OGH 9Ob47/08i

OGH9Ob47/08i20.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin E***** AG, *****, vertreten durch Winkler Reich‑Rohrwig Illedits Rechtsanwälte‑Partnerschaft in Wien, gegen die Antragsgegnerin Branka P*****, Verkäuferin, *****, vertreten durch Dr. Karl‑Heinz Plankel ua, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen Beweissicherung (Streitwert 10.000 EUR), über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 27. März 2008, GZ 4 R 85/08x‑12, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Bludenz vom 21. Jänner 2008, GZ 3 Nc 330/07m‑8, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:0090OB00047.08I.0820.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Revisionsrekurswerber hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Die Revisionsrekursbeantwortung der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

Begründung

Das Erstgericht bewilligte - außerhalb eines Zivilprozesses - den Beweissicherungsantrag der Antragstellerin und bestellte zur Feststellung des derzeitigen Zustands eines auf dem Grundstück der Antragsgegnerin befindlichen Hauses einen Sachverständigen. Dieser erstellte einen als Gutachten bezeichneten Befund, der den Parteien zugestellt wurde. Die Antragsgegnerin beantragte daraufhin die Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Erörterung des „Gutachtens".

Das Erstgericht wies diesen Antrag mit der Begründung zurück, der Sachverständige sei lediglich mit der Befundaufnahme betraut worden; die Erstellung eines Gutachtens sei im Beweissicherungsverfahren in der Regel nicht vorgesehen.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluss auf, trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Beweissicherungsverfahrens auf und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige und dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Zwar sei nach § 386 Abs 4 ZPO der Beschluss, der dem Beweissicherungsantrag stattgibt, nicht anfechtbar; dieser Rechtsmittelausschluss bedeute aber nicht, dass jeder Beschluss im Zusammenhang mit der Beweissicherung unanfechtbar sei. Der Rechtsmittelausschluss des § 366 Abs 2 ZPO iVm § 388 Abs 1 ZPO gelte - zur Vermeidung einer nicht sachgerechten Einschränkung der Parteienrechte - nicht für einen Fall wie den vorliegenden, in dem keine weitere Sachentscheidung erfolge.

Der Rekurs sei auch in der Sache berechtigt. Nach §§ 386, 387 ZPO sei der Gegner an der Beweisaufnahme zu beteiligen. Nach der sinngemäß anzuwendenden Bestimmung des § 357 ZPO habe er auch das Recht, die mündliche Erläuterung des Befunds durch den Sachverständigen zu verlangen. Es widerspräche auch dem Zweck einer Beweissicherung, diese zwar antragsgemäß zu bewilligen und in deren Rahmen eine Befundaufnahme durchzuführen, den Parteien aber keine Möglichkeit zu geben, auf allfällige bei der Befundaufnahme unterlaufene Fehler, Mängel oder Unvollständigkeiten hinzuweisen und zu deren Behebung die Erörterung des Befunds durch den Sachverständigen zu begehren.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von der Antragstellerin erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Schon das Rekursgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass der Rechtsmittelausschluss des § 386 Abs 4 ZPO der Zulässigkeit des Rekurses der Antragsgegnerin nicht entgegensteht. Dieser Rechtsmittelausschluss betrifft nur den Beschluss, der dem Beweissicherungsantrag stattgibt; er bedeutet aber nicht, dass jeder Beschluss, der im Beweissicherungsverfahren erlassen wird, unanfechtbar ist (Rassi in Fasching/Konecny § 386 Rz 8).

Es trifft aber zu, dass gemäß § 388 Abs 1 ZPO die Beweisaufnahme im Beweissicherungsverfahren nach den allgemeinen Bestimmungen der ZPO über den Beweis und die Beweisaufnahme sowie nach den Vorschriften über die einzelnen Beweismittel erfolgt und dass daher auch im Beweissicherungsverfahren grundsätzlich die Rechtsmittelbeschränkungen des Beweisverfahrens gelten (Rechberger in Rechberger3 § 388 ZPO Rz 3).

Unter Hinweis darauf stützt sich der Revisionsrekurswerber in seinem Rechtsmittel auf § 366 Abs 2 ZPO und leitet daraus die Unzulässigkeit des Rekurses der Antragsgegnerin ab.

