OGH 8Ob74/01t

OGH8Ob74/01t13.9.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer, Dr. Rohrer, Dr. Spenling und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GesmbH, ***** vertreten durch DI Dr. Peter Benda, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Christoph Z*****, vertreten durch Kaan, Cronenberg & Partner, Rechtsanwälte in Graz, wegen DM 45.781,65 sA (= S 320.471,55) infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht vom 25. Oktober 2000, GZ 4 R 133/00m-14, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 31. Mai 2000, GZ 11 Cg 21/00g-8, teils bestätigt und teils aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss, der in seiner lit a unberührt bleibt, wird in lit b dahin abgeändert, dass der erstinstanzliche Beschluss wieder hergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 12.709,80 (darin S 2.118,30 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zweiter Instanz sowie die mit S 10.166,40 (darin S 1.694,40 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens dritter Instanz binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit ihrer am 31. 1. 2000 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die in Österreich ansässige Klägerin von dem in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Beklagten für Lieferung von Metallwaren insgesamt den Betrag von DM 45.781,65 sA. Zur Begründung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts berief sich die Klägerin auf eine in ihren Rechnungen enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung (§ 104 JN) und brachte weiters vor, dass zwischen den Prozessparteien eine ständige Geschäftsbeziehung bestehe.

Die Beklagte wendete Unzuständigkeit des Erstgerichts ein und beantragte die Zurückweisung der Klage. Der der Klägerin übermittelte Mietkaufvertrag enthalte als Erfüllungsort den in der Bundesrepublik Deutschland gelegenen Wohnsitz des Beklagten. Darüber hinaus bestehe auch eine vertragliche Vereinbarung, nach der für sämtliche aus dem Mietkaufvertrag resultierenden Streitigkeiten das Gericht dieses Ortes zuständig sei.

Das Erstgericht beraumte die Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung für den 9. 5. 2000 mit dem Zusatz an, "Thema:

Eingeschränkt auf Zuständigkeit! Alle Bezug habenden Urkunden sind vorzulegen!". In der Verhandlung wiederholte die Beklagte nach dem Vortrag der Klage ihren Unzuständigkeitseinwand, worauf das Erstgericht den Beschluss "auf Einschränkung auf die Frage der Zuständigkeit" fasste. Nach Vortrag des Schriftsatzes der Klägerin ON 6, mit welchem sie unter anderem auf die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten repliziert und insbesondere ausgeführt hatte, dass der Mietvertrag von der Beklagten entgegen der getroffenen Vereinbarung in dem den Erfüllungsort betreffenden Punkt nachträglich abgeändert worden sei, wogegen die Klägerin sofort remonstriert habe und nach Vorlage verschiedener Urkunden und Abgabe von Erklärungen der Parteienvertreter dazu schloss der Erstrichter die Verhandlung und gab bekannt, dass die Entscheidung schriftlich ergehen werde.

