OGH 9ObA133/94

OGH9ObA133/9414.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag.Dr.Walter Zeiler und Mag.Gabriele Jarosch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Faramarz K*****, Chemiearbeiter, ***** vertreten durch Dr.Siegfried Kommar und Dr.Alois Obereder, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei G***** GmbH, ***** vertreten durch Dr.Kurt Schneider und Dr.Rudolf Riedl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 42.961,20 S brutto sA, infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28.März 1994, GZ 34 Ra 152/93-22, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 9.September 1993, GZ 6 Cga 148/93i-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.058,88 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 676,48 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 13.Juni 1988 bis 18.Mai 1992 bei der beklagten Partei als Chemiearbeiter beschäftigt. Er fuhr mit der Schnellbahn von seiner Wohnung in Floridsdorf nach Hetzendorf; die Fahrzeit betrug 26 Minuten. Vom Bahnhof fuhr der Kläger noch 10 Minuten mit dem Bus zum Werk Siebenhirten. Der Zeitaufwand für die Fahrt zum Werk betrug inklusive durchschnittlicher Wartezeit zumindest 15 Minuten.

Die beklagte Partei verlegte ihre Betriebsstätte nach Gumpoldskirchen. Die Fahrzeit der Schnellbahn nach Gumpoldskirchen beträgt 52 Minuten. Vom Bahnhof werden die Arbeitnehmer der beklagten Partei mit einem Werksbus ohne Wartezeit abgeholt; die Fahrzeit des Werksbusses beträgt nur drei Minuten, so daß sich die gesamte Fahrzeit pro Fahrt von 41 Minuten auf 55 Minuten erhöht.

Die für den Kläger relevanten Ankunftszeiten der Schnellbahn in Gumpoldskirchen sind 6,30 Uhr, 14,20 Uhr und 21,49 Uhr; die Abfahrtszeiten 6,56 Uhr; 14,59 Uhr und 23,12 Uhr. Die Schichten in Gumpoldskirchen sind wie folgt angesetzt: Schicht I 6,45 Uhr bis 14,45 Uhr; Schicht II 14,45 Uhr bis 22,45 Uhr; Schicht III 22,45 Uhr bis 6,45 Uhr. Der Kläger arbeitete in der Kleinproduktion in den Schichten I und II. Die Arbeit in Schicht III hätte der Zustimmung des Klägers bedurft. Allenfalls entstehende Wartezeiten konnte der Kläger zum Umziehen und Waschen benützen.

Die beklagte Partei zahlt an ihre Arbeitnehmer wegen der Werksverlegung einen um S 5,- höheren Stundenlohn.

Das Arbeitsverhältnis endete durch Entlassung, weil sich der Kläger weigerte, unter diesen Bedingungen in Gumpoldskirchen zu arbeiten.

Der Kläger begehrt von der beklagten Partei die Zahlung von 42.961,20 S brutto sA an entlassungsabhängigen Ansprüchen und brachte vor, daß die Entlassung unberechtigt gewesen sei.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie habe ihre Produktionsstätte von Wien-Siebenhirten nach Gumpoldskirchen verlegt; die geographische Entfernung betrage 14 km, der zeitliche Mehraufwand sei bei Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der Zeitersparnis durch den nunmehrigen Transfer mit dem Werksbus geringfügig. In dem neu errichteten Werk seien die Arbeitsbedingungen wesentlich besser als im alten Werk. Zur Abgeltung des zeitlichen Mehraufwandes und allenfalls erhöhter Fahrtkosten habe die beklagte Partei eine Erhöhung des Stundenlohnes um S 5,- zugestanden. Die beklagte Partei habe ihre Mitarbeiter vor die Wahl gestellt, entweder unter diesen Bedingungen in Gumpoldskirchen zu arbeiten oder zu kündigen. Der Kläger habe sich geweigert, seine Arbeit in Gumpoldskirchen zu verrichten. Diese Arbeitsverweigerung sei der Grund für die Entlassung gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Erhöhung der Fahrzeit sei dem Kläger noch zumutbar, zumal einem Mehraufwand von 14 Minuten je Fahrt eine Mehrzahlung von S 5,- brutto pro Stunden gegenüberstehe.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Bei Beurteilung der Frage, ob der Arbeitnehmer nach einer Betriebsverlegung zur Fortsetzung der Dienstleistung an der neuen Betriebsstätte verpflichtet sei, sei eine Interessenabwägung vorzunehmen und die Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer zu prüfen. Die längere Schnellbahnfahrt werde durch die kürzere Busfahrt zumindest teilweise kompensiert, wobei sich auch noch eine besonders bei schlechter Witterung ins Gewicht fallende Erhöhung der Bequemlichkeit dadurch ergebe, daß die Arbeitnehmer mit Werksbussen vom Bahnhof zum Werk gebracht würden. Hinzu komme die von der beklagten Partei zugestandene Erhöhung des Stundenlohnes um S 5,-. Die Weigerung des Klägers, seine Arbeit an der neuen Betriebsstätte fortzusetzen, sei daher nicht berechtigt gewesen; da der Entlassungstatbestand des § 82 lit f GewO auch das pflichtwidrige Nichterscheinen zur Arbeit umfasse, sei die Entlassung des Klägers nach dieser Bestimmung gerechtfertigt gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Gemäß § 1153 ABGB hat der Arbeitnehmer, soweit über Art und Umfang

