European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0080OB00099.17T.0427.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.270,08 EUR (darin 94,08 EUR Schweizer USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
Die beklagte Partei ist ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz und betreibt eine internationale Einkaufs- und Werbegemeinschaft. Der in Wien wohnhafte, freiberuflich tätige Kläger, ein selbstständiger Tierarzt, brachte vor, er sei der Beklagten im Dezember 2011 als Mitglied beigetreten und habe in der Folge für Gutscheine und sogenannte „Businesspakete“ insgesamt 21.550 EUR an sie bezahlt. Die Beklagte habe ihm für diesen Einsatz hohe Gewinne ohne weiteres Zutun und jederzeitige Rückforderbarkeit des Kapitals versprochen. Tatsächlich betreibe die Beklagte aber ein unzulässiges Schneeballsystem im Sinn des Anhang Z 14 zu § 2 UWG, es sei ihr Anlagebetrug vorzuwerfen.
Der Kläger begehrt die Rückabwicklung des mit der Beklagten geschlossenen Vertrags und die Rückzahlung der von ihm geleisteten Beträge abzüglich der erhaltenen Vergütungen. Der Vertrag sei sittenwidrig und nichtig. Hilfsweise beruft sich der Kläger darüber hinaus auf Rücktrittsrechte nach § 27 KSchG, § 5 Abs 4 KMG und § 5e KSchG.
Die Zuständigkeit des angerufenen Handelsgerichts Wien wird in der Klage mit dem Verbrauchergerichtsstand nach Art 15 und Art 16 LGVÜ 2007, dem Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 5 Z 1 lit a und dem Deliktsgerichtsstand des Art 5 Z 3 LGVÜ 2007 begründet.
Die Beklagte wandte Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein; der Kläger könne sich als Unternehmer nicht auf den Verbrauchergerichtsstand nach Art 15 und 16 LGVÜ 2007 berufen.
Fest steht, dass der Kläger die Mitgliedschaft bei der Beklagten einging, um ein zusätzliches Einkommen neben seiner Tierarztpraxis zu erzielen, wobei er die Infrastruktur der Praxis und seine beruflichen Kontakte als Tierarzt dazu nützte, um weitere Mitglieder für die Beklagte zu werben und seine laufenden Nebeneinkünfte aus der Mitgliedschaft zu erhöhen. Aufgrund eines gesondert abgeschlossenen, nur „Premiummitgliedern“ offenstehenden Partnerschaftsvertrags mit der Beklagten erzielte der Kläger einen Umsatz von gerundet 250.000 EUR.
Das Erstgericht wies die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück.
Aufgrund der engen Verquickung seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit mit der Vertragsbindung zur Beklagten sei der Kläger als Unternehmer iSd Art 15 LGVÜ anzusehen. Auf die Gerichtsstände nach Art 5 Z 1 lit a und Z 3 LGVÜ könne er sich ebenfalls nicht mit Erfolg berufen.
Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge. Der Kläger lasse die Verneinung seiner Verbrauchereigenschaft durch das Erstgericht unbekämpft und beziehe sich in seinem Rekurs nur mehr auf die Ablehnung des Gerichtsstands nach Art 5 Z 3 LGVÜ 2007, sodass sich die Entscheidung des Rekursgerichts auf die Prüfung dieser Frage zu beschränken habe.
Nach dieser Bestimmung, die wortgleich mit Art 5 Nr 3 EuGVVO 2000 bzw mit Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 sei, könne eine Partei in einem anderen Vertragsstaat vor dem Gericht des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, dann verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden.
Klagen „aus unerlaubten Handlungen“ iSd Art 5 Nr 3 EuGVVO 2000 bzw Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 seien nach der Definition des Europäischen Gerichtshofs Klagen, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinne des Art 5 Nr 1 EuGVVO anknüpfen. Schadenersatzansprüche aus deliktischen Handlungen im Zusammenhang mit einer Kapitalanlage fielen daher nur dann unter Art 5 Z 3 LGVÜ, wenn zwischen Schädiger und Geschädigtem entweder überhaupt kein Vertragsverhältnis bestanden habe, oder wenn das vorgeworfene Verhalten nicht als Verstoß gegen vertragliche Verpflichtungen anzusehen sei. Dies sei hier nicht der Fall. Der Kläger stütze sich mit seinem Vorwurf des Anlagebetrugs auf Versprechungen der Beklagten, die sie bei Vertragsabschluss abgegeben habe, sowie auf die Intransparenz ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen. Eine Auslegung des Vertrags sei dementsprechend unerlässlich für die Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche.
