Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war ab 26. 8. 2002 als Büroangestellte bei Victor-Michael P***** beschäftigt. Am 15. 11. 2004 stellte ein Gläubiger Konkursantrag über das Vermögen des Dienstgebers der Klägerin. Mit Beschluss des Landesgerichtes Leoben vom 19. 8. 2005 wurde der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels hinreichenden Vermögens abgelehnt.
Am 7. 12. 2004 begann das für die Klägerin geltende Beschäftigungsverbot nach § 3 MSchG. Ab diesem Zeitpunkt bezog sie bis 26. 4. 2005 Wochengeld. Daran schloss ein Karenzurlaub an. Am 27. 5. 2005 brachte die Klägerin eine Klage gegen die Verlassenschaft ihres verstorbenen Arbeitgebers auf Zahlung von Entgelt für den Zeitraum 1. 11. 2004 bis 7. 12. 2004 einschließlich anteiliger Sonderzahlungen ein.
Die Beklagte gewährte der Klägerin für den Zeitraum 28. 11. 2004 bis 6. 12. 2004 Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von 280 EUR netto zuzüglich anteiliger Weihnachtsremuneration in Höhe von 22 EUR netto und anteiliger Zinsen und Verfahrenskosten, insgesamt 509 EUR netto. Den Antrag auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld für Entgeltansprüche einschließlich anteiliger Sonderzahlungen für den Zeitraum 1. 11. 2004 bis 27. 11. 2004 zuzüglich Zinsen und Kosten lehnte die Beklagte mit Bescheid ab.
Die Klägerin begehrt zuletzt Zahlung von 581 EUR netto (rechnerisch richtig: 581,09 EUR) an Insolvenz-Ausfallgeld: Das Klagebegehren errechnet sich aus dem laufenden Entgeltanspruch der Klägerin vom 1. 11. 2004 bis 6. 12. 2004 (1.139 EUR netto) zuzüglich einer anteiligen Weihnachtsremuneration von 833 EUR netto, Kosten von 358 EUR netto und Zinsen von 117 EUR netto abzüglich der von der Beklagten zuerkannten 509 EUR netto und abzüglich einer vom ehemaligen Dienstgeber im Zuge des Verfahrens geleisteten Zahlung von 1356,91 EUR. Die Klägerin bringt vor, dass die Ablehnung der Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld für den Entgeltzeitraum 1. 11. bis 27. 11. 2004 zu Unrecht erfolgt sei: Nach europarechtlichen Grundsätzen gelte als Stichtag im Sinne des § 3a Abs 1 IESG der Beginn des Beschäftigungsverbotes nach § 3 MSchG. Die Teilzahlung des Arbeitgebers sei auf die zuerst fälligen Entgelte anzurechnen. Soweit die Klägerin nicht einmal das ihr zustehende kollektivvertragliche Entgelt erhalten habe, steht ihr dieses jedenfalls zu. Die Beklagte wendet ein, eine mögliche unterkollektivvertragliche Entlohnung der Klägerin sei niemals Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gewesen. Im Übrigen bringe die Klägerin nicht vor, worin eine Differenz der tatsächlichen Entlohnung zur kollektivvertraglichen Entlohnung gelegen sein solle. Nach der innerstaatlichen österreichischen Regelung lägen jene Ansprüche der Klägerin, die den Zeitraum bis 27. 11. 2004 beträfen, nicht innerhalb des 6-monatigen Sicherungszeitraumes des § 3a Abs 1 IESG. Diese Regelung sei richtlinienkonform, weil nach österreichischem Recht bei Einklagung der arbeitsrechtlichen Ansprüche auch jene Entgeltansprüche gesichert seien, die außerhalb des 6-monatigen Sicherungszeitraumes lägen. Der Klägerin wäre es freigestanden, ihre arbeitsrechtlichen Ansprüche früher einzuklagen. Die Insolvenzrichtlinie könne nicht so ausgelegt werden, dass unabhängig von einer Geltendmachung jedenfalls die Entgeltforderungen der letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses bzw Entgeltforderungen der letzten drei Monate vor Beginn des Beschäftigungsverbotes gesichert seien. Die Beklagte bestritt im Übrigen das Klagebegehren auch rechnerisch.