OGH 9Ob142/03b

OGH9Ob142/03b21.4.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hermine G*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Mag. Hans Peter Puchleitner, Rechtsanwalt in Fehring, gegen die beklagte Partei D***** GmbH & Co KG, ***** vertreten durch Lang & Schulze-Bauer, Rechtsanwälte in Fürstenfeld, wegen EUR 7.267,28 sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt als Berufungsgericht vom 22. Juli 2003, GZ 13 R 99/03m-37, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Jennersdorf vom 29. Jänner 2003, GZ 1 C 159/01g-31, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Klägerin erlitt am 2. 4. 1998 bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen mit Dauerfolgen. Zum Unfallszeitpunkt war sie bei der S*****Versicherung unfallversichert. Noch von der Unfallstelle aus kontaktierte sie ihren Versicherungsbetreuer bei der Beklagten. Dieser veranlasste, dass von einer Angestellten der Beklagten am 8. 6. 1998 "eine Schadensmeldung" an die Versicherung übersendet wurde, in der mitgeteilt wurde, dass die Klägerin einen Armbruch sowie diverse Prellungen erlitten habe, dass Dauerfolgen zu erwarten seien und dass der Versicherungsnehmerin (der Klägerin) eine Schadensmeldung zugeschickt worden sei, die die Beklagte sofort nach Erhalt an die Versicherung weiterleiten werde.

Ebenfalls am 8. 6. 1998 sandte die Beklagte per Post an die Klägerin eine vorbereitete Schadensmeldung mit dem Ersuchen, sie der Beklagten ergänzt, unterfertigt und unter Anschluss eines Krankenhausberichtes zu retournieren. Dieses Schreiben war an eine Adresse gerichtet, unter der die Klägerin nicht mehr wohnte. Sie hatte aber der Post anlässlich ihrer (bereits vor dem Unfall erfolgten) Übersiedlung einen Nachsendeauftrag erteilt.

Am 22. 6. 1998 wies ein Vertreter der Beklagten die Klägerin ausdrücklich darauf hin, dass sie die Schadensmeldung innerhalb eines Jahres zu erstatten habe. Im Frühjahr 1999 fragte er sie, ob schon der Grad der Invalidität festgestellt sei. Als die Klägerin dies verneinte, belehrte er sie abermals darüber, dass sie - "um die Frist zu wahren" - den Befund nach seinem Einlangen weiterleiten müsse. Ein der Klägerin im März 1999 übermitteltes Sachverständigengutachten, das im Zuge eines Schmerzengeldprozesses eingeholt worden war, leitete die Klägerin nicht an die Beklagte weiter.

Im Oktober oder im November 1999 wechselte die Klägerin den Versicherungsberater. Der neue Versicherungsberater vertrat den Standpunkt, dass mit dem Schreiben der Beklagten vom 8. 6. 1998 die in Art 7.8 der Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB) normierte Frist für die Schadensmeldung nicht gewahrt worden sei, weshalb er der Versicherung am 5. 6. 2000 eine Schadensanzeige übermittelte. Die Versicherung lehnte aber die Erbringung der Versicherungsleistung ab, weil die Schadensmeldung nicht innerhalb der genannten Frist - 15 Monate ab Unfallstag - erfolgt sei. Die Klägerin begehrt nunmehr von der Beklagten EUR 7.267,28 sA, weil die Beklagte sie unzureichend beraten bzw vertreten und deshalb die Leistungsfreiheit der Versicherung zu verantworten habe. Die Beklagte hielt dem entgegen, die Klägerin ausreichend beraten zu haben. Zudem sei die Versicherung gar nicht leistungsfrei geworden, weil die ihr von der Beklagten selbst bereits am 8. 6. 1998 übersendete Schadensmeldung die in den AUVB normierte Frist ohnedies gewahrt habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus stellte es fest, dass der Klägerin das an sie gerichtete Schreiben der Beklagten vom 8. 6. 1998 trotz der unrichtigen Adressierung zugekommen sei. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass die Beklagte durch die Übermittlung dieses Schreibens ihren Verpflichtungen hinreichend nachgekommen sei. Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Berufungsgericht dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Der erstgerichtliche Feststellung, dass die Klägerin das Schreiben der Beklagten vom 8. 6. 1998 erhalten habe, erachtete das Berufungsgericht als bedenklich. Ein nähere Überprüfung sei aber entbehrlich, weil die Feststellung nicht entscheidungswesentlich sei. Es sei unstrittig, dass die Beklagte als Versicherungsmakler für die Klägerin tätig gewesen sei. Auf den zwischen den Streitteilen geschlossenen Vertrag seien die §§ 26 ff des Maklergesetzes 1996 (MaklerG) anzuwenden. Nach § 27 Abs 1 MaklerG habe der Versicherungsmakler trotz seiner Tätigkeit für beide Parteien des Versicherungsvertrages überwiegend die Interessen des Versicherungskunden zu wahren. Er sei für die gesamte Dauer des Maklervertrages verpflichtet, "nach Kräften" für den Versicherungskunden tätig zu werden. § 28 Z 6 MaklerG normiere ausdrücklich die Verpflichtung des Versicherungsmaklers zur Unterstützung des Versicherungskunden vor und nach Eintritt des Versicherungsfalles, namentlich auch bei Wahrnehmung aller für den Versicherungskunden wesentlichen Fristen.

