OGH 9Nc39/04s

OGH9Nc39/04s28.2.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hopf als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Martin V*****, GZ 15 P 343/03t des Bezirksgerichtes Fünfhaus, infolge Vorlage zur Genehmigung der Übertragung gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Bruck/Mur, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Akten werden dem Bezirksgericht Fünfhaus zurückgestellt.

Text

Begründung

Das Bezirksgericht Fünfhaus übertrug mit seinem - den Verfahrensbeteiligten bislang nicht zugestellten - Beschluss vom 14. 12. 2004 (ON 126) die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Bruck/Mur, weil Mutter und Kind ihren Lebensmittelpunkt in den Sprengel dieses Gerichts verlegt haben. Das Bezirksgericht Bruck/Mur verweigerte die Übernahme der Zuständigkeit, weil das übertragende Gericht bereits umfangreiche Erhebungen zum offenen Unterhaltsenthebungs- und zum Besuchsrechtsantrag des Vaters durchgeführt habe, sodass eine Entscheidung darüber durch das bisher zuständige Gericht zweckmäßiger sei.

Das übertragende Gericht legte auf Grund dieser Weigerung den Akt dem Obersten Gerichtshof als gemeinsam übergeordnetem Gericht zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor, ohne dass der Übertragungsbeschluss bisher zugestellt worden wäre. Die Aktenvorlage erfolgte verfrüht.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Beschluss des Pflegschaftsgerichts, mit dem es seine Zuständigkeit von Amts wegen gemäß § 111 JN einem anderen Gericht überträgt, steht den Parteien das Rechtsmittelrecht zu (Mayr in Rechberger, ZPO² § 111 JN Rz 6; Fucik in Fasching² I § 111 Rz 8; ders in Fasching I² § 111 JN Rz 8; 9 Nc 34/03d mwN). Die Zustellung an die Beteiligten stellt somit keinen "reinen Formalakt" dar, sondern ist Voraussetzung der Wirksamkeit der Übertragung gegenüber den Parteien. Darüberhinaus ist gemäß § 111 Abs 2 JN Voraussetzung der Wirksamkeit, dass entweder das andere Gericht die Zuständigkeit übernimmt oder das gemeinsam übergeordnete Gericht die Zuständigkeitsübertragung genehmigt. Für ersteren Fall wird es daher als zweckmäßig angesehen, dass die Zustellung des Übertragungsbeschlusses in Analogie zu § 44 Abs 2 JN von dem anderen Gericht, das die Zuständigkeit übernimmt, bewirkt wird (Mayr aaO § 111 JN Rz 6 ua). Auf Grund eines allfälligen Rechtsmittels der Parteien entscheidet dann das dem übertragenden Gericht übergeordnete Rekursgericht (vgl Mayr aaO § 44 Rz 4) endgültig über die Zweckmäßigkeit der Übertragung.

Verweigert das andere Gericht die Übernahme der Zuständigkeit ist dennoch der Übertragungsbeschluss vorerst den Beteiligten zuzustellen, weil - wie sich aus den vorstehend dargestellten Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Übertragungsbeschlusses ergibt - eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nach § 111 Abs 2 JN ohne rechtskräftigen Beschluss nicht in Betracht kommt (zuletzt insb 3 Nc 36/03d; 1 Nc 34/04x; 9 Nc 34/03d; RIS-Justiz RS0047067). Wird ein Rechtsmittel ergriffen, entscheidet somit das Rekursgericht im Fall der Behebung des Übertragungsbeschlusses endgültig über die Unzulässigkeit der Übertragung. Nur im Fall, dass kein Beteiligter ein Rechtsmittel ergreift, oder dass der Übertragungsbeschluss bestätigt wird, bedarf es der Genehmigung des übergeordneten Gerichts.

Ein Abgehen von der weitaus überwiegenden Rechtsprechung zum Zustellungserfordernis führte in dem Fall, dass - wie hier - das für die Entscheidung über einen Rekurs gegen den Übertragungsbeschluss zuständige Gericht nicht mit dem zur Genehmigung nach § 111 Abs 2 JN berufenen ident ist, zu einer nicht begründbaren Verschiebung der funktionellen Zuständigkeit. Die gegenteilige Entscheidung 8 Nc 15/03b wies die Besonderheit auf, dass das andere Gericht die Ablehnung nur auf die mangelnde Zustellung des Übertragungsbeschlusses stützte, sonst aber zum Ausdruck brachte, zur Übernahme bereit zu sein. Die diesem Erkenntnis folgende, nicht weiter begründete Rechtsansicht der Entscheidung 9 Nc 22/04s, die mangelnde Zustellung des Übertragungsbeschlusses stehe der Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof nicht entgegen, kann nicht aufrecht erhalten werden. Rein prozessökonomische Erwägungen können den Rechtsmittelausschluss und damit die Verschiebung der Entscheidungskompetenz auf ein anderes (höheres) Gericht nicht rechtfertigen, zumal damit § 514 ZPO, wonach - wird die Anfechtung nicht gesetzlich ausgeschlossen - gegen Beschlüsse der Rekurs zulässig ist, außer Kraft gesetzt würde. Ebensowenig kann die Auffassung gebilligt werden, es fehle den Parteien bis zur Genehmigung der Übertragung durch das übergeordnete Gericht die Beschwer. Derartige Überlegungen führten zu dem nicht begründbaren Ergebnis, dass zwar bei Übernahme der Zuständigkeit durch das andere Gericht ein Rechtsmittel gegen den Übertragungsbeschluss zulässig wäre, dieser jedoch im Falle der Verweigerung der Übernahme nicht bekämpft werden könnte. Die Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses ist daher unabdingbare Voraussetzung für eine Genehmigung der Übertragung durch das den beiden Gerichten zunächst übergeordnete höhere Gericht nach § 111 Abs 2 JN.

Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 47 JN, wonach das gemeinsam übergeordnete Gericht erst dann zur Entscheidung berufen sein kann, wenn beide konkurrierenden Gerichte ihre Zuständigkeit rechtskräftig abgelehnt haben (4 Nc 4/04g; RIS-Justiz RS 0046374; RS0046354; RS0046299). Abweichend von dieser Judikaturlinie ergibt sich für den hier zu beurteilenden Fall allerdings aus der nur auf die Übertragung abstellenden Formulierung des § 111 Abs 2 JN, dass lediglich der Übertragungsbeschluss in Rechtskraft erwachsen sein muss. Das Gericht, das die Übernahme der Zuständigkeit verweigert, muss darüber nicht Beschluss fassen, es genügt, dass es seine Weigerung kundtut (Mayr aaO § 111 JN Rz 6); auf die Rechtskraft eines ablehnenden Beschlusses kommt es daher nicht an (RIS-Justiz RS0047011). Eine Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN durch den Obersten Gerichtshof kann somit noch nicht erfolgen. Vielmehr ist der Akt dem übertragenden Gericht zurückzustellen, das den Übertragungsbeschluss den Parteien zuzustellen hat. Nur dann, wenn dieser Beschluss - allenfalls nach Bestätigung im Instanzenzug - in Rechtskraft erwachsen ist, wird das Gericht die Akten erneut vorzulegen haben.

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