OGH 9ObA108/98t

OGH9ObA108/98t10.6.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernd Poyßl und Mag. Wilhelm Patzold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat der I***** Aktiengesellschaft, Landesdirektion für Wien, *****, vertreten durch Dr. Georg Grießer und Dr. Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei I***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Hainz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Dezember 1997, GZ 8 Ra 269/97f-45, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23. Mai 1997, GZ 5 Cga 117/96b-38, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 13.725,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 2.287,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 22. 8. 1970 geborene und seit 18. 11. 1991 bei der Beklagten als Büroangestellte beschäftigte Sylvia Z***** verdiente zuletzt S 19.937,- brutto monatlich (15 mal jährlich). Sie ist akademisch geprüfte Versicherungskauffrau. Am 18. 11. 1996 hätte sie das Definitivum (§ 5 Abs 2 des Kollektivvertrages für die Angestellten der Versicherungsunternehmungen - Innendienst) erlangt. Sie wurde am 28. 5. 1996 zum 31. 7. 1996 gekündigt. Nach der Kündigung hatte sie mit sechs- bis achtmonatiger Arbeitslosigkeit zu rechnen. Es ist zu erwarten, daß sie nach Wiederaufnahme der Beschäftigung als Versicherungskauffrau zwischen S 16.000,- und S 17.000,- brutto monatlich verdienen wird. Nach erfolgreicher Einarbeitung (ca. sechs Monate) ist mit einer Gehaltserhöhung auf S 18.000,- brutto monatlich zu rechnen. Ihr zuletzt bei der Beklagten bezogenes Gehalt wird sie erst nach zwei Jahren erreichen. Die Erlangung des Definitivums ist bei einem neuen Arbeitgeber nicht zu erwarten. Seit 30. 8. 1996 ist die Gekündigte verheiratet. Ihr Ehegatte ist zu nennenswerten Unterhaltsleistungen nicht in der Lage.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß im Hinblick auf das jugendliche Alter der Gekündigten und ihrer Möglichkeit, nach sechs bis achtmonatiger Arbeitslosigkeit in ihrer bisherigen Berufssparte eine neue Anstellung mit einer etwa 15 %igen Einkommenseinbuße zu erlangen, die Kündigung ihre "wesentlicher Interessen" iS § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG nicht beeinträchtige. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodaß es insofern ausreicht, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist dazu auszuführen:

Bei der Untersuchung, ob durch die Kündigung eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen eintritt, ist auf die Möglichkeit der Erlangung eines neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes und in diesem Zusammenhang auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Alter des Arbeitnehmers, den Verlust allfälliger dienstzeitabhängiger Ansprüche sowie der mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen Vorteile (wie etwa einer Dienstwohnung) abzustellen; darüber hinaus sind aber auch die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers einzubeziehen, wie Einkommen, Vermögen, Sorgepflichten, Einkommen des Ehegatten oder anderer erwerbstätiger Familienmitglieder sowie Schulden, soweit deren Entstehungsgrund berücksichtigungswürdig ist. Das Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen ist nur dann erfüllt, wenn die durch die Kündigung bewirkte Schlechterstellung ein solches Ausmaß erreicht, daß sie eine fühlbare, ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage zur Folge hat, ohne daß aber eine soziale Notlage oder eine Existenzgefährdung eintreten müßte (Arb 10.755; SZ 63/140; Ris-Justiz RS0051703).

Das Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Interessenbeeinträchtigung hat die Funktion, den Kündigungsschutz jenen Arbeitnehmern zu gewähren, die auf ihren Arbeitsplatz zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes angewiesen sind (RdW 1994, 253). Auf die Beibehaltung des konkreten Arbeitsverhältnisses kann es dabei - ungeachtet der Vorteile einer längeren Betriebszugehörigkeit - nicht ankommen (SZ 63/68). Auf die in der Revision behauptete besondere Bestandfestigkeit von Arbeitsplätzen in der Versicherungsbranche und auf den Umstand, daß die Gekündigte bald das Definitivum erlangt hätte, kann sich die klagende Partei daher nicht mit Erfolg berufen. Ebensowenig ist bei der Prüfung, ob die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt, darauf abzustellen, ob die Kündigung "sachlich gerechtfertigt" war.

Die in der Revision dem Berufungsgericht unterstellte Rechtsauffassung, daß nur ältere Arbeitnehmer Kündigungsschutz genießen, ist dem angefochtenen Urteil ohnedies nicht zu entnehmen. Das Berufungsgericht hat aber richtig erkannt, daß ältere Arbeitnehmer kraft ausdrücklicher Anordnung des Gesetzgebers besonders geschützt sind und daß der bei ihnen gemäß § 105 Abs 3 vorletzter Absatz ArbVG bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung anzulegende besonders strenge Maßstab (Schwarz in Cerhy/Haas-Laßnigg/Schwarz, Arbeitsverfassungsrecht III 245) nicht in gleicher Weise bei der zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht 26-jährigen Gekündigten zur Anwendung kommen kann.

Berücksichtigt man ferner den Umstand, daß die Gekündigte zum Zeitpunkt der Kündigung unverheiratet war und keine Sorgepflichten hat, reicht daher der Umstand, daß sie bis zur Erlangung eines zumindest einigermaßen vergleichbaren Arbeitsplatzes - die in der Revision betonte Gehaltseinbuße von bis zu 20 % bezieht sich in diesem Umfang nur auf die ersten sechs Monate des neuen Arbeitsverhältnisses - sechs bis acht Monate Arbeitslosigkeit zu erwarten hatte, nicht aus, um die Annahme einer Beeinträchtigung ihrer wesentlicher Interessen zu rechtfertigen.

Aus dem Umstand, daß das Berufungsgericht auf die Behauptung der klagenden Partei nicht eingegangen ist, Sylvia Z***** sei wegen der Geltendmachung von vom Arbeitgeber bestrittenen (Überstunden-)ansprüchen und damit wegen eines verpönten Motivs (§ 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG) gekündigt worden, ist für sie nichts zu gewinnen. Nach den insoweit unbekämpften Feststellungen wurden nämlich die Überstunden geleistet, obwohl der Vorgesetzte der später Gekündigten ausdrücklich erklärte hatte, "sie solle die Arbeit am nächsten Tage machen und keine Überstunden" leisten. Ihr Begehren auf Honorierung dieser Überstunden war daher offenbar unbegründet, sodaß die Bestimmung des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG, die auf die "offenbar nicht unberechtigte Geltendmachung vom Arbeitgeber in Frage gestellter Ansprüche" abstellt, von vornherein nicht zur Anwendung kommen kann.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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