Mit der bloßen Übermittlung einer vorbereiteten Schadensanzeige an die Klägerin und dem Ersuchen, diese ausgefüllt zu retournieren, habe die Beklagte ihre Verpflichtungen aus dem Maklervertrag nicht ausreichend erfüllt. Vom Makler müsse zumindest verlangt werden, seinen Kunden bei Eintritt eines Versicherungsfalles in eindeutiger, konkreter und - vor allem - richtiger Weise über die einzuhaltenden Fristen aufzuklären. Die vagen Belehrungen der Beklagten, die Ansprüche seien binnen eines Jahres geltend zu machen, hätten dafür nicht ausgereicht. Vielmehr hätte die Beklagte der Klägerin konkret bekannt geben müssen, bis zu welchem Tag und in welcher Form eine korrekte Schadensmeldung bei der Versicherung hätte einlangen müssen. Da die Beklagte die Schadensregulierung übernommen habe, hätte sie auf die Einhaltung der in Art 7.8 der AUVB 1996 normierten Ausschlussfrist achten müssen. Sie hätte die Klägerin nachweislich auf diese Frist hinweisen oder sich selbst um deren Einhaltung kümmern müssen. Dass sie dies unterlassen habe, mache sie grundsätzlich schadenersatzpflichtig, unabhängig davon, ob die Klägerin das an sie gerichtete Schreiben vom 8. 6. 1998 erhalten habe.

Im Übrigen sei aber noch zu klären, ob sich die Versicherung überhaupt auf die Nichteinhaltung der in Rede stehenden Ausschlussfrist berufen könne. Sie sei gewahrt, wenn der Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität innerhalb einer Frist von 15 Monaten vom Unfalltage unter Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes geltend gemacht werde. Werde sie - auch unverschuldet - nicht gewahrt, werde das Recht des Versicherungsnehmers vollkommen vernichtet. Allerdings könne - wie der Oberste Gerichtshof in 7 Ob 250/01 und anderen Entscheidungen ausgesprochen habe - die Berufung auf die Ausschlussfrist durch den Versicherer unter Umständen treuwidrig sein, ua dann, wenn der Versicherer durch den Gang der Verhandlungen Erwartungen wecke, die durch die AUVB enttäuscht werden, aber auch dann, wenn der Versicherungsnehmer erst verspätet Kenntnis von seiner Invalidität erlange und das alleinige Abstellen auf den Unfallstag als die Frist auslösenden Zeitpunkt für den Versicherungsnehmer eine ungewöhnliche Bedingung darstelle. Das Verfahren sei daher ergänzungsbedürftig. Das Erstgericht werde neben der Frage des Eintritts der Invalidität der Klägerin auch die Frage der (zwischen den Parteien strittigen) Leistungsfreiheit der Versicherung zu klären und zu diesem Zweck die Parteien zur Konkretisierung ihres Vorbringens aufzufordern haben. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil zur Frage der Sorgfaltspflicht des Versicherungsmaklers bei der Schadensliquidierung gesicherte Rechtsprechung fehle, obwohl diese Frage von großer rechtlicher und wirtschaftlicher Bedeutung sein könne.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss erhobene Rekurs der Beklagten ist nicht zulässig.

Der Oberste Gerichtshof ist gemäß § 526 Abs 2 ZPO an den Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Zulässigkeit des Rekurses nicht gebunden. Es ist daher aufzugreifen, dass die im Zulassungsausspruch des Berufungsgerichtes umschriebene Rechtsfrage die in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Voraussetzungen nicht erfüllt.

