Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß es unter Einbeziehung seines bestätigten Teiles wie folgt lautet:
"Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin S 300.000 samt 4 % Zinsen seit 29.9.1984 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Das Mehrbegehren von S 100.000 s.A. wird abgewiesen." Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster, zweiter und dritter Instanz bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 18.1.1982 verschuldete der Erstbeklagte als Lenker und Halter des bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKWs Saab 900, polizeiliches Kennzeichen S 7.398 auf der Westautobahn einen Verkehrsunfall, bei dem die in dem vom Erstbeklagten gelenkten PKW mitfahrende Klägerin schwer verletzt wurde.
Die Klägerin begehrte neben einem Verdienstentgang und dem Ersatz von Sachschäden ein Schmerzengeld von letztlich insgesamt S 900.000, wobei sich dieses Schmerzengeldbegehren auf Grund bereits erfolgter Teilzahlungen von insgesamt S 500.000 auf den Betrag von S 400.000 reduzierte. Die Klägerin brachte hiezu vor, daß ihre bei dem Unfall erlittenen Verletzungen und insbesondere die daraus resultierenden Dauerfolgen ein Schmerzengeld von S 900.000
rechtfertigten.
Die Beklagten anerkannten die grundsätzliche Haftung für den eingetretenen Schaden (AS 10), wandten aber ein, daß lediglich ein Schmerzengeld von S 500.000 gerechtfertigt sei, weshalb das auf Zuspruch weiterer S 400.000 gerichtete Klagebegehren abgewiesen werden möge.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Teilurteil dahin statt, daß es der Klägerin den begehrten Schmerzengeldbetrag von S 400.000 s. A. zusprach.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es der Klägerin nur S 100.000 zuerkannte, das Mehrbegehren von S 300.000 abwies.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die Beklagten beantragen in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist teilweise berechtigt.
Die Vorinstanzen gingen bei ihren Entscheidungen von folgendem Sachverhalt aus:
Die Klägerin erlitt beim Unfall eine schwere Schädel-Hirnverletzung mit Blutung unter der harten Hirnhaut und einem Trümmerbruch des rechten Oberarmes mit Lähmung des Speichnervs.
Die Klägerin wurde nach dem Unfall auf die Neurochirurgische Abteilung gebracht, wo sie, etwa sechs Wochen bewußtlos, behandelt wurde. Anfänglich wurde ein appallisches Syndrom (schwere Gehirnschädigung) festgestellt. Am Schädel der Klägerin wurden beiderseits Bohrlöcher gesetzt. Der Oberarmtrümmerbruch wurde chirurgisch versorgt.
Vom 1.4.1982 bis 4.9.1982 wurde die Klägerin an der neurologischen Abteilung der Landesnervenklinik, im Rehabilitationszentrum Meidling und sodann wieder an der neurologischen Abteilung behandelt. Als Abschlußdiagnose wurde festgestellt: Schwere hirnorganische Wesensveränderung und Hirnleistungsschwäche; die Klägerin ist verlangsamt, automatenhaft und schwer antriebsgestört. Festgestellt wurden weiters eine Augenmuskellähmung rechts (6.Hirnnerv), eine diskrete rechtsseitige Halbseitenlähmung und eine sogenannte Fallhand (Lähmung der Streckmuskulatur der Finger und Hand rechts). Nach einem epileptischen Anfall wurde die Klägerin am 4.10.1983 neuerlich in die neurochirurgische Abteilung aufgenommen; am 12.10.1983 wurde sie auf die neurologische Abteilung verlegt. Am 20.2.1984 wurde die Klägerin zur Feststellung des Befundes neuerlich in der neurologischen Abteilung aufgenommen.
Bei der Klägerin bestehen (Untersuchung am 14.3.1985) im wesentlichen folgende Unfallsfolgen:
Hochgradiges organisches Psychosyndrom (erhebliche Hirnleistungsschwäche und ebenso erhebliche Wesensveränderungen), eine hochgradige Gebrauchsverminderung des rechten Armes und weitgehender Verlust der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand (der Ellbogen kann nur zwischen vollständiger Beugung und 120 Grad bewegt werden; der rechte Arm kann in der Schulter nicht bis zur Horizontalen gehoben werden; die rechte Hand und die Finger hängen kraftlos herunter) sowie eine relative Geruchsbehinderung. Diese Unfallsfolgen bedingten (gemeinsam mit weiteren vergleichsweisen unwesentlichen Folgen) eine dauernde Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 %.
