OGH 8ObS2164/96k

OGH8ObS2164/96k28.8.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Rohrer und die fachkundigen Laienrichter Dr.Othmar Roniger und Erich Huhndorf als weitere Richter

in den verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Parteien 1.) Frieda S*****, 2.) Sieglinde S*****, 3.) Edith E*****, 4.) Kurt F*****, 5.) Hans Peter P*****, 6.) Velibor M*****, 7.) Roswitha M*****, und 8.) Ulrike G*****, alle vertreten durch Dr.Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen S*****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen jeweils netto S 53.716,- sA, S 95.288,- sA, S 7.464,- sA, S 123.602,- sA., S 71.407,- sA, S 55.996,-

sA, S 12.065,- sA und S 73.922,- sA (Revisionsinteresse jeweils netto S 30.041,16 sA, S 47.407,- sA, S 7.464,- sA, S 20.575,18 sA, S 53.225,52 sA, S 30.916,80 sA, S 8.423,66 sA und S 13.506,23 sA), infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.April 1996, GZ 11 Rs 43/96i-13, mit dem infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 9.Oktober 1995, GZ 19 Cgs 77/95d-9, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger waren Dienstnehmer der H. R***** GmbH. Mit Beschluß vom 30.12.1994 wurde der Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen dieser Firma mangels zur Deckung der Konkurskosten hinreichenden Vermögens abgewiesen. Helmut R***** war seit 1.9.1993 Geschäftsführer der GmbH. Er kündigte die Dienstverhältnisse der Kläger jeweils mündlich zum 31.1.1995 auf und fragte die Kläger, ob sie nach dem 31.1.1995 bei der Einzelfirma R***** arbeiten bzw weiterarbeiten wollten. Damit erklärten sich die Kläger einverstanden. Sie wurden mit 1.2.1995 von Helmut R***** bei gleichen Arbeitsbedingungen (Arbeitszeit und Arbeitsort) sowie Lohn bzw Gehalt eingestellt. Die H.R***** GmbH hatte die Betriebsräume und die Arbeitsgeräte, deren Eigentümer Helmut R***** ist, von diesem gepachtet. Helmut R***** benützt nun diese Betriebsräume und die Arbeitsgeräte weiter.

Die Kläger begehrten Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe der nunmehrigen Klagsbeträge, bestehend aus offenen Lohn bzw Gehaltsforderungen jedenfalls für Jänner 1995, teils auch zurückgreifend bis Juni 1994, sowie aus der Beendigung der Dienstverhältnisse zur GmbH abgeleitete Ansprüche auf Abfertigung und Urlaubsentschädigung. Mit Bescheid vom 9.5.1995 wies die beklagte Partei diese Anträge ab. In den hierauf erhobenen, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen begehrten die Kläger in gleicher Weise Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe der dem Kopf der Entscheidung zu entnehmenden Nettobeträge.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klagebegehren.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision gemäß § 46 Abs 1 ASGG jeweils zu.

Es ging in rechtlicher Hinsicht davon aus, daß die Kündigungen wegen des (bevorstehenden) Betriebsübergangs unwirksam seien, ein Betriebsübergang stattgefunden habe und die Arbeitsverhältnisse auf die Einzelfirma R***** übergegangen seien, das AVRAG nur im Fall eines gerichtlich eröffneten Konkursverfahrens nicht gelte (§ 3 Abs 2 AVRAG), diese Ausnahmebestimmung nicht ausdehnend ausgelegt und daher auf Fälle der Abweisung eines Konkursantrages mangels kostendeckenden Vermögens nicht angewendet werden dürfe. Die Dienstverhältnisse der Kläger seien daher nicht wirksam beendet worden, sodaß fällige Ansprüche auf Zahlung der gesetzlichen Abfertigung oder auf Zahlung von Urlaubsentschädigung als nach dem IESG gesicherte Ansprüche nicht in Betracht kämen.

