Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 3.397,35 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon 308,85 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war vom 11. März 1977 bis 3. Oktober 1984 bei der beklagten Partei beschäftigt. An diesem Tag bat er den Betriebsleiter der beklagten Partei unter Vorweisung eines Telegrammes seines Vaters, ihm sofort Urlaub zu gewähren, weil er zu seiner schwer erkrankten Mutter nach Jugoslawien fahren müsse, die vor einer schwerwiegenden Kopfoperation mit unsicherem Ausgang stehe. Der Betriebsleiter der beklagten Partei verweigerte den erbetenen Urlaub. Der Kläger fuhr trotzdem nach Jugoslawien und kehrte nach Stabilisierung des Zustandes seiner Mutter - die Operation wurde schließlich wegen des hohen Risikos nicht vorgenommen - wieder nach Österreich zurück. Als er sich am 18. Oktober 1984 zur Arbeit meldete, wurde ihm mitgeteilt, daß er mit 12. Oktober 1984 abgerechnet und bei der T***
G*** abgemeldet worden sei und nicht mehr benötigt werde. Der Kläger begehrt von der beklagten Partei Zahlung einer der Höhe nach außer Streit stehenden Abfertigung von
69.540,-- S und einer - nicht mehr Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens bildenden - Kündigungsentschädigung von 16.060,-- S zusammen 85.600 S brutto sA mit der Begründung, er sei von der beklagten Partei am 3. Oktober 1984 "bzw. 12.10.1984" ungerechtfertigt entlassen worden; infolge der schweren Erkrankung seiner Mutter sei er durch wichtige, seine Person betreffende Gründe an der Dienstleistung verhindert gewesen. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und behauptete, der Kläger habe das Arbeitsverhältnis am 3.Oktober 1984 (ohne Einhaltung der Kündigungsfrist) selbst aufgekündigt und sei damit grundlos vorzeitig ausgetreten.
Das Erstgericht sprach dem Kläger die begehrte Abfertigung in Höhe von 69.540 S brutto sA zu und wies das Mehrbegehren von 16.060 S brutto sA - insoweit unbekämpft - ab. Es traf folgende weitere Feststellungen:
Der Kläger bat den Betriebsleiter der beklagten Partei, Ing. Günther D***, am 3.Oktober 1984 um Urlaub, allenfalls um unbezahlte Dienstfreistellung. Er erklärte, als ihm dies verweigert wurde, nicht den vorzeitigen Austritt und gab auch sonst keine rechtsverbindlichen Erklärungen ab. Der Betriebsleiter sprach zwar keine fristlose Entlassung aus, erklärte aber, daß der Kläger nicht mehr zu kommen brauche, wenn er trotz des nicht bewilligten Urlaubs nach Jugoslawien fahre. Nach dem erfolglosen Gespräch mit dem Betriebsleiter entfernte sich der Kläger. Die von ihm im Unternehmen der beklagten Partei verrichtete Arbeit kann von jedem Hilfsarbeiter ohne Einschulung durchgeführt werden.
Die Mutter des Klägers hat ein schweres Kopfleiden. Sie stand vor der Entscheidung, ob sie sich einer Operation mit unsicherem Ausgang unterziehen soll.
