European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E118694
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss, der hinsichtlich der Bestimmung der Gebühren des Sachverständigen sowie der Auszahlungsanordnung als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleibt, wird in seinem Ausspruch nach § 2 Abs 2 GEG dahin abgeändert, dass lediglich die Mutter S* M* dem Grunde nach verpflichtet wird, die vorläufig aus Amtsgeldern ausbezahlten Gebühren des Sachverständigen Mag. W* D* in Höhe von 1.637 EUR zu ersetzen; sie genießt Verfahrenshilfe.
Begründung:
Die Mutter ist kraft Gesetzes seit der Geburt allein mit der Obsorge für ihre Kinder betraut (§ 177 Abs 2 Satz 1 ABGB). Als die Kinder ca 14 Monate alt waren, stimmte sie einer freiwilligen vollen Erziehung der Kinder durch Pflegeeltern zu.
Am 18. 10. 2013 widerrief die Mutter ihre Zustimmung zur Unterbringung der Kinder bei den Pflegeeltern. Sie strebt die Rückführung der Kinder in ihren Haushalt an.
Im gegenständlichen Obsorgeverfahren beantragte der Kinder‑ und Jugendhilfeträger am 6. 11. 2013 die Übertragung der Obsorge gemäß § 181 ABGB für die Kinder an ihn. Nach Ansicht des Kinder‑ und Jugendhilfeträgers könne die Mutter den Kindern keine stabile und kontinuierliche Lebenssituation bieten, sodass das Kindeswohl gefährdet sei.
Die Pflegeeltern schlossen sich inhaltlich den Argumenten des Kinder- und Jugendhilfeträgers an.
Mit Beschluss vom 11. 2. 2016 wies das Erstgericht den Antrag des Kinder‑ und Jugendhilfeträgers auf Übertragung der Obsorge über die beiden Kinder an ihn ab. Das Rekursgericht gab den Rekursen des Kinder- und Jugendhilfeträgers sowie der Pflegeeltern mit Beschluss vom 2. 5. 2016 statt. Es entzog der Mutter die Obsorge über die beiden mj Kinder und übertrug sie dem Kinder‑ und Jugendhilfeträger. Dem von der Mutter dagegen erhobenen Revisionrekurs gab der Oberste Gerichtshof Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und trug dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs auf (9 Ob 47/16a).
Im folgenden Rechtsgang holte das Rekursgericht von Amts wegen ein psychologisches Sachverständigengutachten zur Frage ein, ob die mit einer abweisenden Obsorgeentscheidung verbundene notwendige Trennung der Kinder von den Pflegeeltern zu psychischen Beeinträchtigungen der Kinder und damit zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen würde.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss bestimmte das Rekursgericht – funktionell als Erstgericht – die Gebühren des von ihm bestellten Sachverständigen mit 1.637 EUR, wies die Buchhaltungsagentur des Bundes an, den bestimmten Betrag dem Sachverständigen nach Rechtskraft dieses Beschlusses aus Amtsgeldern zu überweisen, und sprach gemäß § 2 Abs 2 GEG aus, dass die Mutter zur Hälfte, dies allerdings nach Maßgabe der bereits bewilligten Verfahrenshilfe, sowie der Pflegevater und die Pflegemutter zur Hälfte zur ungeteilten Hand, für den Ersatz der aus Amtsgeldern auszubezahlenden Gebühren des Sachverständigen haften. Welche Partei in welchem Umfang diese Sachverständigenkosten zu ersetzen habe, richte sich im Außerstreitverfahren mangels einer Vorschrift oder Entscheidung über die Kostenersatzpflicht danach, wer von den Beteiligten die Beträge veranlasst habe oder in wessen Interesse die Amtshandlung vorgenommen worden sei. Da das eingeholte Ergänzungsgutachten unzweifelhaft sowohl im Interesse der Mutter als auch der Pflegeeltern gelegen sei, hätten diese für die Kosten je zur Hälfte, die Pflegeeltern für ihre Hälfte zur ungeteilten Hand, zu haften.
Nur gegen den in der Entscheidung enthaltenen Ausspruch gemäß § 2 Abs 2 GEG richtet sich der Rekurs der Pflegeeltern, mit dem sie den Entfall ihrer Haftung und die alleinige Kostenersatzpflicht der Mutter anstreben.