Die Klägerin ist weitgehend auf die ständige Wartung und Hilfe durch andere Personen angewiesen (sie kann z.B. nicht allein in der Küche arbeiten und einfache Tätigkeiten verrichten) und bezieht daher von der Pensionsversicherung auch den Hilflosenzuschuß. Die Wartung und Hilfe wird der Klägerin derzeit durch ihre Eltern, mit denen sie im gemeinsamen Haushalt wohnt, zuteil. Die Klägerin befindet sich in dauernder ärztlicher Behandlung (sie bekommt Kreislaufmittel und ein Mittel zur Vermeidung weiterer posttraumatischer epileptischer Anfälle).
Die Klägerin ist derzeit und in absehbarer Zeit nicht in der Lage, ihrem 1977 geborenen mj.Sohn Daniel eine dessen Wohl entsprechende Pflege und Erziehung zu bieten. Eine Rückführung des Kindes in die ständige Obhut der Mutter ist nicht denkbar und würde eine ernstliche Gefährdung des Kindeswohles ergeben.
Die Klägerin erlitt nachstehende körperliche Schmerzen: Starke Schmerzen komprimiert etwa 6 Wochen, mittelstarke Schmerzen komprimiert etwa 12 Wochen, geringe, abklingende und seltende Schmerzen komprimiert etwa 13 Monate (etwa 28 Wochen für die Vergangenheit und etwa 6 Monaten für die Zukunft).
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß ein Schmerzengeld von insgesamt S 900.000 nicht überhöht sei, sondern nur einen bescheidenen Versuch darstelle, der zur Unfallszeit 40 Jahre alten Klägerin für die entzogene Lebensfreude auf andere Weise Erleichterung zu verschaffen und eine Genugtuung für alles Ungemach zu geben, das die Klägerin im ideellen Bereich erdulden mußte und voraussichtlich durch Jahrzehnte noch erdulden muß. Demgegenüber stellt sich das Berufungsgericht auf den Standpunkt, daß Schmerzengeldbeträge von S 900.000 nur bei Fällen von ganz außergewöhnlicher Tragik, die in allen zu berücksichtigenden Bemessungskomponenten zu den schwersten gehörten, die bisher vom Obersten Gerichtshof zu entscheiden waren, zugesprochen wurden. Die Klägerin sei aber immerhin weitgehend auf ständige Wartung und Hilfe durch andere Personen angewiesen, wobei besonders schwer wiege, daß sie nicht mehr imstande ist, für ihren mj.Sohn zu sorgen. Unter Berücksichtigung vergleichbarer Fälle sei daher ein Schmerzengeld von S 600.000 zuzuerkennen.
In ihren Revisionsausführungen verweist die Klägerin auf die Schwere des Falles, was insoweit richtig ist, als ihre Verletzungen und deren Folgen wenn auch nicht mit solchen verglichen werden können, die zu einem Schmerzengeld von S 900.000 führten, doch so gravierender Art sind, daß sie ein Schmerzengeld von S 800.000 rechtfertigen. Bei der Bemessung des Schmerzengeldes ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen; es ist aber zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung dabei ein objektiver Maßstab anzulegen. Der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen darf für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt werden (ZVR 1982/392 ua.).
Berücksichtigt man diese Gesichtspunkte, ist dem Berufungsgericht zwar zuzustimmen, daß S 900.000 nur in Fällen ganz außergewöhnlicher Tragik zuerkannt wurden (SZ 51/63; ZVR 1982/392
ua.). Der vorliegende Fall kommt diesen aber insoweit nahe, als die Klägerin, die nach dem Unfall sechs Wochen lang bewußtlos war, eine schwere Gehirnschädigung davontrug, durch deren Folgen sie ihr Leben lang auf die ständige Wartung und Hilfe anderer Personen angewiesen ist. Neben der Wesensveränderung, die sie außerstande setzt, ihren ungefähr 9 Jahre alten Sohn aufzuziehen, ist auch der faktische Verlust der Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes zu beklagen und treten ohne dauernde medikamentöse Behandlung epileptische Anfälle auf. Dazu kommt u.a. eine Augenmuskellähmung und eine rechtsseitige Halbseitenlähmung. Die Klägerin bietet daher ein Bild unfallsbedingter schwerster körperlicher und geistiger Schädigung ihrer gesamten Persönlichkeit. Unter diesen Umständen reicht der vom Berufungsgericht festgesetzte Schmerzengeldbetrag von S 600.000 nicht aus, um den von der Judikatur herausgearbeiteten Grundsätzen der Schmerzengeldbemessung zu genügen. Vielmehr erscheint ein solcher von insgesamt S 800.000 gerechtfertigt.
Demgemäß war der Revision der Klägerin teilweise Folge zu geben und wie im Spruch zu erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.
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