Spruch:
Beiden Rekursen wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger war am 14. Jänner 1983 Beifahrer in einem VW-Pritschenwagen, der gegen 24 Uhr auf der Westautobahn im Gemeindegebiet von Thalgau infolge Schneeglätte ins Schleudern kam und nach einer Drehung von ca. 150o den gesamten rechten Fahrstreifen blockierte. Durch den Anprall an die Leitschiene wurden der Fahrer und ein weiterer Beifahrer aus dem Fahrzeug geschleudert. Sie blieben mit schwerden Verletzungen auf der Überholspur liegen. Der Kläger, der beim Anstoß nicht aus dem Fahrzeug geschleudert und nur leicht verletzt worden war, zog sofort nach dem Aussteigen die beiden schwerverletzten Unfallsopfer nach rechts in den Bereich des Pritschenwagens. Unmittelbar darauf näherte sich der Erstbeklagte mit dem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW der Unfallstelle, fuhr den Kläger nieder und verletzte ihn schwer. Der Kläger begehrte ein Schmerzengeld von S 390.000,-- und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen Schäden. Der Erstbeklagte habe sich mit etwa 50 km/h der Unfallstelle genähert. Er habe auf die Unfallsituation mit einem Verlenken des Fahrzeuges auf die Überholspur reagiert. Im Hinblick auf die schneeglatte Fahrbahn, die geringe Reichweite seines Abblendlichtes und den sichtbehindernden Schneefall sei er zu schnell gefahren. Er hätte auch nicht versuchen dürfen, an der Unfallstelle vorbeizufahren, sondern hätte noch vor dem verunglückten Pritschenwagen anhalten müssen. Der Erstbeklagte verantworte daher das Alleinverschulden am Unfall.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Das Alleinverschulden am Unfall treffe den Kläger. Als sich der Erstbeklagte dem Pritschenwagen auf wenige Meter genähert hatte, sei plötzlich der stark alkoholisierte Kläger aus dem Bereich des Pritschenwagens auf die Fahrbahn und vor das Fahrzeug des Erstbeklagten gesprungen. Das geltend gemachte Schmerzengeld sei überhöht; das Feststellungsbegehren bestehe nicht zu Recht. Der Schaden am Fahrzeug des Erstbeklagten von S 19.091,20 werde gegen die Klageforderung aufrechnungsweise eingewendet.
Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches ein. Es erkannte den Anspruch des Klägers zur Hälfte als zu Recht bestehend und sprach aus, daß die Beklagten dem Kläger für zukünftige Schäden zur Hälfte zu haften haben. Die Gegenforderung der Beklagten erkannte es ebenfalls als zur Hälfte berechtigt.
Zusammengefaßt dargestellt traf es folgende Feststellungen:
Die Westautobahn verläuft im Unfallsbereich in einer langgezogenen Rechtskurve über eine Brücke. Die Richtungsfahrbahn Wien, auf welcher sich der Unfall ereignete, hat in diesem Brückenbereich zwei Fahrstreifen, jedoch keinen Pannenstreifen. Die Fahrbahn ist 8,4 m breit, der Abstand zwischen den Leitschienen beträgt 10 m. Die Unfallstelle liegt ca. 40 m nach dem Beginn der Brücke. Im Unfallszeitpunkt war die Sicht durch Finsternis und Schneetreiben eingeschränkt. Der Erstbeklagte näherte sich der Unfallstelle auf dem rechten Fahrstreifen mit ca. 50 km/h. Er hatte das Abblendlicht eingeschaltet und konnte etwa 40 m weit sehen. Seine Geschwindigkeit entsprach einem Fahren auf Sicht. Der Erstbeklagte nahm die trotz des Unfalles unbeschädigt gebliebenen Scheinwerfer des Pritschenwagens, die in einer leichten Schrägstellung gegen seine Fahrtrichtung wiesen, aus ca. 50 m wahr. Er vermutete sofort einen Unfall und bemerkte auch die zwei im Bereich des Pritschenwagens auf der Fahrbahn liegenden verletzten Personen. Er verlangsamte darauf geringfügig seine Geschwindigkeit und lenkte in der Absicht, nach dem Vorbeifahren hinter dem verunglückten Fahrzeug anzuhalten und Hilfe zu leisten, seien PKW auf die Überholspur. Es wäre ihm allerdings möglich gewesen, seinen PKW noch vor dem Pritschenwagen anzuhalten. Er unterließ dies jedoch wegen der Gefahr des Auffahrens anderer Fahrzeuge.
Nachdem der Kläger, der mit 1,95 %o Blutalkoholgehalt deutlich alkoholisiert war, die Schwerverletzten zur Seite gezogen hatte, wurde er auf die sich nähernden Scheinwerfer des PKWs des Erstbeklagten aufmerksam. Er lief diesem PKW entgegen, um den Lenker zu warnen, und von ihm Hilfe zu erlangen. Er trug im Unfallszeitpunkt ein helles Sakko. Eine geringe Beeinträchtigung der Sicht des Erstbeklagten auf den Kläger wegen der Kleidung und durch das Abblendlicht des Pritschenwagens ist nicht ausschließbar. Ein Reaktionsverzug des Erstbeklagten auf die nicht näher feststellbare Laufbewegung des Klägers konnte nicht festgestellt werden. Der Zusammenstoß zwischen dem Kläger und dem PKW ereignete sich auf der Überholspur, etwa 2 m links der Fahrbahnmitte und ungefähr 10 m vor dem Pritschenwagen. Im Anstoßzeitpunkt betrug die Geschwindigkeit des PKWs noch 35 bis 40 km/h. Hätte der Erstbeklagte seine Geschwindigkeit so stark wie technisch möglich verzögert, wäre er an der Kollisionsstelle nur mehr mit Schrittgeschwindigkeit gefahren. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß der Erstbeklagte seine Geschwindigkeit nicht ausreichend genug herabgesetzt habe. Der Kläger verantworte als Verschulden, daß er trotz Dunkelheit, Schneefall und Schneefahrbahn auf die Überholspur und in die Fahrspur des Erstbeklagten gelaufen sei. Das Verschulden sei daher im Verhältnis 1 : 1 zu teilen.