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es erachtete rechtlich, dass das IESG die Sicherung fälliger Entgelte mit 6 Monaten begrenze. Arbeitnehmern, die ihre Ansprüche gehörig geltend machten, werde ein längerer Sicherungszeitraum geboten. In diesem Fall sei der Sicherungszeitraum vom Zeitpunkt der Klageeinbringung zurückzurechnen. Die Entscheidung des EuGH im Fall „Karin Mau" (C-160/01 ) bringe lediglich zum Ausdruck, dass allen Arbeitnehmern ein Mindestschutz zu gewähren sei. Nach deutscher Rechtslage habe Karin Mau deshalb keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld gehabt, weil dort eine Frist von drei Monaten rückgerechnet ab Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers normiert sei. Die deutsche Klägerin sei zu diesem Zeitpunkt beinahe sechs Monate in Erziehungsurlaub gestanden. Im Unterschied zur österreichischen Rechtslage verlängere nach deutscher Rechtslage eine gehörige Geltendmachung fälliger Ansprüche den Sicherungszeitraum nicht. Der Klägerin wäre somit ein Schutz ihrer Ansprüche versagt geblieben. Deshalb sei nach Ansicht des EuGH die Auslegung des Begriffes „Arbeitsverhältnis" so vorzunehmen, dass nur Zeitspannen, in denen ein Entgeltanspruch bestehe, umfasst seien. Eine solche Auslegung sei für das österreichische Recht nicht erforderlich, weil sich nach österreichischer Rechtslage der Sicherungszeitraum bei gerichtlicher Geltendmachung der Ansprüche gegen den Arbeitgeber ohnedies verlängere. Die gerichtliche Geltendmachung sei der Klägerin auch in Zeiten von Wochenschutzfrist und Karenz zumutbar.
Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Es billigte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes. Die dagegen von der Klägerin erhobene außerordentliche Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes dazu fehlt, wie der Sicherungszeitraum nach § 3a Abs 1 IESG zu berechnen ist, wenn die Arbeitnehmerin zum Stichtag zwar in einem aufrechten Arbeitsverhältnis steht, allerdings wegen eines Beschäftigungsverbotes nach MSchG nicht beschäftigt werden kann. Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Vorauszuschicken ist, dass nach der innerstaatlichen Regelung des § 3a Abs 1 IESG nur - von der Beklagten ohnedies zuerkannte - Entgeltansprüche der Klägerin ab 28. 11. 2004 gesichert sind: Gemäß § 3a Abs 1 IESG gebührt Insolvenz-Ausfallgeld für das dem Arbeitnehmer gebührende Entgelt einschließlich Sonderzahlungen, das in den letzten sechs Monaten vor dem Stichtag (§ 3 Abs 1) oder, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag geendet hat, in den letzten sechs Monaten vor dessen arbeitsrechtlichen Ende fällig geworden ist. Die Frist von sechs Monaten gilt nicht, soweit Ansprüche auf Entgelt binnen sechs Monaten nach ihrem Entstehen gerichtlich oder im Rahmen eines in Normen der kollektiven Rechtsgestaltung vorgesehenen Schlichtungsverfahrens oder eines Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission zulässigerweise geltend gemacht worden sind und das diesbezügliche Verfahren gehörig fortgesetzt wird und soweit eine Differenz zwischen unterkollektivvertraglicher und kollektivvertraglicher Entlohnung beantragt wird.
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin endete nicht vor dem Stichtag. Es sind daher nur jene Entgeltansprüche der Klägerin gesichert, die in den letzten sechs Monaten vor dem Stichtag fällig wurden. Stichtag ist hier (§ 1 Abs 1 Z 3 IESG) der 19. 8. 2005. Gemäß § 3a Abs 1 erster Satz IESG wären somit nur Entgeltansprüche der Klägerin gesichert, die innerhalb von sechs Monaten vor 19. 8. 2005 fällig wurden. Nach § 3a Abs 1 zweiter Satz IESG verlängert sich der Sicherungszeitraum in zwei Fällen: Der zweite Fall, nämlich die Geltendmachung einer Differenz zwischen unterkollektivvertraglicher und kollektivvertraglicher Entlohnung, ist - wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten - nicht verwirklicht: Die Klägerin stellte in erster Instanz ebenso wie in der Berufung und nun auch in der außerordentlichen Revision jeweils nur die Behauptung auf, sie sei unterkollektivvertraglich entlohnt worden. Jedes nähere Vorbringen dazu unterließ die Klägerin, die in der Revision lediglich ausführt, dass die Frist des § 3a Abs 1 IESG dann nicht anzuwenden wäre, wenn die Klägerin nicht einmal ihr kollektivvertragliches Mindestgehalt erhalten hätte.
