OGH 9ObA326/98a

OGH9ObA326/98a23.12.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter MR Mag. Gerhard Puschner und Mag. Karl Dirschmied als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gerhard P*****, Angestellter, ***** vertreten durch Kindel & Kindel, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei A*****gesmbH i.L., vertreten durch den Kollisionskurator Dr. Alois O*****, Rechtsanwalt, ***** wegen S 561.782,-- sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Juni 1998, GZ 7 Ra 139/98g-82, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21. Jänner 1998, GZ 2 Cga 151/94b-70, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß, der - soweit damit die Nichtigkeitsberufung der klagenden Partei zurückgewiesen wird - als unangefochten von dieser Entscheidung unberührt bleibt, wird im übrigen aufgehoben; dem Berufungsgericht wird aufgetragen, über die Berufung der klagenden Partei neuerlich zu entscheiden.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt mit seiner am 6. 7. 1994 erhobenen Klage von der Beklagten S 561.782,-- sA (Kündigungsentschädigung, anteilige Sonderzahlungen, Abfertigung, Urlaubsentschädigung, rückständige Gehälter). Er sei als Angestellter und Geschäftsführer für die Beklagte tätig gewesen. Da er für die Monate Jänner bis März 1994 kein Gehalt ausgezahlt erhalten habe, habe er sein Dienstverhältnis durch vorzeitigen Austritt beendet. Nachträglich habe er erfahren, daß er entlassen worden sei.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger, der eine Reihe von Entlassungsgründen gesetzt habe (Untreue, Vertrauensunwürdigkeit), sei schon vor seinem Austritt mit Beschluß der Gesellschafterversammlung als Geschäftsführer enthoben und gleichzeitig entlassen worden. Zudem gehe das Unterbleiben von Gehaltszahlungen für Jänner bis März 1994 auf eine Vereinbarung des Klägers mit dem zweiten Geschäftsführer der Beklagten zurück. Ferner wendete die Beklagte Gegenforderungen von insgesamt S 582.326,-- compensando ein, darunter Leasingraten von S 61.412,80 und Instandsetzungskosten von S 19.236,-- betreffend einen PKW, den sich der Kläger durch "untreue Vertretungshandlungen" angeeignet habe sowie S 360.000,-- an nicht abgerechnetem Kilometergeld.

Der Kläger bestritt sowohl das Vorliegen von Entlassungsgründen als auch die Berechtigung der eingewendeten Gegenforderungen.

In der Tagsatzung vom 8. 9. 1995 brachte der Kläger vor, zu 25 % Gesellschafter der Beklagten zu sein und über weitere 25 % der Geschäftsanteile zu verfügen. Er erhebe Anspruch auf die Geschäftsführung. Darüber sei ein Rechtsstreit anhängig.

In der Tagsatzung vom 11. 12. 1996 erklärte der Kläger, auch für die Beklagte - als deren (im Firmenbuch eingetragener) Liquidator - einzuschreiten. Aufgrund eines von ihm (als Kläger) gestellten Antrages wurde in weiterer Folge für die Beklagte der sie seither vertretende Kollisionskurator bestellt.

Mit Urteil vom 12. 1. 1998 erkannte das Erstgericht die Klageforderung als mit S 202.472,63 und die eingewendete Gegenforderung als "mit zumindest S 186.059,13" als zu Recht bestehend und wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger war bei der Beklagten seit 1. 11. 1986 als Angestellter und Geschäftsführer tätig. Mit Gesellschafterbeschluß vom 30. 3. 1994 wurde er als Geschäftsführer enthoben und sein Dienstverhältnis durch Entlassung beendet. Die Entlassung wurde ihm vor dem 8. 4. 1994 mitgeteilt. An diesem Tag erklärte der Kläger seinen Austritt. Der Kläger wurde mit Urteil vom 5. 2. 1997 vom Strafgericht schuldig erkannt, als Geschäftsführer der Beklagten, die als Komplementärin der A*****gesmbH & Co KG fungiert habe, fahrlässig die Zahlungsunfähigkeit der zuletzt genannten Gesellschaft(en) herbeigeführt zu haben, und zwar "in Ansehung der A*****gesmbH im Zeitraum 1. 11. 1991 bis Ende März 1994 ... und in Ansehung der A*****gesmbH & Co KG im Zeitraum Oktober 1993 bis Ende März 1994". Er wurde hiefür wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2 iV mit § 161 Abs 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt.

In den letzten 3 Monaten vor der Entlassung wurde dem Kläger aufgrund einer Stundungsvereinbarung mit dem zweiten Geschäftsführer der Beklagten das vereinbarte Entgelt von S 42.000,-- brutto nicht ausgezahlt, woraus sich eine Forderung von S 79.020,-- netto errechnet. Für die ersten drei Monate des Jahres 1994 wurden ihm auch die aliquoten Sonderzahlungen von S 16.413,50 netto nicht ausgezahlt. Der Kläger hat während der letzten drei Jahre vor der Entlassung keinen Urlaub konsumiert, woraus sich ein Anspruch auf Urlaubsentschädigung von S 44.288,33 netto errechnet.

