OGH 8ObA42/22t

OGH8ObA42/22t30.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Mag. Sibylle Wagner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch die Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwält_innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Rechtsanwalt in Wien, wegen 11.712 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Februar 2022, GZ 6 Ra 77/21x‑14, mit welchem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. September 2021, GZ 32 Cga 56/21k‑10, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00042.22T.0830.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Am 21. 12. 2015 meldete die Klägerin der Beklagten, bei der sie als Angestellte beschäftigt ist, dass sie schwanger sei. Als das Kind am 16. 6. 2016 zur Welt kam, vereinbarte die Klägerin mit der Beklagten einen Karenzurlaub vom 9. 9. 2016 bis 15. 6. 2018. Der Bezug des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes endete mit 15. 6. 2017, woraufhin die Klägerin über kein eigenes Einkommen mehr verfügte. Am 8. 5. 2018 meldete die Klägerin der Beklagten eine erneute Schwangerschaft. Da es sich um eine Risikoschwangerschaft handelte, unterlag die Klägerin ab 5. 6. 2018 einem vorzeitigen Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 3 MSchG, weshalb sie ihren Dienst am 16. 6. 2018 nicht wieder antreten konnte.

[2] Auf das Dienstverhältnis der Klägerin kommt die Dienstordnung A für Angestellte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.A) zur Anwendung, deren § 61 lautet:

„Angestellten, die nach den Bestimmungen des MSchG nicht beschäftigt werden dürfen, gebühren keine Dienstbezüge, wenn die laufenden Barleistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung für diese Zeit die Höhe der Dienstbezüge unmittelbar vor Beginn der laufenden Barleistungen erreichen. Ist dies nicht der Fall, so gebührt ihnen, mit Ausnahme der Zeit eines Ruhens gemäß §§ 89 oder 166 Abs 1 Z 3 ASVG, die Ergänzung auf die unmittelbar vor Beginn der laufenden Barleistungen gebührenden Dienstbezüge, höchstens jedoch im Ausmaß von 49 % dieser Bezüge.“

[3] Die Klägerin begehrt von der Beklagten für die Zeit ihres Beschäftigungsverbots von 5. 6. 2018 bis 4. 2. 2019 einen Ergänzungsbetrag nach § 61 DO.A von 11.712 EUR brutto sA.

[4] Die Beklagte wendet ein, dass die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen des § 61 DO.A nicht erfülle, weil sie im Zeitpunkt des Eintritts des Beschäftigungsverbots keinen Anspruch auf Wochengeld und auch keine Dienstbezüge gehabt habe.

[5] Das Erstgericht gab der Klage statt. Durch den Eintritt des Beschäftigungsverbots sei der vereinbarte Karenzurlaub beendet worden, was zum Wiederaufleben der Ansprüche aus dem Dienstvertrag geführt habe. Auch wenn keine Ansprüche aus der gesetzlichen Krankenversicherung bestünden, habe die Klägerin Anspruch auf einen Ergänzungsbetrag in Höhe von 49 % ihres früheren Dienstbezugs.

[6] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass das Klagebegehren abgewiesen wurde. Da § 61 DO.A seit 1. 1. 2001 auf die „unmittelbar vor Beginn der laufenden Barleistungen gebührenden Dienstbezüge“ abstelle, die Klägerin während ihres Karenzurlaubs aber keine Dienstbezüge gehabt habe, könne sie keinen Ergänzungsbetrag nach § 61 DO.A beanspruchen. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil diese Entscheidung im Widerspruch zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur alten Fassung des § 61 DO.A stehe und die Auslegung der Dienstordnung der Sozialversicherungsträger über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe.

[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichts dahin abzuändern, dass der Klage stattgegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

[9] 1. Das Revisionsverfahren betrifft die Frage, ob eine Angestellte, die sich im Zeitpunkt des Eintritts des Beschäftigungsverbots in Karenz befindet, Anspruch auf einen Ergänzungsbetrag nach § 61 DO.A hat. Die DO.A ist ein Kollektivvertrag (RIS‑Justiz RS0054394). Der Auslegung von Kollektivverträgen kommt regelmäßig eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu (RS0042819).