Die Kläger hätten aber auch hinsichtlich ihrer rückständigen Lohn- und Gehaltsforderungen keinen Anspruch auf Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld: Gemäß § 6 Abs 1 AVRAG hafteten für diese Ansprüche Veräußerer und Erwerber zur ungeteilten Hand; im vorliegenden Fall hafte der Erwerber jedenfalls gemäß § 1409 ABGB, weil er auf Grund der personellen Identität (der Übernehmer war Geschäfts- führer der übergebenden GmbH) die Schulden jedenfalls kannte oder kennen mußte, sodaß die diesbezüglichen Streitfragen hier nicht geklärt werden müßten. Den Klägern stünde aber für ihre rückständigen Lohnansprüche kein Insolvenz-Ausfallgeld zu, weil "mit ehemaligen Arbeitnehmern" in § 1 Abs 1 IESG Personen gemeint seien, die Ansprüche gemäß § 1 Abs 2 IESG aus einem nicht mehr bestehenden Arbeitsverhältnis besäßen, wenn der ehemalige Arbeitgeber insolvent werde. Auf Grund der Wirkungen der Arbeitsvertragsübernahme seien aber die Arbeitsverhältnisse der Kläger in ihrem Bestand nicht betroffen worden. Es würde auch dem Sicherungszweck des IESG widersprechen, einen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld anzunehmen, obgleich für die Ansprüche der Kläger der durch die Arbeitsvertragsübernahme nach § 3 Abs 1 AVRAG eingetretene Arbeitgeber zur Zahlung verpflichtet sei.

Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof zu der zuletzt behandelten Rechtsfrage eines Anspruches auf Insolvenz-Ausfallgeld für rückständige Lohnansprüche aus einem nach dem AVRAG übergegangenen Arbeitsverhältnis, welche gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber fällig wurden, sofern diesem gegenüber ein die Konkurseröffnung gleichstehender Beschluß wirksam geworden sei, fehle.

Die Revision der Kläger richtet sich nur gegen die Abweisung ihrer Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeld für ihre rückständigen Lohnansprüche aus dem nach dem AVRAG übergegangenen Arbeitsverhältnissen, die noch gegenüber ihrem ehemaligen Arbeitgeber fällig geworden waren; im übrigen ließen sie die Abweisung des Klagebegehrens in Rechtskraft erwachsen. Sie machen unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragen den Zuspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld in diesem Umfang.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zwar zulässig, aber nicht berechtigt.

Hinsichtlich der zwischen den Parteien nicht mehr strittigen Fragen des Übergangs der Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber gemäß § 3 Abs 1 AVRAG, der Nichtanwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des § 3 Abs 2 AVRAG auf Fälle der Abweisung des Konkursantrages mangels kostendeckenden Vermögens und der solidarischen Haftung des Veräußerers und Erwerbers gemäß § 6 Abs 1 AVRAG wird auf die zutreffende ausführliche Begründung des Berufungsgerichtes (S 5 bis 11) verwiesen (§ 48 ASGG).

Strittig ist lediglich, ob die noch offenen Entgeltansprüche gegen den Veräußerer, für die auch der Erwerber gemäß § 6 Abs 1 AVRAG zur ungeteilten Hand haftet, nach dem IESG gesichert sind, wenn der Veräußerer insolvent wird und ein Konkursantrag gegen ihn mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen wurde.

Hiezu fehlt oberstgerichtliche Rechtsprechung; auch die zitierte Entscheidung vom 12.10.1995, 8 Ob 15/95, RdW 1996, 71, befaßt sich nur mit Fragen des Übergangs der Arbeitsverhältnisse im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren, nicht aber mit der Sicherung der Entgeltansprüche nach dem IESG. Trotz der zahlreichen Literatur zu den §§ 3 und 6 AVRAG und der Befassung mit zahlreichen Teilfragen nimmt - soweit ersichtlich - nur Liebeg (Insolvenzentgeltsicherung 65 f) hiezu ausdrücklich, allerdings äußerst knapp, Stellung; aus den Äußerungen von Schwarz/Reissner/ Holzer/Holler (Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz 61) zum Begriff des "ehemaligen Arbeitnehmers" lassen sich Schlußfolgerungen ziehen. Liebeg (aaO) meint, bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 3 Abs 1 AVRAG außerhalb eines Konkursverfahrens über das Vermögen des Übergebers (§ 3 Abs 2 AVRAG) gehen die zum Übergeber bestehenden Arbeitsverhältnisse im Zeitpunkt des Übergangs ex lege auf den neuen Inhaber des Unternehmens, Betriebes oder Betriebsteiles über. Bei nachfolgendem Konkurs oder gleichgestellten Tatbestand des Übergebers gebühre Insolvenz-Ausfallgeld nur für die offenen Forderungen des Arbeitnehmers aus der Zeit vor dem Übergang gegen den Übergeber als ehemaligen Arbeitgeber. Daraus ist wohl der Schluß zu ziehen, daß er auch im Fall der Abweisung des Konkursantrages mangels kostendeckenden Vermögens und unmittelbar nachfolgendem Übergang des Unternehmens und der Arbeitsverhältnisse gemäß § 3 Abs 1 AVRAG Ansprüche der Arbeitnehmer auf Insolvenz-Ausfallgeld im genannten Umfang berechtigt fände. Schwarz/Reissner/Holzer/Holler (aaO) führen an, unter "ehemaligen Arbeitnehmern" iSd § 1 Abs 1 IESG seien nur solche zu verstehen, die Ansprüche gemäß § 1 Abs 2 IESG aus einem nicht mehr bestehenden Arbeitsverhältnis besäßen, wenn der ehemalige Arbeitgeber insolvent werde; der Begriff "ehemaliger Arbeitnehmer" sei lediglich in Relation zum "ehemaligen Arbeitgeber" zu verstehen. Die Frage, ob Insolvenz-Ausfallgeld zustehen solle, wenn zwar der "ehemalige Arbeitgeber" insolvent wird, die Arbeitsverhältnisse aber nicht beendet wurden, sondern auf den Übernehmer gemäß § 3 Abs 1 AVRAG übergegangen sind und daher beide gemäß § 6 Abs 1 AVRAG solidarisch für die offenen Ansprüche haften, beantworten sie nicht. Aus ihren Ausführungen, insbesondere ihrem Hinweis auf das Erfordernis eines nicht mehr bestehenden Arbeitsverhältnisses wäre wohl eher - wie es auch das Berufungsgericht unter Hinweis auf diese Autoren getan hat - zu vermuten, daß diese Autoren der Meinung zuneigen würden, daß die Ansprüche der Kläger im vorliegenden Fall nicht nach dem IESG gesichert seien.

