OGH 9ObA249/01k

OGH9ObA249/01k10.10.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Manfred E*****, vertreten durch Dr. Georg Grießer ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei R***** GenmbH, ***** vertreten durch Dr. Peter Hajek, Rechtsanwalt in Eisenstadt, wegen S 460.045,70 netto sA, über den Revisionsrekurs (Rekursinteresse S 456.547,31) der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. Jänner 2001, GZ 8 Ra 367/00z-34, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. November 2000, GZ 24 Cga 27/99h-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen, welche im Kostenpunkt unberührt bleiben, zu lauten haben:

"Der klagenden Partei wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. August 2000, GZ 8 Ra 177/00h-21, bewilligt."

Dem Erstgericht wird die Vorgangsweise nach § 507 Abs 2 ZPO aufgetragen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsrekursverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt die Zuerkennung von S 460.045,70 netto sA aus dem Titel der Abfertigung sowie einer restlichen Urlaubsentschädigung und wurde sowohl im Verfahren erster als auch zweiter Instanz durch Helmut S*****, Rechtsschutzsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten (im Sinne des § 40 Abs 1 Z 2 ASGG qualifiziert), vertreten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren nur hinsichtlich eines Teilbetrages von S 3.498,39 netto sA statt und wies das restliche Begehren über S 456.547,31 netto sA ab. Mit Urteil vom 3. August 2000, ON 21, gab das Berufungsgericht der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung nicht Folge. Das Berufungsurteil wurde am 24. 8. 2000 von Petra G*****, einer Angestellten des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, übernommen. Sie betreut die Posteingangsstelle und ist dafür zuständig, Rückscheinbriefe für die einzelnen Abteilungen zu übernehmen. Wenn ein solcher Rückscheinbrief von ihr übernommen wird, ruft sie bei der jeweiligen Abteilung (im jeweiligen Sekretariat) an und teilt mit, dass ein Schreiben abzuholen sei. Auch im vorliegenden Fall rief sie noch am selben Tag im Sekretariat an, welches aus sechs Personen besteht und welchem auch der Vertreter des Klägers angehört. Sie konnte jedoch niemanden erreichen, weil sich drei Personen auf Urlaub und drei weitere im Außendienst befanden. Am nächsten Tag, dem 25. 8. 2000, informierte Petra G***** den Klagevertreter davon, dass etwas in seinem Fach liege. Dieser fragte sie, ob der Brief am 25. 8. 2000 gekommen sei, was sie bejahte. Der Klagevertreter vermerkte daraufhin selbst handschriftlich als Eingangsdatum "25. 8. 00" auf der Urteilsausfertigung. In der Folge wurde ein Rechtsanwalt mit der Einbringung der Revision betraut. Diesem gab der bisher als Vertreter aufgetretene Rechtsschutzsekretär Helmut S***** den 25. 8. 2000 als Zustelldatum bekannt. Ausgehend von dieser Information gab der jetzige Klagevertreter die Revision erst am 22. 9. 2000, somit einen Tag verspätet, zur Post. Das Erstgericht wies die Revision als verspätet zurück.

Der Kläger beantragte die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die Vorgangsweise an der Dienststelle des früheren Klagevertreters fehlorganisiert und die Versäumung von Fristen wahrscheinlich sei. Wenngleich weder dem früheren Klagevertreter noch der in der Posteingangsstelle beschäftigten Angestellten jemals ein derartiger Fehler widerfahren sei, müsse sich der frühere Vertreter vorwerfen lassen, dass er seiner Überwachungs- und Kontrollpflicht nicht nachgekommen sei. Er hätte während der Abwesenheit von Personen des Sekretariates, welchem er selbst angehöre, mit fristauslösenden Zustellungen rechnen und entsprechend Vorsorge treffen müssen. Es wäre für ein ein Leichtes gewesen, einen Blick auf das Kuvert zu werfen und dadurch die Versäumung der Revisionsfrist zu verhindern. Der Kläger müsse sich das Verhalten seines Vertreters als eigenes anrechnen lassen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und vertrat überdies die Rechtsauffassung, dass der frühere Vertreter des Klägers als Rechtskundiger zu werten sei, bei welchem ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab anzulegen sei. Die unzureichende Überwachung von Fristen sei als grobes Verschulden zu werten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der klagenden Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist - entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichtes, welcher als nicht beigesetzt zu gelten hat - gemäß § 47 Abs 2 iVm § 46 Abs 3 Z 1 ASGG jedenfalls zulässig; er ist auch berechtigt.

