Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Arbeitsrechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Mit der vorliegenden Anfechtungsklage begehrt der Kläger die am 14. 2. 1997 ausgesprochene Dienstgeberkündigung für unwirksam zu erklären. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie machte personen- und verhaltensbedingte Gründe für die Kündigung geltend. Es habe immer wieder Beschwerden über die rücksichtslose Fahrweisen und das rüde Verhalten des Klägers gegeben.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren sinngemäß statt.
Es stellte im wesentlichen fest:
Der am 13. 9. 1953 geborene Kläger erlernte den Beruf eines Kfz-Mechanikers, den er auch ausübte. Seit 2. 5. 1984 arbeitete er bei der beklagten Partei als Autobuschauffeur und war immer auf der Linie 80 A eingesetzt. Während seines Beschäftigungsverhältnisses bei der Beklagten erlernte er im zweiten Bildungsweg den Lehrberuf des Berufskraftfahrers. Vor der Kündigung betrug sein monatliches Einkommen zwischen 20.000 S und 21.000 S netto. Der Kläger ist für seine Gattin und zwei Kinder sorgepflichtig, wobei das ältere Kind den Beruf eines Installateurs bereits ausgelernt, aber die Gesellenprüfung noch nicht abgelegt hat. Die Ehegattin des Klägers verdient monatlich als Teilzeitbeschäftigte ca 7.000 S netto. Der Kläger zahlt monatlich 5.600 S an Mietzins; für einen aufgenommenen Kredit sind zweimal jährlich 1.900 S zurückzuzahlen. Die Stromkosten betragen für zwei Monate 1.500 S.
In seinem ausgeübten Beruf als Linienbuslenker muß der Kläger mit einer langen Arbeitslosigkeit, die bis Frühjahr 1998 dauern kann, rechnen. Bis dahin sollte es ihm möglich sein, bei intensiver persönlicher Arbeitsplatzsuche wieder als Buslenker in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Er müßte aber bereit sein, nicht nur in Wien, sondern auch im angrenzenden Niederösterreich und Burgenland zu arbeiten. Die Verdienstmöglichkeiten belaufen sich auf ca S 19.000 bis S 20.000 netto monatlich. Im Rahmen einer maximal sechsmonatigen Dauer der Arbeitslosigkeit müßte es dem Kläger gelingen, als Reisebuschauffeur in den Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden. Dabei müßten allerdings längere Auswärtsaufenthalte und auch zwischenzeitige Zeiten der Arbeitslosigkeit in saisonschwachen Zeiten in Kauf genommen werden, da Betriebe einen Teil der Buschauffeure abmelden und in der Saison wieder anmelden, um Lohnkosten zu sparen. Die Verdienstmöglichkeiten betragen bis zu S 20.000 netto durch sogenannte "attraktive Zulagen". Als qualifizierten Berufskraftfahrer steht für den Kläger auch die gesamte Palette der Berufskraftfahrerbeschäftigungen im Rahmen der Güterbeförderung als Gefahrengutlenker bzw im Fernverkehr mit einer Verdienstmöglichkeit von ca 17.000 S bis 20.000 S netto monatlich zur Verfügung. Auch in diesem Bereich muß der Kläger wie das Erstgericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung feststellte, längere Auswärtsaufenthalte in Kauf nehmen wie auch Zeiten der Arbeitslosigkeit in der "toten Saison". Aber auch im Bereich der sonstigen Arbeitsbedingungen, wie Arbeitszeiten, Arbeitsort, körperliche und psychische Arbeitsbelastung, Sicherheit des Arbeitsplatzes, bestehen gegenüber seinem bisherigen Arbeitsplatz schlechtere Voraussetzungen. Im Reisebusverkehr und auch in anderen Berufskraftfahrersparten ist die Personalfluktuation hoch. Der Kläger müßte sich im Konkurrenzkampf um einen Arbeitsplatz gegenüber Konkurrenten durchsetzen, wobei aber die spezifischen Arbeitsbedingungen wie Auswärtsübernachtungen oder längere Arbeitszeiten in Kauf genommen werden müßten. Sein Qualifikationsprofil ist aufgrund der langen Berufserfahrung, seiner Fachausbildung sowie der Kfz-Mechanikerqualifikation als hochwertig zu beurteilen und müßte sich arbeitsplatzfördernd auswirken, weil sich häufig wesentlich unqualifiziertere Personen als der Kläger bewerben. Auch sein Lebensalter ist nicht entscheidend nachteilhaft bei seiner Arbeitsplatzsuche. Im Touristikbereich sind die Grundgehälter deutlich niedriger als bei der Anstellung im Linienbusverkehr. Buslenker werden außerhalb des Linienverkehrs mit sehr niedrigen Grundgehältern angemeldet und erreichen beinahe die Höhe des Grundgehaltes durch entsprechende Zulagen. Berufskraftfahrer, insbesondere wenn sie so qualifiziert sind wie der Kläger, werden laufend nachgefragt. Bei diesem Beruf müßte der Kläger aber völlig andere und völlig unregelmäßige Arbeitszeiten, längere Auswärtsaufenthalte wie auch das Risiko, nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit bei demselben Unternehmen wieder unterzukommen, in Kauf nehmen. Ungeachtet der Qualifikation als Berufskraftfahrer hat er selbst nur Autobusse, niemals aber LKW gelenkt. Ein Arbeitsplatz als Kfz-Mechaniker wird schwierig zu erlangen sein, weil der Kläger seit vielen Jahren in dieser Branche nicht mehr gearbeitet hat.
