OGH 8ObS245/00p

OGH8ObS245/00p23.10.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Barbara Hopf und Gerhard Taucher als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Bettina S*****, Arbeiterin, *****, vertreten durch Dr. Charlotte Lindenberger, Rechtsanwältin in Steyr, gegen die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Oberösterreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen S 11.414,- sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Juli 2000, GZ 11 Rs 149/00m-10, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. Dezember 1999, GZ 30 Cgs 97/99a-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen Insolvenz-Ausfallgeld von S 11.414,- samt 4 % Zinsen für die Zeit vom 20. 1. 1999 bis zum 19. 7. 1999 zu zahlen.

Das Mehrbegehren auf Zuspruch von Zinsen für die Zeit ab 20. 7. 1999 wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.335,36 (darin S 722,56 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit S 4.740,96 (darin S 790,16 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.248,64 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 541,44 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit 18. 9. 1995 bei Christian W***** als Reinigungskraft mit einem Bruttomonatslohn von zuletzt S 7.361,-

beschäftigt. Am 19. 4. 1998 verstarb der Arbeitgeber, worauf das Arbeitsverhältnis mit 2. 5. 1998 beendet wurde. Mit Schreiben vom 5. 6. 1998 meldete die Klägerin im Verlassenschaftsverfahren nach ihrem Arbeitgeber ihre offenen Lohnansprüche (für 1. 4. bis 2. 5 samt aliquoter Sonderzahlungen für 1. und 2. 5. und Urlaubsentschädigung) an. Mit Beschluss des Landesgerichtes Steyr vom 19. 1. 1999, 14 S 380/98z, wurde über die Verlassenschaft der Konkurs eröffnet. Die von der Klägerin im Konkurs angemeldeten (nunmehr den Gegenstand der Klage bildenden) Ansprüche wurden vom Masseverwalter anerkannt. Für die Urlaubsentschädigung samt den anteiligen Zinsen und Kosten wurde der Klägerin Insolvenz-Ausfallgeld zuerkannt; hingegen wurde der Antrag der Klägerin auf Insolvenz-Ausfallgeld für Lohn für die Zeit vom 1. 4. 1998 bis 2. 5. 1998 samt Sonderzahlungen und Zinsen von der beklagten Partei mit der Begründung abgelehnt, dass diese Forderungen außerhalb eines Zeitraums von 6 Monaten vor Konkurseröffnung fällig gewesen und iS des § 3a Abs 1 IESG nicht geltend gemacht worden seien.