Am 10. 2. 1994 vereinbarte der Kläger mit der A*****gesmbH & Co KG, daß ihm die unwiderrufliche Benutzung eines geleasten PKW Mercedes und letztlich das Eigentum an diesem Fahrzeug übertragen und die "Firma A*****" sämtliche Kosten für den PKW auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses tragen werde. Nach Ende des Dienstverhältnisses hatte die Beklagte für dieses Fahrzeug Leasingraten von S 61.412,80 und Instandhaltungskosten von S 19.236,-- aufzuwenden. Während der letzten drei Jahre vor Ende des Dienstverhältnisses hatte der Kläger ein monatliches Kilometergeld-Akonto von je S 20.000,--, (insgesamt daher S 360.000,--) bezogen und nicht abgerechnet.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß sich die Entlassung des Klägers ohne Prüfung der von der Beklagten geltend gemachten Entlassungsgründe als berechtigt erweise, weil er "die fahrlässige Krida" sowohl der Beklagten als auch der A*****gesmbH & Co KG verschuldet habe. Trotzdem stünden ihm entlassungsunabhängige Ansprüche in der Höhe von insgesamt S 202.472,63 zu. Die aus dem Titel der Nutzung des PKWs und des Unterbleibens der Abrechnung des Kilometergeldes geltend gemachten Gegenforderungen der Beklagten habe der Kläger nicht bzw nicht substantiiert bestritten. Die Gegenforderungen seien daher zumindest mit S 202.472,73 festzustellen.

Mit Beschluß vom 24. 2. 1998 berichtigte das Erstgericht die im Urteilsspruch vorgenommene Bezifferung der als zu Recht bestehend erkannten Gegenforderung von S 188.059,13 auf S 202.472,63.

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Berufungsgericht die vom Kläger gegen das Ersturteil erhobene Berufung - soweit darin Nichtigkeit geltend gemacht wurde - zurück und hob im übrigen in Stattgebung der Berufung das angefochtene Urteil zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung durch das Erstgericht auf. Dabei sprach es aus, daß gegen den Aufhebungsbeschluß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Mit einem gegen den Berichtigungsbeschluß vom 24. 2. 1998 erhobenen Rekurs wurde die Klägerin auf den Aufhebungsbeschluß verwiesen.

Das Berufungsgericht griff einen vom Kläger erstmals in der Berufung erhobenen Einwand auf, wonach der "Firmenbuchakt FN 113224g" unberücksichtigt geblieben sei, aus dem sich ergebe, daß der Generalversammlungsbeschluß vom 30. 3. 1994 über die Entlassung des Klägers rechtsunwirksam sei. Dabei handle es sich - so das Berufungsgericht - um keine unbeachtliche Neuerung, weil der Buchstand des Firmenbuchs gerichtsnotorisch sei. Das Firmenbuchgericht habe am 20. 9. 1995 entschieden, daß die Löschung des Klägers als Geschäftsführer von amtswegen gelöscht und der Firmenbuchstand wieder hergestellt werde, sodaß der Kläger seit 1986 bis heute Geschäftsführer mit selbständiger Vertretungsbefugnis sei. Außerdem habe das Firmenbuchgericht den Buchstand ua von amtswegen dahin richtig gestellt, daß der Kläger mit einer voll eingezahlten Stammeinlage von S 62.500,-- Gesellschafter sei. Dieser auf § 10 Abs 2 FBG gestützten amtswegigen Entscheidung des Firmenbuchgerichtes liege ein Vergleich zugrunde, aus dem sich ergebe, daß die vom Kläger [vor seiner Abberufung als Geschäftsführer] vorgenommene Abtretung seiner Geschäftsanteile an der Beklagten unwirksam sei. Aus dieser Entscheidung des Firmenbuchgerichtes, der für das vorliegende Verfahren Bindungswirkung zukomme, folge, daß der ohne Mitwirkung des Klägers gefaßte Gesellschafterbeschluß über seine Abberufung als Geschäftsführer unwirksam sei, woraus weiter zu schließen sei, daß auch "die Entlassungswillensbildung" und in weiterer Folge auch "der Entlassungsausspruch" weggefallen seien. Eine klageweise Anfechtung des als nichtig anzusehenden Gesellschafterbeschlusses sei nicht erforderlich. Es könne daher - ohne daß auf die Berufungsgründe einzugehen sei - nicht von einer wirksamen Entlassung ausgegangen werden. Da im übrigen Feststellungen über die Berechtigung des Austritts des Klägers fehlten, müsse das Ersturteil aufgehoben und dem Erstgericht die Ergänzung des Verfahrens aufgetragen werden.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil zur Bindung an Entscheidungen in Firmenbuchsachen und zur Frage, ob "in Registersachen bzw durch Klage zu entscheiden sei", Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.

Gegen diesen Beschluß, und zwar erkennbar nur gegen die Aufhebung des Ersturteils, richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung iS der Bestätigung des Ersturteils abzuändern.

Der Kläger hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Sinne des in seinem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages (Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 4 zu § 471) berechtigt.

