Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.172,20 S (darin 1.028,70 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war seit 1. September 1986 bei der Beklagten als Handelsreisender mit dem Reisegebiet Bezirk Liezen, Murau, Judenburg, Knittelfeld und westlicher Teil Leoben beschäftigt. Er hatte Bestellungen zu vermitteln, aber kein Abschlußrecht. Er war auch nicht berechtigt, den Kunden andere als in seiner Preisliste angegebene Preise einzuräumen. Er bezog ein monatliches Fixum von zuletzt 4.675 S brutto und Erfolgsprovisonen. In seinem Dienstvertrag war die Abgeltung der Reisekosten abweichend vom Kollektivvertrag für Handelsangestellte (kurz KV) geregelt. Er hatte ein vorgegebenes Umsatzsoll zu erfüllen. Mit Schreiben der Beklagten vom 8. Februar 1988 wurde er entlassen.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger eine Kündigungsentschädigung von 42.048 S, anteilige Sonderzahlungen von
1.862 S, eine Urlaubsentschädigung von 22.955,70 S, eine Erfolgsprämie von 4.920 S und eine Reiseaufwandsentschädigungsdifferenz von 53.161 S. Seine Entlassung sei ungerechtfertigt erfolgt, da ihm keine Entlassungsgründe im Sinne des § 27 AngG anzulasten seien. Die Vereinbarung von Reisekosten sei ungünstiger gewesen als die in Art. XV des KV vorgesehene. Er habe daher Anspruch auf eine Reisekostendifferenz für 1986 in Höhe von 13.802 S, für 1987 in Höhe von 36.119 S und für 1988 in Höhe von 3.240 S.
Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Die Entlassung des Klägers sei begründet erfolgt. Der Kläger habe Kundenbestellungen nachträglich abgeändert, ständig Mehrlieferungen veranlaßt, unhaltbare Zusagen gemacht und sich geweigert, Retourware mitzunehmen. Diese Unregelmäßigkeiten habe er trotz mehrerer Ermahnungen fortgesetzt. Dadurch sei die Beklagte ständigen Reklamationen ausgesetzt gewesen und habe schwerwiegende Geschäftseinbußen erlitten. Nach dem Ausscheiden des Klägers habe sich herausgestellt, daß der Kläger eine ihm übergebene Bohrmaschine privat verkauft habe. Hinsichtlich der Reisekosten sei eine nach dem Kollektivvertrag zulässige vertragliche Regelung getroffen worden. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Betrag von 115.222,48 S sA statt und wies das Mehrbegehren von 9.724,22 S sA ab. Es traf folgende für das Revisionsverfahren noch wesentliche Feststellungen:
Im Februar 1987 bestellte die Firma B*** in Knittelfeld beim Kläger Bohrer in einer Überlänge, welche die Beklagte nicht in ihrem Lieferprogramm hatte. Der Kläger vermerkte im Auftrag lediglich die DIN-Nummer, nicht aber die Länge, so daß zwar Bohrer entsprechend der DIN-Nummer, aber kürzeren Ausmaßes geliefert wurden. Auf Grund einer Beschwerde der Firma B*** wurde der Kläger schriftlich beauftragt, die Angelegenheit zu klären. Der Kläger fuhr zur Firma B*** und nahm die beanstandeten Bohrer zurück.
Im April 1987 nahm der Kläger bei der Firma S***, W*** & Co eine Bestellung für sechs Silikon transparent, drei Silikon braun und drei Silikon weiß entgegen. Er änderte diese Bestellung nachträglich auf die doppelte Menge, da die Bestellerin bei dieser Menge einen Aktionspreis erhalten hätte. Der Kläger teilte zwar die nachträgliche (eigenmächtige) Änderung der Bestellung dem Einkäufer der Firma S*** mit, doch beanstandete die Firma S*** die Lieferung dieser Menge bei der Beklagten.
Ebenfalls im April 1987 beschwerte sich die Firma Al-Ko K*** bei der Beklagten, daß der Kläger ein Zink-Spray gratis zur Probe versprochen habe, daß aber 12 Stück Zink-Spray gegen Verrechnung geliefert worden seien.