Mit ihrer nunmehrigen Klage begehrt die Klägerin Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von S 11.414,- samt 4 % Zinsen seit 20. 1. 1999. Mit der Geltendmachung ihrer Ansprüche im Verlassenschaftsverfahren nach ihrem Arbeitgeber habe sie den Anspruchsvoraussetzungen nach § 3a IESG entsprochen. Mit einer Geltendmachung im Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht wäre ein völlig überflüssiger Kostenaufwand verbunden gewesen, der gleichfalls vom Fonds zu tragen gewesen wäre. Überdies gebühre nach der nunmehrigen, hier noch nicht anwendbaren Fassung des § 3a IESG (BGBl I Nr. 73/1999) Insolvenz-Ausfallgeld auch für Ansprüche, die innerhalb eines Zeitraums von 6 Monaten vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig geworden seien, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag iS des IESG geendet habe. Aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage ergebe sich, dass es sich bei dieser Änderung des § 3a Abs 1 IESG nur um eine Klarstellung handle, sodass die damit normierte Regelung auch schon auf die frühere Rechtslage anzuwenden sei.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie verwies auf § 3a Abs 1 IESG (in der hier anzuwendenden Fassung der IESG-Novelle BGBl I Nr. 197/1997), die die für den Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld erforderlichen Verfolgungsschritte für länger als 6 Monate vor dem Stichtag fällig gewordene Entgeltforderungen taxativ aufzähle. Die Geltendmachung der Ansprüche in anderen als den aufgezählten Verfahren genüge daher nicht. Allein aus dem Umstand, dass ein Arbeitsverhältnis nicht bis zur Konkurseröffnung angedauert habe, könne nicht gefolgert werden, dass im Unterlassen der Verfolgung der Ansprüche kein Missbrauch liege und der § 3a Abs 1 IESG iS der später in Kraft getretenen Fassung auszulegen sei. Im übrigen sei im Falle einer Stattgebung des Klagebegehrens der begehrte Zinsenzuspruch auf den Zeitraum bis zum 19. 7. 1999 zu beschränken.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. § 3a Abs 1 IESG enthalte eine taxative Aufzählung der notwendigen Rechtsverfolgungsschritte. Daran habe sich durch die mittlerweile erfolgte Neufassung dieser Bestimmung nichts geändert. Wenngleich der Klägerin zuzugestehen sei, dass mit der gerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche ein überflüssiger Kostenaufwand verbunden gewesen wäre, reiche die Geltendmachung im Verlassenschaftsverfahren zur Sicherung ihrer Ansprüche nicht aus. Die durch die Neufassung des § 3a IESG bewirkte Änderung dieser Bestimmung sei auf den hier zu beurteilenden Fall nicht anzuwenden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Nach dem klaren Wortlaut des (insoweit unverändert gebliebenen) § 3a IESG habe die Klägerin keinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld, weil sie ihre mehr als 6 Monate vor dem Stichtag (Konkurseröffnung) fällig gewordenen Ansprüche bis zum Stichtag nicht in einem in § 3a Abs 1 IESG aufgezählten Verfahren geltend gemacht habe. Die durch BGBl I Nr. 73/1999 bewirkte Neufassung dieser Bestimmung sei auf Fälle, in denen die Konkurseröffnung - wie hier - vor dem 1. 5. 1999 erfolgt sei, nicht anzuwenden, und zwar - wie der Oberste Gerichtshof zu 8 ObS 23/00s klargestellt habe - auch nicht im Wege einer Analogie.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil zur Frage, ob die Anmeldung einer Forderung im Verlassenschaftsverfahren nach dem Arbeitgeber der Geltendmachung im Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht gleichzuhalten sei, oberstgerichtliche Judikatur fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch berechtigt.

Die hier anzuwendende Bestimmung des § 3a Abs 1 IESG idF der Novelle BGBl I Nr. 107/1999 hat folgenden Wortlaut:

Insolvenz-Ausfallgeld gebührt für das dem Arbeitnehmer für die regelmäßige Arbeitsleistung in der Normalarbeitszeit gebührende Entgelt einschließlich der gebührenden Sonderzahlungen, das vor mehr als sechs Monaten vor dem Stichtag (§ 3 Abs. 1) fällig geworden ist, nur dann, wenn dieses bis zum Stichtag im Verfahren in Arbeitsrechtssachen nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz zulässigerweise geltend gemacht wurde und das diesbezügliche Verfahren gehörig fortgesetzt wird. Der gerichtlichen Geltendmachung steht die Einleitung eines in Normen der kollektiven Rechtsgestaltung vorgesehenen Schlichtungsverfahrens und eines Verfahrens vor der Gleichbehandlungskommission gleich. Die vorstehenden Sätze finden keine Anwendung, soweit eine Differenz zwischen unterkollektivvertraglicher und kollektivvertraglicher Entlohnung beantragt wird.

Geht man nur vom bloßen Wortlaut dieser Bestimmung aus, wäre daher in der Tat die nicht aufgezählte Geltendmachung selbst unbestrittener Forderungen im Verlassenschaftsverfahren nach dem Arbeitgeber nicht zur Wahrung der Ansprüche des Arbeitnehmers ausreichend. Dieses Ergebnis ist aber mit dem vom Gesetzgeber verbundenen Zweck der genannten Bestimmung - nämlich der Verhinderung von Missbräuchen durch die Unterlassung der Geltendmachung von Ansprüchen über längere Zeit - nicht in Einklang zu bringen, zumal die Geltendmachung von nur wegen des Todes des Arbeitgebers aufgelaufener Lohnrückstände im Verlassenschaftsverfahren rechtlich und wirtschaftlich sinnvoll ist und in einem solchen Fall ein Missbrauchsverdacht regelmäßig nicht besteht.