[10] 2. Das Wochengeld nach § 162 ASVG ist nach § 117 Abs 4 lit d ASVG eine Barleistung aus der Krankenversicherung. Ein Anspruch aus der Krankenversicherung – auf Wochengeld – setzt nach § 122 Abs 1 ASVG voraus, dass der Versicherungsfall der Mutterschaft vor dem auf das Ende der Versicherung nächstfolgenden Arbeitstag eingetreten ist. Der Versicherungsfall der Mutterschaft ist nach § 120 Z 3 ASVG mit dem Beginn der achten Woche vor der voraussichtlichen Entbindung anzunehmen. Das Wochengeld ist nach § 122 Abs 3 ASVG aber auch dann noch zu gewähren, wenn der Beginn der 32. Woche vor dem Eintritt des Versicherungsfalls in den Zeitraum des Bestands der beendeten Pflichtversicherung fällt und gewisse weitere Voraussetzungen vorliegen.

[11] 3. Dies bedeutet im Fall einer Karenzierung, dass der Anspruch auf Wochengeld praktisch nur besteht, wenn die Schwangerschaft noch während des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld eingetreten ist, was mitunter als „Wochengeldfalle“ bezeichnet wird (Braun, Subsidiäre Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber bei erneuter Schwangerschaft während der Elternkarenz aufgrund der Nichtgewährung von Wochengeld – Zur Auslegung des § 8 Abs 4 AngG, ASoK 2016, 52 [53 f]). Da die Klägerin während ihrer Karenz nach dem Auslaufen des Anspruchs auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld mit 15. 6. 2017 kein Einkommen bezog, hatte sie während ihres mit 5. 6. 2018 beginnenden Beschäftigungsverbots keinen Anspruch auf Wochengeld.

[12] 4. Seit 1. 1. 2016 besteht nach § 8 Abs 4 AngG kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn sich die Angestellte vor Eintritt des Beschäftigungsverbots in einer mit dem Dienstgeber zur Kinderbetreuung vereinbarten Karenz befindet. Der Gesetzgeber des Arbeitsrechts-Änderungsgesetzes 2015 wollte dadurch den Arbeitgeber entlasten (AB 948 BlgNR 25. GP  2 f; krit aus „familienpolitischer Sicht“ Melzer in Löschnigg/Melzer 11 § 8 AngG Rz 281). Nach § 8 Abs 4 AngG bleibt ein allfälliger Anspruch auf einen Zuschuss des Dienstgebers zum Krankengeld aber unberührt.

[13] 5. Nach § 14 Abs 2 MSchG hat eine Dienstnehmerin während des Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs 3 MSchG Anspruch auf das Entgelt, das dem Durchschnittsverdienst gleichkommt, den sie während der letzten 13 Wochen „vor Eintritt des Beschäftigungsverbots“ bezogen hat. Der Gesetzgeber wollte durch diese mit BGBl 2015/149 in den Normtext aufgenommene Formulierung klarstellen, dass eine Dienstnehmerin, die sich noch aufgrund einer früheren Schwangerschaft in Karenz befindet, keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat (AB 951 BlgNR 25. GP  2; Shubshizky, Keine Entgeltfortzahlungspflicht im Hinblick auf die „Wochengeldfalle“, ASoK 2016, 77; Wolfsgruber-Ecker in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 14 MSchG Rz 8). Daraus ergibt sich, dass die Klägerin nach geltender österreichischer Gesetzeslage weder Wochengeld aus der Krankenversicherung noch eine Entgeltfortzahlung gegenüber der Beklagten beanspruchen kann.

[14] 6. Die Klägerin stützt ihre Ansprüche deshalb auf § 61 DO.A. Dabei kann sich die Klägerin aber nicht darauf berufen, dass der Oberste Gerichtshof zu 9 ObA 132/87 einer Angestellten einen Ergänzungsbetrag gewährt hat, obwohl sie sich im Zeitpunkt des Beginns des Beschäftigungsverbots in Karenz befunden hatte. Diese Entscheidung betraf § 61 DO.A in der vor dem 1. 1. 2001 geltenden Fassung, wonach der Angestellten die Ergänzung auf die „vollen Dienstbezüge“ gebührte. Demgegenüber besteht nach dem nunmehrigen Wortlaut des § 61 DO.A ein anteiliger Ergänzungsanspruch auf die „unmittelbar vor Beginn der laufenden Barleistungen gebührenden Dienstbezüge“. Die inzwischen außer Kraft getretene Regelung eines Kollektivvertrags wäre nur dann zur Auslegung heranzuziehen, wenn die am Text des geltenden Kollektivvertrags orientierte Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt (RS0010089).

