftigungsausmaßes hat der Gesetzgeber selbst Regelungen über die Berechnung der Sonderzahlungen angeordnet, die eine Aliquotierung in dem der Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung entsprechenden Ausmaß im Kalenderjahr vorsehen (§ 16 Abs 2 AngG, § 19d Abs 5 AZG; § 15j Abs 7 MSchG, § 8b Abs 7 VKG; § 11 Abs 2 AVRAG).

[10] 1.2. Für die Berücksichtigung von Bildungsteilzeit bei der Berechnung der Sonderzahlungen normiert § 11a AVRAG im Besonderen:

Bildungsteilzeit

§ 11a.

(4) Fallen in ein Kalenderjahr auch Zeiten einer Bildungsteilzeit, gebühren dem/der Arbeitnehmer/in sonstige, insbesondere einmalige Bezüge im Sinne des § 67 Abs. 1 EStG 1988 in dem der Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung entsprechenden Ausmaß im Kalenderjahr.

[11] Das Gesetz sieht für diesen Fall sohin eine Aliquotierung von Sonderzahlungen (einmaliger Bezug iSd § 67 Abs 1 EStG 1988) vor (s Mair in Binder/Burger/Mair, AVRAG3, § 11a Rz 13; Pfeil in Neubauer/Reissner, ZellKomm3 § 12 AVRAG Rz 16).

[12] 1.3. Es entspricht auch der Rechtsprechung, dass bei Veränderungen des Arbeitszeitausmaßes während des Kalenderjahres Sonderzahlungen im Wege einer Mischbetrachtung zu aliquotieren sind, sofern der Kollektivvertrag keine andere Regelung trifft (RS0131028 = 8 ObS 12/16x).

[13] In Lehre und Literatur wird darüber hinaus eine analoge Anwendung dieser Mischberechnung auf alle Fälle der unterjährigen Veränderung des Beschäftigungsausmaßes befürwortet, sofern der anzuwendende Kollektivvertrag diesbezüglich keine Regelung aufweist. Dem wurde in 8 ObS 12/16x (mwN) gefolgt und festgehalten, dass die Aliquotierung der Sonderzahlungen bei Änderungen des Beschäftigungsausmaßes zur Herstellung eines gerechten Ausgleichs der sozialen und wirtschaftlichen Interessen geboten ist, weil damit die Höhe der Sonderzahlungen vom tatsächlich verdienten Entgelt abhängig gemacht wird und nicht von einer möglicherweise bloß zufälligen Bezugsgröße zum Fälligkeitszeitpunkt.

[14] 2.1. Als günstigere und damit zulässige Abweichungen im Einzelvertrag, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarungen kommen insbesondere höhere Ansprüche auf Sonderzahlungen, Abfertigungen oder Ersatzleistungen für nicht verbrauchten Urlaub sowie ein Kündigungsausschluss für die Dauer der Karenzierung bzw der Bildungsteilzeitvereinbarung in Betracht (Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 12 AVRAG Rz 5). In diesem Sinn beruft sich die Klägerin für ihren Standpunkt auf § 26 Abs 3 des Kollektivvertrags für die Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ‑KV), der eine für sie günstigere Regelung enthalte und nach dem Günstigkeitsprinzip anzuwenden sei.

[15] 2.2. § 26 SWÖ‑KV regelt den Anspruch auf Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration. Dessen Abs 3 lautete in der hier maßgeblichen Fassung 2017:

„(3) Bei Arbeitnehmerinnen mit unterschiedlichem Ausmaß der Arbeitszeit bzw des Entgeltes berechnen sich die jeweiligen Sonderzahlungen aus dem Durchschnittsentgelt (Berechnung wie Abs 1) der letzten drei Monate vor dem Monat der Fälligkeit der Sonderzahlung. Bei Durchrechnungszeiträumen über 13 Wochen ist die Berechnung des Durchschnittsentgelt s (Berechnung wie Abs 1) dem Zeitraum der Durchrechnung anzupassen.“

[16] 2.3. Die dem normativen Teil eines Kollektivvertrages angehörenden Bestimmungen sind nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB, also nach der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und der Absicht des Normgebers auszulegen (RS0008782, RS0008807 ua). Den Kollektivvertragsparteien darf dabei grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten; sodass bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben ist, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RS0008828, RS0008897). Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RS0010088).