Die Entgeltansprüche der Klägerin bezogen auf den Zeitraum 28. 11. 2004 bis 6. 12. 2004 sind gemäß § 3a Abs 1 zweiter Satz IESG erster Fall gesichert, weil die Klägerin ihre offenen Entgeltansprüche am 27. 5. 2005 einklagte. Dem hat die Beklagte ohnedies dadurch Rechnung getragen, dass sie der Klägerin ab 28. 11. 2004 Insolvenz-Ausfallgeld zuerkannte.
Die Klägerin vertritt bezüglich der Entgeltansprüche vom 1. 11. bis 27. 11. 2004 auch in ihrer Revision die Auffassung, dass eine richtlinienkonforme Interpretation des § 3a Abs 1 IESG bzw eine unmittelbare Anwendung der Insolvenzrichtlinie dazu führe, dass als Stichtag nicht der Tag der Ablehnung der Konkursereröffnung mangels kostendeckendem Vermögen, sondern der Beginn des Beschäftigungsverbotes nach MSchG zu gelten habe. Die Klägerin bezieht sich dabei im Wesentlichen auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Karin Mau und will daraus ableiten, dass im Falle der Geltung eines Beschäftigungsverbotes nach MSchG die Sechsmonatsfrist von diesem Zeitpunkt zurückzurechnen sei.
Dieser Auffassung schließt sich der Senat nicht an:
Zunächst ist klarzustellen, dass nach der Insolvenz RL 80/987/EWG gefordert ist, dass eine Sicherung arbeitsrechtlicher Entgelte im Mindestausmaß von drei Monaten innerhalb der letzten sechs Monate vor der Antragstellung auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erfolgt. Nun entspricht zwar § 3a Abs 1 IESG dieser Vorgabe nicht unmitttelbar. Eine Divergenz zwischen dem in Art 4 Abs 2 der Richtlinie und dem in § 3a Abs 1 IESG bestimmten Zeitraum von sechs Monaten ergibt sich aus den unterschiedlichen Stichtagen für die Berechnung dieses Zeitraumes. Während nach Art 3 Abs 2 1. Gedankenstrich der Richtlinie der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers maßgeblich ist, wobei dieser nach der Rechtsprechung des EuGH mit dem Zeitpunkt der Einreichung des Antrages auf Eröffnung des Verfahrens zur gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung gleichzusetzen ist, stellt § 3a Abs 1 IESG auf die Konkurseröffnung oder einen nach § 1 Abs 1 IESG gleichgestellten Tatbestand ab. Das kann dazu führen - wie auch im vorliegenden Fall - dass ein erheblicher Teil des nach Art 4 Abs 2 1. Gedankenstrich der Richtlinie festgelegten, für die Sicherung maßgeblichen Zeitraumes außerhalb der zeitlichen Begrenzung nach § 3a Abs 1 IESG liegt. Nach der Rechtsprechung des OGH führt diese Bestimmung jedoch nicht zu einem richtlinienwidrigen Ausschluss der Sicherung der in diesem Zeitraum fällig werdenden Entgeltansprüche, sondern nur dazu, dass diese von einer Klageführung durch den Arbeitnehmer abhängig gemacht wird. Es handelt sich dabei um eine gemäß Art 10 lit a der Richtlinie zulässige und notwendige Maßnahme zur Vermeidung von Missbräuchen, da die Sicherung von einem zumutbaren Verhalten des Arbeitnehmers - die Klageführung ist nach österreichischer Rechtslage bis zu dem Stichtag möglich und die dem Arbeitnehmer entstehenden Kosten sind gesichert - abhängig gemacht wird (8 ObS 86/00f; 8 ObS 89/00x jeweils mwN). Aus eben diesen Überlegungen kann der Argumentation der Klägerin, dass im Falle des Bestehens eines Beschäftigungsverbotes nach MSchG der Beginn des Beschäftigungsverbotes maßgeblicher Zeitpunkt für die „Rückrechnung" des Sicherungszeitraumes sei, nicht gefolgt werden:
Ebenso wie jedem anderen in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis stehenden Arbeitnehmer wäre es auch der Klägerin freigestanden, sämtliche ihrer offenen Entgeltansprüche innerhalb von sechs Monaten gegen ihren Arbeitgeber einzuklagen. Hätte sie diese Vorgangsweise gewählt, wären sämtliche ihrer Entgeltansprüche ab 1. 11. 2004 gesichert gewesen. Inwiefern die Situation einer Arbeitnehmerin während eines Beschäftigungsverbotes nach MSchG (oder während eines Karenzurlaubes) gegenüber jener eines „normalen" Arbeitnehmers in einem aufrechten Arbeitsverhältnis unterschiedlich sein soll, zeigt die Revision nicht auf.
