Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 6.086,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.014,40 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der 1962 geborene Kläger war vom 2.3.1987 bis zu seiner Entlassung am 1.8.1994 bei der beklagten Partei als Kraftfahrer beschäftigt. Er begehrt Kündigungsentschädigung, restliche Urlaubsentschädigung und Abfertigung in der Höhe des Klagsbetrages mit dem Vorbringen, er sei unberechtigt entlassen worden.
Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens; der Kläger habe sich zwar wegen eines Wespenstiches als arbeitsunfähig gemeldet, sich aber in einem Freibad aufgehalten. Dem erwiderte der Kläger, er habe dort sein Kind beaufsichtigt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es von folgenden Feststellungen ausging:
Am Samstag den 30.7.1994 wurde der Kläger von einer Wespe am Fuß gestochen. Er teilte deshalb am Sonntag den 31.7.1994 telefonisch Emma S*****, der Mutter des Geschäftsführers der beklagten Partei, mit, daß er von einer Wespe gestochen worden sei. Emma S***** riet ihm, gleich zum Arzt oder in die Ambulanz zu gehen, wenn man eine Spritze bekomme, sei es gleich wieder gut, im übrigen werde er am Montag unbedingt benötigt, weil der andere Chauffeur Lungenentzündung habe. Der Kläger sagte nichts, kam aber am Montag nicht, sondern teilte nur telefonisch seinen Krankenstand mit. Wegen Urlaubs seines Arztes bekam er von dessen Stellvertreter Dr.L***** eine vom 1.8. bis 7.8. dauernde Arbeitsunfähigkeit attestiert. Am Montagnachmittag hielt sich der Kläger in Badekleidung im Freibad L***** auf und beaufsichtigte dort sein Kind, weil dessen Mutter und Großmutter an der Aufsicht verhindert waren. Im Bad wurde er von Verena S*****, der Ehefrau des Geschäftsführers der beklagten Partei, gesehen. Diese wußte vom gemeldeten Krankenstand und sagte zum Kläger, sie habe geglaubt er sei krank. Der Kläger erwiderte "sieht man das nicht" und zeigte seinen leicht angeschwollenen Knöchel. Der Kläger ging "normal schnell ohne zu hinken" und sagte zu Verena S***** noch, er lasse sich von ihr "nicht so herstellen als ob er nichts habe". Verena S***** erwiderte, das brauche er nicht ihr sagen, sie werde es ihrem Mann mitteilen.
Noch am 1.8.1994 sprach die beklagte Partei schriftlich die Entlassung des Klägers aus.
Dem Sachverständigen teilte der Arzt Dr.L***** schriftlich mit, er habe den Kläger "krank geschrieben", könne aber zum Vorfall gar nichts sagen.
Der Kläger war am 1.8.1994 nicht mehr arbeitsunfähig.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, der Kläger sei am 1.8.1994 nicht mehr arbeitsunfähig gewesen und deshalb berechtigt gemäß § 82 lit f GewO entlassen worden.
Das Berufungsgericht gab der aus den Gründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung und unrichtigen Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil in ein Zwischenurteil im klagsstattgebenden Sinn ab; im übrigen trug es dem Erstgericht die Verfahrensergänzung über die Höhe der dem Grunde nach berechtigten Ansprüche des Klägers auf. Das Berufungsgericht erklärte, die Feststellungen, der Kläger sei am 1.8.1994 nicht arbeitsunfähig gewesen und die Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit durch den praktischen Arzt sei über Wunsch des Klägers erfolgt, nicht zu übernehmen, da diese in den Beweisergebnissen keine Deckung fänden; für die rechtliche Beurteilung seien sie aber ohnehin unerheblich. Der Kläger habe auf die Richtigkeit der ärztlichen Bescheinigung vertrauen dürfen, zumal die beklagte Partei nicht bewiesen habe, daß er die ärztliche Bescheinigung durch übertriebene oder falsche Angaben erwirkt habe. Unter Hinweis auf § 58 Abs 1 StVO, wonach ein Fahrzeug nur dann gelenkt werden darf, wenn sich der Lenker in einer körperlichen und geistigen Verfassung befindet, in der er das Fahrzeug zu beherrschen und die beim Lenken eines Fahrzeuges zu beachtenden Rechtsvorschriften zu befolgen vermag, führte das Berufungsgericht weiters aus, es sei dem Kläger nicht als Verschulden anzulasten, am 1.8.1994 seinen Dienst nicht angetreten zu haben. Wegen der vorgenannten Bestimmung der StVO sei er vielmehr verpflichtet gewesen, das Lenken eines Fahrzeuges zu unterlassen.
