OGH 8ObS8/13d

OGH8ObS8/13d17.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Schleinzer und Dr. Peter Schnöller als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei DI W***** V*****, vertreten durch Puttinger, Vogl & Partner Rechtsanwälte GmbH in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei IEF Service GmbH, Geschäftsstelle Ried im Innkreis, 4910 Ried im Innkreis, Bahnhofstraße 35a, vertreten durch die Finanzprokuratur, sowie des Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei Dr. P***** B*****, Rechtsanwalt *****, als Insolvenzverwalter im Konkurs der L***** GmbH, wegen 183.050,97 EUR sA, über die Revisionen der klagenden Partei (Revisionsinteresse 137.859,45 EUR), der beklagten Partei und des Nebenintervenienten (Revisionsinteresse jeweils 45.191,52 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. November 2012, GZ 12 Rs 84/12b-21, mit dem das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. November 2012, GZ 14 Cgs 8/11b-16, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

2. Den Revisionen der beklagten Partei und des Nebenintervenienten wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, dem Nebenintervenienten binnen 14 Tagen die mit 2.183,93 EUR (darin enthalten 363,99 EUR USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung und die mit 4.643,40 EUR (darin enthalten 773,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.322 EUR (darin enthalten 387 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 30. 9. 2010 wurde über das Vermögen der Schuldnerin L***** GmbH das Konkursverfahren eröffnet und der Nebenintervenient zum Insolvenzverwalter bestellt. Gesellschafter der Schuldnerin waren die V***** Beteiligungs GmbH (99,1667 %) und der Kläger (0,8333 %).

Der Kläger war seit 1973 Gesellschafter und (Mit-)Geschäftsführer der jeweiligen Betreibergesellschaft des namensgleichen Familienunternehmens. Ab 1975 betrug der Gesellschaftsanteil des Klägers und seiner Gattin, an die er schenkungsweise einen Anteil übertragen hatte, je 22,5 %, wobei sich der Kläger aber die Stimmrechte seiner Gattin vorbehalten hatte, sodass ihm 45% der Stimmanteile zufielen.

Von 1993 bis 2000 und ab 30. 7. 2007 bis zu seinem vorzeitigen Austritt war der Kläger für die Schuldnerin allein zeichnungsberechtigt, ebenso war er selbstständig vertretungsbefugter Geschäftsführer ihrer Mehrheitsgesellschafterin, der Beteiligungs GmbH.

Die Gesellschafter der Beteiligungs GmbH sind eine Privatstiftung (97,6 %) sowie drei Töchter des Klägers (je 0,8 %). Die Stifter der im Dezember 2000 im Firmenbuch eingetragenen Privatstiftung sind der Kläger und dessen Gattin, das Hauptvermögen besteht aus Beteiligungen. Der in der Stiftungsurkunde genannte Stiftungszweck lautet:

a) Anlage und Verwaltung des Vermögens der Privatstiftung;

b) Zuwendungen aus dem Vermögen der Privatstiftung oder aus den Erträgnissen des Vermögens der Privatstiftung an die Begünstigten, insbesondere durch Gewährung von Geld und Sachleistungen;

c) wirtschaftliche Sicherung des Fortbestands der Privatstiftung und Erhaltung des Stiftungsvermögens;

d) die Errichtung von anderen Stiftungen mit gleichem oder ähnlichem Stiftungszweck und die Widmung von Vermögen an solche Stiftungen (...).

Am 31. 3. 2005 widmeten der Kläger und seine Gattin ihre damaligen Geschäftsanteile an der späteren Schuldnerin der Privatstiftung. Nach § 7 der Stiftungsurkunde werden die Mitglieder des Stiftungsvorstands vom Kläger bestellt und abberufen, solange er handlungsfähig ist und soweit nicht zwingende gesetzliche Vorschriften dem entgegenstehen. Ansonsten beschließt der Vorstand über den Nachfolger eines ausgeschiedenen Mitglieds im Einvernehmen mit lebenden Mitstiftern.

