OGH 9ObA37/94

OGH9ObA37/9420.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Barbara Hopf und Helmuth Prenner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Wilhelm T*****, Versicherungsangestellter, ***** vertreten durch Dr.Gustav Teicht und Dr.Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei ***** VersicherungsAG, ***** vertreten durch Dr.Josef Bock, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 353.740,10 brutto sA, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.Dezember 1993, GZ 34 Ra 137/93-7, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22.Oktober 1993, GZ 8 Cga 144/93-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Antrag der beklagten Partei auf Unterbrechung dieses Verfahrens bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens 4 Cga 1109/88 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien abgewiesen wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 11.914,20 (darin S 1.985,70 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und die mit S 14.293,80 (darin S 2.382,30 USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit Urteil vom 20.1.1993 stellte das Arbeits- und Sozialgericht Wien zu 4 Cga 1109/88 zwischen den Parteien unter anderem fest, daß das Dienstverhältnis des Klägers zur beklagten Partei ungeachtet des Disziplinarerkenntnisses vom 15.6.1988 und der Kündigung vom 22.6.1988 über den 31.12.1988 hinaus ungelöst aufrecht fortbestehe. Gegen dieses Urteil erhob die beklagte Partei Berufung. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger S 353.740,10 brutto an rückständigem laufenden Arbeitsentgelt. Obwohl das zu 4 Cga 1109/88 gefällte Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien noch nicht rechtkräftig sei, sei es im Sinne des § 61 Abs 1 Z 1 ASGG bereits verbindlich, so daß die beklagte Partei zur Weiterzahlung des Entgeltes verpflichtet sei. Dieser Verpflichtung komme die beklagte Partei trotz Aufforderung nicht nach.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Das Dienstverhältnis des Klägers habe durch die Kündigung zum 31.12.1988 geendet. Die Kündigung beruhe auf einem Disziplinarerkenntnis, demzufolge die Weiterbeschäftigung des Klägers unzumutbar geworden sei. Das Klagebegehren sei auch der Höhe nach nicht berechtigt, zumal sich der Kläger anrechnen lassen müsse, was er durch das Unterbleiben der Dienstleistung anderswo verdient oder absichtlich zu verdienen verabsäumt habe.

Da das Verfahren 4 Cga 1109/88 zumindest teilweise präjudiziell für dieses Verfahren sei, sei es ökonomisch und zweckmäßig, das vorliegende Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung jenes Verfahrens, das sich im Berufungsstadium befinde, zu unterbrechen. Es werde daher ein Unterbrechungsantrag gestellt.

Der Kläger sprach sich gegen eine Unterbrechung des Verfahrens aus, da das erste Urteil bereits rechtsverbindlich sei.