Das Berufungsgericht gab den Berufungen des Klägers und der Beklagten Folge, hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Wert des Feststellungsbegehrens, über welches das Berufungsgericht entschieden habe, S 300.000,-- übersteigt; das Verfahren sei erst nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen. Das Gericht zweiter Instanz verwies darauf, daß die Fällung des Zwischenurteils im vorliegenden Fall ausgeschlossen gewesen sei, weil die Aufrechnungseinrede den Grund des Anspruches in einem nicht absehbaren Ergebnis betreffe. Rechtlich sei das Verhalten des Klägers als grober Verkehrsverstoß zu werten, weil es unter den festgestellten Umständen keinesfalls vertretbar war, mitten auf der Fahrbahn der Autobahn den entgegenkommenden Fahrzeugen entgegenzulaufen. Der Erstbeklagte verantworte demgegenüber, daß er seine Geschwindigkeit nur auf 35 bis 40 km/h herabsetzte und zu schnell an der Unglücksstelle vorbeifahren wollte. Das Verschulden des Klägers überwiege aber beträchtlich, sodaß eine Verschuldensteilung von 3 : 1 zu dessen Lasten vorzunehmen sei. Während das Zwischenurteil aus den oben dargelegten Gründen aufzuheben gewesen sei, könne der Feststellungsausspruch deshalb nicht meritorisch erledigt werden, weil die Frage der Dauerfolgen noch offen blieb; daher sei das gesamte Urteil des Erstgerichtes zu beheben gewesen.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richten sich die jeweils unrichtig bezeichneten Rechtsmittel der Parteien, die jedenfalls als Rekurse anzusehen sind. Der Kläger beantragt primär die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, daß seinem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde; die Beklagten streben demgegenüber die gänzliche Abweisung des Klagebegehrens an. Beide stellen auch entsprechende Aufhebungsanträge. In den Rekursbeantwortungen beantragen die Parteien, dem Rechtsmittel der Gegenseite nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Rekurse sind zweckmäßigerweise gemeinsam zu behandeln, wei sie in ihrem Kern nur die Verschuldensteilung des Berufungsgerichtes - allerdings unter gegensätzlicher Argumentation - bekämpfen. Hingegen wird die oben dargelegte Ansicht des Berufungsgerichtes, daß weder die Fällung eines Zwischenurteiles noch eines Teilurteiles nach dem bisherigen Verfahrensstand zulässig war, nicht in Frage gestellt, sondern werden anderwärtige Verfahrensverstöße gerügt, die aber nicht vorliegen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei der Ausmessung der Verschuldensanteile primär nicht auf die Anzahl der von den unfallsbeteiligten Straßenbenützern zu vertretenden Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften an; ausschlaggebend ist vielmehr der Grad der Fahrlässigkeit der Beteiligten sowie die Wichtigkeit der verletzten Vorschriften für die Sicherheit des Straßenverkehrs. Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet ist der Verstoß des Klägers gegen § 76 Abs 1 StVO zweifellos als schwer zu erachten. Es war von ihm grob verkehrswidrig, dem auf der Autobahn entgegenkommenden Verkehr in der Mitte der Richtungsfahrbahn entgegenzulaufen; ein derart unfallsträchtiges Verhalten vermag auch durch die Absicht, dadurch einen weiteren Unfall zu verhindern, nicht entschuldigt zu werden. Andererseits ist auch die Fahrweise des Erstbeklagten als durchaus ins Gewicht fallender Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften zu werten. Seine Unaufmerksamkeit und seine Absicht, mit einer Geschwindigkeit zwischen 35 und 40 km/h an dem in einen schweren Unfall verwickelten, havarierten Fahrzeug und den auf der Fahrbahn liegenden Unfallsopfern vorbeizufahren, ist unter den gegebenen widrigen Fahrbahn- und Sichtverhältnissen ebenfalls als gravierend zu beanstanden. Stellt man das beiderseitige Fehlverhalten einander gegenüber, ist dem Berufungsgericht zwar beizupflichten, daß das Verschulden des Klägers überwiegt; der vom Gericht zweiter Instanz für richtig erachteten Relation kann aber nicht zugestimmt werden; vielmehr erachtet der Oberste Gerichtshof eine Verschuldensteilung von 2 : 1 zu lasten des Klägers als dem Schuldgehalt der festgestellten Verkehrswidrigkeiten angemessen. Im Endergebnis hat es bei der Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils zu verbleiben, wobei der meritorischen Erledigung der Ansprüche die nunmehr abschließend vorgenommene Verschuldensteilung zugrunde zu legen ist.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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