Wie auch das Berufungsgericht erkannt hat, hat der (durch einen Rechtsanwalt vertretene) Kläger in erster Instanz die Unwirksamkeit des Entlassungsausspruchs mit keinem Wort geltend gemacht. Sein in der Berufung erstmals in diesem Sinn erhobener Einwand verstößt daher gegen das in § 482 ZPO normierte Neuerungsverbot. Die gegenteilige Meinung des Berufungsgerichtes, wonach keine unbeachtliche Neuerung vorliegt, "weil der Buchstand des öffentlichen Buches (Firmenbuch) gerichtsnotorisch ist", ist unzutreffend.

Vor allem ist dem Berufungsgericht nicht zu folgen, soweit es den Stand des Firmenbuchs als gerichtskundig und damit offenkundig angesehen hat. Wie der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen ZfRV 1996, 195 und 3 Ob 224/97f ausgeführt hat, bedeutet der Umstand, daß ein Register, also vor allem das Firmenbuch und das Grundbuch, öffentlich ist, nur, daß jeder darin Einsicht nehmen und daraus Abschriften erhalten kann (§ 9 Abs 1 HGB; § 7 GBG), er bedeutet aber nicht, daß die dem Register zu entnehmenden Tatsachen allgemein bekannt oder auch nur gerichtskundig sind. Auch die Gerichtskundigkeit erfordert nämlich, daß der Richter die Tatsache kennt, ohne erst in bestimmte Unterlagen Einsicht nehmen zu müssen; andernfalls kann er nämlich nicht als "kundig" angesehen werden (so zum Inhalt des Grundbuchs bereits NZ 1995, 32). Nur dieses Verständnis des § 269 ZPO wird der Vorstellung des Gesetzgebers gerecht, wie sie etwa aus der Bestimmung des § 133 Abs 2 EO hervorgeht. Die darin vorgesehene Verpflichtung zur Vorlage einer Grundbuchsabschrift wäre überflüssig, wenn der Inhalt des Grundbuchs eine offenkundige Tatsache im Sinn des § 269 ZPO wäre. Der in einem obiter dictum vertretenen Ansicht des 10. Senats (10 ObS 239/98i), man werde die Tatsache einer Eintragung im Firmenbuch oder Grundbuch als notorisch ansehen können, ist daher in dieser verallgemeinernden Formulierung nicht zu folgen (3 Ob 224/97f).

Dazu kommt, daß der Firmenbuchstand über die Wirksamkeit der Entlassung eines Geschäftsführers aus dem Angestelltenverhältnis keine Aussagen enthält und daher von vornherein nicht geeignet ist, den erstmals in der Berufung erhobenen Einwand, die Entlassung sei unwirksam, entgegen § 482 ZPO als zulässig zu erachten.

Im Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes kann die Verletzung des Neuerungsverbotes als einer der - nicht taxativ aufgezählten - Rekursgründe geltend gemacht werden (Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 6 zu § 482 mwN). Im hier zu beurteilenden Fall wird die Verletzung des Neuerungsverbotes durch das Berufungsgericht von der Beklagten in ihrem Rekurs zwar nicht ausdrücklich bekämpft. Sie wendet sich aber gegen diesen Einwand und die daraus gezogenen Schlüsse des Berufungsgerichtes, sodaß der Oberste Gerichtshof nicht gehindert ist, den in der Verletzung des Neuerungsverbotes gelegenen Verfahrensmangel, der eine unzutreffende rechtliche Beurteilung der Streitsache zur Folge hatte, aufzugreifen, weil sich dieser Mangel in der bekämpften unrichtigen Lösung einer entscheidungswesentlichen materiell-rechtlichen Frage zum Nachteil der Rekurswerberin auswirkte (1 Ob 30/98p). Dann kann aber nicht unbeachtlich bleiben, daß der Kläger den Einwand der Unwirksamkeit der Entlassung erst im Rechtsmittelverfahren als unzulässige und damit unbeachtliche Neuerung erhoben hat. Auf diesen Einwand ist daher nicht Bedacht zu nehmen. Auf die Ausführungen der Rekurswerberin, daß das Firmenbuch mit seinem in Rede stehenden Beschluß seine Kompetenzen überschritten habe, daß Beschlüsse nach § 10 Abs 2 FBG nur ex nunc wirkten und daß die durch das Firmenbuch beurteilte Vorfrage der Wirksamkeit der Abberufung des Klägers als Geschäftsführer keine Bindungswirkung für die davon zu unterscheidende Frage der Wirksamkeit seiner Entlassung entfalten könne, braucht daher gar nicht eingegangen zu werden.

Ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsauffassung hat das Berufungsgericht die sonstigen vom Kläger in seiner Berufung vorgebrachten Einwände nicht geprüft. Es erweist sich daher als notwendig, den angefochtenen Aufhebungsbeschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung aufzutragen.

Im übrigen wird zu beachten sein, daß der Kläger mit seinem Rekurs gegen die vom Erstgericht vorgenommene Urteilsberichtigung auf den Aufhebungsbeschluß verwiesen wurde. Der Wegfall des Aufhebungsbeschlusses hat daher zur Folge, daß dieser Rekurs zu behandeln sein wird.

Der Vorbehalt der Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

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