OGH 8Ob69/87

OGH8Ob69/879.2.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des 0bersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Melber und Dr.Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing.Josef H***, Exportverkäufer,

Mengersdorf 21, 4522 Sierning, vertreten durch Dr.Friedrich Grohs, Rechtsanwalt in Steyr, wider die beklagte Partei mj.Walter A***, Wehrmann, Mühlgruberstraße 10, 4540 Pfarrkirchen, vertreten durch Dr.Christoph Rogler, Rechtsanwalt in Steyr, wegen S 74.265,60 sA (Rekursstreitwert S 37.132,80), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 27.April 1987, GZ 3 R 50/87-10, womit das Urteil des Kreisgerichtes Steyr vom 11.Dezember 1986, GZ 2 Cg 291/86-5, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.357,85 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 214,35, keine Barauslagen) und die mit S 2.829,75 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 257,25, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrte die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von S 74.265,60 sA im wesentlichen mit der Begründung, er habe als Angestellter der Steyr Daimler Puch AG ein Firmenfahrzeug zu seiner Verfügung gehabt. Am 9.Jänner 1985 habe ihn der Beklagte ersucht, ihm diesen PKW für eine Probefahrt zur Verfügung zu stellen. Der Kläger habe den Beklagten befragt, ob er eine gültige Fahrerlaubnis besitze, was der Beklagte bejaht habe. Daraufhin habe der Kläger das Firmenfahrzeug dem Beklagten überlassen, der damit einen Verkehrsunfall verschuldet habe, wobei an dem Fahrzeug ein Totalschaden eingetreten sei. Nach dem Unfall habe sich herausgestellt, daß der Beklagte keinen Führerschein besessen habe. Nach Abzug des Verkaufserlöses für das Wrack habe die Steyr Daimler Puch AG einen Schaden von S 73.676,60 gegen den Kläger geltend gemacht, den der Kläger bezahlt habe. Für die Aufnahme eines zur Zahlung dieses Betrages erforderlichen Kredites sei dem Kläger eine Rechtsgeschäftgebühr in der Höhe von S 589,-- erwachsen. Der Beklagte anerkannte die Hälfte des Klagsbetrages, also einen Betrag von S 37.132,80 sA, und wendete im übrigen im wesentlichen ein, es treffe zu, daß er den Kläger ersucht habe, ihm seinen PKW zu einer Probefahrt zur Verfügung zu stellen, daß der Kläger dieser Aufforderung nachgekommen sei und daß der Beklagte schließlich anläßlich dieser Fahrt schuldhaft das Fahrzeug beschädigt habe. Der Kläger habe den Beklagten aber nicht gefragt, ob er eine gültige Lenkerberechtigung besitze, sondern ihm ohne jegliche Rückfrage in dieser Richtung das Fahrzeug sofort übergeben. Damit habe der Kläger gegen die Bestimmung des § 103 Abs 2 KFG (in der zur Unfallszeit geltenden Fassung) verstoßen. Diese Bestimmung stelle eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB dar, von deren Normzweck auch die Verhinderung derartiger Schäden umfaßt sei. Aus diesem Grund habe der Kläger ein zumindest gleichteiliges Verschulden an dem eingetretenen Schaden zu vertreten.

Der Höhe nach ist der Klagsanspruch nicht mehr strittig. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren ohne Aufnahme von Beweisen vollinhaltlich statt.