[17] 2.4. Wie vom Berufungsgericht ausgeführt, ergibt sich ein „unterschiedliches Ausmaß“ an Arbeitszeit typischerweise durch die Erbringung von Mehr- und Überstunden, sohin in Fällen schwankender Arbeitszeiten. Schwankungen der Arbeitszeit bzw des Entgelts können aber auch aus anderen Konstellationen resultieren (Schichtarbeiten, unregelmäßige Nachtdienste ua). Damit es zu keinen extremen Divergenzen zwischen dem üblicherweise gebührenden Monatsentgelt und dem 13. bzw 14. Monatsentgelt kommt und damit aufgrund der Anbindung an das Juni- bzw Novembergehalt zufällige Schwankungen ausgeglichen werden können, sieht § 26 Abs 3 SWÖ‑KV eine Durchschnittsberechnung vor (Löschnigg/Resch, SWÖ‑KV 2020 § 26 Anm 8), die sich am durchschnittlichen Entgelt der letzten drei Monate bzw eines 13 Wochen übersteigenden Durchrechnungszeitraums orientiert. Es geht in Abs 3 leg cit sohin um Konstellationen, in denen ein Durchrechnungszeitraum für eine sachgerechte Berücksichtigung unterschiedlicher Arbeitszeit- bzw Entgelthöhen erforderlich ist, um allfälligen Zufälligkeiten vor Fälligkeit der Sonderzahlung vorzubeugen.

[18] 2.5. Die Klägerin wies im Jahr 2017 ein „unterschiedliches Ausmaß“ an Arbeitszeit auf, das keinen solchen Schwankungen unterlag. Für ihren Standpunkt wäre daher dann etwas zu gewinnen, wenn Abs 3 leg cit auch Fälle einer nachhaltigen Änderung des Beschäftigungsausmaßes wie hier infolge einer Bildungsteilzeit erfasst. Das trifft nach dem genannten Regelungsgehalt nicht zu:

[19] Zum einen bedarf es in einem solchen Fall für ein sachgerechtes Ergebnis keines „Schwankungsausgleichs“ für die angeführten Zeiträume. Eine derartige Konstellation liegt damit nicht im Normzweck. Im Hinblick auf das Günstigkeitsprinzip ist es aber auch nicht richtig, dass die Anwendung der gesetzlich vorgesehenen Aliquotierung iSd § 11a AVRAG im Verhältnis zu der von der Klägerin favorisierten Auslegung des Kollektivvertrags ungünstiger wäre, weil ein Aliquotieren iSd § 11a AVRAG bei längerfristig herabgesetzter Arbeitszeit in der Folge auch zu einem höheren Sonderzahlungsanspruch eines Arbeitnehmers als bei Durchschnittsberechnung des Entgelts der letzten drei Monate führen kann. Für den Arbeitnehmer wäre die Auslegung der Klägerin diesfalls von Nachteil. In Anbetracht dessen kann auch den Kollektivvertragsparteien nicht zugesonnen werden, dass sie mit § 26 Abs 3 SWÖ‑KV den Fall einer nachhaltigen Änderung der Arbeitszeit infolge Bildungsteilzeit erfassen und kollektivvertraglich eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Bestimmung schaffen wollten. Die deshalb gebotene Auslegung des § 26 Abs 3 SWÖ‑KV dahin, dass die Berechnung der Sonderzahlungen beim Wechsel zwischen Voll- und Bildungsteilzeit nicht Regelungsgegenstand dieser Bestimmung ist, sondern der gesetzlichen Aliquotierungsregel des § 11a AVRAG unterliegt, stellt insgesamt auch am meisten einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen her.

[20] 2.6. Das von der Klägerin für ihren Standpunkt ins Treffen geführte Günstigkeitsprinzip setzt voraus, dass § 26 Abs 3 SWÖ‑KV auf Fälle eines unterschiedlichen Ausmaßes der Arbeitszeit bzw des Entgelts in einem Kalenderjahr infolge von Bildungsteilzeit anzuwenden ist. Da dies, wie dargelegt, nicht der Fall ist, haben die Vorinstanzen diesen Teil des Klagebegehrens zu Recht als nicht berechtigt erachtet.

[21] 3. Der Revision der Klägerin ist danach keine Folge zu geben.

[22] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO.

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