Spruch:
Die Akten werden dem Bezirksgericht Rottenmann als Pflegschaftsgericht mit der Verständigung übermittelt, daß sich nach dem Ergebnis des Sachverständigenbeweises (ON 15 und ON 19) und der Mitteilung der Beklagtenvertreterin (ON 22 S 77) bei der beklagten Partei mit Beziehung auf den Rechtsstreit Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB ergeben haben. Der Rechtsstreit wird bis zur Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes unterbrochen.
Text
Begründung
Der Kläger begehrte im vorliegenden Rechtsstreit die Aufhebung seiner Ehe mit der Beklagten, weil diese schon vor der Eheschließung zumindest ansatzweise geisteskrank gewesen sei; nunmehr habe sich die Unheilbarkeit ihrer Geisteskrankheit herausgestellt. Bei Kenntnis der Krankheit der Beklagten hätte der Kläger sie nicht geheiratet. Die Beklagte habe ihre Erkrankung vor der Eheschließung dem Kläger bewußt verschwiegen. Der Kläger stellte auch ein Eventualbegehren auf Scheidung seiner Ehe mit der Beklagten im Sinne der §§ 50, 51 EheG. Infolge der Geisteskrankheit der Beklagten sei die geistige Gemeinschaft zwischen den Streitteilen aufgehoben; mit ihrer Wiederherstellung sei nicht zu rechnen.
Im Verfahren vor dem Erstgericht wurde ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Erwin O*** eingeholt, aus dem sich im wesentlichen ergibt, daß die Beklagte an einer endogenen Psychose aus dem schizoaffektiven Formenkreis leidet, wobei die Prognose über den weiteren Krankheitsverlauf eher ungünstig beurteilt wurde und der Eintritt eines sogenannten Defektzustandes, der bis zum Stadium einer Demenz führen kann, nicht auszuschließen ist (ON 15 und 19). In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 9.7.1985 teilte die Beklagtenvertreterin dem Gericht mit, daß wieder ein dreiwöchiger Aufenthalt der Beklagten im Landessonderkrankenhaus Graz notwendig geworden sei. Auf Grund des persönlichen Eindruckes der Beklagtenvertreterin von ihrer Mandantin sei die Bestellung eines Sachwalters für diese unbedingt erforderlich, weil erhebliche Zweifel an ihrer Geschäftsfähigkeit bestünden. Zeitweise, wenn sie sich in einer gewissen Hochstimmung befinde, mache die Beklagte zwar einen orientierten Eindruck; hingegen bestünden in Zeiten von Depressionen erhebliche Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Beklagten (ON 22 S 77).
Das Erstgericht übermittelte am 12.6.1985 einen Teil der Akten dem Pflegschaftsgericht mit dem Ersuchen, im Hinblick auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. O*** für die Beklagte einen Sachwalter zu bestellen (ON 20). Das Bezirksgericht Rottenmann als zuständiges Pflegschaftsgericht stellte am 26.6.1985 die Akten mit der Bekanntgabe zurück, daß für eine Maßnahme im Sinne des § 273 ABGB kein ausreichender Grund vorliege (ON 21). Mit Urteil vom 7.5.1986 wies das Erstgericht das auf Aufhebung der Ehe gerichtete Hauptbegehren des Klägers ab, schied aber die Ehe der Streitteile in Stattgebung seines Eventualbegehrens gemäß § 51 EheG, wobei es aussprach, daß das Verschulden den Kläger treffe.
Den gegen dieses Urteil gerichteten Berufungen beider Streitteile gab das Berufungsgericht keine Folge.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richten sich die Revisionen beider Streitteile. Der Kläger bekämpft sie aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung seines Hauptbegehrens auf Aufhebung der Ehe bzw. dahin abzuändern, daß der ihn betreffende Verschuldensausspruch zu entfallen habe; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. Die Beklagte bekämpft die Entscheidung des Berufungsgerichtes aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß auch das Scheidungsbegehren des Klägers abgewiesen werde.
Beide Streitteile haben Revisionsbeantwortungen mit dem Antrag erstattet, der Revision des Gegners keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Im Hinblick auf den Inhalt des vom Erstgericht eingeholten Sachverständigengutachtens und der oben wiedergegebenen Mitteilung der Beklagtenvertreterin bestehen an der Prozeßfähigkeit der Beklagten erhebliche Zweifel, wobei darauf hinzuweisen ist, daß die Prüfung der Prozeßfähigkeit nicht bloß die Fähigkeit zur Abschätzung der Tragweite der Erteilung einer Vollmacht an den für die Prozeßführung ausersehenen Rechtsanwalt, sondern der Tragweite des Prozeßführungsauftrages zu betreffen hat (EvBl. 1986/162). Gemäß § 6a ZPO ist es dem Prozeß- bzw. Rechtsmittelgericht seit dem Inkrafttreten des Sachwaltergesetzes (1.7.1984) verwehrt, die Prozeßfähigkeit der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterliegender geistig behinderter Personen, für die kein Sachwalter bestellt ist, zu prüfen und zu verneinen. Es hat in solchen Fällen vielmehr das Pflegschaftsgericht zu verständigen, daß bei einer der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterliegenden Person Anzeichen für eine die Prozeßunfähigkeit bewirkende Geisteskrankheit oder Geistesschwäche ("psychische Krankheit oder geistige Behinderung") vorliegen (siehe dazu Fasching, Zivilprozeßrecht Rz. 349).