Dass die Beklagte für die Klägerin als Versicherungsmakler tätig war und dass auf das Vertragsverhältnis die Bestimmungen der §§ 26 ff MaklerG anzuwenden sind, bestreitet sie in ihrem Rekurs nicht. Ebenso unbestritten bleibt, dass der Versicherungsmakler trotz seiner Tätigkeit für beide Parteien des Versicherungsvertrages überwiegend die Interessen des Versicherungskunden zu wahren hat und insbesondere gemäß § 28 Z 6 MaklerG verpflichtet ist, den Versicherungskunden "vor und nach Eintritt des Versicherungsfalles, namentlich auch bei Wahrnehmung aller für den Versicherungskunden wesentlichen Fristen" zu unterstützen (siehe im Detail: Griss in Straube, HGB³ nach § 58, § 27 MaklerG Rz 1; Fromherz in Jabornegg, HGB, § 27 MaklerG Rz 1, § 28 MaklerG Rz 28 ff).

Strittig ist insofern nur, ob die Beklagte unter den hier gegebenen Umständen die ihr auf Grund dieser Rechtslage obliegende Verpflichtung zur Beratung und Unterstützung der Klägerin verletzt hat oder nicht. Derartige Fragen können aber immer nur an Hand der im jeweiligen Einzelfall gegebenen Umstände beurteilt werden. Die Aufstellung genereller, von den konkreten Umständen des Einzelfalls unabhängiger Grundsätze ist - jedenfalls im hier interessierenden Zusammenhang - nicht möglich. Damit fehlt es aber an einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Anders wäre dies nur dann, wenn die Beurteilung des vorliegenden Einzelfalles durch die zweite Instanz krass unvertretbar wäre. Davon kann aber keine Rede sein. Dazu genügt es, auf den Umstand zu verweisen, dass - soweit dies nach den bisherigen Feststellungen beurteilt werden kann - konkrete Unterlagen zur Untermauerung der zu erwartenden Dauerfolgen zunächst nicht vorlagen und selbst nach dem Vorbringen der Beklagten eine ausreichende Belehrung der Klägerin über die Folgen dieses Umstandes, über die Auswirkungen dieses Umstandes auf den Fristablauf, über die Möglichkeit, auch vor endgültiger Klärung des Ausmaßes der Dauerfolgen fundiert Ansprüche an den Versicherer heranzutragen, über den Beginn und die Dauer der einzuhaltenden Frist sowie über die Folgen einer Versäumung dieser Frist nicht oder nur ansatzweise erfolgte. Dazu kommt, dass die Beklagte der Klägerin die vorbereitete Schadensmeldung mit der Aufforderung übersendet hatte, diese Unterlagen an sie (die Beklagte) zurückzustellen. Damit musste aber der Beklagten, der die Unterlagen nicht rückübermittelt wurden, bewusst sein, dass die Gefahr einer Versäumung der offen stehenden Frist drohte.

Mit der Entscheidung 7 Ob 250/01t und der daraus abzuleitenden Rechtsauffassung, dass sich die Versicherung unter bestimmten Voraussetzungen nicht auf die Versäumung der in Rede stehenden Ausschlussfrist berufen kann, hat sich das Berufungsgericht eingehend auseinandergesetzt. Insofern hat es das Verfahren auf der Grundlage einer zutreffenden und auch gar nicht strittigen Rechtslage in tatsächlicher Hinsicht als ergänzungsbedürftig erachtet, was vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfen ist (Kodek in Rechberger² § 519 Rz 5 mwN). Zu diesem Problemkreis gehört auch die im Rekurs aufgeworfene Frage, ob nicht durch die von der Beklagten selbst am 28. 6. 1998 an die Versicherung erstattete Schadensmeldung - deren Wortlaut allerdings nicht festgestellt wurde - die in Rede stehende Ausschlussfrist gewahrt wurde, zumal bereits darin von zu erwartenden Dauerfolgen die Rede gewesen sei (siehe auch dazu 7 Ob 250/01t und die dort angeführten Nachweise; vgl ferner RIS-Justiz RS0082222). Auch dazu hat aber das Berufungsgericht - für den Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar - den Sachverhalt als ergänzungsbedürftig erachtet.

Da die Rekurswerberin somit keine iS des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage aufzeigt, war die Revision als unzulässig zurückzuweisen. Die Klägerin hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen, weil sie auf die Unzulässigkeit des vom Berufungsgericht zugelassenen Rekurses nicht hingewiesen hat (RIS-Justiz RS0035962; zuletzt 9 ObA 32/01y; 9 ObA 108/02a) und daher schon jetzt feststeht, dass ein Zuspruch dieser Kosten auch im fortgesetzten Verfahren nicht in Betracht kommt.

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