Auch der Verweis der Revision auf die Entscheidung des EuGH vom 15. 5. 2003 in der Rechtssache Karin Mau (C-160/01 ) lässt für den Standpunkt der Klägerin nichts gewinnen. Der EuGH entschied zwar dort, dass der Begriff des „Arbeitsverhältnisses" im Sinne der Art 3 und 4 der Richtlinie dahin auszulegen sei, dass nur Zeiträume, die ihrem Wesen nach zu nicht erfüllten Ansprüchen auf Arbeitsentgelt führen können, erfasst würden und dass daher jene Zeiträume ausgeschlossen seien, in denen das Arbeitsverhältnis während eines Erziehungsurlaubes ruhe, weil während dieser Zeiträume kein Arbeitsentgelt geschuldet werde.
Allerdings lag dem Rechtsstreit Karin Mau die völlig anders geartete Regel des § 183 dSGB zugrunde: Nach dieser deutschen Regelung besteht ein Anspruch auf Insolvenzgeld ausschließlich für die dem Stichtag vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses. Eine der österreichischen Regelung vergleichbare Möglichkeit, durch gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis auch Entgeltansprüche zu sichern, die vor den letzten drei Monaten vor dem Stichtag fällig wurden, besteht nicht. Dadurch würde aber die Anwendung des § 183 dSGB zu dem mit der Richtlinie nicht vereinbaren Ergebnis führen, das eine in einem aufrechten Arbeitsverhältnis stehende Arbeitnehmerin, die in den letzten drei Monaten vor dem deutschen Stichtag aufgrund eines Beschäftigungsverbotes oder eines Erziehungsurlaubes nicht tätig war und daher auch keine Entgeltansprüche hatte, keinen Anspruch auf die nach der Richtlinie zumindest zustehenden drei Monatsentgelte hätte. Da diese deutsche Regelung, wie bereits ausgeführt, mit der österreichischen Regelung nicht vergleichbar ist, der Arbeitnehmer vielmehr nach § 3a Abs 1 IESG bei gerichtlicher Geltendmachung auch Insolvenz-Ausfallgeld für Zeiträume erhält, die außerhalb des Sicherungszeitraumes liegen, bestehen keine Bedenken gegen die Richtlinienkonformität des § 3a Abs 1 IESG.
Der unberechtigten Revision der Klägerin war daher ein Erfolg zu versagen.
Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit sind nicht zu erkennen: Unterliegt der Versicherte im gerichtlichen Verfahren zur Gänze, hat er dem Grunde und der Höhe nach einen nach den in § 77 Z 2 lit b ASGG genannten Maßstäben zu beurteilenden Kostenersatzanspruch. Nach dem Wortlaut der Bestimmung setzt ein Kostenersatz nach Billigkeit voraus, dass sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen als auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten einen Kostenersatz nahelegen. Es ist Sache des Versicherten, Umstände, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen können, geltend zu machen (Neumayr in ZellKomm § 77 ASGG Rz 13 f; RIS-Justiz RS0085829; 10 ObS 106/03s). Dass ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse einen Kostenersatz nahelegen, hat die Klägerin weder vorgebracht noch ergeben sich dafür aus dem Akteninhalt ausreichende Anhaltspunkte, in welchem Fall vom Erfordernis der Bescheinung abgesehen werden könnte (10 ObS 106/03s) Darauf, ob das Kriterium der tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten erfüllt ist, kommt es daher nicht mehr an.
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