OGH 8ObA9/13a

OGH8ObA9/13a4.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner und Peter Schönhofer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. S***** A*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler und Dr. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei B***** eGen, *****, vertreten durch Dr. Erich Moser, Rechtsanwalt in Murau, wegen Ausstellung eines Dienstzeugnisses, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. November 2012, GZ 7 Ra 84/12w‑16, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. Juni 2012, GZ 22 Cga 9/12a‑12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 976,68 EUR (darin enthalten 162,78 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger war vom 15. 7. 1997 bis 31. 12. 2010 bei der Beklagten als Controller beschäftigt. Im Vorverfahren brachte der Kläger eine Kündigungsanfechtungsklage ein. Dieses Verfahren endete aufgrund des außergerichtlichen Vergleichs vom 29. 9. 2011. Pkt 3 dieser Vereinbarung lautet: [Der Kläger] wird mit dem Recht ausgestattet, bis zum 31. 10. 2011 ein [vom Klagevertreter] verfasstes, qualifiziertes Dienstzeugnis vorzulegen, welches von der Geschäftsführung [der Beklagten] binnen 14 Tagen unterfertigt dem [Klagsvertreter] zurückzustellen ist.“

Mit Schreiben vom 24. 10. 2011 übermittelte der Klagevertreter der Beklagten ein von ihm aufgesetztes Dienstzeugnis zur Unterfertigung. Mit Schreiben vom 14. 11. 2011 retournierte die Beklagte ein Dienstzeugnis, das im Wesentlichen dem Inhalt des vom Klagevertreter verfassten Dienstzeugnisses entsprach. Die Beklagte ließ jedoch jene Passagen weg, die eine positive Qualifizierung der Arbeitsleistungen und des Verhaltens des Klägers enthielten (zB „zur vollsten Zufriedenheit“, „überzeugte das Management“, „perfektionierte und optimierte die Prozesse“, „äußerst wertvoller Beitrag für den Ausbau der nachhaltigen Kundenbeziehungen“, „aufgrund seiner profunden Italienischkenntnisse“, „ausgeprägte Kommunikations-fähigkeit“).

Der Kläger begehrte die Ausstellung eines qualifizierten Dienstzeugnisses mit dem von seinem Vertreter formulierten Inhalt. Aufgrund der getroffenen Vereinbarung schulde die Beklagte die Ausstellung eines qualifizierten Dienstzeugnisses. Das Wesen eines solchen Zeugnisses liege darin, detaillierte Angaben zur Leistung und zum Verhalten des Arbeitnehmers zu machen. Dabei könnten auch äußerst positive Formulierungen verwendet werden. Das von seinem Vertreter verfasste Dienstzeugnis verstoße nicht gegen die Wahrheitspflicht.

Die Beklagte entgegnete, dass die Ausstellung eines den tatsächlichen Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers nicht entsprechenden Dienstzeugnisses gegen die Wahrheitspflicht verstoße. Sie sei nicht verpflichtet, tatsachenwidrige Werturteile zur Leistung und zum Verhalten des Klägers abzugeben. Der Kläger habe sich nicht in die betriebliche Hierarchie eingliedern wollen und habe gegenüber Vorstandsmitgliedern und Aufsichtsratsmitgliedern zahlreiche Drohungen ausgesprochen. Außerdem habe er die Zusammenarbeit mit dem Geschäftsführer und anderen Mitarbeitern der Beklagten verweigert, worunter das Ergebnis der Dienstleistung sehr gelitten habe. Der geforderte Inhalt des Dienstzeugnisses widerspreche somit dem tatsächlichen Leistungs- und Verhaltensbild.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beklagte habe sich zwar verpflichtet, ein qualifiziertes Dienstzeugnis auszustellen. Daraus könne aber nicht die Verpflichtung abgeleitet werden, „jedes“ vom Klagevertreter verfasste Dienstzeugnis unterfertigen zu müssen. Wenn nach Auffassung der Beklagten gewisse Formulierungen nicht richtig seien, müsse sie solche Formulierungen nicht akzeptieren.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und verpflichtete die Beklagte zur Ausstellung des begehrten Dienstzeugnisses. Der Kläger habe einen vertraglichen Anspruch auf Ausstellung eines qualifizierten und von seinem Vertreter formulierten Dienstzeugnisses. Damit habe die Beklagte die Ausstellung eines Dienstzeugnisses mit den bestmöglichen positiven Formulierungen akzeptiert. Die Hauptfunktion eines Dienstzeugnisses bestehe in der Verwendung als Bewerbungsunterlage. Formulierungen wie „zur vollsten Zufriedenheit“ seien üblich. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zu den Grenzen der Wahrheitspflicht bei vertraglicher Verpflichtung zur Unterfertigung eines vom Arbeitnehmer formulierten qualifizierten Dienstzeugnisses höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, die auf eine Wiederherstellung der abweisenden Entscheidung des Erstgerichts abzielt.

Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision der Beklagten mangels Vorliegens einer entscheidungsrelevanten Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Trotz Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen (vgl 8 ObA 60/11y). Ist dies ‑ wie hier ‑ nicht der Fall, so ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Die Grundsätze, die bei der Ausstellung eines Dienstzeugnisses beachtet werden müssen, sind in der Rechtsprechung des Höchstgerichts geklärt. Ob der Inhalt eines Dienstzeugnisses mit der Wahrheitspflicht im Einklang steht, ist von den konkreten Umständen abhängig und betrifft daher eine typische Einzelfallbeurteilung.

2.1 Zwischen den Streitteilen ist unstrittig, dass die Beklagte aufgrund der Vereinbarung vom 29. 9. 2011 die Unterfertigung eines qualifizierten Dienstzeugnisses schuldet. Nicht zweifelhaft ist zudem, dass das qualifizierte Dienstzeugnis über die Angaben in einem einfachen Dienstzeugnis hinaus auch Wertungen über die Arbeitsleistung und das Verhalten des Arbeitnehmers enthält.

Der Beklagten, die sich auf die „Tatsachenwahrheitspflicht“ beruft, ist darin zuzustimmen, dass sie nicht verpflichtet ist, „jedes“ vom Klagevertreter formulierte Dienstzeugnis zu unterfertigen. Die Reichweite ihrer Verpflichtung ist durch Auslegung der Vereinbarung vom 29. 9. 2011 zu ermitteln. Auch dabei handelt es sich um eine typische Einzelfallbeurteilung. Maßgebend ist in dieser Hinsicht, dass die Beklagte die Formulierung des Dienstzeugnisses dem Klagevertreter überlassen hat (vgl dazu Reissner/Standeker in Reissner, AngG § 39 Rz 29). Davon ausgehend erweist sich die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger habe einen vertraglichen Anspruch auf Ausstellung eines qualifizierten, von seinem Vertreter formulierten Dienstzeugnisses, und die Beklagte müsse die bestmöglichen positiven Formulierungen akzeptieren, als nicht korrekturbedürftig.

Aufgrund des Zusammenhangs der Vereinbarung vom 29. 9. 2011 mit der Kündigungsanfechtung kann die Beklagte nicht das beiderseitige Verständnis unterstellen, dass sie mit den Dienstleistungen des Klägers unzufrieden gewesen sei. Einen derartigen Vorbehalt hätte sie in der Vereinbarung vom 29. 9. 2011 zum Ausdruck bringen müssen. Da eine Überprüfung des Inhalts des begehrten Dienstzeugnisses am Maßstab der zugrunde liegenden Vereinbarung ohne Weiteres möglich ist, scheitert auch der Hinweis der Beklagten auf die angebliche Unbestimmtheit ihrer Verpflichtung.

2.2 Entgegen den Ausführungen in der Revision trifft die Behauptungs‑ und Beweislast zur Verletzung der Wahrheitspflicht in dem vereinbarungsgemäß vom Klagevertreter verfassten Dienstzeugnis die Beklagte (vgl auch RIS‑Justiz RS0104545). Dementsprechend hätte sie qualifiziert darlegen müssen, in welchen konkreten Punkten die auf einer Tatsachenbasis beruhenden (auch wertenden) Angaben im Dienstzeugnis objektiv unwahr sind. Wertungen, wie die Erledigung „zur vollsten Zufriedenheit“, sind aufgrund der Formulierungsbefugnis des Klagevertreters im Lichte der bestmöglichen positiven Formulierungen zu beurteilen. Es ist daher zu Lasten der Beklagten ein strenger Maßstab anzulegen. Die nur pauschalen Hinweise der Beklagten auf eine mangelnde Eingliederung des Klägers in die Hierarchie und die Verweigerung der Zusammenarbeit genügen nicht, um mit dem Grundsatz der Zeugniswahrheit in Konflikt zu geraten.

2.3 Die in der Revision inkriminierten Wendungen „federführende Tätigkeit“, „erfolgreiche Weiterentwicklung von Projekten“, „Optimierung der Prozesse“, „Beitrag für den Ausbau der nachhaltigen Kundenbeziehungen“, „Beitrag zum Gewinn von Umweltauszeichnungen“, „Betreuung der norditalienischen Kunden bei profunden Italienischkenntnissen“ hat die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren nicht als tatsachenwidrig beanstandet. Soweit die Beklagte schließlich auf ihr Vorbringen hinweist, wonach das vom Klagevertreter vorgelegte Dienstzeugnis auch tatsachenwidrige Tätigkeitsbereiche aufliste, ist sie daran zu erinnern, dass sie in dieser Hinsicht in dem von ihr verfassten Dienstzeugnis keine Korrekturen vorgenommen hat.

3. Insgesamt gelingt es der Beklagten mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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