Das Rekursgericht erklärte gemäß § 508 ZPO über Antrag des Klägers den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Es bilde eine über den Anlassfall hinaus erhebliche Rechtsfrage, ob der Vorwurf der Unlauterkeit des gesamten Geschäftsmodells der Beklagten den Zusammenhang mit dem konkreten Vertragsverhältnis so weit in den Hintergrund treten lasse, dass sich der Kläger auf den Gerichtsstand nach Art 5 Z 3 LGVÜ 2007 stützen könne.
Der Revisionsrekurs des Klägers strebt die Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen und die Fortsetzung des ordentlichen Verfahrens an. Die Beklagte hat eine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem nachträglichen Ausspruch des Rekursgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1. Im Hinblick auf den Sitz der beklagten Partei in der Schweiz und nach dem Datum der Einbringung der Klage richtet sich die internationale Zuständigkeit nach dem am 30. Oktober 2007 in Lugano abgeschlossenen Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Art 64 Abs 2 lit a LGVÜ 2007).
Gemäß Art 5 Z 3 LGVÜ 2007 kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden.
Entscheidend ist, ob der geltend gemachte Anspruch als solcher von Art 5 Z 3 LGVÜ in seiner Auslegung durch den EuGH erfasst wird (6 Ob 137/15p). Danach sind Ansprüche aus Pflichtverletzungen nicht erfasst, wenn sie in einem so engen Zusammenhang mit einem Vertrag stehen, dass dieses vertragliche Element ganz im Vordergrund steht und den Charakter des Anspruchs prägt (EuGH 27. 9. 1988 Rs 189/87 Kalfelis/Bankhaus Schröder ua ; 27. 10. 1998 Rs C‑51/97 [ Réunion européenne SA ua/Spliethoff´s Bevrachtingskantoor BV ua ]), sie also an einen „Vertrag“ im Sinne des Art 5 Z 1 LGVÜ anknüpfen (9 Ob 2/05t; RIS‑Justiz RS0109739; vgl auch EuGH 13. 3. 2014 Rs C‑548/12 Brogsitter/Fabricantion de Montres Normandes EURL ua ).
2. Das Rekursgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat in vertretbarer Weise das Vorbringen dahin verstanden, dass das Klagebegehren auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung der vom Kläger an die Beklagte im Rahmen des geschlossenen Vertrags geleisteten Einzahlungen (abzüglich der erhaltenen Vergütungen) gerichtet ist und die geltend gemachten Anspruchsgrundlagen (Nichtigkeit des Vertrags nach § 879 ABGB, dessen Anfechtung wegen List und Irrtums, vorzeitige Vertragsauflösung aus wichtigem Grund, Rücktritt nach § 5e und § 27 KSchG sowie § 5 Abs 4 KMG, in eventu ordentliche Kündigung) auf den Vertrag, seinen Abschluss und seine Abwicklung Bezug nehmen.
Damit ist aber nicht unvertretbar davon auszugehen, dass hier die Ansprüche jedenfalls an den zwischen den Streitteilen geschlossenen Vertrag anknüpfen und dessen Auslegung zur Beurteilung der Ansprüche unerlässlich ist (EuGH 13. 3. 2014, C‑548/12 – Marc Brogsitter/Fabrication de Montres Normandes EURL Rn 25). Das unterscheidet sie auch etwa von den herangezogenen, auf Prospekthaftung gestützten Ansprüchen (EuGH 28. 1. 2015, C‑375/13 – Kolassa/Barclays Bank plc Rn 44). Entgegen der Ausführungen des Revisionsrekurses hat der Kläger seine Ansprüche auch gar nicht auf die Verletzung vorvertraglicher Schutz‑ und Sorgfaltspflichten (vgl dazu EuGH 17. 9. 2002 Rs C‑334/00 – Tacconi zur Qualifikation des Abbruchs von Vertragsverhandlungen als deliktisch), sondern im Wesentlichen auf die Rechtswidrigkeit des Vertrags selbst gestützt.
3. Ausgehend vom Inhalt des für die Beurteilung der Zuständigkeit maßgeblichen konkreten Klagsvorbringens ist also die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass dem Klagebegehren keine Ansprüche aus einem schädigenden Ereignis iSd Art 5 Z 3 LGVÜ zugrunde liegen und sich der Kläger auf den darin eröffneten Gerichtsstand nicht berufen kann, jedenfalls nicht unvertretbar.
Die Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO liegen daher nicht vor.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO; die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels in ihrer Revisionsrekursbeantwortung hingewiesen.
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