Das Erstgericht war der Ansicht, daß die Parteien am 3. Oktober 1984 keine Auflösungserklärung abgegeben hätten. Da sich der Kläger mit der Abmeldung durch die beklagte Partei per 12. Oktober 1984 zufriedengegeben habe, sei das Dienstevrhältnis mit diesem Zeitpunkt einverständlich beendet worden. Daher gebühre dem Kläger zwar die Abfertigung, nicht aber die Kündigungsentschädigung. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es verhandelte die Rechtssache von neuem und ging damit offenbar von der Weitergeltung des § 25 Abs. 1 Z 3 ArbGG für das vorliegende Verfahren gemäß § 101 Abs. 2 ASGG aus (siehe aber dazu Kuderna, ASGG 483). Die zweite Instanz stellte den selben Sachverhalt wie das Erstgericht fest und übernahm hiebei ausdrücklich die Feststellung des Erstgerichtes, daß Ing. Günther D*** beim Gespräch mit dem Kläger erklärt habe, der Kläger brauche nicht mehr zu kommen, wenn er trotz des nicht bewilligten Urlaubs nach Jugoslawien fahre; es übernahm jedoch nicht die hier der rechtlichen Beurteilung zuzuordnende Feststellung der ersten Instanz, daß von seiten der beklagten Partei keine Entlassung ausgesprochen worden sei. Außerdem ergänzte die zweite Instanz die Feststellungen des Erstgerichtes dahin, daß der Kläger auch keine Kündigungserklärung abgegeben habe und jederzeit durch einen anderen Arbeiter ersetzt werden konnte. Der Besuch des Klägers bei seiner Mutter sei unbedingt notwendig und ihr Gesundheitszustand infolge einer Gehirnblutung und einer Lähmung der rechten Körperhälfte bedenklich gewesen.
Das Berufungsgericht war der Ansicht, der Betriebsleiter der beklagten Partei habe mit der Erklärung, daß der Kläger "nicht mehr zu kommen brauche, wenn er ohne Bewilligung eines Urlaubes nach Jugoslawien fahre" die Entlassung für den Fall ausgesprochen, daß der Kläger tatsächlich wegfahre. Eine solche Entlassungserklärung sei wirksam, da sie von einer Potestativbedingung abhänge, deren Erfüllung nur im Willen des Arbeitnehmers liege und innerhalb kurzer Zeit möglich sei. Da der Kläger erst mit 12.Oktober 1984 bei der Sozialversicherung abgemeldet worden sei, liege eine zulässige "befristete" Entlassung vor. Diese Entlassung sei aber nicht gerechtfertigt gewesen, weil der Kläger die Arbeit in Erfüllung höherer Pflichten verlassen habe. Der Kläger habe zu seiner Mutter fahren wollen, weil ihr möglicherweise eine lebensgefährliche Operation bevorgestanden sei. Das eigenmächtige Verlassen der Arbeit durch den Arbeitnehmer und der eigenmächtige Antritt eines Urlaubes sei daher gerechtfertigt gewesen. Da die Entlassung schon am 3. Oktober 1984 ausgesprochen worden sei, brauche nicht mehr geprüft zu werden, ob der Zustand der Mutter tatsächlich eine vierzehntägige Abwesenheit vom Betrieb erfordert habe.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, mit dem vermeintliche Feststellungsmängel geltend gemacht werden, liegt nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO).
Auch die Rechtsrüge ist nicht berechtigt. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin hat sich der Kläger nicht so verhalten, daß die beklagte Partei daraus den Schluß ziehen durfte, er habe von sich aus das Arbeitsverhältnis lösen wollen, hat er doch um Urlaub angesucht und weder den vorzeitigen Austritt erklärt noch das Arbeitsverhältnis aufgekündigt. Aus den Erwägungen der zweiten Instanz zur Beweiswürdigung geht hervor, daß der Kläger eine solche Auflösung gar nicht wollte und es viel näherliegend sei, daß die Beklagte bestrebt war, den Kläger los zu werden und sein Verhalten in eine Selbstkündigung umzudeuten.
Zutreffend ist die Ansicht der Revisionswerberin, daß Entlassungsgründe im Zeitpunkt der Lösung des Dienstverhältnisses bereits eingetreten sein müssen (Mayer-Maly, Österreichisches Arbeitsrecht 141; Floretta in Arbeitsrecht2 I 227; SZ 32/39 ua). Es ist aber zulässig, eine Entlassung unter Beisetzung der Potestativbedingung, daß der Arbeitnehmer bei Verwirklichung eines bestimmten Verhaltens "entlassen sei", bereits auszusprechen, wenn der Arbeitnehmer dieses Verhalten nur angekündigt hat oder sonst aus den Umständen hervorgeht, daß er es demnächst verwirklichen wolle. Der Zulässigkeit einer derartigen bedingten Entlassungserklärung steht auch der Grundsatz, daß die Entlassung den bis zum Eintritt der Bedingung herrschenden Schwebezustand nicht verträgt (so zB Kuderna, Entlassungsrecht 20) nicht entgegen, wenn es sich - wie hier - um eine Postetativbedingung handelt, deren Erfüllung nur im Willen des Arbeitnehmers liegt und innerhalb kurzer Frist möglich ist (Arb 9810 = SZ 52/139).