Im weiteren traf das Erstgericht Feststellungen über die dem Kläger zur Last gelegten Vorfälle, die aber infolge der nichtbehandelten Mängel- und Beweisrüge in der Berufung noch nicht verfahrensgegenständlich sind.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Kündigung sozial ungerechtfertigt sei. Wenn auch die Verdienstmöglichkeiten des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verhältnismäßig günstig seien, sei doch mit einer längeren Arbeitslosigkeit zu rechnen. Der Wiedereinstieg in den öffentlichen Beförderungsverkehr sei dem Kläger wegen der vielen Mitbewerber und der Einsparungsmaßnahmen der öffentlichen Hand so gut wie verwehrt. Er hätte zwar gute Chancen auf dem freien Arbeitsmarkt, nach längerer Arbeitslosigkeit wieder unterzukommen, jedoch seien die Arbeitsbedingungen ungleich härter zu beurteilen als bisher. Im übrigen verneinte das Erstgericht aufgrund seiner Feststellungen das Vorliegen von personen- oder verhaltensbedingten Gründen nach § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG.
Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil dahingehend ab, daß es das Klagebegehren abwies.
Es führte aus, daß es zu den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens infolge Aktenwidrigkeit sowie der unrichtigen Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung nicht Stellung nehmen müsse, weil bereits die Rechtsrüge berechtigt sei. Unter Berücksichtigung der Berufslaufbahn des Klägers und der im Beruf eines Berufskraftfahrers zu erwartenden Verdienstmöglichkeiten sowie einer maximal sechsmonatigen Dauer der Arbeitslosigkeit bei entsprechender Arbeitsplatzsuche sei eine Sozialwidrigkeit zu Lasten des Klägers nicht gegeben.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Ob wesentliche Interessen des Gekündigten zum Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses beeinträchtigt sind, ist durch eine Prognose über die nach diesem Zeitpunkt aller Voraussicht nach wirksam werdenden Folgen der Kündigung für den Arbeitnehmer zu ermitteln (DRdA 1994/29 [Eypeltauer]; 9 ObA 261/98t). Die Schwankungen im voraussichtlichen Einkommen bei allen für den Kläger in Frage kommenden Arbeitsplatzvarianten als Linienbuschauffeur, Reisebuschauffeur oder im Güterbeförderungsgewerbe bewegen sich im zumutbaren Ausmaß. Nach der Rechtsprechung rechtfertigt aber schon der Verlust eines wesentlichen Vorteils aus dem Arbeitsverhältnis den Schutz des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG (Arb 9599; 9 ObA 348/97k). Es ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen.
Die vom Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgehende Prognose (Arb 10.771) zeigt eine Langzeitarbeitslosigkeit von rund einem Jahr beim Beruf als Linienbuslenker, wobei auch dann weder ein so sicherer Arbeitsplatz wie bisher noch ein in den Arbeitsbedingungen gleichwertiges Betätigungsfeld erlangt werden kann. Der Beruf des Reisebuslenkers bringt zwar "nur" eine maximal sechsmonatige Dauer der Arbeitslosigkeit, jedoch besteht der gravierende Nachteil vor allem in den, die wirtschaftliche Existenz beeinträchtigenden Zeiten der Arbeitslosigkeit in saisonschwachen Zeiten, so daß auch hier abgesehen von den weitaus härteren Arbeitsbedingungen von keinem auch nur einigermaßen mit dem bisherigen Beruf vergleichbaren Arbeitsplatz gesprochen werden kann.
Was den Berufskraftfahrer betrifft, der zwar laufend nachgefragt wird - was dies auch immer bedeuten mag - und der vom Berufsausbildungsprofil des Klägers umfaßt wird, obwohl er in der Praxis nie LKW gefahren ist, so ergibt sich im Zusammenhang mit den auch in der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes enthaltenen Feststellungen, daß die Arbeitsbedingungen gegenüber den bisherigen wesentlich schlechter sind. Nicht nur wegen der unregelmäßigen Arbeitszeiten mit längeren Auslandsaufenthalten, sondern vor allem dadurch, daß der Kläger auch in diesem Bereich mit Arbeitslosenzeiten in der "toten Saison" rechnen und das Risiko in Kauf nehmen muß, ob er nach dieser Zeit der Arbeitslosigkeit wieder beschäftigt wird. Gerade die Unsicherheiten durch die saisonale Arbeitslosigkeit bei diesem Beruf und daher die Unmöglichkeit mit einem durchgehenden Arbeitsverhältnis mit im wesentlichen gleichbleibendem Einkommen rechnen zu können, sind Umstände, die die Interessen des Klägers wesentlich berühren. Dazu kommen noch die sonstigen erheblichen Nachteile in den Arbeitsbedingungen, so daß auch dieser Beruf keinen vergleichbaren Arbeitsplatz gewährleistet.
Im Gegensatz zur Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes ist sohin dem Erstgericht beizupflichten, daß die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, so daß die Prüfung der von der beklagten Partei eingewendeten personen- und verhaltensbedingten Gründe als Ausnahmetatbestand von entscheidender Bedeutung ist (Arb 10.771, 10.874).
Da das Berufungsgericht den von der beklagten Partei in der Berufung geltend gemachten Berufungsgrund der Aktenwidrigkeit dahingestellt ließ und sich auch mit dem der unrichtigen Beweiswürdigung nicht beschäftigte, können die vom Erstgericht hiezu getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden. Es kann daher auch noch keine Abwägung der beeinträchtigten wesentlichen Interessen des Klägers mit den Interessen des Betriebes vorgenommen werden (Arb 10.874 ua).
Dies mußte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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