OGH 9Ob515/95

OGH9Ob515/9512.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier, Dr.Petrag, Dr.Bauer und Dr.Steinbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Ermeline E*****, Hauseigentümerin, 2.) Wolfgang E*****, Hauseigentümer, ***** beide vertreten durch die Immobilienverwaltung Josef N*****, diese vertreten durch Dr.Josef Olischar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dobra S*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr.Christof, Stapf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung (Streitwert S 6.000,-), infolge außerordentlicher Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgericht vom 20. Dezember 1994, GZ 49 R 255/94-99, womit infolge Berufung der Kläger das Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 10.August 1994, GZ 5 C 118/93v-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird an das Prozeßgericht erster Instanz zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Urteilsfällung zurückverwiesen.

Die Kosten des bisherigen Verfahrens und des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Kläger sind seit 1992 Eigentümer der Liegenschaft mit dem Haus Wien *****, L*****gasse 25. Der Beklagte ist seit 1971 Mieter in diesem Haus, wobei er der Reihe nach verschiedene Wohnungen benützte. Seit dem Jahre 1988 bewohnt er die Wohnung top Nr.13. Für diese Wohnung hatte er keinen schriftlichen Mietvertrag. Am 4.2.1992 unterfertigte er einen Mietvertrag noch mit dem Voreigentümer des Hauses. Nach diesem Vertrag begann das Mietverhältnis am 1.1.1992 und endete nach einem Jahr am 31.12.1992.

Die Kläger begehren, den Beklagten zur Räumung der Wohnung top Nr.13 zu verpflichten. Der Beklagte sei an den Voreigentümer des Hauses mit dem Wunsch herangetreten, das Mietverhältnis in ein befristetes umzuwandeln, damit er eine Gemeindewohnung erhalte. Der Voreigentümer habe diesem Wunsch entsprochen. Insoweit sei dieser befristete Mietvertrag inhaltlich als Räumungsvereinbarung anzusehen. Dennoch verweigere der Beklagte die Räumung und benütze die Wohnung weiterhin titellos.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Er habe ständig - wenn auch in verschiedenen Wohnungen - in dem Haus gewohnt. Sein Mietverhältnis sei unbefristet, weil mit ihm sogenannte Kettenmietverträge abgeschlossen worden seien. Da die Hausverwaltung seit Jänner 1993 keine Mietzinszahlungen mehr entgegennehme, hinterlege er den Mietzins bei Gericht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen noch folgende Feststellungen:

Der Beklagte hat sich nie für eine Gemeindewohnung angemeldet; er hatte auch nicht die Absicht, die von ihm bewohnte Wohnung aufzugeben. Der Voreigentümer des Hauses schickte ihn im Februar 1992 zur damaligen Hausverwaltung, um einen schriftlichen Mietvertrag zu unterzeichnen. Der Beklagte hatte keine Kenntnis vom Inhalt des ihm vorgelegten Vertrages. Er unterfertigte diesen auf Grund seines Vertrauens zum damaligen Hauseigentümer. Der Beklagte ist der deutschen Sprache nur bedingt mächtig.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der befristete Mietvertrag mangels Willenseinigung nicht wirksam geworden sei. Die in Unkenntnis des Vertragsinhalts vom Beklagten geleistete Unterschrift entfalte keine rechtlichen Wirkungen. Das Mietverhältnis sei nach wie vor unbefristet und aufrecht.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Räumungsbegehren stattgab. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich und vertrat die Rechtsauffassung, daß es ohne Bedeutung sei, daß der Beklagte den Vertragstext ungelesen unterfertigt habe. Auch wenn er ihn gelesen und nicht verstanden hätte, liege Konsens über den Text vor. Am objektiven Inhalt der Vertragserklärung des Beklagte könne kein Zweifel bestehen. Die Umwandlung eines unbefristeten Mietverhältnisses in ein befristetes widerspreche dem § 29 Abs 1 Z 3 MRG nicht, zumal dasselbe Ergebnis ohne Verwendung eines Mietvertragsformulars auch durch eine Dissolutionsvereinbarung erreicht werden könne. Die Problematik der Aneinanderreihung von jeweils befristeten Mietverhältnissen stelle sich nicht. Irreführung oder Irrtum bei Abschluß des befristeten Mietvertrages habe der Beklagte nicht eingewendet.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene außerordentliche Revision des Beklagten mit dem sinngemäßen Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kläger beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig (§ 508 a Abs 1 ZPO).

Es trifft zwar zu, daß der vorerst unvertretene Beklagte - ein

Rechtsanwalt zur Verfahrenshilfe wurde ihm erst vor der letzten

Tagsatzung beigestellt - im wesentlichen nur einwandte, es seien

mit ihm unzulässige Kettenmietverträge geschlossen worden, so daß

sein Mietverhältnis unbefristet fortbestehe. Dieser Einwand betrifft

jedoch nicht den Kern des vorliegenden Verfahrens. Der Beklagte war

nämlich bereits unbefristeter Hauptmieter der nach Ansicht der Kläger

zu räumenden Wohnung. Es stand ihm an sich frei, sich mit dem

Vermieter über eine einvernehmliche Auflösung des Mietvertrages zu

einigen. Die Vertragsfreiheit ist diesbezüglich nicht aufgehoben (vgl

Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht19 § 29 MRG Rz 33 mwN; MietSlg

30.166 ua). Die Rechtssache ist nicht unter dem Gesichtspunkt der

zufolge Umgehung des § 29 Abs 1 Z 3 MRG unzulässigen

Kettendienstverträge zu beurteilen, sondern danach, ob die

Einwilligung des Beklagten in die abschließende Befristung den

rechtsgeschäftlichen Voraussetzungen der §§ 869 ff ABGB entsprach.

