Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die 1964 geborene Klägerin studierte von 1981 bis 1985 an der Universität in Plovdiv, Bulgarien, das Fach Chemie und schloß das Studium mit einer Diplomarbeit ab. Sie erwarb dadurch im Oktober 1985 den (nicht nostrifizierten) Grad "Diplomierter Chemiker, Lehrer für Chemie, im zweiten Fachgebiet für Physik". Vom 1.9.1985 bis zum 12.2.1988 unterrichtete sie als Lehrerin an einem staatlichen Gymnasium in Sofia Chemie und im Nebenfach Physik. Das Gymnasium bot Maturaabschluß. Die Klägerin bezog für ihre Tätigkeit ein staatliches Gehalt. Ab 1.3.1988 begann sie mit dem Dissertationsstudium, das sie nicht abschloß. Vom 1.2.1991 bis 30.5.1994 war sie bei der beklagten Partei beschäftigt. Sie begehrt in diesem Verfahren die Entgeltdifferenz, die sich aus einer Anrechnung der ausländischen Hochschul- und Vordienstzeiten in Bulgarien nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag für Angestellte des Gewerbes und dem darin enthaltenen Verwendungsgruppenschema ergibt.
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht hat zutreffend die Anrechnung der ausländischen Hochschul- und Vordienstzeiten unter der Voraussetzung ihrer noch vom Erstgericht ergänzend zu überprüfenden Gleichwertigkeit nach dem Kollektivvertrag für Angestellte des Gewerbes bejaht, sodaß es genügt, auf die Begründung dieser Entscheidung zu verweisen (§ 48 ASGG).
Ergänzend ist den Rechtsmittelausführungen entgegenzuhalten:
Der gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO); der geänderte Berufungsantrag der klagenden Partei war lediglich die Folge des durch die Entscheidung des Erstgerichtes als Teil-Zwischenurteil eingeschränkten Entscheidungsgegenstandes, wobei sie in ihrem Urteilsantrag - Zuspruch der sich aus der Anrechnung der ausländischen Vordienstzeit ergebenden Entgeltdifferenz - festhielt.
Für die Auslegung von Kollektivverträgen ist am Grundsatz der autonomen Rechtssetzung der Kollektivvertragspartner festzuhalten (Kuderna, Die Auslegung kollektivvertraglicher Normen und Dienstordnungen sowie deren Ermittlung im Prozeß, DRdA 1975, 161, insb 169: "Andere Kollektivverträge können zur Auslegung grundsätzlich nicht herangezogen werden, weil sie von einem anderen Normgeber stammen"; derselbe ZAS 1981, 203, Zur Diskussion über die Auslegung kollektivrechtlicher Normen, insb 205; aM Steindl, Auslegungsprobleme im Urlaubszuschußrecht ZAS 1980, 43 insb 46). Dieser Grundsatz verbietet zwar eine allgemeine Berücksichtigung von "kollektivvertragsdispositivem Recht" (Steindl aaO, 49; Kuderna, ZAS 1981, 205), steht aber einem "Blick über den Kollektivvertragsrand" in der Weise nicht entgegen, daß bei der Auslegung, was als vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung zur Herbeiführung eines gerechten Ausgleiches der sozialen und wirtschaftlichen Interessen (so die Formulierung von Kuderna, DRdA 1975, 169 f die später von der Rechtsprechung aufgegriffen wurde: Arb 10.480; 11.231; DRdA 1994/18, 244) anzusehen ist, auch andere kollektivvertragliche Regelungen berücksichtigt werden. Wird nämlich ein Sachproblem in anderen Kollektivverträgen in einer bestimmten Weise geregelt, die aufgrund zusätzlicher Überlegungen als vernünftig, zweckentsprechend und praktikabel erkannt wird, erfährt das Auslegungskriterium der Sachgerechtigkeit eine zusätzliche Stütze. Damit wird nicht eine fremde Kollektivvertragsnorm den Kollektivvertragspartnern zur Lückenfüllung aufgepfropft, sondern ein zusätzliches Argument für die Sachgerechtigkeit einer Norm gewonnen.