der Dienste nichts vereinbart ist, die den Umständen nach

angemessenen Dienste zu leisten. Aus der Lage des Betriebes der

beklagten Partei in Wien-Siebenhirten bei Abschluß des

Arbeitsvertrages ergab sich auch der damalige Arbeitsort. Bei

Bedachtnahme darauf, daß es sich bei dem Arbeitsverhältnis um ein

Dauerschuldverhältnis handelt, werden allein durch die tatsächliche

Verwendung des Arbeitnehmers bei Beginn des Arbeitsverhältnisses

nicht ein für allemal die Grenzen der Arbeitspflicht festgelegt. Wo

aus den Umständen bei Abschluß des Arbeitsvertrages nicht eindeutig

hervorgeht, daß sich der Arbeitnehmer nur zu den tatsächlich

verrichteten Arbeiten verpflichtet hat, ist die Verkehrssitte (siehe

Spielbüchler Arbeitsvertrag - Art der Dienstleistung, Besprechung der

Entscheidung DRdA 1980/5 [140]) dafür maßgebend, welche anderen

Arbeiten an welchen anderen Orten er gegebenenfalls zu übernehmen hat

(vgl ZAS 1987/16 [zust Tomandl] = JBl 1987, 468 = RdW 1987, 300; WBl

1988, 90 = RdW 1988, 171; ARD 4510/16/93).

Aus der Lage des Betriebes des Arbeitgebers im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ergibt sich auch im Hinblick auf die grundsätzliche Betriebsbezogenheit der Arbeit (vgl Blomeyer in Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht Band 1 § 46 Rz 87; Schaub Arbeitsrechtshandbuch7 § 45 III 2b) daher nicht, daß der Kläger auch für den Fall der Verlegung dieses Betriebes an einen anderen Ort nur zur Leistung der Arbeit an der bisherigen Betriebsstätte verpflichtet ist. Entscheidend ist, ob dem Arbeitnehmer die Tätigkeit an der neuen Betriebsstätte zumutbar ist (siehe WBl 1988, 90; vgl die Regelung des § 15 Abs 4 lit e BAG).

Dabei stehen Verkehrsverbindungen und nicht Gemeindegrenzen im Vordergrund; unzumutbar ist dem Arbeitnehmer der Wechsel des Einsatzortes vor allem dann, wenn er den vom Arbeitsvertrag vorausgesetzten persönlichen Lebensbereich verlassen müßte, das heißt zB nach Beendigung der Arbeit nicht mehr in seine Wohnung zurückkehren könnte. Erhöhen sich lediglich die täglichen Anreisezeiten, hängt die Unzumutbarkeit vom Verhältnis der neuen Anreisezeit zur bisherigen und zur täglichen Arbeitszeit ab (vgl WBl 1988, 90; Berger-Fida-Gruber Berufsausbildungsgesetz § 15 Rz 115; Blomeyer aaO; Schaub aaO § 45 III 3).

Zieht man in Betracht, daß der längeren Gesamtfahrzeit und den erhöhten Fahrkosten eine nicht ganz unerhebliche Erhöhung des Stundenlohnes gegenübersteht, dann erscheint - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - auch unter Bedachtnahme auf die Verkehrssitte dem Kläger die Leistung der bedungenen Arbeit an der neuen Betriebsstätte noch zumutbar und seine Weigerung daher unberechtigt.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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