Es führte im wesentlichen aus, daß sich, ausgehend von dem unbestrittenen Sachverhalt, wonach der Kläger dem Beklagten, der keine gültige Lenkerberechtigung besaß, den ihm von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellten PKW zu einer Probefahrt überließ und dieser dabei einen Unfall verschuldete, durch welchen Totalschaden an diesem PKW eintrat, rechtlich ergebe, daß der Beklagte allein und zur Gänze für diesen Schaden aufzukommen habe. Dem Einwand des Beklagten, der Kläger habe gegen § 103 Abs 2 KFG verstoßen und damit eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB übertreten und habe daher gleichteilig den Schaden mitzuvertreten, sei entgegenzuhalten, daß § 103 Abs 2 KFG zwar eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB darstelle, doch werde damit der Schutz der Allgemeinheit bezweckt, nicht aber der Schutz des Fahrers, der in Kenntnis dieses Umstandes selbst fahre. Der Beklagte könne sich daher nicht auf die Übertretung dieser Bestimmung durch den Kläger berufen, sondern es käme diese Vorschrift nur einem geschädigten Dritten zugute. Der Beklagte sei daher zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet.

Dieses Urteil wurde vom Beklagten im Umfang des Zuspruches eines Betrages von S 37.132,80 sA an den Kläger mit Berufung bekämpft. Mit dem angefochtenen Beschluß gab das Berufungsgericht diesem Rechtsmittel Folge. Es hob die Entscheidung des Erstgerichtes im Umfang der Anfechtung unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Das Berufungsgericht führte im wesentlichen aus, Anlaß dieses Rechtsstreites sei die (nach den Berufungsausführungen schuldhafte) Beschädigung des Firmen-PKW der Steyr Daimler Puch AG. Den im Vermögen dieses Unternehmens hiedurch eingetretenen Schaden habe der Kläger, dem dieses Firmenfahrzeug zur Verfügung gestanden sei, bezahlt.

Die Haftung des Klägers der Steyr Daimler Puch AG gegenüber könnte sich aus einem allfälligen Verstoß gegen den Dienstvertrag (mit Verbot, den Firmen-PKW an Dritte zu überlassen), gegen § 102 Abs 8 KFG oder gegen den darin inkludierten § 103 Abs 2 (nunmehr Abs 1 Z 3) KFG ergeben.

Diese Haftung des Klägers sei vom Beklagten nicht in Zweifel gezogen worden.

Zusätzlich hätte auch der Beklagte der Steyr Daimler Puch AG für die schuldhafte Beschädigung des Firmenfahrzeuges gehaftet, und zwar wahrscheinlich wegen Übertretung von Vorschriften der Straßenverkehrsordnung, zusätzlich aber jedenfalls wegen Verstoßes gegen § 64 Abs 1 KFG als weitere Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB. Da nicht gesagt werden könne, ob gewisse Teile des angerichteten Schadens ausschließlich auf den Kläger oder auf den Beklagten zurückzuführen seien, hätten beide Streitteile der Steyr Daimler Puch AG zur ungeteilten Hand gehaftet (§§ 1301, 1302 ABGB). Nach der gänzlichen Ersatzleistung könne sich der Kläger beim mithaftenden Beklagten regressieren (§§ 1302, 896 ABGB). Im vorliegenden Regreßprozeß berufe sich der Beklagte, der (vgl die Zweifelsregel des § 896 ABGB) die Hälfte des Klagebegehrens anerkannt habe, nur auf einen Verstoß des Klägers gegen § 103 Abs 2 (nunmehr Abs 1 Z 3) KFG.