Bei dem "Funktionswandel" von Normen (Bydlinski-Rummel, ABGB2, Rz 26 zu § 6) kann eine Änderung der Rechtslage eine "Fernwirkung" überwiegend für die Auslegung von Normen unterschiedlicher Zeit- und Verständnishorizonte auf die Auslegung einer anderen, formell unveränderten Norm haben.
Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Arbeitnehmer (F.Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 565), der aus dem Persönlichkeitswert des Arbeitnehmers individualrechtlich zu rechtfertigen ist (aaO, 566), verbietet die Diskriminierung von Arbeitnehmern unter dem Gesichtspunkt der Lohngleichheit. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für gleichwertige Arbeit von Mann und Frau (§ 2 Abs 2 GlBHG; Art 119 EGV; RL 76/207/EWG ; zu den
"Leichtlohngruppen" 9 Ob A 801/94 = JBl 1995, 391 = ind 2227 = RdW
1995, 23 = SZ 67/149) sondern in einer darüber hinaus greifenden
Weise als sich aus der materiellen Gerechtigkeit ergebender Grundsatz (vgl das Sachlichkeitsgebot zu Art 7 B-VG bzw Art 2 StGG). Dieses Sachlichkeitsgebot, für gleichwertige Arbeit das gleiche Entgelt zu bezahlen, gilt auch für Normen der kollektiven Rechtsgestaltung (ausdrücklich § 2 Abs 2 GlBHG; zur mittelbaren Drittwirkung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes RdW 1993, 81) und dient der Sicherung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer.
Es soll keineswegs übersehen werden, daß Art 48 EGV (dazu Köck/Fischer Europarecht2, 481 ff) gegenüber Bulgarien als Drittstaat nicht gilt (hingegen ist Bulgarien seit 1992 Mitglied des Europarates, Köck/Fischer aaO 120 f in 7), jedoch ist der Grundsatz der Gleichbehandlung als Gebot der materiellen Gerechtigkeit nicht auf Vertragsstaaten beschränkt. Es stellte vielmehr eine Diskriminierung der Klägerin dar, würde sie - unter der Voraussetzung der noch zu prüfenden Gleichwertigkeit - gegenüber inländischen Arbeitnehmern im Geltungsbereich des Kollektivvertrages (Inländer bzw Staatsangehörige von Mitgliedstaaten) schlechter entlohnt, obwohl sich der Arbeitgeber den Vorteil der qualifikationssteigernden Ausbildung und praktischen Berufserfahrung zu Nutze macht. Mögen zwar Zugangsbeschränkungen von ausländischen Arbeitnehmern (von Drittstaaten) zum inländischen (europäischen) Arbeitsmarkt berechtigt sein, so ist die Beschäftigungs- bewilligung jedoch mit der Auflage zu verbinden, daß der Ausländer nicht zu schlechteren Lohn- und Arbeitsbedingungen beschäftigt wird, als sie für die Mehrzahl der bezüglich der Leistung und Qualifikation vergleichbaren inländischen Arbeitnehmer des Betriebes gelten (§ 8 Abs 1 AuslBG; zur Vermeidung von "Lohn-Dumping"). Insoweit wäre eine Unterscheidung der Arbeitnehmer, ob sie ihre Ausbildung und Berufspraxis im Inland oder "nur" im Ausland erworben haben, diskriminierend und nicht sachgerecht.