Nach § 10 der Stiftungsurkunde können die Stifter nach dem Entstehen der Privatstiftung ihnen notwendig oder nützlich erscheinende Änderungen durchführen. Gemäß § 11 der Stiftungsurkunde haben sich die Stifter auch den einvernehmlichen Widerruf der Privatstiftung vorbehalten.

Vertragliche Grundlage der operativen Tätigkeit des Klägers bei der Schuldnerin war ein (in der Letztfassung) am 24. 7. 2000 abgeschlossener Geschäftsführervertrag, in dem die Anwendung des AngG und eine weisungsgebundene Ausübung der ihm übertragenen Tätigkeit vereinbart wurde.

Nach außen trat der Kläger als Leiter des gesamten Unternehmens auf und traf sämtliche Entscheidungen für die Schuldnerin allein. 2009 übernahm er eine Bürgschaft für deren Rückstände und fortlaufende Verbindlichkeiten bei der Gebietskrankenkasse, außerdem verpfändete er seinen privaten Liegenschaftsbesitz zu Gunsten von Krediten der Schuldnerin.

Der Stiftungsvorstand wurde als Mehrheitsgesellschafter der Beteiligungsgesellschaft vom Kläger regelmäßig über die Finanzlage und alle Maßnahmen größeren Umfangs informiert, der Stiftungsvorstand machte ihm aber nie irgendwelche Vorschriften; die Problematik allfälliger Weisungen stellte sich nie.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Schuldnerin beendete der Kläger am 19. 10. 2010 sein Dienstverhältnis als Geschäftsführer durch vorzeitigen Austritt. Er begehrt nun Insolvenz-Entgelt für laufendes Entgelt, Sonderzahlungen, Abfertigung, Kündigungsentschädigung und Urlaubsersatzleistung sowie Zinsen und Kosten.

Die Beklagte wandte ein, der Kläger falle nicht unter den in § 1 IESG genannten Personenkreis. Er habe zumindest seit 5. 12. 2003 indirekt im Wege der Stiftung beherrschenden Einfluss auf die Schuldnerin ausüben können. Seine dahin bereits erworbenen Abfertigungsanwartschaften seien ohne Notwendigkeit stehengelassen worden und daher verjährt, jedenfalls sei ihre Geltendmachung gegenüber dem Insolvenz-Entgelt-Fonds sittenwidrig.

Der auf Seiten der Beklagten als Nebenintervenient beigetretene Insolvenzverwalter schloss sich diesem Standpunkt an.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Voraussetzung für eine Insolvenzsicherung von Organmitgliedern sei ihre Qualifikation als Arbeitnehmer oder freie Dienstnehmer. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Kombination von Organwalterschaft des Klägers bei der Schuldnerin und bei der Beteiligungs GmbH sowie der ihm eingeräumten Kompetenzen als Stifter der Privatstiftung könne von einer Arbeitnehmereigenschaft des Klägers nicht gesprochen werden. Das Gleiche gelte für alle Jahre davor, in denen wesentliche Gesellschaftsanteile Familienmitgliedern des Klägers bzw seiner Gattin zugekommen seien. Dem Kläger sei im Unternehmen die zentrale faktische und rechtliche Stellung zugekommen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es ihm Insolvenz-Entgelt für den bis Dezember 2003 anteilig erworbenen Abfertigungsanspruch zusprach.

Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts zur Unternehmereigenschaft des Klägers, allerdings habe er seine beherrschende, die Arbeitnehmerähnlichkeit ausschließende Stellung erst im Dezember 2003 erlangt, als die Gesellschaftsanteile der Beteiligungs GmbH in die Privatstiftung eingebracht wurden. Die bereits in den Vorjahren erworbenen Abfertigungsanwartschaften begründeten hingegen einen gesicherten Anspruch.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die Frage, inwieweit ein Stifter durch Einflussmöglichkeiten auf die Stiftung die Stellung eines beherrschenden Gesellschafters in einem Tochterunternehmen der Stiftung erlangen könne, noch einer Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof bedürfe.