Am 13. April 1987 erteilte die Firma T*** in Seckau dem Kläger einen Auftrag über 1000 Kartuschen Fugendichtmasse, die je zur Hälfte sofort und in der zweiten Juliwoche geliefert werden sollten. Da die Firma T*** bis Juli 1987 die erste Lieferung noch nicht verbraucht und keinen Lagerplatz für die weiteren 500 Kartuschen hatte, stornierte die Beklagte die zweite Teillieferung und erteilte am 20. Juli 1987 eine Gutschrift über
14.868 S.
Mit Schreiben an den Kläger vom 16. April 1987 nahm die Beklagte auf die Beschwerdefälle der Firma S*** und Firma Al-Ko K*** Bezug und führte aus, daß Fehler ähnlicher Art bereits besprochen worden seien. Bei einer Wiederholung (dieser Verkaufspraktiken) könne der Kläger sicher sein, daß ein Schreiben dieser Art einen anderen Inhalt habe.
Am 18. Juni 1987 wurde der Kläger von der Firma M*** in Knittelfeld um die Bekanntgabe der Preise für verschiedene Schrauben ersucht. Der Kläger gab die Preise bekannt und M*** teilte dem Kläger die Anzahl der von ihm benötigten Stücke mit. Der Kläger nahm diese Mitteilung als "Sonderbestellung" über 1.200 große Schrauben entgegen, die bei der Beklagten nicht im Lager waren. Nachdem die Beklagte die beschleunigte Lieferung der Schrauben veranlaßt hatte, reklamierte die Firma M***, daß es sich nicht um eine Bestellung, sondern lediglich um eine Preisanfrage gehandelt habe. Die Beklagte nahm den Großteil der Waren wieder zurück. Mit Schreiben vom 14. Juli 1987 an den Kläger stellte der Geschäftsführer der Beklagten fest, daß alle Gespräche und das Schreiben vom 16. April fruchtlos gewesen seien, da es noch immer Probleme des Klägers mit Kunden gebe. Der Geschäftsführer verwies auf die Fälle der Firma M*** und der Firma T***, die vom Kläger mit 500 Kartuschen Fugendichtmasse "beglückt" worden sei, obgleich die Ware angeblich nur auf Abruf abgenommen werden sollte. Für den Fall, daß weitere Vorfälle ähnlicher Art bekannt würden, müsse der Kläger mit einer Entlassung rechnen. Die Beklagte zog dem Kläger die infolge des Rücktransportes der Kartuschen aufgelaufenen Frachtkosten von 1.368 S von seinem Juligehalt ab.
Am 25. Jänner 1988 nahm der Kläger einen Auftrag über die Lieferung eines Regalsystems des Elektrohändlers Ing. O*** in Knittelfeld entgegen, wobei er die für das System erforderlichen Fachböden nicht anführte. Der Sachbearbeiter der Beklagten, B***, gab den Auftrag zurück und ersuchte den Kläger, ihn mit dem Kunden neu zu besprechen. Der Kläger hielt Rücksprache mit der Gattin des Ing. O*** und schrieb den Auftrag am 27. Jänner 1988 unter Berücksichtigung der Fachböden neu. Dadurch wurde die Auftragssumme um einige 1.000 S höher. Da der Auftrag ohne das Einverständnis des Ing. O*** geändert worden war, stornierte dieser die Bestellung und brach seine vom Kläger initiierte Geschäftsverbindung mit der Beklagten ab.
Der Verkaufsleiter der Beklagten, L***, informierte am 8. Februar 1988 den Geschäftsführer von den Vorgängen um den Auftrag Ing. O***. Der Geschäftsführer nahm diese Stornierung zum Anlaß der sofortigen Entlassung des Klägers. Nach der Entlassung stellte sich bei Überprüfung des vom Kläger übernommenen Handlagers heraus, daß der Kläger kurz vor Weihnachten 1987 eine Bohrmaschine privat ohne Beleg und ohne Meldung an die Beklagte verkauft hatte. Die Beklagte zog ihm dafür einen Betrag von 1.718 S bei der Endabrechnung ab. Der Kläger erhielt für seine Dienstreisen entsprechend der Vereinbarung im Anstellungsvertrag insgesamt 56.824,50 S. Nach Art. XV des KV wäre ihm für diese Zeit eine Reiseaufwandsentschädigung in Höhe von 100.261,28 S zugestanden. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Kläger zwar seine Dienste nicht zur vollen Zufriedenheit der Beklagten versehen habe, daß seine Fehler aber nicht so schwerwiegend seien, um eine Entlassung nach § 27 Z 1 AngG zu rechtfertigen. Er habe daher Anspruch auf die begehrte Kündigungsentschädigung samt Sonderzahlungen und die Urlaubsentschädigung.