Das Erstgericht wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück und erkannte die Klägerin schuldig, die Verfahrenskosten zu ersetzen. Die von der Klägerin behauptete Gerichtsstandsvereinbarung sei urkundlich nicht nachgewiesen, zumal der auf der Rechnung enthaltene Vermerk "Gerichtsstand Graz" nicht geeignet sei, die Zuständigkeit des Erstgerichts zu begründen. Das Fehlen eines urkundlichen Nachweises über eine Gerichtsstandsvereinbarung führe zur Zurückweisung der Klage wobei dahingestellt bleiben könne, ob durch die im Mietkaufvertrag handschriftlich vorgenommenen Korrekturen ein Gerichtsstand am Wohnort des Beklagten begründet oder das in der Urkunde ursprünglich genannte "Gericht in Leoben" als zuständig vereinbart worden sei.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Gericht zweiter Instanz dem dagegen erhobenen Rekurs der Klägerin a) soweit er sich gegen den Ausspruch der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes richtet, nicht Folge und hob b) den erstinstanzlichen Beschluss hinsichtlich der Zurückweisung der Klage und im Kostenpunkt auf. Es trug in diesem Umfang dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Das Rekursgericht sprach aus, dass der (Revisions-)Rekurs hinsichtlich des bestätigenden Teiles der Entscheidung jedenfalls unzulässig, jedoch, soweit er die Aufhebung der Klagszurückweisung betrifft, zulässig sei. Zwischen den Parteien sei die Zuständigkeit des Erstgerichts nicht wirksam vereinbart worden, die Nennung dieses Gerichtsstands in der Rechnung könne eine derartige Vereinbarung nicht ersetzen. Allerdings sei das Verfahren mangelhaft geblieben, weil das Erstgericht seiner im § 182 Abs 2 letzter Satz ZPO normierten Anleitungspflicht nicht nachgekommen sei. Die Lehre und ihr folgend der Oberste Gerichtshof hätten diese Bestimmung dahin verstanden, das Gericht müsse - über die bloße Einräumung der Gelegenheit zur Stellung eines Überweisungsantrags hinaus - die Parteien, selbst wenn sie rechtskundig vertreten sind, auf die Heilungsmöglichkeiten oder den Überweisungsantrag hinweisen. Im Gegensatz dazu habe der Oberste Gerichtshof in JBl 1995, 183 ausgesprochen, dass in den Fällen, in denen die Verhandlung auf die Frage der Zuständigkeit eingeschränkt und lediglich darüber verhandelt worden sei, das Gericht den anwaltlich vertretenen Kläger nicht zur Stellung eines Überweisungsantrages anzuleiten habe. Das Rekursgericht schließe sich jedoch der Lehre und der überwiegenden Judikatur an, dass § 182 Abs 2 letzter Satz ZPO eine Erweiterung der Prozessleitungspflicht auch gegenüber anwaltlich vertretenen Parteien darstelle, weshalb es zumindest einer Erörterung von Bedenken des Erstrichters gegen seine Zuständigkeit und eines Hinweises auf die Möglichkeit eines Überweisungsantrags bedürfe. Dass der Erstrichter den Parteien seine Absicht, die Verhandlung zu schließen und über die Zuständigkeitsfrage verneinend zu entscheiden, bekannt gegeben habe, gehe aus dem Protokoll nicht hervor und sei auch nicht behauptet worden.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Rekurs des Beklagten ist berechtigt.