Der Kläger bekämpft in seiner Revision die Abweisung des Mehrbegehrens, die Beklagte und der Nebenintervenient streben die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils an. Alle Rechtsmittelwerber haben auch Revisionsbeantwortungen erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts einer Korrektur bedarf, nur die Revisionen der Beklagten und des Nebenintervenienten sind jedoch berechtigt.

1. Anspruch auf Insolvenz-Entgelt haben nach § 1 Abs 1 IESG Arbeitnehmer, freie Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs 4 ASVG, Heimarbeiter und ihre Hinterbliebenen sowie ihre Rechtsnachfolger von Todes wegen, wenn sie in einem Arbeitsverhältnis (freien Dienstverhältnis, Auftragsverhältnis) stehen oder gestanden sind. Es ist, wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, vom arbeitsrechtlichen Begriff des Arbeitnehmers bzw freien Dienstnehmers auszugehen.

2. Angestellte Fremdgeschäftsführer einer GmbH können Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinn sein, wenn sie regelmäßig und dauerhaft Dienstleistungen in wirtschaftlicher und persönlicher Abhängigkeit erbringen, oder freie Dienstnehmer, die weisungsfrei und ohne persönliche Abhängigkeit tätig werden ( Gahleitner in ZellKomm² § 1 IESG Rz 16; vgl auch 8 ObS 8/12b [gewerberechtlicher Geschäftsführer]).

2.1. Für die Abgrenzung zwischen einem freien Dienstnehmer und einem Unternehmer, der steuer- und sozialversicherungsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten nutzt, um als Angestellter gelten zu können, der nach der Wertung des § 1 IESG aber nicht zum geschützten Personenkreis zählt, kann es nur auf die wirtschaftliche Bestimmungsbefugnis ankommen.

Wenn dem Geschäftsführer selbst ein erheblicher, selbstbestimmter Einfluss auf die Willensbildung in der Generalversammlung zukommt, sei es durch das Ausmaß eigener Gesellschaftsanteile, die Gestaltung des Gesellschaftsvertrags oder aber rein faktisch ( Gahleitner in ZellKomm² § 1 IESG Rz 14), und sich sein Handeln nicht primär als Verwaltung fremden Gesellschaftsvermögens im Interesse der Gesellschafter, sondern als unternehmerische Tätigkeit unter Verfolgung eigener Vorstellungen und wirtschaftlicher Interessen darstellt, ist er weder Arbeitnehmer noch freier Dienstnehmer im arbeitsrechtlichen Sinn.

2.2. Die Übernahme des unternehmerischen Risikos, im vorliegenden Fall das Eingehen von Bürgschaften und persönlichen Haftungen für die Gesellschaft in der Krise und in geradezu existenzbedrohendem Ausmaß, spricht als wesentlicher Aspekt für die Arbeitgeberstellung und gegen ein (auch nur freies) Dienstverhältnis.

2.3. Auf die Frage, ob dem Kläger als Gesellschafter ein beherrschender Einfluss zustand, kommt es bei diesem Ergebnis an sich nicht mehr an. Allerdings hat der erkennende Senat bereits in seinen Entscheidungen 8 ObS 3/13v und 8 ObS 2/13x festgehalten, dass ein den Anspruch auf Insolvenz-Entgelt ausschließender Einfluss iSd § 1 Abs 6 Z 2 IESG vom Arbeitnehmer auch im Wege einer Privatstiftung ausgeübt werden kann. Zwar ist die Privatstiftung nach ihrem Entstehen als Rechtsträger vom Stifter vollständig getrennt, er wird weder „Mitglied“ der Stiftung, noch bleibt er Eigentümer des Stiftungsvermögens (RIS-Justiz RS0115134), allerdings wird der Zweck und die innere Ordnung der Privatstiftung im Wege der Privatautonomie weitgehend vom Stifter bestimmt. Die Attraktivität der Privatstiftung ergibt sich vor allem aus der Möglichkeit der eigennützigen Zweckverfolgung, der individuellen Auswahl und dem hohen Maß an Gestaltungsfreiheit und Eingriffsmöglichkeiten des Stifters ( Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer [Hrsg], Österreichisches Gesellschaftsrecht [2008] Rz 7/4). Insbesondere ist das durch die Stiftung verselbstständigte Vermögen ausschließlich zweckgebunden, und zwar nach dem erklärten Willen des Stifters für die von ihm frei bestimmten Begünstigten zu verwenden (RIS-Justiz RS0052195), was eine Analogie zur Treuhandverfügung jedenfalls dann rechtfertigt, wenn auch der Widerruf der Stiftung vorbehalten wurde.