Im vorliegenden Fall hat der Betriebsleiter der beklagten Partei dem Kläger mit den Worten, wenn er trotz Verweigerung des erbetenen Urlaubes wegfahre, "brauche er nicht mehr zu kommen", klar und unmißverständlich die Entlassung angedroht und diese für den Fall eines eigenmächtigen Urlaubsantritts bedingt ausgesprochen. Da der Kläger den Urlaub offenbar sofort eigenmächtig angetreten hat, endete sein Dienstverhältnis mit diesem Urlaubsantritt; dies unabhängig davon, daß die beklagte Partei den Kläger mit einem späteren Zeitpunkt bei der T*** G*** abmeldete und seine restlichen Lohnansprüche abrechnete.
Gemäß § 82 lit f erster Tatbestand GewO 1859 kann ein "Hilfsarbeiter" (iSd § 73 GewO 1859) sofort entlassen werden, wenn er "die Arbeit unbefugt verlassen hat". Unter "unbefugtem Verlassen" der Arbeit iS dieser Gesetzesstelle ist jede mit der Verpflichtung des Arbeiters, die vereinbarte oder ortsübliche Arbeitszeit einzuhalten, unvereinbare absichtliche Unterlassung oder ein länger dauerndes Aufgeben der Arbeit anzusehen (Arb 9046, 9106, 10.190, 10.427, 10.449 ua). Da die Bestimmung des § 82 lit f GewO 1859 iSd § 27 Z 4 AngG auszulegen ist (Arb 9106, 9991, 10.427), muß das Dienstversäumnis pflichtwidrig, erheblich und schuldhaft sein und überdies eines rechtmäßigen Hinderungsgrundes entbehren (Arb 9046, 9135, 9991, 10.427, 10.449 ua; ebenso Kuderna, Das Entlassungsrecht 66). Ein solcher rechtmäßiger Hinderungsgrund, der auch in einer unvorhergesehenen Kollision von Arbeitsvertragspflichten mit einer höherwertigen Pflicht bestehen kann (Arb 9.578, 9672; Martinek-Schwarz, AngG6 620) kommt hier dem Kläger zugute. Da dieser versuchte, mit der beklagten Partei zu einer Einigung über eine sofortige Urlaubsgewährung oder unbezahlte Dienstfreistellung zu kommen, und die beklagte Partei dies verweigerte, obwohl der Kläger hiefür einen wichtigen Grund geltend machte, waren das Verlassen des Arbeitsplatzes und der eigenmächtige Urlaubsantritt des Klägers wegen des kritischen Gesundheitszustandes seiner Mutter, die vor einer lebensgefährlichen Operation stand, gerechtfertigt. Da die Mutter des Klägers in Jugoslawien wohnt, mußte der Kläger, um sie zu besuchen, eine entsprechend lange Zeit der Arbeit fern bleiben. Das Erstgericht stellte fest, daß der Kläger nach der Stabilisierung des Zustandes seiner Mutter wieder nach Österreich zurückkehrte; es fehlt daher jeder Anhaltspunkt dafür, daß er die gerechtfertigte Abwesenheit von der Arbeit über das notwendige Maß hinaus ausgedehnt hat. Die beklagte Partei hat dazu auch keine konkreten Behauptungen aufgestellt. Die vom Betriebsleiter der beklagten Partei bei seiner Zeugenaussage geäußerten Vermutungen wurden vom Berufungsgericht nicht als überzeugend angesehen und können ein Parteienvorbringen überdies nicht ersetzen.
Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)