[15] 7. Der Klägerin ist dahin zuzustimmen, dass der Ergänzungsbetrag nach § 61 DO.A Einkommenseinbußen, die Angestellte dadurch erleiden, dass die Barleistungen aus der Krankenversicherung nicht die Höhe ihres Dienstbezugs erreichen, zumindest teilweise kompensieren soll. Der Oberste Gerichtshof hat zur Vorgängerbestimmung die Auffassung vertreten, dass ein Ergänzungsbetrag selbst dann beansprucht werden kann, wenn keine Barleistungen bezogen werden (9 ObA 132/87). Dies darf aber nicht zu einer Veränderung der Bemessungsgrundlage des Ergänzungsbetrags führen, weshalb sich der Ergänzungsbetrag angesichts der Neufassung des § 61 DO.A auch in einem solchen Fall nach den Dienstbezügen unmittelbar vor Eintritt des Beschäftigungsverbots richten muss. Da die Klägerin aufgrund ihres Karenzurlaubs unmittelbar vor ihrem Beschäftigunsgverbot keine Dienstbezüge hatte, kann sie nach dem eindeutigen Wortlaut des § 61 DO.A auch keinen Ergänzungsbetrag beanspruchen.

[16] 8. In der Revision stützt sich die Klägerin auch auf Art 11 Z 2 lit b der Mutterschutz-RL 92/85/EWG , wonach während des Mutterschaftsurlaubs von zumindest 14 Wochen die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder ein Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung gewährleistet sein muss. Dass dieses Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren nicht erstattet wurde, gereicht der Klägerin nicht zum Nachteil, weil eine Änderung der rechtlichen Argumentation und die Geltendmachung eines neuen Gesichtspunkts bei der rechtlichen Beurteilung auch im Rechtsmittelverfahren zulässig ist, wenn damit kein neues Tatsachenvorbringen verbunden ist (RS0016473).

[17] 9. Eine Richtlinie ist grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar, sondern muss von den Mitgliedstaaten in das innerstaatliche Recht umgesetzt werden (RS0111214). Wenn eine Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt wurde, kann sich der Einzelne dennoch gegenüber dem Staat auf die Richtlinie berufen, wenn die dort enthaltenen Regelungen inhaltlich unbedingt und hinreichend genau bestimmt sind (C‑41/74 , van Duyn, Rn 12; C‑6/90 und C‑9/90 , Francovich, Rn 11; C‑397/01 bis C‑403/01 , Pfeiffer, Rn 103; C‑282/10 , Dominguez, Rn 33).

[18] 10. Dies gilt unabhängig davon, in welcher Eigenschaft – als Arbeitgeber oder als Hoheitsträger – der Staat handelt, weil in dem einen wie dem anderen Fall verhindert werden muss, dass der Staat aus der Nichtbeachtung des Unionsrechts Nutzen zieht (C‑152/84 , Marshall, Rn 49; C‑413/15 , Farrell, Rn 32; C‑684/16 , Max‑Planck‑Gesellschaft, Rn 63). Der Einzelne kann sich auf die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer Richtlinie deshalb auch gegenüber solchen Organisationen oder Einrichtungen berufen, die kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen haben und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über diejenigen hinausgehen, die sich aus den für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften ergeben (C‑188/89 , Foster, Rn 18; C‑343/98 , Collino, Rn 23; C‑157/02 , Rieser, Rn 24; C‑122/17 , Smith, Rn 45; C‑17/17 , Hampshire, Rn 54). Dies betrifft insbesondere juristische Personen des öffentlichen Rechts (C‑688/15 und C‑109/16 , Anisimoviené, Rn 109).

[19] 11. Die Dienstnehmer einer mit der öffentlichen Gesundheitsvorsorge betrauten staatlichen Einrichtung können sich deshalb auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen, die nicht fristgerecht oder unzureichend umgesetzt wurde (C‑152/84 , Marshall, Rn 56; C‑297/03 , Sozialhilfeverband Rohrbach, Rn 27). Die Beklagte ist nach § 32 iVm § 538t ASVG als Sozialversicherungsträger eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und zählt damit zu den staatlichen Einrichtungen. Die Klägerin kann sich deshalb gegenüber der Beklagten auf die Mutterschutz-RL 92/85/EWG berufen, soweit die darin gewährleisteten Rechte unbedingt und hinreichend bestimmt sind.

