European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00032.16P.0427.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 349,46 EUR (darin 58,24 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.
Begründung
Die beklagte Partei war im erstinstanzlichen Arbeitsgerichtserfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten, der am 16. 10. 2015, nach Schluss der Verhandlung, aber noch vor Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung, die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses gegenüber dem Gericht und dem Klagevertreter bekanntgab.
Am 7. 12. 2015 langte beim Erstgericht ein Schreiben des Beklagten vom 30. 11. 2015 ein, in dem er einen „Anwaltswechsel“ zum nunmehrigen Beklagtenvertreter bekanntgab und ersuchte, alle Zustellungen ab sofort an diesen neuen Anwalt vorzunehmen.
Das Erstgericht stellte die Ausfertigung des teilweise klagsstattgebenden Urteils am 30. 12. 2015 dem Beklagtenvertreter zu, nachdem es zuvor noch mit dessen Kanzlei Rücksprache gehalten hatte. Der Beklagtenvertreter gab mit Schriftsatz vom 8. 1. 2016 seine Bevollmächtigung durch den Beklagten bekannt und beantragte gleichzeitig die Wiederholung der Zustellung der Urteilsausfertigung, da er an deren Wirksamkeit Zweifel hege. Das Erstgericht verfügte daraufhin eine nochmalige Zustellung an den Beklagtenvertreter, die am 12. 1. 2016 erfolgte.
Das Berufungsgericht wies die am 4. 2. 2016 eingebrachte Berufung des Beklagten als verspätet zurück. Im erstinstanzlichen Arbeits- und Sozialgerichtsverfahren bestehe keine Anwaltspflicht. Der zum fraglichen Zeitpunkt unvertretene Beklagte habe mit seinem Schreiben an das Erstgericht den Beklagtenvertreter dem Gericht gegenüber wirksam als Zustellungsbevollmächtigten im Sinne des § 9 ZustG namhaft gemacht. Die am 30. 12. 2015 erfolgte Zustellung der Urteilsausfertigung an diesen Empfänger habe bereits die Rechtsmittelfristen ausgelöst.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Beschluss erhobene Rekurs des Beklagten ist nicht berechtigt.
Gemäß § 9 Abs 1 ZustG können die Parteien, soweit in den Verfahrensvorschriften nichts anderes bestimmt ist, natürliche oder juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften gegenüber der Behörde zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen („Zustellungsvollmacht“). Ist ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, so hat die Behörde, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung gemäß § 9 Abs 3 ZustG als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist.
Die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils an den vom Beklagten ausdrücklich gewünschten Empfänger entsprach daher dem Gesetz. Der Umstand, dass der Erstrichter die Angaben des Beklagten durch einen Anruf in der Kanzlei des bezeichneten Zustellungsbevollmächtigten überprüft hat, war eine rechtsfürsorgliche Vorsichtsmaßnahme, der aber für die Wirksamkeit der Zustellung keine Bedeutung zukommt.
Das Risiko, durch Bekanntgabe eines im Innenverhältnis nicht zur Annahme bereiten Zustellungsbevollmächtigten gegenüber der Behörde verfahrensrechtliche Nachteile zu erleiden, trifft die Partei selbst. Die im Rekurs dagegen ins Treffen geführten Überlegungen beziehen sich auf die Voraussetzungen und Wirkungen einer Prozessvollmacht und sind hier nicht einschlägig.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Rekurswerbers gegen die Bestimmung des § 9 ZustG wegen angeblicher Zwangsverpflichtung des Zustellbevollmächtigten werden vom Obersten Gerichtshof aus den oben ausgeführten Gründen nicht geteilt und bilden keinen Anlass zur Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens.
Über den mit dem Rekurs verbundenen Wiedereinsetzungsantrag wird das Erstgericht zu entscheiden haben.
Der Kostenzuspruch für die Rekursbeantwortung der klagenden Partei gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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