Wenn also den Kollektivvertragspartnern eine sachgerechte Regelung zu unterstellen ist, dann ist daraus der Auslegungsgrundsatz zu gewinnen, daß nur sachgerechte Unterscheidungsmerkmale eine unterschiedliche Rechtsfolge rechtfertigen. Unter der Voraussetzung der Gleichwertigkeit gegenüber dem inländischen Standard ist daher eine Berücksichtigung ausländischer Hochschul- und Vordienstzeiten geboten. Eine Vordienstzeitenan- rechnungsregelung im Kollektivvertrag, die nur inländische Ausbildungs- und Praxiszeiten ohne weitere Rechtfertigung anrechnete, wäre nicht sachgerecht. Wenn daher der Kollektivvertrag für Angestellte des Gewerbes eine Anrechnung einer "entsprechenden Tätigkeit als Angestellter" vorsieht (§ 17 Abs 9), ist es auch ohne vergleichbare "Empfehlung" wie im Rahmen-Kollektivvertrag für Angestellte der Industrie, sachgerecht, gleichwertige ausländische Zeiten anzurechnen. Die im Kollektivvertrag gebrauchte Formulierung, als Verwendungsgruppenjahr
haben Zeiten ..... einer entsprechenden Tätigkeit als Angestellter
.... zu gelten (§ 17 Abs 9 des KV), ist keine indirekte Verweisung
auf den örtlichen Geltungsbereich des Angestelltengesetzes, wodurch Ausländer außerhalb dieses Geltungsbereiches indirekt diskriminiert würden, sondern ist geradezu selbstverständlich eine Verweisung auf den im § 1 Abs 1 AngG umschriebenen Standard von "höheren", nicht kaufmännischen Tätigkeiten (zum Standard siehe SZ 65/149 mwN). § 44 Abs 1 IPRG widerlegt für den Fall der Entsendung eines Arbeitnehmers ins Ausland das unhaltbare Verständnis des Rechtsmittelwerbers vom örtlichen Geltungsbereich des Angestelltengesetzes.
Gewichtiger erweist sich hingegen der Einwand gegen die Praktikabilität des vorgenannten Auslegungs- ergebnisses, weil der Arbeitgeber die ausländischen Vordienstzeiten in ihrer Gleichwertigkeit nur schwer einschätzen kann.
Die praktische Durchführbarkeit (Kuderna, DRdA 1975, 169 f) bedeutet, daß sich die Richtigkeit einer Auslegungshypothese in der Praxis zu bewähren habe. Dies ist aus folgenden Erwägungen zu bejahen:
Nach der allgemeinen Beweislastregel (vgl SZ 51/28 = Arb 9672 = EvBl 1978/145, 467), ist der Arbeitnehmer für die anspruchsbegründenden Umstände, nämlich die ein höheres Entgelt rechtfertigende Vordienstzeiten und ihre Gleichwertigkeit, beweisbelastet. Die Vorlage von ausländischen Studien- und Dienstzeugnissen bzw vergleichbaren Bestätigungen, bedeutet keine ins Gewicht fallende Erschwernis gegenüber inländischen Urkunden. Die Beschaffung und Überprüfung einer vergleichbaren ausländischen Urkunde wird im Falle einer Auslandserkrankung während des Urlaubes vom Gesetz als dem Arbeitnehmer zumutbar angesehen (vgl § 5 Abs 3 UrlG; Kuderna, UrlG2, Rz 12 zu § 5). Im weiteren hat sodann der Arbeitgeber aber die Möglichkeit, die Eignung eines Arbeitnehmers und deren Übereinstimmung mit den vorgelegten Urkunden innerhalb eines Probemonats (§ 19 Abs 2 AngG) oder eines zulässigen, auf mehrere Monate befristeten Arbeitverhältnisses zur Probe (vgl § 10 a Abs 2
MSchG; für den Bereich der Arbeitskräfteüberlassung vgl Arb 10.967 =
SZ 64/114 = DRdA 1992/21, 215 = ind 2078 = WBl 1992, 20) zu
überprüfen. Damit steht dem Arbeitgeber eine einfache und bewährte Methode zur Verfügung, sich selbst von der behaupteten Gleichwertigkeit ausländischer Studien und Praxiszeiten in zumutbarer Weise zu überzeugen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens ist in § 52 Abs 1 ZPO begründet.
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