Das Erstgericht gab dem Unterbrechungsantrag statt. Da § 61 Abs 1 Z 1 ASGG ausdrücklich bestimme, daß bei rechtzeitiger Erhebung der Berufung keine rechtskräftige Entscheidung entstehe, könne keine Bindung an die Vorfrageentscheidung eines anderen Richters erfolgen. Dazu bedürfte es des Eintritts der materiellen Rechtskraft, die aber ausgeschlossen sei. Das erkennende Gericht habe daher die Vorfrage, ob die Kündigung wirksam geworden sei, neu und vollständig zu überprüfen. Um eine divergierende Entscheidung zu vermeiden, sei es geboten, das vorliegende Verfahren zu unterbrechen. Eine Bindungswirkung trete erst ein, wenn die Vorentscheidung materiell rechtskräftig sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. § 190 Abs 1 ZPO stelle ausdrücklich darauf ab, ob eine andere rechtskräftige Entscheidung vorliege. Liege keine solche vor, könne das Gericht die maßgebliche Vorfrage entweder selbst lösen oder das Verfahren unterbrechen. Die im § 61 Abs 1 ASGG genannte Verbindlichkeit der Feststellung sei aber nur vorläufig; sie wirke gemäß § 61 Abs 2 ASGG nur bis zur Beendigung des Verfahrens. Eine vorläufige Verbindlichkeit bilde keine tragfähige Grundlage für eine Bindungswirkung. Anderenfalls könnten vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigte und mit den Verfahrensgesetzen nicht zu lösende Komplikationen (Neuerungsverbot im Rechtsmittelverfahren) eintreten. Gegen diesen Beschluß richtet sich der aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung zu beheben und den Vorinstanzen die unverzügliche Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 13.3.1991, G 199/90 (Infas 1991 A 95) die Bestimmung über die vorläufige Vollstreckbarkeit von Leistungsurteilen gemäß § 61 Abs 1 Z 2 ASGG aufgehoben, da es unter dem Aspekt des rechtsstaatlichen Prinzips nicht angehe, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung solange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist. Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob diese oder andere Erwägungen auch auf die vorläufige Vollstreckbarkeit von Leistungsurteilen gemäß § 61 Abs 1 Z 1 ASGG (rückständiges laufendes Arbeitsentgelt) zutreffen - der Verfassungsgerichtshof hat im zitierten Erkenntnis die diesbezügliche Wertung hinsichtlich § 61 Abs 1 Z 1 ASGG nicht für maßgebend erachtet -, weil es im vorliegenden Fall um die Frage des Eintritts der Verbindlichkeit eines Feststellungsurteiles (Fortbestand des Arbeitsverhältnisses) geht. Dazu stellte aber die Neufassung des § 61 Abs 1 ASGG durch Art IX Z 1 KUEG, BGBl 1990/408 hinreichend klar, daß unter dem Begriff der "Rechtskraft" lediglich die sogenannte formelle Rechtskraft gemeint ist, nicht aber die Entscheidungswirkung. Die Entscheidung soll trotz des vorläufigen Eintritts der spezifischen Entscheidungswirkungen anfechtbar bleiben. Kommt es daher zu einem anderen Prozeß, in dem der Bestand des Arbeitsverhältnisses von Bedeutung ist (zB wie hier bei Leistungsklagen auf weiteres Arbeitsentgelt), sind die Richter in diesem Verfahren an das wirksame Ersturteil des ersten Verfahrens gebunden (vgl Rechberger, Die vorläufige Vollstreckbarkeit in Arbeitsrechtssachen, ecolex 1991, 189 ff, 191; Fasching ZPR2 Rz 2289;

Konecny, Wirkungen erstinstanzlicher Urteile in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten gemäß § 61 ASGG, ZAS 1986/155 ff, 158 f und 166;

Schrank, Wichtige Anwendungsfragen zur vorläufigen Wirksamkeit erstinstanzlicher Urteile nach § 61 ASGG, RdW 1987, 86 ff, 94; Fink, Arbeits- und sozialgerichtliche Miszellen, ÖJZ 1988, 97 ff, 104 FN 87, der den Anwendungsbereich des § 61 Abs 1 ASGG allerdings nur auf klagestattgebende Urteile beschränkt).

Daß es bei dieser Rechtslage zu Schwierigkeiten und Komplikationen in der Rückabwicklung kommen kann, ist offenkundig (vgl Konecny aaO 166); dies ändert aber nichts daran, daß sich der Gesetzgeber mit der Regelung des § 61 ASGG dafür entschieden hat, der möglichsten Raschheit des Rechtsschutzes auf begrenzte Zeit den Vorzug gegenüber der möglichsten Richtigkeitsgewähr zu geben (Schrank aaO 89). Liegt daher bereits ein (vorläufig) verbindliches Urteil über den aufrechten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses vor, ist diese Entscheidung dem im vorliegenden Fall erhobenen Leistungsbegehren zugrunde zu legen, so daß den Voraussetzungen einer Unterbrechung wegen Präjudizialität bis zur formell und materiell rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozeß die verfahrensrechtliche Grundlage entzogen ist.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet.

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