European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0090NC00025.21G.0930.000
Spruch:
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Fürstenfeld vom 9. September 2021, GZ 23 P 354/21w‑4, verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Neusiedl am See wird genehmigt.
Begründung:
[1] Der Antragsteller B***** und T***** sind für die gemeinsamen Kinder V*****, geboren ***** 2017, und A*****, geboren ***** 2021, obsorgeberechtigt. T***** ist auch die Mutter von L*****, geboren ***** 2015.
[2] Am 7. 9. 2021 beantragte der Antragsteller beim Bezirksgericht Fürstenfeld die alleinige Obsorge für die drei Kinder. Die Mutter sei am 4. 9. 2021 mit V***** und A***** vom bisherigen gemeinsamen Wohnsitz in B***** nach F***** gezogen. L***** sei auf ihre Bitte hin und mit Zustimmung der Mutter bei ihm verblieben.
[3] Alle drei Kinder sind mit Wohnsitz in F***** gemeldet. L***** ist im Kindergarten in B***** abgemeldet und vor Ort angemeldet. Die Mutter möchte, dass auch L***** bei ihr wohnt. Die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See hat die Fallführung für alle drei Kinder übernommen (ON 3, 6).
[4] Mit Beschluss vom 9. 9. 2021 übertrug das Bezirksgericht Fürstenfeld die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Neusiedl am See. L***** sei seit 6. 9. 2021 in F***** gemeldet. Die Kindesmutter habe ihren Lebensmittelpunkt mit allen drei Minderjährigen nach F***** verlegt. L***** befinde sich noch am Wohnort des bisherigen Lebensgefährten der Kindesmutter. Es erscheine jedoch zweckmäßiger, das Pflegschaftsverfahren hinsichtlich aller drei Minderjährigen am selben Bezirksgericht zu führen.
[5] Das Bezirksgericht Neusiedl am See erklärte, den Akt nicht zu übernehmen und retournierte ihn an das Bezirksgericht Fürstenfeld. L***** halte sich nicht im Sprengel des Bezirksgerichts Neusiedl am See auf. Da die Zuständigkeit auch für den Akt 23 Ps 341/21h hinsichtlich der Geschwister nicht übernommen werde, sei eine Übernahme der Pflegschaftssache nicht zweckmäßiger.
[6] Das Bezirksgericht Fürstenfeld legte den verfahrensgegenständlichen Akt sowie den die Kinder V***** und A***** betreffenden Akt 23 Ps 341/21h dem Obersten Gerichtshof mit dem Ersuchen um Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.
[7] Der Oberste Gerichtshof stellte den Akt 23 Ps 341/21h dem Bezirksgericht Fürstenfeld ohne Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN zurück (5 Nc 20/21t). Das Vorlagegericht werde nach § 44 JN vorzugehen haben.
Rechtliche Beurteilung
[8] Für das vorliegende Verfahren war zu erwägen:
[9] Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Nach Abs 2 dieser Bestimmung ist die Übertragung nur dann wirksam, wenn das andere Gericht die Zuständigkeit übernimmt oder im Falle der Weigerung des anderen Gerichts eine Genehmigung durch das den beiden Gerichten zunächst übergeordnete gemeinsame höhere Gericht – dies ist hier der Oberste Gerichtshof – erfolgt.
[10] Ausschlaggebendes Kriterium für die Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache für Minderjährige ist immer das Kindeswohl (RS0047074). Nach ständiger Rechtsprechung wird der pflegschaftsgerichtliche Schutz in der Regel am besten durch das Gericht gewährleistet, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält (RS0047300 uva). Offene Anträge sprechen im Allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung, sofern nicht dem übertragenden Gericht für die ausstehende Entscheidung besondere Sachkenntnis zukommt (RS0047032). Die Aufteilung einer für Geschwister geführten Pflegschaftssache ist im Allgemeinen als nicht zweckmäßig anzusehen, weil bei Geschwistern in der Regel Maßnahmen aufeinander abzustimmen sind und Informationen aus der einen Pflegschaftssache auch für die andere benötigt werden (vgl RS0047074 [T8]).
[11] Im vorliegenden Fall haben die Mutter, V***** und A***** ihren gewöhnlichen Aufenthalt bereits in F*****. Die Mutter hat sich und alle drei Kinder in F***** gemeldet. Eine Rückkehr zu ihrem früheren Wohnsitz ist nicht beabsichtigt. Bezüglich V***** und A***** wurde deshalb die Zuständigkeit des Bezirksgerichts Fürstenfeld verneint (5 Nc 20/21t). Einzig L***** befindet sich derzeit beim Antragsteller (nicht leiblicher Vater). Aus der Aktenlage geht nicht hervor, dass er für L***** (mit‑)obsorgeberechtigt wäre. Die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See als Kinder- und Jugendwohlfahrtsträger hat die Fallführung für alle drei Kinder übernommen. Alle drei Kinder waren bisher auch nicht voneinander getrennt und befinden sich in keinem fortgeschrittenen Alter (vgl demgegenüber RS0047074 [T13]). Nicht zuletzt liegt kein solcher Verfahrensstand vor, der bereits auf eine besondere Sachkenntnis des übertragenden Gerichts (zB aufgrund bereits durchgeführter Vernehmungen uä) schließen ließe. Die Gesamtumstände sprechen daher für die Zweckmäßigkeit einer Verfahrensführung für L***** am nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter, V***** und A***** zuständigen Bezirksgericht Neusiedl am See.
[12] Gemäß § 111 Abs 2 JN war danach die Übertragung der Zuständigkeit an dieses Gericht zu genehmigen.
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