OGH 9Ob514/95

OGH9Ob514/9528.6.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Bauer, Dr.Ehmayr und Dr.Rohrer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Jennifer E*****, geboren am 10.8.1979, und Kenan E*****, geboren am 30.5.1982, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck und des Landes Oberösterreich gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 20.März 1995, GZ 21 R 244/95-41, womit infolge Rekurses der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck der Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg vom 13.Februar 1995, GZ 1 P 25/94-31, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Den außerordentlichen Revisionsrekursen wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit Beschluß vom 13.Februar 1995 übertrug das Erstgericht der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, Jugendwohlfahrt, Außenstelle M*****, die vorläufige Obsorge hinsichtlich Pflege und Erziehung des mj. Kenan E*****, geboren am 30.5.1982. Der Minderjährige halte sich seit 1.August 1994 in M***** auf. Zwischen den Eltern bestehe ein Obsorgestreit. Die Mutter sei nicht in der Lage, die Obsorge auszuüben. Sie sei zunächst bereit gewesen, dem Vater die Obsorge zu übertragen, weil dieser besser mit dem Minderjährigen zurechtkomme, habe aber nun Angst, das Kind würde Selbstmord begehen. Das Jugendamt spreche sich nur dann für eine Übertragung der Obsorge an den Vater aus, wenn dieser Erziehungshilfe annehmen würde; dies habe der Vater aber abgelehnt. Nach der Aktenlage sei dringender Handlungsbedarf gegeben.

Gegen diesen Beschluß erhob die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck Rekurs und führte aus, daß nicht sie, sondern die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung als Jugendwohlfahrtsträgerin zur Setzung der wegen der offensichtlichen Gefährdung des Kindes erforderlichen Maßnahmen zuständig sei.

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluß des Erstgerichtes mit der Maßgabe, daß die vorläufige Obsorge hinsichtlich der Pflege und Erziehung des Minderjährigen dem Land Oberösterreich übertragen werde und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Einwände gegen die örtliche Zuständigkeit seien im Hinblick auf den ständigen Aufenthalt des Minderjährigen in M***** nicht stichhältig. Die Obsorge sei jedoch dem Land Oberösterreich zu übertragen, da es ungeachtet landesgesetzlicher Kompetenzbestimmungen Jugendwohlfahrtsträger sei.

Gegen diesen Beschluß richten sich die außerordentlichen Revisionsrekurse der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck und des Landes Oberösterreich mit dem Antrag, ihn dahin abzuändern, daß die vorläufige Obsorge der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck übertragen werde.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsrekurse sind zulässig.

Der Oberste Gerichtshof hat zwar in der zum oberösterreichischen JWG ergangenen Entscheidung EvBl 1994/141 ausgesprochen, daß die vorläufige Obsorge nach § 4 dieses Gesetzes nicht nur den Bezirksverwaltungsbehörden, sondern - bei Zuständigkeit zur Durchführung einer Maßnahme der vollen Erziehung im Sinne des § 40 Abs 2 leg cit - auch der Landesregierung übertragen werden könne; in der - allerdings zum Kärntner JWG ergangenen - Entscheidung EvBl 1993/191 vertrat der Oberste Gerichtshof hingegen die Auffassung, daß Jugendwohlfahrtsträger ungeachtet landesgesetzlicher Kompetenzbestimmungen das Land sei (ähnlich zum Kärntner JWG auch 2 Ob 589/91).

Der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.

Gemäß Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG ist in Angelegenheiten der Jugendfürsorge der Bund zur Erlassung von Grundsatzbestimmungen, das jeweilige Land hingegen zur Erlassung von Ausführungsgesetzen und zur Vollziehung berufen. Dementsprechend hat der Bund mit § 4 des Grundsätze über die Jugendfürsorge enthaltenden JWG 1989, BGBl 1989/161 bestimmt, daß Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt (Jugendwohlfahrtsträger) das Land ist (Abs 1) und daß die Landesgesetzgebung bestimmt, welche Organisationseinheit die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen hat (Abs 2). Damit wird klar unterschieden zwischen der juristischen Person Land als Rechtsträger und den für den Rechtsträger Land handelnden Organen bzw Organisationseinheiten (siehe ErläutRV 171 BlgNR XVII.GP 18; Wenger, Grundfragen und Grundbegriffe des Organisationsrechts in Ermacora-Winkler ua, allgemeines Verwaltungsrecht 343 ff [359]).

Während nun das Kärntner JWG, LGBl 1991/139 dieser Systematik folgend in § 34 Abs 1 als Jugendwohlfahrtsträger das Land nennt und in Wahrnehmung der dem Land mit § 4 Abs 2 JWG 1989 eingeräumten Regelungsbefugnis in § 34 Abs 2 und 3 die zur Besorgung der veschiedenen Aufgaben der Jugendwohlfahrt berufenen Organe bestimmt, weicht das oberösterreichische JWG LGBl 1991/111 zumindest in der Terminologie erheblich vom § 4 JWG 1989 ab, indem es in § 4 "Aufgabenverteilung und Zuständigkeit" nicht nur das Land sowie Städte mit eigenem Statut und Sozialhilfeverbände (in Abs 4), sondern auch die Landesregierung und die Bezirksverwaltungsbehörden (in den Abs 1 bis 3) als "Jugendwohlfahrtsträger" bezeichnet und damit nicht zwischen Rechtsträgern und Organen unterscheidet. Da ein Ausführungsgesetz verfassungswidrig ist, wenn es einem Grundsatzgesetz widerspricht (siehe Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts7 Rz 266 sowie Rz 1157) und nicht anzunehmen ist, daß der Landesgesetzgeber mit der Bezeichnung auch der zur Ausführung der Jugendwohlfahrtsmaßnahmen berufenen Organe als "Jugendwohlfahrtsträger" bewußt gegen die Grundsätze des JWG 1989 verstoßen wollte, ist im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung (siehe Bydlinski in Rummel ABGB2 I § 6 Rz 21) davon auszugehen, daß die Bezirksverwaltungsbehörden und die Landesregierung ungeachtet ihrer Bezeichnung als "Jugendwohlfahrtsträger" im oberösterreichischen JWG nicht als "Jugendwohlfahrtsträger" im Sinne des § 4 Abs 1 JWG 1989 und des diesen Begriff im Sinne dieser Bestimmung verwendenden § 176a ABGB idF BGBl 1989/162 anzusehen sind (siehe auch ErläutRV 172 BlgNR XVII.GP 11).

Im übrigen erscheint es auch sachgerecht, die Gerichte nicht damit zu befassen, welches der nach den landesgesetzlichen Vorschriften in Frage kommenden Organe ein und desselben Rechtsträgers jeweils zur Durchführung einer diesem Rechtsträger obliegenden Jugendwohlfahrtsmaßnahme berufen ist und sei nur darauf hingewiesen, daß im vorliegenden Fall wohl Maßnahmen erforderlich sein werden, deren Durchführung gemäß §§ 4 Abs 3 und 40 Abs 2 des oberösterreichischen JWG nicht der Bezirksverwaltungsbehörde, sondern der Landesregierung obliegen, so daß die Rekursanträge auch aus diesem Grund verfehlt erscheinen.

Den außerordentlichen Revisionsrekursen war daher ein Erfolg zu versagen.

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