OGH 9ObA195/87

OGH9ObA195/8727.1.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Müller und Dr. Gerhard Dengscherz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Werner B***, Angestellter, Wien 3, Rennweg 84/15, vertreten durch Dr. Gunther Gahleitner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei AKV-A***

K*** FÜR K*** UND B***

Schutzgemeinschaft für Handel Gewerbe und Industrie, Wien 4., Schleifmühlgasse 2, vertreten durch Dr. Wolfgang Waldeck und Dr. Hubert Hasenauer, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 53.663,77 sA (Revisionsstreitwert S 52.903,04 sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Juli 1987, GZ 32 Ra 1019/87-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 26. Juni 1986, GZ 4 Cr 1550/84-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.597,35 (darin S 308,85 Umsatzsteuer und S 1.200,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 16. Mai 1980 Angestellter der beklagten Partei. Er hatte die Aufgabe, die täglich einlaufenden Unterlagen über Insolvenzfälle in der Druckerei sofort abzuziehen, damit diese Unterlagen nach Bearbeitung durch die Insolvenzabteilung noch am selben Tag an die Gläubiger verschickt werden konnten. Am 5. Juni 1984 wurde der Kläger wegen Fernbleibens von der Arbeit entlassen.

Mit der Behauptung, die Entlassung sei zu Unrecht erfolgt, weil er gesundheitliche Probleme gehabt und einen Arzt aufsuchen habe wollen, begehrte der Kläger von der beklagten Partei S 28.224,20 an Kündigungsentschädigung, S 16.464,10 an Abfertigung und S 4.704,02 an anteiligen Sonderzahlungen. Überdies machte er einen Anspruch auf Überstundenentgelt in Höhe von S 760,73 und auf eine bisher nicht berücksichtigte kollektivvertragliche Lohnerhöhung von S 3.510,71 geltend.

Die beklagte Partei beantragte, die Klage abzuweisen. Der Kläger sei wiederholt erheblich alkoholisiert zur Arbeit erschienen und sei deshalb verwarnt worden. Am 4. Juni 1984 habe er den Betrieb vorzeitig verlassen und sei auch am nächsten Tag unentschuldigt nicht mehr gekommen. Da sich der Kläger nicht krank gemeldet habe, sei die am 5. Juni 1984 ausgesprochene Entlassung gerechtfertigt erfolgt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich eines Teilbetrages von S 760,73 sA (Überstundenentgelt) statt und wies das Mehrbegehren von S 52.903,04 sA ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Sowohl der für die Druckerei zuständige Organisationsreferent Dipl.Ing. Roland K*** als auch die Chefsekretärin Helga D*** hatten beim Kläger wiederholt eine deutliche "Alkoholfahne" wahrgenommen. Anfang des Jahres 1984 kam der Kläger "total betrunken" zur Arbeit; er schwankte und war nicht arbeitsfähig. Dipl.Ing. K***, der den Kläger wegen Alkoholisierung schon oft zur Rede gestellt hatte, schickte ihn nach Hause. Am nächsten Tag verwarnte er den Kläger dahin, daß er im Falle einer Wiederholung mit der Entlassung zu rechnen habe.

Am Nachmittag des 4. Juni 1984 suchte die Leiterin der Insolvenzabteilung, Martha M***, den Kläger eineinhalb bis zwei Stunden vergeblich in der Druckerei. Als sie den Kläger um etwa 15.00 Uhr dort antraf, erklärte dieser, er sei "auf einen Mokka" gewesen. Der Kläger roch allerdings deutlich nach Alkohol. Martha M*** machte ihn aufmerksam, daß die Gerichtsunterlagen noch nicht gedruckt seien und die Insolvenzabteilung dringend auf die Unterlagen warte. Als sie eine halbe Stunde später wieder in die Druckerei kam, erfuhr sie, daß der Kläger vor einer halben Stunde den Betrieb verlassen habe. Sie verständigte die Direktion und versuchte, den Kläger telefonisch zu Hause zu erreichen. Ihre Bemühungen waren jedoch erfolglos.