Gemäß § 182 Abs 2 letzter Satz ZPO hat der Vorsitzende bei Bedenken gegen das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit oder der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit den Parteien vor einer Entscheidung hierüber die Gelegenheit zu einer Heilung nach § 104 JN bzw zu einem Antrag auf Überweisung der Rechtssache an das zuständige Gericht (§ 261 Abs 6) zu geben. Diese durch die WGN 1997 nur durch den Hinweis auf das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit und die Benennung der Arten der Zuständigkeit (sachlich oder örtlich) modifizierte Gesetzesstelle bestand auch vor dieser Novelle im hier streitentscheidenden Bereich unverändert. Der Oberste Gerichtshof judizierte hiezu in seinen Entscheidungen RZ 1986/61, 7 Ob 583/94 und zuletzt SZ 68/37, dass die Vorschrift des § 182 Abs 2 letzter Satz ZPO eine Erweiterung der Prozessleitungspflicht des Richters beinhalte, die auch im Gerichtshofverfahren gelte und auch dann anzuwenden sei, wenn der Kläger anwaltlich vertreten sei. Dies führe dazu, dass der Richter nach Beginn der mündlichen Streitverhandlung allfällige Bedenken gegen seine Zuständigkeit immer zu erörtern und auch rechtskundig vertretene Parteien auf die Heilungsmöglichkeit oder die Möglichkeit eines Überweisungsantrages hinzuweisen habe. Diese Judikaturlinie wurde bereits in der Entscheidung JBl 1995, 183 zumindest in den Fällen abgelehnt, wo die Verhandlung ausdrücklich auf die Frage der Zuständigkeit eingeschränkt wurde. Die Möglichkeit zur Stellung eines Überweisungsantrags gemäß § 261 Abs 6 ZPO sei ein grundlegendes Instrumentarium der österreichischen Zivilprozessordnung. Es müsse unterstellt werden, dass dermaßen grundlegende Normen jedem Rechtsanwalt bekannt seien und diese Kenntnis ihn in die Lage versetze, entsprechend zu handeln, nämlich im Fall der Erhebung der Einwendung der Unzuständigkeit einen entsprechenden Überweisungsantrag zu stellen. Es käme einer Bevormundung der zweifelsohne als rechtskundig zu bezeichnenden Rechtsanwaltschaft gleich, würde man für derartig grundlegende zivilprozessuale Vorgangsweisen eine Anleitungspflicht fordern, ja es würde einer Parteilichkeit nahekommen, vom Gericht zu verlangen, einen Rechtsanwalt gleichsam aufzufordern, einen - von ihm in vielen Fällen allenfalls gar nicht gewünschten - Überweisungsantrag gemäß § 261 Abs 6 ZPO zu stellen. Dieser Rechtsansicht ist der Oberste Gerichtshof bis in jüngste Zeit weiterhin gefolgt. In 3 Ob 164/00i wurde selbst für den Fall, dass keine Einschränkung der Verhandlung auf den Zuständigkeitsstreit erfolgte, in der Tatsache, dass die Unzuständigkeitseinrede Gegenstand der Verhandlung war, eine ausreichende Gelegenheit gesehen, im Sinn des § 182 Abs 2 ZPO einen Überweisungsantrag zu stellen. Durch die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten in der Verhandlung (oder in einem Schriftsatz) sei der Kläger auf die Gefahr einer negativen Zuständigkeitsentscheidung unmissverständlich hingewiesen worden. Eine Verpflichtung des Prozessgerichts, den Umstand, dass dem Kläger die Gelegenheit zu einem Überweisungsantrag nach § 261 Abs 6 ZPO eingeräumt wurde, dieser davon aber nicht Gebrauch gemacht habe, zu protokollieren, ergebe sich aus dem Gesetz nicht. In der Entscheidung 9 Ob 64/01d wurde neuerlich betont, dass die Kenntnis der grundlegenden Norm des § 261 Abs 6 ZPO jedem Rechtsanwalt unterstellt werden könne. In Fällen, in denen die Verhandlung ausdrücklich auf die Frage der Zuständigkeit eingeschränkt werde, sei das Gericht nicht verpflichtet, den anwaltlich vertretenen Kläger zur Stellung eines Überweisungsantrages gemäß § 261 Abs 6 ZPO anzuleiten. An dieser Auffassung ist weiterhin festzuhalten, weil dem Gesetz eine weitergehende Pflicht, als der Partei die Gelegenheit zu geben, einen Überweisungsantrag zu stellen, nicht zu entnehmen ist. Das Vorliegen einer derartigen Gelegenheit zur Antragstellung wird in der Regel jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn über die Unzuständigkeitseinrede abgesondert verhandelt wird.

Dem Rekurs ist Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Für den Rekurs an den Obersten Gerichtshof waren dem Beklagten die von ihm gemäß TP 3A begehrten und verzeichneten Kosten zuzusprechen. Eine Pauschalgebühr war dem Kläger nicht zum Ersatz aufzuerlegen, weil für Rekurse - ausgenommen jene, hier nicht vorliegenden, gemäß TP 2 Anm 1 GGG - keine Pauschalgebühr zu entrichten ist (VwGH, GZ 91/16/0027). Es sind daher auch Rekurse an die dritte Instanz - ausgenommen den hier nicht vorliegenden Fall des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO (TP 3 Anm 1 GGG) - nicht zu vergebühren.

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