Dem ist nicht zu folgen, wobei gar nicht geprüft werden muss, ob der hier angefochtene erstgerichtliche Beschluss überhaupt den in § 366 ZPO normierten Rechtsmittelbeschränkungen für Beschlüsse im Rahmen der Anordnung und Durchführung des Sachverständigenbeweises unterliegt. Dies ist keineswegs zwingend, zumal der hier angefochtene Beschluss weder in § 366 Abs 1 noch in § 366 Abs 2 ZPO genannt ist und angesichts seiner Funktion ‑ Sicherung des rechtlichen Gehörs, aber auch der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (vgl 3 Ob 111/01x) ‑ den in § 366 ZPO genannten Beschlüssen nicht unbedingt wertungsmäßig gleichzustellen ist. Nähere Überlegungen dazu sind aber entbehrlich, weil im Beweissicherungsverfahren die Anwendung dieser Rechtsmittelbeschränkungen auf den Beschluss, mit dem der Antrag auf Erörterung des schriftlich erstatteten Befunds zurückgewiesen wird, aus den schon vom Rekursgericht angestellten Überlegungen keinesfalls in Betracht kommt:

Die Beweissicherung gemäß § 384 Abs 1 ZPO soll dem drohenden Beweisverlust oder der erschwerten Benutzung eines Beweismittels vorbeugen. § 384 Abs 2 ZPO lässt die Beweissicherung darüber hinaus auch dann zu, wenn diese Voraussetzungen zwar nicht gegeben sind, aber der gegenwärtige Zustand einer Sache festgestellt werden soll und der Antragsteller ein rechtliches Interesse an dieser Feststellung hat.

Mit diesem Zweck der Beweissicherung und ihrem daraus ersichtlichen Wesen sind Rechtsmittelbeschränkungen, die dazu führen, dass Entscheidung über die mündliche Erörterung des schriftlichen Befunds erst mit der nächsten abgesondert anfechtbaren Entscheidung oder überhaupt erst mittels einer Mängelrüge in der Berufung gegen die Entscheidung in der Hauptsache bekämpft werden können, nicht vereinbar. Derartige Rechtsmittelbeschränkungen hätten nämlich zur Folge, dass über die mündliche Erörterung des schriftlichen Befunds erst mit beträchtlicher Verzögerung endgültig entschieden werden könnte. Damit bestünde aber die Gefahr, dass strittige Tatfragen - wegen des mittlerweile eingetretenen Beweisverlusts bzw Veränderungen am Beweisgegenstand - nicht mehr geklärt werden können. Damit wäre aber der Zweck der Beweissicherung verfehlt.

Das Rekursgericht hat daher den Rekurs gegen die hier angefochtene erstgerichtliche Entscheidung zu Recht als zulässig betrachtet.

Nach § 357 Abs 1 ZPO kann das Gericht auch die schriftliche Begutachtung anordnen. In diesem Fall ist der Sachverständige nach § 357 Abs 2 ZPO verpflichtet, auf Verlangen über das schriftliche Gutachten mündliche Aufklärungen zu geben oder dieses bei der mündlichen Verhandlung zu erläutern. In sinngemäßer Anwendung dieser Bestimmung haben auch im Beweissicherungsverfahren die Parteien das Recht, zu verlangen, dass der Sachverständige seinen schriftlichen Befund mündlich vor dem Gericht erläutert (Rassi in Fasching/Konecny § 387 Rz 2).

Der Einwand des Revisionsrekurswerbers, dennoch sei der von der Antragsgegnerin gestellte Antrag auf Erläuterung des schriftlichen Befunds zurückzuweisen, weil er unbegründet sei und keine Angaben über die an den Sachverständigen zu richtenden Fragen enthalte, ist nicht berechtigt:

Der Antrag, den Sachverständigen zur mündlichen Erörterung seines schriftlichen Gutachtens (hier: Befunds) zu laden, muss die konkreten Fragen, die der Antragsteller dem Sachverständigen zu stellen beabsichtigt, nicht enthalten. In Lehre und Rechtsprechung wurde aber gefordert, dass der Antrag nicht völlig unbegründet sein darf, sondern Angaben darüber enthalten muss, welche Aufklärungen bzw Erläuterungen des schriftlichen Sachverständigengutachtens gewünscht werden (6 Ob 245/07h unter Hinweis auf Rechberger in Konecny/Fasching² § 357 Rz 4). Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass ein unbegründeter Antrag sofort zurückgewiesen werden kann. Vielmehr hat das Gericht einen solchen Antrag - so es ihm nicht ohnedies folgen will - zur Verbesserung zurückzustellen. Erst wenn ein solcher Verbesserungsauftrag erfolglos bleibt, kommt die Zurückweisung des Antrags in Betracht.

Damit erweisen sich die Aufhebung des erstgerichtlichen Zurückweisungsbeschlusses durch das Rekursgericht und der Auftrag an das Erstgericht, das Beweissicherungsverfahrens fortzusetzen, als berechtigt.

Der Revisionsrekurswerber hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Die Antragsgegnerin hat eine Revisionsrekursbeantwortung erstattet. Diese ist zurückzuweisen, weil die Entscheidung, ob der Sachverständige zur Erörterung des Befunds zu laden ist, eine rein verfahrensrechtliche ist und dafür die - im Gesetz nicht angeordnete - Zweiseitigkeit des Rechtsmittelverfahrens auch von Art 6 EMRK nicht gefordert wird (6 Ob 10/07z; 6 Ob 137/06z; 4 Ob 156/06d; G. Kodek, Zur Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens, ÖJZ 2007, 534 [540]).

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