Gemäß § 6a dritter Satz ZPO ist das Prozeßgericht in derartigen Fällen an die Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes gebunden. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien (RV 742 BlgNR 15.GP 23) eindeutig ergibt, besteht der Zweck der neu geschaffenen Bestimmung des § 6a ZPO darin, die Beurteilung der Prozeßfähigkeit von der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterworfenen geistig behinderten Personen ausschließlich dem Pflegschaftsgericht zuzuweisen. Wenn in diesem Belang eine Bindung des Prozeßgerichtes an die Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes normiert wird, kann unter dieser Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes nur eine solche verstanden werden, mit der entweder für den Betroffenen ein Sachwalter bestellt oder die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme verneint wird. Im letzteren Fall hat das Pflegschaftsgericht im Sinne des § 243 AußStrG das Verfahren in jeder Lage mit Beschluß (der gemäß § 246 Abs. 1 AußStrG dem Betroffenen und seinem Vertreter zuzustellen ist) einzustellen. In jedem Fall muß es sich aber um eine Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes handeln (so auch Maurer, Sachwalterrecht 101); eine Bindung des Prozeßgerichtes an nicht in Form einer Entscheidung abgegebene Meinungsäußerungen des Pflegschaftsrichters ist im Gesetz nicht vorgesehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob in anderen Fällen, in denen das Pflegschaftsgericht im Sinne des § 236 AußStrG auf Grund einer Mitteilung über die Schutzbedürftigkeit einer behinderten Person einzuschreiten hat, das (vom Pflegschaftsgericht angenommene) Fehlen begründeter Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters dazu führt, daß die Akten ohne Fassung eines formellen Einstellungsbeschlusses abzulegen sind (so RV 742 BlgNR 15.GP 24). Im Fall der im § 6a ZPO vorgeschriebenen Verständigung des Pflegschaftsgerichtes ist dieser Weg jedenfalls nicht gangbar, weil damit eine das Prozeßgericht bindende Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes nicht vorläge und daher die Prozeßfähigkeit des Betroffenen wieder vom Prozeßgericht beurteilt werden müßte, ein Ergebnis, das dem dargestellten Zweck der Bestimmung des § 6a ZPO eindeutig zuwiderläuft. Ist daher in einem solchen Fall das Pflegschaftsgericht der Ansicht, daß der Betroffene prozeßfähig und die Bestellung eines Sachwalters für ihn nicht erforderlich ist, hat es im Sinne des § 243 AußStrG einen Einstellungsbeschluß zu fassen, der vom Betroffenen auch angefochten werden kann. Erst nach Rechtskraft eines derartigen Einstellungsbeschlusses kann dann die im § 6a dritter Satz ZPO normierte Bindungswirkung gegenüber dem Prozeßgericht eintreten.
Im vorliegenden Fall liegt eine solche bindende Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes nicht vor. Die oben erwähnte Aktenrückstellung an das Erstgericht mit der "Bekanntgabe, daß für eine Maßnahme im Sinne des § 273 ABGB kein ausreichender Grund vorliege", stellt keine derartige Entscheidung dar. Abgesehen davon sind nach dieser Äußerung des Pflegschaftsgerichtes durch die Mitteilung der Beklagtenvertreterin in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 9.7.1985 weitere Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB in Ansehung der Beklagten mit Beziehung auf diesen Rechtsstreit hervorgekommen. Im Hinblick auf die bestehenden ernstlichen Zweifel an der Prozeßfähigkeit der Beklagten infolge ihrer geistigen Behinderung waren daher die Akten im Sinne des § 6a ZPO dem zuständigen Pflegschaftsgericht mit der in dieser Gesetzesstelle vorgesehenen Verständigung zu übermitteln. Das Pflegschaftsgericht wird, wenn es die Prozeßfähigkeit der Beklagten aus den im § 273 Abs. 1 ABGB normierten Gründen verneint, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um die ordnungsgemäße Vertretung der Beklagten in diesem Rechtsstreit sicherzustellen. Andernfalls wird es einen Einstellungsbeschluß nach § 243 AußStrG zu fassen haben, dem nach § 6a dritter Satz ZPO bei Beurteilung der Frage der Prozeßfähigkeit der Beklagten (nach Eintritt seiner Rechtskraft) Bindungswirkung zukommt.
Bis zu der das Prozeßgericht und die Rechtsmittelgerichte in dieser Frage bindenden Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes ist das Verfahren auszusetzen (Fasching, Zivilprozeßrecht Rz. 349; Maurer, Sachwalterrecht 100).
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