Gegen das berufungsgerichtliche Zwischenurteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus den Gründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag, es abzuändern und das klagsabweisende Urteil erster Instanz wiederherstellen.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist gemäß § 46 Abs 3 Z 1 ASGG zufolge des S 50.000,‑- übersteigenden Streitgegenstandes zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Der behauptete Mangel des Berufungsverfahrens dahin, es sei von den erstgerichtlichen Feststellungen ohne Beweiswiederholung abgegangen worden und die beiden nicht übernommenen Feststellungen seien für die rechtliche Beurteilung erheblich, liegt nicht vor. Die "Feststellung" des Erstgerichtes, der Kläger sei am 1.8.1994 nicht arbeitsunfähig gewesen, ist - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - eine aus den festgestellten Tatsachen nicht ableitbare, unrichtige rechtliche Schlußfolgerung. Die Frage, über wessen Wunsch die "Krankschreibung" erfolgte, ist für jene der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne entscheidende Bedeutung.
Nach der Rechtsprechung ist das Fernbleiben des Arbeitnehmers vom Dienst nicht nur dann entschuldigt, wenn er ‑ objektiv betrachtet - arbeitsunfähig war, also infolge seiner Erkrankung nicht oder doch nur mit der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig war, seiner bisher ausgeübten - oder sonst nach dem Arbeitsvertrag zu verrichtenden - Tätigkeit nachzukommen, sondern auch dann, wenn von einem zur Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit berufenen Arzt diese bejaht wurde, obwohl objektiv dazu keine Veranlassung gegeben war, er aber auf die Richtigkeit der ausgestellten ärztlichen Bestätigung vertrauen durfte. Dem Arbeitnehmer muß in dieser Situation in aller Regel der gute Glaube zugebilligt werden, sich für arbeitsunfähig zu halten, wenn der Arzt zu dieser Feststellung gelangte. Dem Arbeitgeber steht dagegen aber das Recht zu, den Beweis dafür anzutreten, daß der Arbeitnehmer trotz Vorlage einer entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsbestätigung arbeitsfähig war und davon auch Kenntnis hatte oder nach den Umständen des Falles offenbar haben mußte (Arb 10.004). Dieser Grundsatz wurde im weiteren dahin relativiert, daß der Arbeitnehmer auf die Richtigkeit einer ärztlichen Bestätigung dann nicht vertrauen dürfe, wenn diese im wesentlichen nur aufgrund seiner eigenen Angaben über seine Beschwerden ausgestellt wurde (9 ObA 199/89). Kuderna (Entlassungsrecht2 107) führt dazu aus, daß das Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes einer Erkrankung nicht davon abhängig sei, ob der Arbeitnehmer in den "Krankenstand genommen" werde; es komme auf die (allerdings vom Arbeitnehmer zu beweisende) tatsächlich bestehende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit an (DRdA 1995/49, 513 [Oberhofer] = RdW 1995, 230 = WBl 1995, 247 = Arb 11.335).