Dem Umstand, dass der Kläger neben seiner Gattin lediglich Mitstifter war, kommt vor dem Hintergrund der Tatsachenfeststellungen keine erhebliche Bedeutung zu, standen doch die wesentlichen in der Stiftungsurkunde geregelten Vorrechte, insbesondere deren Änderung vor Wirksamwerden (und damit praktisch ihre Existenz) sowie das Recht auf Bestellung und Abberufung des Vorstands innerhalb der gesetzlichen Grenzen allein dem Kläger zu. Es ist den Feststellungen außerdem nicht zu entnehmen, dass die im Jahr 1975 vereinbarte Stimmbindung zwischen dem Kläger und seiner Gattin irgendwann aufgehoben wurde, sodass ihm deren Anteile bei Beurteilung der Einflussmöglichkeiten zuzurechnen sind.

Unter Würdigung der besonderen Umstände des Falles sind die Vorinstanzen völlig zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht zum Kreis der nach § 1 Abs 1 IESG geschützten Personen zählt. Seiner Revision konnte daher keine Folge gegeben werden.

3. Bis zur Änderung des § 1 Abs 6 IESG durch die Novelle BGBl I 102/2005, mit der die RL 2002/74/EG umgesetzt wurde, waren Mitglieder des Organes einer juristischen Person, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist, sowie leitende Angestellte generell vom Anspruch auf Insolvenz-Entgelt ausgeschlossen. Der Kläger, der seit 1973 ununterbrochen Mitglied der Geschäftsführung der jeweiligen Dienstgeberin war, konnte schon aus diesem Grund bis zum Inkrafttreten der Novelle keine gesicherten Abfertigungsanwartschaften erwerben. Allein das freiwillige Stehenlassen des Abfertigungsanspruchs, der bei erstmalig möglicher Geltendmachung im Jahr 2003 von der Insolvenz-Entgeltsicherung nach § 1 Abs 6 IESG zur Gänze ausgeschlossen war, macht ihn nicht nachträglich zu einem gesicherten Anspruch.

Im Unterschied zum Fall eines Wechsels von der echten Angestelltenposition in eine Arbeitgeberposition, in dem die Rechtsprechung einen gesicherten Abfertigungsanspruch für die Zeit vor der Bestellung zum Organmitglied auf Basis des unmittelbar davor bezogenen Entgelts bejaht hat (RIS-Justiz RS0077339), lag beim Kläger auch schon während der möglichen Anwartschaftszeit ein (anderer) Ausschlussgrund vor.

Auf die Frage, ob der Kläger vor Dezember 2003 bei gebotener wirtschaftlicher Betrachtung überhaupt Dienstnehmer der Schuldnerin bzw ihrer Rechtsvorgänger war, kommt es nicht an.

Den Revisionen der Beklagten und des Nebenintervenienten war daher Folge zu geben und im Ergebnis die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung stützt sich im Verhältnis zwischen den Parteien auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG, gegenüber dem Nebenintervenienten auf die § 2 ASGG, §§ 41, 50 ZPO. Dem Kläger war nach Billigkeit die Hälfte der Kosten des Revisionsverfahrens (Revision, Revisionsbeantwortung) zuzusprechen.

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