Die Mutter beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs der Pflegeeltern keine Folge zu geben. Der Kinder‑ und Jugendhilfeträger verweist in seiner Rekursbeantwortung auf die erhebliche finanzielle Belastung für die Pflegeeltern.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Pflegeeltern ist zulässig (4 Ob 130/13s; 5 Ob 203/15m); er ist auch berechtigt.
1. Werden Sachverständigengebühren aus Amtsgeldern berichtigt, so sind diese Kosten gemäß § 2 Abs 1 Satz 1 GEG dem Bund von der Partei zu ersetzen, die „nach den bestehenden Vorschriften“ hiezu verpflichtet ist. In Verfahren über die Obsorge findet ein Kostenersatz nicht statt (§ 107 Abs 5 AußStrG). Im Verfahren außer Streitsachen kommt auch eine analoge Anwendung des § 40 Abs 1 ZPO nicht in Betracht (4 Ob 130/13s mwN). Die Gebühren sind daher von denjenigen Beteiligten zu ersetzen, die sie veranlasst haben oder in deren Interesse die Amtshandlung vorgenommen wurde (§ 2 Abs 1 Satz 3 GEG). Beide Tatbestandsmerkmale gelten alternativ, sodass die Kostenersatzpflicht eines Beteiligten greift, wenn auch nur eines von ihnen zutrifft (4 Ob 130/13s; 5 Ob 203/15m).
2. Zur Frage der Kostenersatzpflicht von Pflegeeltern in Obsorgeverfahren gibt es bislang keine oberstgerichtliche Rechtsprechung und auch nur – soweit ersichtlich – vereinzelt Rechtsprechung von Instanzgerichten.
So verpflichtete das Landesgericht Salzburg (EFSlg 136.695) die Pflegemutter eines Kindes im Verfahren über die Entziehung der Obsorge zum Kostenersatz nach § 2 GEG. Die Pflegemutter habe Parteistellung und der Sachverständige sei bestellt worden, um – auf psychologischer Ebene – zu klären, ob eine Kindeswohlgefährdung gegeben sei. Damit berühre das psychologische Gutachten auch die Interessen der Pflegemutter.
Auch einen Pflegevater, der dem Antrag der Mutter auf Rückübertragung der Obsorge zwar nicht entgegen getreten sei, zog das Landesgericht Salzburg in einer Entscheidung in den Kreis der nach § 2 GEG dem Bund gegenüber haftenden Personen ein (EFSlg 140.761). Als Partei des Verfahrens und vormals obsorgeberechtigtem Elternteil müsse dem Pflegevater ein Interesse daran zugesonnen werden, eine für das Kindeswohl bestmögliche Regelung zu finden, welchem Verfahrensziel hier die Einholung von fachpsychologischen Gutachten gedient habe.
Ebenfalls vom Landesgericht Salzburg wurden in einem Kontaktregelungsverfahren die Pflegemütter zur anteiligen Haftung nach § 2 GEG herangezogen (EFSlg 148.498). Es handelte sich um die Gebühren einer Sachverständigen, die ein kinderpsychologisches Gutachten hinsichtlich der Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter und der Pflegemütter sowie über das Ausmaß und die Art der Besuchskontakte und allfälliger für das Kind zu ergreifender Maßnahmen erstattet hat. Die Einholung des Gutachtens sei in diesem Verfahren auch im Interesse der Pflegemütter, die bewusst in die Fragestellung und damit in die Befundaufnahme und Begutachtung einbezogen worden seien, gelegen.
3. In der Entscheidung 4 Ob 130/13s (SV 2013, 232 [Krammer] = EF‑Z 2014/62 [Beck]), auf die der vorliegende Rekurs der Pflegeeltern seine Argumentation stützt, wurde der obsorgeberechtigte Jugendwohlfahrtsträger in einem von der Kindesmutter eingeleiteten Verfahren auf Änderung der bestehenden Obsorgeregelung nicht zur (Mit‑)Haftung nach § 2 GEG von Sachverständigengebühren herangezogen. Das Tätigwerden der Sachverständigen lag nicht im eigenen Interesse des Jugendwohlfahrtsträgers. Diesem wurde zwar die Obsorge für das mj Kind übertragen, er hat aber im Obsorgeverfahren von Gesetzes wegen – anders als leibliche Eltern – allein die Interessen des Kindes zu wahren.