Der Abschluß des nunmehr befristeten Mietvertrages im Anschluß an das

unbefristete Mietverhältnis kommt nämlich - wie das

Berufungsgericht richtig erkannte - einer Dissolutionsvereinbarung

zum 31.12.1992 gleich. Die Einwendungen des Beklagten hätten sich

daher richtigerweise gegen die Wirksamkeit dieser Vereinbarung (wahre

Einwilligung) richten müssen. Soweit das Erstgericht diese Frage aber

ohnehin als die allein wesentliche ansah, hätte es dem Beklagten in

Wahrnehmung der materiellen Prozeßleitung im Sinne des § 182 Abs 1

ZPO (vor der Beistellung eines Rechtsanwalts zur Verfahrenshilfe

auch nach § 432 Abs 1 ZPO) zu einem dementsprechenden Vorbringen

anleiten müssen (vgl Fucik in Rechberger, ZPO § 182 Rz 1 mwH;

Fasching, ZPR2 Rz 655; Rechberger/Simotta, Grundriß des österreichischen Zivilprozeßrechts4 Rz 442 und 744 mwH).

Der durch die Verletzung der richterlichen Anleitungspflicht

begründete Verfahrensmangel (vgl Fucik aaO § 182 Rz 2 und § 432

Rz 3), dem im vorliegenden Fall im Hinblick auf die Rechtssicherheit

erhebliche Bedeutung zukommt (§ 502 Abs 1 ZPO), kann auch noch im

Revisionsverfahren geltend gemacht werden, da der in erster Instanz

obsiegende Beklagte nicht gehalten war, den zu seinen Lasten

vorgefallenen Verfahrensfehler schon in der Berufungsbeantwortung zu

rügen (vgl Kodek in Rechberger, ZPO § 468 Rz 5 mit

Judikaturhinweisen). Insoweit kommt den Revisionsausführungen Beachtlichkeit zu.

Die außerordentliche Revision ist auch berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung muß derjenige, der eine Urkunde

ungelesen (ohne Kenntnisnahme des Inhalts) unterschreibt, deren

Inhalt als seine Erklärung gegen sich gelten lassen (vgl

Judikaturkette in GMA ABGB34 § 887 E 3 ff). Die Erklärung ist

jedoch - nach den allgemeinen Regeln - anfechtbar, wenn die

Vorstellung des Unterschreibenden mit dem Inhalt nicht übereinstimmt

(Rummel in Rummel, ABGB2 § 871 Rz 8 mwH; Arb 9211 ua). Die

Anfechtung ist allerdings ausgeschlossen, soweit der Unterschreibende

dem anderen Teil die Festlegung des Inhalts der Urkunde überlassen,

also deren fremd bestimmten Inhalt in Kauf zu nehmen erklärt hat,

ohne sich selbst genaue Vorstellung davon zu machen. Ungewöhnliche

Klauseln werden aber gar nicht Inhalt der Erklärung, womit die

Parallelität zu § 864 a ABGB gewahrt ist (Rummel aaO; auch

Koziol-Welser10 I 122 mwH).

Im vorliegenden Fall wurde der Beklagte, der keinen schriftlichen Mietvertrag über die von ihm schon seit 1988 gemietete Wohnung hatte, vom Vermieter zur Hausverwaltung geschickt, um einen schriftlichen Mietvertrag zu unterzeichnen. Im Vertrauen auf den damaligen Vermieter unterfertigte der Beklagte ein übliches weitgehend vorgedrucktes (vierseitiges) Formular (Beilage A), das er nicht gelesen hatte. Nach diesen - allerdings noch überschießenden - Feststellungen des Erstgerichts ist es überhaupt fraglich, ob die unterschobene Befristung des Mietverhältnisses Inhalt der Erklärung geworden ist, ob sie also vom Vermieter nach seinem Empfängerhorizont als Unterwerfung unter die Befristung interpretiert werden durfte.

Der Kläger, der lediglich einen Mietvertrag für das seit 1988

bestehende Mietverhältnis unterschreiben sollte, mußte nicht damit

rechnen, daß er dadurch der Umwandlung seines unbefristeten

Mietverhältnisses in ein befristetes zustimme (vgl Rummel aaO mwH),

zumal das als "Mietvertrag" vorgelegte Formular sonst keine

Auffälligkeit - wie etwa eine schriftliche Auflösungsvereinbarung

- bot. War daher dem Vermieter bzw. der ihm zuzurechnenden (Rummel

aaO Rz 2 zu § 875) Hausverwaltung erkennbar, daß der Beklagte den

Vertrag nicht gelesen hat oder nicht lesen konnte, durften diese auch

nicht annehmen, daß der Beklagte die im vorliegenden Fall äußerst

ungewöhnliche Befristung auch akzeptiert hätte (vgl Koziol-Welser10,

Grundriß I 122 mwH). In diesem Fall wäre die unterschobene

Befristung nicht zum Vertragsinhalt geworden, so daß es keiner Anfechtung bedürfte. Die Rechtssache ist aber diesbezüglich noch nicht spruchreif.

Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren den Beklagten

dahin anzuleiten haben, daß er seine Einwendungen im Sinne der §§

869 ff ABGB ergänzt und statt überschießender Feststellungen

Feststellungen im Rahmen des beiderseitigen Vorbringens zu treffen haben.

Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.

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