Am 5. Juni 1984 erschien der Kläger nicht zur Arbeit. Er meldete sich weder krank noch setzte er sich sonst mit der beklagten Partei in Verbindung. Die Leiterin der Insolvenzabteilung versuchte wiederum, sich mit dem Kläger zu Hause telefonisch in Verbindung zu setzen. Da ihr dies nicht gelang, erklärte die beklagte Partei den Kläger wegen seines Verhaltens vom 4. Juni 1984 schriftlich für entlassen.

Der Kläger hatte weder am 4. noch am 5. Juni 1984 einen Arzt aufgesucht. Er war auch für die Zeit ab 4. Juni 1984 nicht krank gemeldet. Er ließ lediglich am 7. Juni 1984 im Röntgeninstitut der Wiener Gebietskrankenkasse einen Röntgenbefund erstellen. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der Kläger durch seine Alkoholisierung am Arbeitsplatz wiederholt pflichtwidrig gehandelt habe. Er sei verwarnt und aufgefordert worden, dringende Arbeiten zu erledigen. Dennoch habe er sich beharrlich geweigert, seine Arbeit zu leisten und am 4. Juni 1984 den Betrieb verlassen. Seine Entlassung sei aus dem Grunde des § 27 Z 4 AngG berechtigt gewesen. Entlassungsunabhängig stehe ihm lediglich das verlangte Überstundenentgelt zu. Hinsichtlich der angeblichen Nichtberücksichtigung kollektivvertraglicher Lohnerhöhungen habe der Kläger trotz zweimaliger Aufforderung und Erörterung nichts Konkretes vorbringen können.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es übernahm im wesentlichen die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat die Rechtsauffassung, daß es nicht darauf ankomme, ob sich der Kläger beharrlich geweigert habe, seine Arbeit zu leisten. Nach § 27 Z 4, erster Tatbestand AngG genüge es für die Berechtigung zur Entlassung, daß der Kläger während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Arbeitsleistung unterlassen habe. Dies treffe jedenfalls zu. Andererseits habe der Kläger den ihm obliegenden Beweis des Vorliegens eines rechtmäßigen Hinderungsgrundes nicht erbracht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Entgegen den Ausführungen zur Mängelrüge ist das Berufungsgericht auf die in der Berufung geltend gemachten Mängel des Verfahrens erster Instanz eingegangen und hat ein Vorliegen solcher Mängel zutreffend verneint. Der Kläger war nicht nur in der Lage, eine Krankenstandsbestätigung für den 4. und 5. Juni 1984 vorzulegen, sondern hat nicht einmal behauptet, zu dieser Zeit einen Arzt aufgesucht zu haben. Auch zur Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens über die Wirkung von "Dämpfen in der Druckerei" nahm das Berufungsgericht dahin Stellung, daß keinerlei Hinweise vorlägen, daß dadurch eine solche massive Gesundheitsbeeinträchtigung erklärt werden könne. Es ist dazu auf die Beweiswürdigung des Erstgerichtes zu verweisen, wonach weder solche Dämpfe noch die vom Kläger genannten Medikamente geeignet gewesen wären, die wiederholt festgestellten "Alkoholfahnen" des Klägers zu begründen. Soweit der Revisionswerber darlegt, das Berufungsgericht hätte auf Grund dieser Beweismittel und anderer aufgenommenen Beweise zu anderen Feststellungen gelangen müssen, bekämpft er daher im Ergebnis in unzulässiger Weise nur die Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes.

Auch wenn das Berufungsgericht in seinen Erwägungen zur Berufung die Wahrscheinlichkeit eines Krankenstandes der festgestellten Alkoholisierung gegenüberstellte, ändert dies nichts daran, daß auch das Berufungsgericht davon ausging, daß der Kläger am 4. Juni 1984 den Betrieb "mit den Anzeichen einer erheblichen Alkoholisierung" verlassen habe, weshalb sich die Annahme, der Krankenstand sei vom Kläger nur als Bemäntelung vorgetäuscht worden, nicht von der Hand weisen lasse. Als weitere Indizien, die gegen einen Krankenstand des Klägers sprachen, führte das Berufungsgericht weiters an, daß sich der Kläger nicht abmeldete und sich auch aus dem vorgelegten Röntgenbefund und einem Schreiben der Wiener Gebietskrankenkasse kein Hinweis auf einen Krankenstand des Klägers ergäben. Insgesamt hatte das Berufungsgericht keine Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts. Aus der Übernahme der erstgerichtlichen Feststellungen kann sich aber schon begrifflich keine Aktenwidrigkeit ergeben.

