Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 908,64 EUR (darin 151,44 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist österreichischer Staatsbürger mit grenznahem Wohnsitz in Deutschland, er war bei der in Österreich ansässigen Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Mit Bescheid des Versorgungsamts Region Oberbayern vom 10. 9. 2008 wurde gemäß § 69 Sozialgesetzbuch eine Behinderung des Klägers vom Grad 50 festgestellt. Der Beklagten war dieser Umstand bereits während des aufrechten Arbeitsverhältnisses bekannt. Über einen österreichischen Nachweis der Behinderteneigenschaft iSd § 14 BEinstG verfügt der Kläger nicht.
Das Arbeitsverhältnis endete durch Dienstgeberkündigung ohne vorherige Zustimmung des österreichischen Behindertenausschusses.
In der Klage wird ‑ neben anderen, im Rechtsmittelverfahren derzeit nicht relevanten Ansprüchen ‑ Kündigungsentschädigung wegen Verletzung des gesetzlichen Kündigungsschutzes für begünstigte Behinderte begehrt.
Das Erstgericht wies dieses Begehren mit Teilurteil ab. Ein Bescheid einer deutschen Behörde über einen bestimmten Grad der Behinderung könne die in § 14 BEinstG genannten Nachweise nicht ersetzen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Für die angestrebte unmittelbare Bindungswirkung des deutschen Feststellungsbescheides fehle eine Rechtsgrundlage. Der Kläger könne seinen Anspruch auch weder auf eine Benachteiligung aufgrund seiner Staatsangehörigkeit stützen, noch auf eine Beschränkung seiner Freizügigkeit als Arbeitnehmer. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Frage, ob die Feststellung der Behinderteneigenschaft durch einen Träger eines anderen Mitgliedstaats unionsrechtlich unmittelbare Bindungswirkung entfalte, von über den Einzelfall hinaus erheblicher Bedeutung sei.
Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Erwägungen zwar zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Der Kläger fällt als österreichischer Staatsbürger nach § 2 Abs 1 BEinstG in den unmittelbaren Geltungsbereich dieses Gesetzes. Soweit die Revisionsausführungen diesen Umstand ‑ wie auch schon im Berufungsverfahren ‑ über weite Strecken beharrlich ignorieren, eine Benachteiligung des Klägers gegenüber Inländern behaupten und eine Gleichstellung seiner Person mit österreichischen Staatsbürgern fordern, gehen sie ins Leere.
2. In der Revision wird auch nicht mehr in Frage gestellt, dass der Kläger weder in den sachlichen (als Zivilinvalider), noch in den persönlichen Geltungsbereich (als österreichischer Staatsbürger im Inland) des Vertrags zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Kriegsopferversorgung und Beschäftigung schwer Geschädigter (BGBl Nr 218/1964) fällt. Damit ist aus den Regelungen dieses Abkommens, das eine bilaterale Gleichstellung bestimmter Bescheide vorsieht, für seinen Standpunkt nichts abzuleiten (vgl K. Mayr in ZellKomm² § 14 BEinstG Rz 4; RdW 1999, 535 f; 9 Ob 52/10b).
3. Bei den Förderungen und Begünstigungen nach dem BEinstG handelt es sich ferner nicht um Geld‑ oder Sachleistungen der sozialen Sicherheit gemäß Art 4 der VO (EWG) 1408/71 bzw Art 3 der an ihre Stelle getretenen VO (EG) 883/2004 . Weder aus diesen, noch aus der VO (EWG) 574/72 wären im Übrigen die vom Revisionswerber gewünschten Rechtsfolgen abzuleiten. Die gebotene Berücksichtigung von ärztlichen Unterlagen, Berichten und verwaltungsmäßigen Auskünften anderer Mitgliedstaaten (als Tatsachen und Ereignisse) hat nichts mit dem Ausschluss eines eigenen Verwaltungsverfahrens des leistungspflichtigen Mitgliedstaats oder mit der Bindungswirkung einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats getroffenen behördlichen Entscheidung zu tun.
4. Der Kläger kann sich als Grenzgänger auf die durch Art 45 AEUV (ex‑Artikel 39 EGV) gewährleisteten Freizügigkeitsrechte berufen, von denen er Gebrauch gemacht hat, indem er sich als in Österreich beschäftigter österreichischer Staatsbürger für einen Wohnsitz in Deutschland entschieden hat.
Das Freiheitsrecht umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH beeinträchtigen nationale Bestimmungen, die einen Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, um eine Erwerbstätigkeit in einem anderen Land aufzunehmen, diese Freiheit auch dann, wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Arbeitnehmer angewandt werden (vgl EuGH 16. 3. 2010, C‑325/08 Olympique Lyonnais, Rn 33 f; EuGH 17. 3. 2005, C‑109/04 Kranemann, Rn 25 f; EuGH 27. 1. 2000, C‑190/98 Graf).
Inwiefern die Regelungen des BEinstG über die Feststellung der Behinderung und die Rechtsfolgen einer Stellung als begünstigter Behinderter konkret geeignet wären, einen in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaften Arbeitnehmer daran zu hindern oder davon abzuhalten, in Österreich eine Beschäftigung anzunehmen, wird von der Revision nicht ansatzweise dargelegt. Eine solche Wirkung ist auch nicht zu erkennen.
Auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts über den einfachen Zugang zur Antragstellung, die verfahrensvereinfachende Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten ausgestellten ärztlichen Unterlagen und das gerechtfertigte Anliegen, alle im selben Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer hinsichtlich der Begünstigung gleich zu behandeln, ist zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Zu bedenken ist ferner, dass die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten nach dem BEinstG zwar den Anspruch auf Leistungen und Berechtigungen sowie Anreize und Förderungen zur bestmöglichen Eingliederung des Behinderten in den Arbeitsmarkt verschafft, dass sie sich unter Umständen aber gerade wegen dieser Begünstigungen bei der Arbeitssuche subjektiv als hinderlich erweisen kann.
Das Gesetz überlässt es nicht zuletzt aus diesem Grund der freien Disposition des Betroffenen, ob er dem Kreis der begünstigten Behinderten angehören möchte, es besteht keine (unbefristete) ex‑lege Zugehörigkeit. Diese freie Disposition wäre aber zu Lasten eines Wanderarbeitnehmers eingeschränkt, wenn sein im Ausland erworbener Bescheid über den Grad der Behinderung automatisch einem Bescheid nach § 14 Abs 2 BEinstG gleichgestellt wäre.
Einem Arbeitnehmer in der Lage des Klägers würde die praktische Möglichkeit genommen, den besonderen Status nur in einem Mitgliedstaat zu erwerben. Zwar ist ein Verzicht auf die bescheidmäßig festgestellte Behinderteneigenschaft nach dem BEinstG zulässig (VwGH 30. 9. 2011, 2009/11/0009), wäre aber ein ausländischer Bescheid einzige Rechtsgrundlage der Begünstigung, dann könnte ein Verzicht als contrarius actus nur bei gleichzeitiger Beseitigung des ausländischen Bescheids wirksam werden.
5. Da der Kläger somit nicht zum Kreis der begünstigten Behinderten nach § 2 Abs 1 BEinstG gehört, war der Revision keine Folge zu geben.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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