Aus dem Wort "ehemaliger Arbeitnehmer" lassen sich nach Meinung des erkennenden Senates keine abschließenden Schlußfolgerungen ziehen. Jedoch scheint ihm ein anderer Aspekt, auf den auch bereits das Berufungsgericht am Rande hingewiesen hat, wesentlich zu sein, nämlich daß es dem Sicherungszweck des IESG widersprechen würde, derartige Ansprüche zu sichern, wenn sich die Arbeitnehmer Zahlung auch bei einem Dritten, nämlich dem solidarisch haftenden Übernehmer, verschaffen könnten.

Das IESG dient dazu, Arbeitnehmern und ehemaligen Arbeitnehmern im Falle der Insolvenz ihres Arbeitgebers bzw ehemaligen Arbeitgebers ihre arbeitsrechtlichen Entgeltansprüche, insbesondere auf rückständigen Lohn und aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, in einem gewissen - für sie und die Allgemeinheit - tragbaren Umfang zu sichern, es hat also Existenzsicherungsfunktion (vgl RV 464 BlgNR 14. GP, 6 f), nicht aber dazu, den Übernehmer (- außer im Fall eines Konkursverfahrens über den bisherigen Unternehmer; diese Ausnahme hat andere Gründe -) von seiner gesetzlichen Haftung nach § 6 Abs 1 iVm § 3 Abs 1 AVRAG faktisch zu entbinden. Da mit den Mitteln des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds im Interesse der Allgemeinheit sparsam umgegangen werden muß, geht es nicht an, Ansprüche der Arbeitnehmer aus Fondsmitteln zu befriedigen, wenn auch Dritte hiefür haften; ob und inwieweit diese Dritten beim insolventen Übergeber auf Grund des zwischen ihnen bestehenden Innenverhältnisses Regreß nehmen können, braucht hier nicht erörtert zu werden.

Eine sofortige Inanspruchnahme des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds durch die ehemaligen Arbeitnehmer des übergebenden Unternehmens käme nur insoweit in Betracht, als der Übergeber nicht nach § 6 Abs 1 IESG zur solidarischen Haftung herangezogen werden könnte, was im vorliegenden Fall infolge der personellen Verquickung - der Übernehmer mußte als Geschäftsführer der übergebenden GmbH deren Verpflichtungen jedenfalls kennen - auszuschließen ist.

Sollte der solidarisch haftende Übernehmer ebenfalls insolvent werden, steht den Arbeitnehmern Insolvenz-Ausfallgeld für ihre diesem gegenüber neu entstandenen oder auf ihn anläßlich des Betriebsübergangs übergegangenen Verpflichtungen zu, sodaß sie keinen Schaden erleiden können.

Eine Kostenentscheidung konnte entfallen, da Kosten nicht verzeichnet wurden.

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