Soweit der Revisionswerber in seiner Rechtsrüge unterstellt, daß ein Krankenstand am 4. und 5. Juni 1984 wahrscheinlich gewesen sei und die beklagte Partei dadurch, daß sie nicht beweisen haben können, daß der Kläger nicht krank gewesen sei, die Entlassung ungerechtfertigt ausgesprochen habe, geht er weder von den maßgeblichen Feststellungen noch von der Rechtslage aus. Da die Zivilprozeßordnung keine Regeln über die Verteilung der Beweislast kennt und auch im materiellen Recht nur vereinzelt gesetzliche Normen über Beweislastregeln zu finden sind, gilt allgemein als Grundregel, daß jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen, das heißt ihr Recht begründenden Tatsachen beweisen muß. Wer sich dagegen darauf beruft, daß ein Recht nicht wirksam geworden oder beseitigt worden sei, muß die rechtshemmenden und rechtsvernichtenden Tatsachen beweisen (Fasching ZPR Rz 881 f). Für den Fall der Entlassung eines Angestellten ist entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht an die Regelungen der Rechtsfolgen, sondern unmittelbar an den § 27 AngG anzuknüpfen, der dem Arbeitgeber ein Recht einräumt, den Arbeitnehmer aus wichtigem Grund zu entlassen. Demgemäß entspricht es herrschender Lehre und Rechtsprechung, daß der Nachweis des Vorliegens eines vom Gesetz gebilligten Entlassungsgrundes dem Dienstgeber obliegt (Kuderna, Entlassungsrecht 30; Martinek-Schwarz AngG6 § 25 Erl. 9; Arb. 6.868, 9.672).

Abgestellt auf die hier zu prüfende Berechtigung der Entlassung nach § 27 Z 4 erster Tatbestand AngG hatte die beklagte Partei sohin die arbeitsvertragswidrige Verletzung der Pflicht zur Arbeitsleistung durch den Kläger während einer den Umständen nach erheblichen Zeit zu beweisen. Für das Vorliegen eines rechtmäßigen Hinderungsgrundes, welcher in vielfacher Ausgestaltung, vom Arbeitgeber nicht erkennbar, in der Sphäre des Arbeitnehmers eintreten kann, war aber schon nach den allgemeinen Regeln über die Verteilung der Beweislast der Kläger beweispflichtig (Kuderna aaO 68; Martinek-Schwarz aaO § 27 Erl. 21, 621; Arb. 10.521). Die in Arb. 6.868 dazu vertretene, nicht differenzierende Auffassung ist überholt (vgl. Arb. 9.672).

Im vorliegenden Fall steht fest, daß der Kläger seinen Arbeitsplatz am 4. Juni 1984 ohne Erklärung verließ, obwohl er dringende Arbeiten durchzuführen gehabt hätte, und auch am nächsten Tag nicht wieder erschien. Es unterliegt keinem Zweifel, daß er damit seine Arbeitsleistung während einer den Umständen nach erheblichen Zeit unterließ (Kuderna aaO 66 f; Arb. 9.463, 9.578, 10.521 ua). Demgegenüber ist dem Kläger der von ihm zu erbringende Nachweis, daß er durch Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert gewesen wäre, nicht gelungen. Seine Entlassung erfolgte gerechtfertigt, so daß ihm die auf Zahlung der Kündigungsentschädigung und Abfertigung gerichteten Ansprüche nicht zustehen. Eine allfällige unterkollektivvertragliche Entlohnung war bereits nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens. Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

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