Gemäß § 3 Abs 1 ArbVG seien Sondervereinbarungen in Kollektivverträgen nur gültig, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger oder Angelegenheiten betreffen, die im Kollektivvertrag nicht geregelt seien. Die Bestimmung des Art. XV Z 1 des KV beziehe sich auf eine einzelvertragliche Regelung, die den Arbeitnehmer ungünstiger stelle als die kollektivvertragliche Regelung und sei daher nichtig. Dem Kläger gebühre eine Reisekostendifferenz in Höhe von 43.436,78 S.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Kläger lediglich einen Betrag von 17.595,45 S (Urlaubsentschädigung und Erlaubsabfindung sowie die begehrte Erfolgsprämie) zusprach und sein Mehrbegehren von 107.351,25 S sA abwies. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß der Kläger durch sein Verhalten den Entlassungsgrund nach § 27 Z 1 AngG verwirklicht habe. Der Kläger habe eine Reihe von Verfehlungen begangen, die alle auf derselben Ebene lägen. Er habe wiederholt versucht, Aufträge nach oben abzuändern in der Hoffnung, die Kunden würden die Abänderung akzeptieren. Die Beklagte habe ihn, da er im Außendienst tätig gewesen sei, nicht hinreichend überwachen und kontrollieren können. Der Kläger habe das Vertrauen der Beklagten immer wieder mißbraucht und trotz zweier schriftlicher Ermahnungen mit Entlassungsdrohung den geschäftlichen Ruf der Beklagten gefährdet. Auch wenn die Verfehlungen des Klägers, abgesehen vom Anlaßfall, im einzelnen nicht so schwerwiegend gewesen seien, seien die Verkaufspraktiken durch ihre Massierung für die Beklagte unzumutbar geworden. Es stünden dem Kläger daher weder die entlassungsabhängigen Ansprüche zu noch die Reisekostendifferenz, da die im Kollektivvertrag vorgesehene Reisekostenentschädigung abbedungen werden dürfe, so daß sich die Normwirkung des Kollektivvertrags nicht auf die Diäten betreffende Einzelvereinbarung erstrecke.
Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern.
Die Beklagte beantragte, ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
Zur Verwirklichung des Tatbestandes der Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 AngG, dritter Tatbestand, reicht auch ein fahrlässiges Verhalten des Angestellten aus, sofern es dem Arbeitgeber objektiv die Weiterbeschäftigung unzumutbar macht. Das Vertrauen des Arbeitgebers kann bei wiederholten Verfehlungen auch schrittweise verlorengehen. Entscheidend ist, ob infolge des Verhaltens des Arbeitnehmers vom Standpunkt vernünftigen, dienstlichen und geschäftlichen Ermessens für den Arbeitgeber eine objektiv gerechtfertigte Befürchtung besteht, daß seine Interessen und Belange durch den Arbeitnehmer gefährdet sind (vgl. Kuderna, Das Entlassungsrecht 88 ff; Schwarz-Löschnigg Arbeitsrecht4 446;
Martinek-Schwarz, AngG6 604 ff; Jabornegg in ZAS 1989, 198 f;
Arb. 9.091, 10.017, 10.614; RdW 1988, 205; SZ 58/95; I*** 1988 A 115 uva).