Der Beweiswert der ärztlichen "Krankschreibung" könnte hier allein noch nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß der Arzt "über Wunsch" eine solche Bescheinigung ausstellte, zumal eine leichte Schwellung am Fuß des Klägers infolge eines Wespenstiches objektiviert ist. Unbefriedigend an der gegenwärtigen Praxis der "Krankschreibung" ist, daß sich der Vertragsarzt innerhalb gewisser Grenzen - neben klinisch feststellbaren Krankheitserscheinungen - auf die Angaben seines Patienten verlassen und andererseits regelmäßig ohne Kenntnis der Art der Arbeitsleistung des Versicherten und die damit verbundenen Anforderungen eine Bescheinigung über die von ihm zu prüfende Rechtsfrage der "Arbeitsunfähigkeit" ausstellen muß (dazu Mazal ZAS 1987, 165 f; mit näheren Ausführungen Mazal, Ärztliche Bescheinigungen bei Krankenstand, RdW 1989, 273; Tomandl, Alternativen zur Krankschreibung, ecolex 1991, 865). Somit besteht unter bestimmten Voraussetzungen die Gefahr, der Arzt verlasse sich auf die anamnestischen Angaben des Arbeitnehmers und dieser dürfe dann gutgläubig der mehr oder weniger nur auf seinen Angaben beruhenden ärztlichen "Krankschreibung" vertrauen (vgl Arb 10.004). Die Beweisführung mittels Arbeitsunfähigkeitsbestätigung im Sinne eines Anscheinsbeweises (Oberhofer aaO 515; Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 22 vor § 226 ZPO; Leipold, Schwer zu fassen: Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach deutschem und europäischem Recht, FS Kissel [1994], 629 mwN, insb zum Anscheinsbeweis 637; Gitter, Arbeitsrechtliche Probleme der stufenweisen Wiedereingliederung arbeitsunfähiger Arbeitnehmer, ZfA 1995, 123 insb 173), kann durch den Arbeitgeber widerlegt werden. Die Chance des Arbeitgebers, den Anscheinsbeweis der erfolgten "Krankschreibung" zu entkräften, wird durch die auf den Arzt überwälzte rechtliche Beurteilung, der Arbeitnehmer sei arbeitsunfähig, ohne daß dabei in der ärztlichen Begutachtung - wie zB beim Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit - auf die Art der zu leistenden Arbeit eingegangen würde (vgl Tomandl aaO 866), erheblich verringert. Die umstrittene "Paletta" - Entscheidung des EuGH vom 3.6.1992, RS C 45/90 (Gitter, aaO, 173 bei FN 184; Leipold, aaO, 639 ff) hat noch weitergehend für (ausländische) Arbeitsunfähigkeits- bescheinigungen sogar eine Bindungswirkung angenommen, durch die dem Arbeitgeber ein Einwand gegen die Feststellungen eines ausländischen Arztes abgeschnitten wird (ergangen zur Verordnung des Rates (EWG) vom 14.6.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien Nr 1408/71). Die Frage der Teilarbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers (dazu Mazal aaO; insb Gitter aaO mit der Unterscheidung der tätigkeitsbezogenen Teilarbeitsfähigkeit 160 f und der zeitbezogenen Teilarbeitsfähigkeit 166 f) wird durch die Pauschalität der Bestätigungen (im Sinne eines "Alles‑oder‑Nichts‑Prinzipes"; Mazal, RdW 1989, 273; Tomandl aaO 866) verschüttet.
Selbst wenn im Sinne der Revisionsausführungen der beklagten Partei Zweifel am Ausmaß der Arbeitsunfähigkeit des Klägers am Entlassungstag obwalteten ‑ die Frage der weiteren Berechtigung des Krankenstandes über den ersten Tag der Arbeitswoche hinaus, an dem die Entlassung erfolgte, braucht hier nicht untersucht zu werden - so ist doch zu berücksichtigen, daß der Kläger nach seinem Arbeitsvertrag offensichtlich (nur) zur Tätigkeit als Kraftfahrer verpflichtet war, sodaß die Frage nach der zulässigen Zuweisung einer gesundheitsverträglichen Alternativtätigkeit im (weiteren) Rahmen des Arbeitsvertrages offenbleiben kann. Das Berufungsgericht hat zutreffend auf die Verpflichtung des Klägers gemäß § 58 Abs 1 StVO, das Lenken eines Fahrzeuges im beeinträchtigten Zustand zu unterlassen, hingewiesen. Mag der Wespenstich auch nur eine leichte Schwellung am Fuß des Klägers nach sich gezogen haben so kann dies die Lenkereignung, insbesondere bei der erforderlichen prompten Bedienung der Pedale, in Frage stellen (vgl zum Fremdkörper im Auge E 1 zu § 58 StVO in MGA 24 b9). Es ist offensichtlich, daß hiedurch eine Gefährdung der Sicherheit der Verkehrsteilnehmer eintreten könnte; eine Verpflichtung des Klägers, ungeachtet einer solchen Beeinträchtigung dennoch ein Fahrzeug zu lenken, verstieße gegen § 879 Abs 1 ABGB iVm § 58 Abs 1 StVO.
Somit ist der vom Kläger zu beweisende Verhinderungsgrund an der Arbeitsleistung (SZ 51/28 = Arb 9672 = EvBl 1978/145, 467) als von der beklagten Partei nicht widerlegt zugrundezulegen. Nach den Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen hat der Aufenthalt des Klägers in einem Freibad seine Genesung nicht hinausgezögert, sodaß die Entlassung auch nicht mit einem gröblichen Verstoß gegen medizinisch gebotene Verhaltenspflichten gerechtfertigt werden kann (vgl Kuderna, Entlassungsrecht2, 107 bei FN 5 mwN).
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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