Zwischen den Parteien ist strittig, ob die vom Kläger ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses insofern einem Anspruch auf Abfertigung nicht schädlich war, als sich der Kläger auf einen Austrittsgrund berufen konnte und dies auch ausreichend deutlich machte. Somit war die Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses strittig (§ 46 Abs 3 Z 1 erster Fall ASGG).

Gemäß § 146 Abs 1 letzter Satz ZPO hindert der Umstand, dass einer Partei ein Verschulden an der Versäumung einer Frist zur Last liegt, die Bewilligung der Wiedereinsetzung dann nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Zunächst ist der Ansicht des Rekurswerbers entgegenzutreten, dass es sich bei der mit der Leitung der Posteingangsstelle betrauten Person um eine "Dritte" handle, deren Verhalten sich der Kläger keinesfalls als eigenes anrechnen lassen müsse. Es sei diesbezüglich auf die ständige Rechtsprechung betreffend Rechtsanwaltsgehilfen (siehe Gitschthaler in Rechberger ZPO2 Rz 17 zu § 146) verwiesen. Dem Argument des Klägers, dass diese Angestellte seinem früheren Vertreter nicht direkt untergeordnet gewesen sei, ist entgegenzuhalten, dass auch in größeren Rechtsanwaltskanzleien (Regiegemeinschaften) Kanzleibedienstete nicht zwangsläufig bei jedem einzelnen Rechtsanwalt angestellt sein müssen. Zutreffend hat das Rekursgericht auch darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung (9 ObA 297/00t = ASok 2001, 304) bei qualifizierten Personen im Sinne des § 40 Abs 1 Z 2 ASGG jener erhöhte Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist, welcher üblicherweise bei rechtskundigen Vertretern Anwendung findet. Aber auch unter diesem Blickwinkel ist weder das Verhalten der mit dem Posteingang betrauten Angestellten noch dasjenige des früheren Vertreters des Klägers als grobes Verschulden zu beurteilen. Nach den Feststellungen ist es vor dem Anlassfall noch nie dazu gekommen, dass bei vorübergehender Nichterreichbarkeit des Sekretariats der für die Bearbeitung eines einlangenden Poststückes letztlich zuständige Referent von der Posteingangsstelle eine falsche Auskunft über den Zeitpunkt des Einlangens erhalten hätte. Demzufolge war der frühere Vertreter des Klägers auch nicht gehalten, einen bisher nicht auffälligen Mangel im Organisationsablauf abzustellen bzw bei seinem Dienstgeber für dessen Abstellung Sorge zu tragen. Dazu kommt weiters, dass das Erstgericht gar nicht feststellen konnte, dass der nur im Durchschreibeverfahren hergestellte Posteingangsvermerk auf dem Kuvert ausreichend erkennbar war und daher dem früheren Klagevertreter hätte auffallen müssen.

Wenngleich die Aufdeckung des Organisationsmangels künftige Fristversäumnisse nicht mehr rechtfertigen kann, ist doch der Anlassfall so zu beurteilen, dass der Grad des Versehens der hier beteiligten Personen als noch geringfügig einzustufen ist.

Unabhängig von der Abänderung in der Sache selbst haben die Entscheidungen der Vorinstanzen im Kostenpunkt weiter Bestand:

Während der Wiedereinsetzungswerber nämlich die Kosten seines Antrags und auch jene eines erfolgreichen Rekurses im Wiedereinsetzungsverfahren (- somit auch diejenigen des Revisionsrekurses -) selbst zu tragen hat, muss er dem - selbst unterlegenen - Gegner die Kosten einer schriftlichen Stellungnahme dann ersetzen, wenn diese über gerichtliche Aufforderung erstattet wurde (Gitschthaler aaO Rz 4 zu § 154). Die Sachentscheidung berührt somit die Frage des Kostenersatzes nicht.

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