Entgegen der Haftung gegenüber dem Geschädigten komme es für den Regreß nicht auf den Anteil am angerichteten Schaden, sondern - im Sinne des § 1304 ABGB - auf den Grad des Verschuldens an. Die Vorschrift des § 103 Abs 2 (nunmehr Abs 1 Z 3) KFG betreffe den Zulassungsbesitzer als Normadressaten. Soweit dies der Kläger selbst gewesen sein sollte, ergäben sich keine Probleme; soweit dies - was bei einem Firmenfahrzeug wahrscheinlicher sei - die Steyr Daimler Puch AG gewesen wäre, hätte der Kläger, dem das Firmenfahrzeug zur Verfügung gestellt worden war, für seinen Dienstgeber die sich daraus ergebende Obliegenheit wahrzunehmen gehabt, sofern man § 103 Abs 2 (nunmehr Abs 1 Z 3) KFG nicht ohnedies als Minus gegenüber § 102 Abs 8 KFG betrachte. Der § 103 Abs 2 (nunmehr Abs 1 Z 3) und die §§ 64 ff KFG stellten in gleicher Weise Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB dar. Nach der Rechtsprechung bezwecke die erstgenannte Vorschrift den Schutz der Allgemeinheit, nicht aber den Schutz des Fahrers oder desjenigen, der trotz Kenntnis des Umstandes, daß dem Fahrer der Führerschein entzogen wurde, mitfuhr und dabei zu Schaden kam. Der Kläger mache, weil er auf Grund seiner Solidarschuld im Außenverhältnis mehr bezahlt habe, als er im Innenverhältnis zahlen hätte müssen, gegen den Beklagten den von der Steyr Daimler Puch AG auf ihn übergegangenen Schadenersatzanspruch geltend. Der Kläger müsse daher seinem Verlangen auf Schadenersatz sich ein ihn belastendes Eigenverhalten entgegenhalten lassen, das - gegen die Steyr Daimler Puch AG gerichtet - bereits zu seiner Schadenersatzpflicht geführt hätte. Daß die genannte Schutznorm den Schutz der Steyr Daimler Puch AG bezwecke, ergebe sich aus den zur Haftung des Klägers führenden Überlegungen. Zwischen den Streitteilen könne der Mitverschuldenszusammenhang nicht von Bedeutung sein, weil sonst die Berücksichtigung des beiderseitigen Verschuldens im Sinne des § 896 ABGB nicht erfolgen könnte. Der Kläger habe vorgebracht, den Beklagten bloß nach dem Besitz eines Führerscheines gefragt zu haben. Dies und eine allfällige Versicherung des Beklagten, einen Führerschein zu besitzen, genüge nach der strafgerichtlichen Judikatur nicht, um sich von der Lenkerberechtigung einer Person zu überzeugen. So wie im bürgerlichen Recht etwa keine Haftung wegen Mangels des Führerscheins gegeben sei, wenn die Beschädigung nicht auf die Unfähigkeit oder mangelnde Eignung des PKW-Lenkers zurückzuführen sei, handle ein das Fahrzeug Überlassender dann nicht tatbestandsmäßig, wenn er mit Grund annehmen habe können, daß die keine Lenkerberechtigung besitzende Person in ausreichendem Maß zur Lenkung des Fahrzeuges befähigt und geeignet sei.

Wenn auch derartiges hier nicht vorgebracht worden sei, ergebe sich daraus doch die Notwendigkeit, den Sachverhalt so weit abzuklären, um beurteilen zu können, ob ein Verstoß des Klägers gegen die vom Beklagten als einzigen Mitverschuldensgrund geltend gemachte Schutznorm des § 103 Abs 2 (nunmehr Abs 1 Z 3) KFG vorliege und bejahendenfalls welches Gewicht diesem Verstoß zukomme. Für die zufolge §§ 1302, 896 ABGB erforderliche Verschuldensabwägung werde das Erstgericht neben dem wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung unterlassenen Beweisverfahren zum diese Schutznorm betreffenden bereits vorhandenen Parteienvorbringen noch mit den Parteien zu erörtern haben (§ 182 ZPO), welche konkreten Umstände bei der Überlassung des Firmen-PKW durch den Kläger an den Beklagten vorgelegen seien (Zufallsbekanntschaft im Gasthaus oder bereits längere Bekanntschaft mit bereits vorhandener Kenntnis der persönlichen Verhältnisse) und welcher Art das Verschulden des Beklagten am Zustandekommen des Verkehrsunfalles gewesen sei. Eine völlige Klagsstattgebung würde voraussetzen, daß der Kläger entweder nicht gegen die genannte Schutznorm verstoßen habe oder sein Verschulden gegenüber jenem des Beklagten zurücktrete.

