OGH 9ObA151/95

OGH9ObA151/9513.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Ing.Peter Pata und Dr.Franz Zörner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Erika S*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Wolfgang Grohmann und Dr.Helmut Paul, Rechtsanwälte in Krems, wider die beklagte Partei Dr.W***** S*****, emeritierter Rechtsanwalt, ***** vertreten durch Dr.Ferdinand Weber und Dr.Hannes Hirtzberger, Rechtsanwälte in Krems, wegen S 404.307,69 brutto und S 85,- netto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.Mai 1995, GZ 34 Ra 184/94-83, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Krems als Arbeits- und Sozialgericht vom 25. Mai 1994, GZ 8 Cga 36/93a-67, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 18.315,- (darin S 3.052,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die Klägerin berechtigt entlassen wurde, zutreffend verneint. Es reicht daher insofern aus, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers, daß die Klägerin dadurch, daß sie noch während des Dienstverhältnisses einen Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Beklagten stellte, in Verletzung ihrer Treuepflicht gegen "elementare Grundsätze des Synallagmas" verstoßen habe, entgegenzuhalten, daß er damit nicht von den Feststellungen der Vorinstanzen (Seiten 378 bis 393) ausgeht.

Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen befand sich die Rechtsanwaltskanzlei des Beklagten in den letzten zehn Jahren in einem ständigen Niedergang, der sich nicht nur in einem desolaten Zustand der Kanzleiräume (Seite 383 f), sondern auch darin äußerte, daß seit dem Jahre 1986 nicht mehr genug Geld vorhanden war, um das Gehalt der Klägerin zahlen zu können (Seite 378). Der Beklagte kam auch mit der Zahlung der Krankenkassenbeiträge in Rückstand. Obwohl die Klägerin im Juli 1991 ihr rückständiges Gehalt eingemahnt hatte - sie hätte pro Monat S 21.900,- brutto erhalten sollen -, betrug der Rückstand im November 1991 bereits mehr als S 100.000,- (Seite 379). Der Beklagte verwies lediglich darauf, daß er kein Geld habe (Seite 380). Die Klägerin erhielt wohl immer wieder Akontozahlungen, doch wuchs der Rückstand kontinuierlich an. Der Beklagte kündigte Abonnements von Fachzeitschriften auf, bot seine Bibliothek zum Verkauf an und äußerte die Absicht, die in der Kanzlei vorhandenen Teppiche zu verkaufen.

Im Dezember 1991 drohte die Klägerin mit ihrem vorzeitigen Austritt, falls der Beklagte den Gehaltsrückstand nicht abdecke. Eine Verschärfung der Situation der Klägerin trat dadurch ein, daß der Beklagte ihr am 27.12.1991 mitteilte, daß er seine Kanzlei am 28.2.1992 schließen werde. Die Klägerin wies ihn darauf hin, daß sie vier Monate Kündigungsfrist habe. Darüber war der Beklagte sehr erstaunt. Er legte ihr zwischen Anfang Jänner und Anfang Februar 1992 mehrmals nahe, das Dienstverhältnis selbst zu kündigen. Er meinte, daß die Klägerin in diesem Fall Arbeitslosengeld erhalten werde; sie solle aber bei ihm weiterarbeiten, er werde ihr die Differenz auf ihr Gehalt zahlen. Damit erklärte sich die Klägerin insbesondere im Hinblick auf ihre Abfertigungsansprüche nicht einverstanden (Seite 380).

Der Beklagte war einem vernünftigen Gespräch über die Abfertigung nicht zugänglich. Er erklärte stets lediglich, daß die Klägerin von ihm kein Geld erhalten werde (Seite 380). Die Gebietskrankenkasse beantragte wiederholt Fahrnisexekution wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge (Seite 381 und 382). Die Rechtsanwaltskammer erließ einen Rückstandsausweis über S 31.014,33 wegen seit dem 4. Quartal 1989 ausständiger Beiträge (Seite 383).

Bei dieser Sachlage ist es der Klägerin nicht als Verletzung ihrer Treuepflicht und als Entlassungsgrund anzulasten, daß sie am 15.2.1992 einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Beklagten stellte. Sie stellte den Antrag, weil ihr der Beklagte wiederholt erklärt hatte, daß sie keine Abfertigung erhalten werde, weil er kein Geld habe und sie sich vor der Operation, der sie sich zu unterziehen hatte, noch ihre Ansprüche wahren wollte (Seite 385). Ihre Hoffnung, wenigstens auf diesem Weg rasch zu ihrem Geld zu kommen (Insolvenz-Ausfallgeld), war im Hinblick auf die damalige Fassung des § 25 Abs 1 KO nicht unberechtigt. Der Beklagte hat seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag dadurch ständig verletzt, daß er der Klägerin Gehaltszahlungen ungebührlich vorenthielt; er hat ferner gegen seine Fürsorgepflicht dadurch verstoßen, daß er sie wiederholt aufforderte, selbst zu kündigen, wodurch sie ihre Abfertigungsansprüche verloren hätte, und daß er sie zum rechtswidrigen Bezug von Arbeitslosengeld (§ 12 Abs 3 Z 1 lit a AlVG) anzustiften versuchte. Bei dieser Sachlage kann sich der Kläger nicht auf eine Verletzung der Treuepflicht durch die Klägerin berufen. Ihre Vorgangsweise ist vielmehr als legitime "ultima ratio" gegen die beharrliche Verweigerung berechtigter Ansprüche durch den Beklagten zu werten.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet.

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