Auch wenn einige der festgestellten Vorfälle für sich allein nicht die Intensität eines Entlassungsgrundes aufweisen, waren sie in ihrer Gesamtheit und in ihrer Wiederholung geeignet, die Vertrauensunwürdigkeit des Klägers zu begründen. So können etwa die Vorfälle um die Bestellungen der Firmen T*** und M*** zugunsten des Klägers noch als Mißverständnisse gewertet werden, wie es auch vorkommen kann, daß - wie etwa bei der Firma B*** - ein Auftrag unrichtig festgehalten wird. Die Beklagte mahnte aber mehrmals eine korrekte Vorgangsweise ein, so daß es keinesfalls zu eigenmächtigen Abänderungen von Bestellungen mehr hätte kommen dürfen. Im Beschwerdefall der Firma S*** änderte der Kläger die Bestellung auf die doppelte Menge, die Firma Al-Ko K*** beschwerte sich über die Lieferung unbestellter Waren und Ing. O*** machte der Kläger ein offenbar preisgünstiges Angebot, das er in der Folge ohne Einwilligung des Bestellers durch die Hineinnahme der für das Regelsystem erforderlichen Fachböden entsprechend erhöhte. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, konnte eine bloße Rücksprache mit der Gattin des Firmeninhabers die Einwilligung des Bestellers nicht ersetzen. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers ist es auch nicht ohne Belang, daß er Monate vor der Entlassung eine Bohrmaschine ohne Beleg und ohne Verständigung der Beklagten privat verkaufte. Es ist objektiv einsichtig, daß die Beklagte für ihren Ruf fürchten mußte und ihr eine Weiterbeschäftigung des Klägers, der eben wegen solcher Vorfälle unter Entlassungsdrohung verwarnt worden war, nicht mehr zumutbar war. Von einer bloßen Unzufriedenheit der Kunden und zu vernachlässigenden Ordnungswidrigkeiten, wie der Revisionswerber meint, kann keine Rede sein.
Aber auch die Reisekostendifferenz steht dem Kläger nicht zu. Nach Art. XV Z 1 des anzuwendenden KV (nunmehr Art. XIII Z 1) finden die Bestimmungen über die Reisekosten- und Reiseaufwandsentschädigung unter anderem dann keine Anwendung, wenn diese Kosten und Aufwendungen einzelvertraglich geregelt wurden. Wie Mayer-Maly zur zwingenden Wirkung von Kollektivverträgen ausführt (Mayer-Maly/Marhold, Österreichisches Arbeitsrecht I 22), ist es strittig, ob Bestimmungen eines Kollektivvertrages oder einer Betriebsvereinbarung der Privatautonomie dadurch größeren Spielraum einräumen können, daß sie sich selbst nur dispositive, also nachgiebige Wirkung beilegen. Tomandl (FS Floretta, 1983, 639 ff) trage im Hinblick auf kollektivvertragliche Regelungen gute Gründe für die Zulassung solcher Selbstbeschränkung der kollektiven Rechtssetzung vor. Nach Tomandl (vgl. auch Arbeistrecht2 I 118) steht es den Kollektivvertragsparteien frei, Inhaltsnormen lediglich dispositive Wirkung zu verleihen. Der Wortlaut des Arbeitsverfassungsgesetzes, insbesondere § 3 Abs 1, wie auch sein systematischer Aufbau, schließe diese Möglichkeit nicht aus. Wenn es den Kollektivvertragsparteien freistehe, bestimmte Materien ungeregelt zu lassen und auf diese Weise der Betriebsvereinbarung und dem Arbeitsvertrag die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen völlig frei zu geben, sei nicht einzusehen, warum sie Inhaltsnormen nicht auch nachgiebig gestalten können sollten (FS Floretta 650; in diesem Sinn auch DRdA 1979, 131, mit Kritik von Firlei; WBl. 1989, 191 mit Kritik von Grillberger). Die Revisionsausführungen bieten keinen Anlaß, von dieser Rechtsansicht abzugehen.
Für den Revisionswerber wäre aber auch nichts gewonnen, wenn man im Sinne der überwiegenden Lehre (für alle Jabornegg in FS Strasser, 1983, 367 ff, 384 mwH) davon ausgeht, daß kollektivvertragliche Regelungen, die ihren Bestimmungen nur dispositive Wirkung beimessen, wegen Verstoßes gegen absolut zwingendes Recht nichtig sind. In diesem Fall wäre der Kollektivvertrag in seinem Art. XV (nunmehr Art. XIII), da er auch ohne diese Bestimmung denkbar ist (Strasser, Arbeitsrecht2 II 97), im gesamten Umfang von Teilnichtigkeit betroffen, so daß sich der Kläger nicht auf die darin enthaltenen Regelungen stützen könnte. Der Ansicht des Revisionswerbers, lediglich die Z 1 des Art. XV des KV sei teilnichtig, steht entgegen, daß die Kollektivvertragsparteien eben keine zwingende Regelung treffen wollten und daher die gesamte Kollektivvertragsbestimmung nichtig sein müßte.
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)