Den angeordneten Rechtskraftvorbehalt begründete das Berufungsgericht damit, daß erhebliche Rechtsfragen des materiellen Rechtes zu lösen seien, zu denen es noch keine bzw noch keine ausreichende oberstgerichtliche Judikatur gebe.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Beklagte hat keine Rekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und auch sachlich berechtigt. Die unentgeltliche Überlassung des dem Kläger von seinem Dienstgeber zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeuges an den Beklagten ist unter zumindest sinngemäßer Anwendung der Vorschriften über den Leihvertrag zu beurteilen (JBl 1931, 264; SZ 50/137); auch fremde Sachen können Gegenstand eines Leihvertrages sein (JBl 1972, 474). Wie sich aus § 979 ABGB ergibt, hat der Beklagte für einen dem Kläger durch die schuldhafte Beschädigung des ihm überlassenen Fahrzeuges entstandenen Vermögensschaden einzustehen. Die Verpflichtung des Klägers zur Erfüllung der von seinem Dienstgeber gegen ihn gestellten Forderung hat der Beklagte nicht bestritten. Es steht dem Beklagten sicher frei, im Sinne des § 1304 ABGB ein konkurrierendes Verschulden des Klägers einzuwenden und mit dieser Begründung eine Herabsetzung seiner eigenen Schadenersatzpflicht gegenüber dem Beklagten anzustreben. Er hat dies im vorliegenden Fall dadurch getan, daß er sich auf eine Verletzung der Vorschrift des § 103 Abs 2 KFG (in der zur Unfallszeit geltenden Fassung) durch den Kläger berief und daraus ein seiner Meinung nach mit 50 % zu bewertendes Mitverschulden des Klägers ableitete. Auf diesen konkreten Mitverschuldenseinwand haben sich die anzustellenden rechtlichen Erwägungen zu beschränken.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß bei Verletzung einer Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB durch den Geschädigten eine Begrenzung der Zurechnung der Schadensfolgen aus dem Normzweck auf die Schadenstragung wegen Mitverschuldens ebenso anzuwenden ist wie auf die Schadenshaftung gegenüber Dritten (ZVR 1979/282; ZVR 1980/39; 8 Ob 263, 264/81 ua).

Ebenso entspricht es ständiger Rechtsprechung, daß es sich bei der Vorschrift des § 103 Abs 2 erster Satz KFG (in der zur Unfallszeit geltenden Fassung; nunmehr § 103 Abs 1 Z 3 KFG) um eine gesetzliche Bestimmung handelt, die zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht, also um eine Schutznom im Sinne des § 1311 ABGB. Der Zweck dieser Bestimmung liegt aber im Schutz der Allgemeinheit; sie bezweckt nicht den Schutz des Fahrers selbst oder jener Person, die trotz Kenntnis des Umstandes, daß der Fahrer keinen Führerschein besitzt, mit dem von ihm gelenkten Kraftfahrzeug mitfährt (ZVR 1963/150; 8 Ob 70/78; ZVR 1985/8), daher um so weniger den Schutz eines entgegen dieser Vorschrift an eine Person ohne die erforderliche Lenkerberechtigung überlassenen Kraftfahrzeuges vor Beschädigungen durch den Lenker.

Selbst wenn daher der Kläger dem Beklagten den PKW unter Verletzung der Vorschrift des § 103 Abs 2 erster Satz KFG (in der zur Unfallszeit geltenden Fassung) überließ, kann dieser daraus allein kein seine Ersatzpflicht minderndes Mitverschulden des Klägers ableiten, weil der Schutzzweck dieser Norm nicht darin liegt, eine Beschädigung des überlassenen Fahrzeuges durch den Lenker hintanzuhalten.

Auf andere Gründe hat der Beklagte den erhobenen Mitschuldeinwand nicht gestützt.

Die Rechtssache erweist sich daher als spruchreif im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes, sodaß nach § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO über den Rekurs des Klägers durch Urteil in der Sache selbst in diesem Sinne zu erkennen war. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Rekursverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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