Auch wenn man davon ausgeht, dass § 3a Abs 1 IESG die zur Anspruchssicherung geeigneten Verfahren taxativ aufzählt, ist nach der Rechtsprechung eine erweiternde Auslegung nicht von vornherein ausgeschlossen; auch taxative Aufzählungen sind - wenn es die Teleologie der auszulegenden Bestimmung verlangt - einer erweiternden Auslegung bzw. einer vorsichtigen Analogie zugänglich (SZ 59/177; SZ 69/159; 8 ObS 60/00g).

Im hier zu beurteilenden Fall zeigt der Umstand, dass § 3a IESG neben der Geltendmachung von Ansprüchen im Verfahren in Arbeitsrechtssachen nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz noch weitere (sogar außergerichtliche) Verfahren aufzählt, die dem genannten Verfahren gleichzuhalten sind, dass der Gesetzgeber auch andere Formen der Geltendmachung der Ansprüche in einem zweckentsprechenden und hiefür vorgesehenen Verfahren als ausreichend erachtete. Nach der der genannten Bestimmung immanenten Teleologie muss daher auch die Geltendmachung einer nur wegen des Todes des Arbeitgebers nicht mehr beglichenen, aber im Übrigen offenkundig unbestrittenen Arbeitnehmerforderung im Verlassenschaftsverfahren als den aus § 3a Abs 1 IESG ersichtlichen Wertungen des Gesetzgebers genügend angesehen werden.

Die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 8 ObS 23/00s steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Zwar ist richtig, dass der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung das Bestehen einer Lücke in § 3a Abs 1 IESG verneint und zum Ausdruck gebracht hat, dass daher - auch wenn eine den Arbeitnehmer begünstigende Regelung wünschenswert wäre - das Schließen einer Lücke im Auslegungsweg nicht möglich sei. Diese Entscheidung bezieht sich aber unmissverständlich auf die Frage, ob auch eine außergerichtliche Einigung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber als rechtswahrende Geltendmachung iS § 3a IESG anzusehen ist. Dies hat der Oberstes Gerichtshof zutreffend verneint. In der Tat kann in diesem Zusammenhang von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes nicht die Rede sein, zumal die in der Regierungsvorlage zur IESG-Novelle BGBl I 1997/107 in § 3a Abs 1 IESG enthaltene Textpassage über die rechtswahrende Wirkung eines schriftlichen (außergerichtlichen) Anerkenntnisses des Arbeitgebers vom Justizausschuss unter Hinweis auf das Gebot, Manipulationen zu Lasten des Fonds zu vermeiden, gestrichen wurde (vgl. dazu Erläut RV 737 BlgNR 20. GP 9 sowie JAB 802 BlgNR 20. GP 2). Von einer eine ausdehnende Interpretation ermöglichenden planwidrigen Gesetzeslücke konnte daher nicht die Rede sein.

Im Gegensatz dazu ist § 3a Abs 1 IESG - legt man ihn nur nach seinem Wortlaut dahin aus, dass die Geltendmachung von nur wegen des Todes des Arbeitgebers nicht mehr beglichenen Ansprüchen im Verlassenschaftsverfahren nicht rechtswahrend wirkt - nach der mit dieser Bestimmung verfolgten Absicht des Gesetzgebers planwidrig unvollständig. Es ist daher geboten, die somit bestehende Gesetzeslücke im Auslegungsweg zu schließen und damit § 3a Abs 1 IESG dahin zu interpretieren, dass für nur wegen des Todes des Arbeitgebers nicht mehr beglichene Ansprüche des Arbeitnehmers die Geltendmachung im Verlassenschaftsverfahren nach dem Arbeitgeber zur Rechtswahrung ausreicht.

Damit erweist sich die Revision als im Wesentlichen berechtigt, zumal die Höhe des Klagebegehrens - abgesehen vom Zinsenbegehren für die Zeit ab 20. 7. 1999 - nicht strittig ist.

Das strittige Zinsenbegehren war hingegen abzuweisen, weil nach § 3 Abs 2 IESG Zinsen längstens für die Zeit bis zum Ablauf von sechs Monaten ab dem im § 6 Abs 1 IESG genannten Zeitraum zugesprochen werden können (RdW 1997, 617; Liebeg, IESG**2 Rz 21 Rz 21 f zu § 3).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG iVm § 2 Abs 1 ASGG und §§ 41, 50 ZPO.

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