In einem Verfahren auf nachträgliche Überprüfung einer Interimsmaßnahme (§ 215 Abs 1 Satz 2 ABGB aF) wurde hingegen die Kostenersatzpflicht des Kinder‑ und Jugendhilfeträgers für die Gebühren eines beigezogenen Sachverständigen bejaht (5 Ob 203/15m = EF‑Z 2016/104 [Weber]). Selbst bei Antragstellung (Veranlassung) durch den Elternteil, in dessen Obsorge eingegriffen wurde, ist die Überprüfung auch im Interesse des Kinder‑ und Jugendhilfeträgers erfolgt, weil die Rechtmäßigkeit der von ihm gesetzten Maßnahme beurteilt wird.
4. Gemäß § 184 ABGB nF haben Pflegeeltern, also Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll, das Recht, in den die Person des Kindes betreffenden Verfahren Anträge zu stellen. Die Pflegeelternschaft begründet damit ein Antrags- und Rechtsmittelrecht im Obsorgeverfahren (RIS‑Justiz RS0118141; Hopf in KBB5 § 184 ABGB Rz 2), und zwar auch in Verfahren, die nicht über ihren Antrag eingeleitet wurden (RIS‑Justiz RS0118141 [T1]).
5. Dem gegenständlichen Obsorgeverfahren liegt ein Antrag des Kinder‑ und Jugendhilfeträgers gemäß § 181 ABGB, der Mutter die Obsorge über die Kinder zu entziehen, und ihm zu übertragen, zugrunde. Die Pflegeeltern wurden im Rahmen der dem Kinder‑ und Jugendhilfeträger mit Vereinbarung der Mutter übertragenen freiwilligen vollen Erziehung (§ 139 Abs 1 ABGB nF; § 37 iVm § 38 Oö JWG 1991 [nunmehr § 26 iVm § 27 B‑KJHG 2013 bzw § 45 iVm § 46 des Oö KJHG 2014]) mit der Obsorge in den Teilbereichen der Pflege und Erziehung zur Gänze einschließlich der dazugehörigen gesetzlichen Vertretung für die Kinder betraut. Die Vereinbarung mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger hat die Mutter durch ihre einseitige schriftliche Erklärung aufgelöst (§ 51 Abs 3 Oö KJHG 2014).
Die Pflegeeltern haben im Rahmen des Obsorgeverfahrens zwar ihre Parteirechte – vorwiegend durch Beteiligung in den Rechtsmittelverfahren – ausgeübt, dadurch aber nicht die Einholung des Gutachtens veranlasst. Das Tätigwerden des Sachverständigen lag auch nicht in deren Interesse. Die Beweisaufnahme diente dem Zweck, die Beurteilungsgrundlagen für die Entscheidung über den vom Kinder- und Jugendhilfeträger gestellten Antrag, der obsorgeberechtigten Mutter wegen akuter Kindeswohlgefährdung die Obsorge über ihre Kinder zu entziehen und an den Kinder- und Jugendhilfeträger zu übertragen, zu schaffen. Die Erziehungsfähigkeit der Pflegeeltern stand hier nicht in Frage. Aufgrund dessen haben sie im Obsorgeverfahren auch keine eigenen Interessen geltend gemacht, sondern versucht, die Interessen der Kinder zu wahren. Dass das Gutachten Interessen der Pflegeeltern „berührt“, erfüllt noch kein Zurechnungskriterium iSd § 2 Abs 2 GEG, das einen Ausspruch deren (Mit‑)Haftung für den Ersatz der vorläufig aus Amtsgeldern berichtigten Gebühren rechtfertigen könnte.
Dem Rekurs der Pflegeeltern ist deshalb Folge zu geben und der angefochtene Grundsatzbeschluss nach § 2 Abs 2 GEG dahin abzuändern, dass lediglich die Mutter dem Grunde nach verpflichtet wird, die vorläufig aus Amtsgeldern ausbezahlten Gebühren des Sachverständigen zu ersetzen.
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