[20] 12. Art 11 Z 4 der Mutterschutz‑RL 92/85/EWG sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Ansprüche der Arbeitnehmerinnen davon abhängig machen können, dass die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind. Der EuGH hat aber bereits ausgesprochen, dass eine nationale Bestimmung, nach der eine schwangere Arbeitnehmerin, die einen unbezahlten Elternurlaub unterbricht um einen Mutterschaftsurlaub im Sinne der Mutterschutz‑RL 92/85/EWG anzutreten, keinen Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts hat, dem Recht auf Elternurlaub (Richtlinie 96/34/EG ) widerspricht, wie es nunmehr in Art 5 der RL (EU) 2019/1158 vorgesehen ist (C‑512/11 und C‑513/11 , Terveys- ja sosiaalialan neuvottelujärjestö [TSN] ry, Rn 52). Die geltende österreichische Gesetzeslage, nach der die Klägerin aufgrund ihrer Karenz weder Wochengeld noch eine Entgeltfortzahlung beanspruchen kann, widerspricht damit dem Unionsrecht.

[21] 13. Nach Art 11 Z 2 lit b der Mutterschutz‑RL 92/85/EWG haben Arbeitnehmerinnen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts und/oder angemessene Sozialleistung. Nach Art 11 Z 3 der Mutterschutz‑RL 92/85/EWG gelten Sozialleistungen nur dann als angemessen, wenn sie zumindest den Bezügen entsprechen, welche die betreffende Arbeitnehmerin im Falle einer Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen erhalten würde. Diese Mindestgrenze gilt auch für das Arbeitsentgelt, das anstelle der Sozialleistungen gewährt wird (C‑411/96 , Boyle, Rn 34; Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht [2009] § 20 Rn 27).

[22] 14. Da die Richtlinie den Arbeitnehmerinnen während des Mutterschaftsurlaubs sohin ein Einkommen garantiert, das den Bezügen entspricht, die sie im Falle einer Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen erhalten würden, hat der EuGH bereits ausgesprochen, dass Art 11 Z 1 bis 3 der Mutterschutz‑RL hinreichend bestimmt ist, um unmittelbare Wirkung zu entfalten und für den Einzelnen Rechte zu begründen (C‑194/08 , Gassmayr, Rn 53). Dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten überlässt, ob sie diesen Anspruch als Sozialleistung oder Entgeltfortzahlung ausgestalten wollen, steht der unmittelbaren Anwendung nicht entgegen, weil – wenn der Staat seiner Verpflichtung zur Umsetzung nicht rechtzeitig nachkommt – der Berechtigte entscheiden kann, auf welchem System er seine Ansprüche geltend machen will, wobei er aber naturgemäß keinen Anspruch auf doppelte Auszahlung hat (C‑688/15 und C‑109/16 , Anisimoviené, Rn 103 f). Die Beklagte hat auch gar keinen Einwand erhoben, dass der Klägerin vorrangig andere Ansprüche zustehen oder anzurechnen wären.

[23] 15. Die Klägerin kann ihre Ansprüche deshalb auch im vorliegenden Verfahren unmittelbar auf Art 11 Z 2 lit b der Mutterschutz-RL 92/85/EWG stützen. Die Klägerin beansprucht mit ihrer Klage 49 % ihrer Bezüge für die Zeit ihres Beschäftigungsverbots von 5. 6. 2018 bis 4. 2. 2019. Das ist jedenfalls weniger, als sie im Falle einer Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen erhalten würde. Wohl aber ist zu berücksichtigen, dass Art 8 Abs 1 der Mutterschutz-RL 92/85/EWG nur einen Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen garantiert, weshalb die Klage, soweit sie sich auf einen darüber hinausgehenden Zeitraum bezieht, abzuweisen sein wird. Da das Erstgericht keine hinreichenden Feststellungen getroffen hat, um beurteilen zu können, welcher Anteil der Klagsforderung auf den nach Art 8 Abs 1 der Mutterschutz-RL 92/85/EWG geschützten Zeitraum entfällt, ist die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[24] 16. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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